Ein Leak von großem Interesse

„Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“. Unser Leak eines Strategiepapiers und die Folgen: großes Interesse – vor allem bei lauten Corona-Schwurblern.

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Jetzt, wo die Corona-Inzidenzen endlich mal (vorübergehend) etwas entspannter aussehen, ist Zeit für einen kleinen Corona-Krisen-Zwischenstand aus Dokumentensicht. Das Portal FragDenStaat.de, das ich betreue, wird seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres so viel besucht wie zuvor in seiner zehnjährigen Geschichte nicht.

Gerade in der Krise ist das Bedürfnis nach Information besonders hoch. Und wo der Staat es nicht ordentlich hinbekommt, die Bevölkerung zu informieren, fragen Bürger:innen heutzutage nach und holen sich die Informationen selbst.

Das Dokument, das im Corona-Jahr 2020 mit Abstand am meisten auf FragDenStaat.de angeschaut wurde, war allerdings gar nicht das Resultat einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz, sondern ein Leak, den wir veröffentlicht haben: Das sogenannte Corona-Strategiepapier des Innenministeriums, das Wissenschaftler im März 2020 für das Innenministerium schrieben, um verschiedene Corona-Szenarien zu skizzieren – von einem „Worst Case“ bis hin zu einem optimalen Verlauf der Krise. Gerade in Schwurbler-Kreisen hat das Dokument bis heute Konjunktur.

Nachdem zahlreiche Medien im März des vergangenen Jahres über das 17-seitige Papier mit dem Titel „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“ berichtet hatten, hatten wir den Eindruck, dass das Szenarienpapier komplett an die Öffentlichkeit gehört, damit sich alle ein eigenes Bild machen könnten. Der Spin der Berichterstattung unterschied sich zuvor je nach Medium: die taz war eher nüchtern, der Spiegel etwas reißerischer, tagesschau.de sehr konstruktiv. (Der tagesschau.de-Artikel ist übrigens, wie leider oft üblich, inzwischen gelöscht worden, weil selbst Investigativ-Recherchen der Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig nach einem Jahr depubliziert werden, was gerade im Umgang mit Schwurblern und Fake-News-Schreiern wirklich ein saublöder Mechanismus ist, aber das nur am Rande.)

Wir veröffentlichten das Strategiepapier also am 1. April bei FragDenStaat (was, zugegeben, nicht das beste Datum für solch einen Leak ist). Mein Eindruck bei der Lektüre des Strategiepapiers – das aus den ersten Wochen der Corona-Krise in Deutschland stammt – war damals wie heute: Mit vielen Prognosen hatten die Wissenschaftler recht, etwa bei der Empfehlung zum vermehrten Testen, für eine Anerkennung zivilgesellschaftlichen Engagement und zur Reduzierung sozialer Kontakte, bei manchen lagen sie, von heute aus betrachtet, daneben. Und die Empfehlungen zur Kommunikation waren tatsächlich recht drastisch. Der Bundesregierung empfahlen die Wissenschaftler, auch über möglicherweise qualvolles Sterben durch den Corona-Virus zu informieren. Diese Empfehlungen wurden später nicht umgesetzt.

Genau dieser Teil des Papiers war es dann, der in den Tagen nach unserer Veröffentlichung skandalisiert wurde: Zuerst focus.de, dann zahlreiche Medien aus dem Verschwörungs-Milieu schrieben über das „Angst-Papier“ – stets verbunden mit dem Framing, die Regierung wolle nur Angst machen, um die Bevölkerung (bzw. laut den einschlägigen Websites das „Volk“) gefügig zu machen. Dass das Papier nur ein Vorschlag war und keine offizielle Strategie, fiel dabei schnell unter den Tisch. Inzwischen referenzieren eigentlich alle bekannteren Schwurbler das „Schock“-Strategiepapier, zuletzt der ehemalige Chef des sogenannten Verfassungsschutzes in Thüringen, Helmut Roewer, mit seinem wirren Buch „Corona-Diktatur“.

Was sagt das aus über unseren Leak? Die Veröffentlichung des Strategiepapiers durch FragDenStaat hatte zunächst offenbar ein AfD-Projekt gekippt: Denn unter coronaleaks.de wollte ein AfD-Bundestagsabgeordneter auch am 1. April das Corona-Strategiepapier veröffentlichen, mutmaßlich mit einem ganz anderen Framing als FragDenStaat. Nach unserer Veröffentlichung wurde die Leakingplattform aber eingestellt.

Trotzdem lief die Debatte über das Papier danach teilweise aus dem Ruder. Ermöglicht wurde das auch durch die Regierung: Das Innenministerium äußerte sich während dieser Phase selbst nie zu dem Strategiepapier und verpasste damit die Möglichkeit, den Diskurs mit zu beeinflussen. Das Papier war ja als Verschlusssache eingestuft, also sagte niemand aus dem Ministerium offiziell etwas dazu. Erst rund einen Monat später, eine Ewigkeit in der erhitzten Corona-Debatte, entstufte das Ministerium das Papier und veröffentlichte es auf seiner eigenen Website selbst. Da war es aber freilich schon zu spät, um dem Diskurs noch sachlich zu begegnen, auch wenn die Veröffentlichung des Papiers für viele sachliche Diskussionen gesorgt hatte. Die waren nur nicht so laut wie die schrillen.

Ob das Innenministerium daraus gelernt hat, ist fraglich. Die Herausgabe von Kommunikation zur Erstellung des Papiers verweigerte es anschließend und musste vor Gericht dazu gezwungen werden. Und die Lageberichte sowie die Protokolle des Corona-Krisenstabs hält das Ministerium weiterhin unter Verschluss – eine Klage läuft auch dazu.

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