Urteile jetzt auch von ZivilgerichtenKlagen gegen Topf Secret erfolglos

Nichts lässt die Gastrolobby unversucht, um unsere Kampagne „Topf Secret“ zu stoppen. Aber die Transparenz gewinnt. Nach hunderten Urteilen von Verwaltungsgerichten haben jetzt erstmals auch Landgerichte im Sinne der Offenheit geurteilt.

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Bürger:innen dürfen die Ergebnisse von offiziellen Lebensmittelkontrollen in Restaurants, Bäckereien oder Imbissbuden im Internet veröffentlichen. Das hat das Landgericht Köln jetzt entschieden – und damit eine Klage des Lobbyverbandes DEHOGA abgewiesen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hatte mit der Musterklage verhindern wollen, dass Verbraucher:innen die Behördenberichte auf unserem Portal „Topf Secret“ hochladen.

Damit ist jetzt gerichtsfest, dass eine Veröffentlichung zulässig ist. Durch die Veröffentlichung erfolge „mehr Transparenz in der Lebensmittelüberwachung, was letztlich dem Interesse der Allgemeinheit dient“, so das Gericht. In der Vergangenheit war der DEHOGA bereits mit mehreren anderen Klagen vor Verwaltungsgerichten gescheitert, mit denen der Verband verhindern wollte, dass Behörden die Kontrollberichte überhaupt an Bürger:innen herausgeben.

In dem konkreten Fall hatte ein Restaurantbetreiber aus Bonn gegen „Topf Secret“ geklagt. Der DEHOGA unterstützte nach eigenen Angaben diese „Musterklage“ gegen das Portal, das von foodwatch und der Transparenz-Initiative „FragDenStaat“ initiiert wurde. Das Landgericht wies die Klage jetzt jedoch vollumfänglich zurück. In einem ähnlichen Fall hatte kürzlich das Landgericht Schweinfurt einer Verbraucherin ebenfalls Recht gegeben, die über „Topf Secret“ Kontrollergebnisse veröffentlicht hatte.

Mittlerweile wurden über „Topf Secret“ mehr als 50.000 Anträge gestellt und mehr als 10.000 Kontrollberichte veröffentlicht. Nach dem Start von „Topf Secret“ im Jahr 2019 hatten zunächst hunderte Betriebe, viele auf Betreiben des DEHOGA-Lobbyverbandes, verwaltungsrechtlich versucht, die Herausgabe der Kontrollberichte durch die Behörden zu verhindern. Diese Klagewelle bei den Verwaltungsgerichten gegen die Lebensmittelbehörden blieb jedoch ohne Erfolg. Mit dem VGH Mannheim, VGH München, OVG Niedersachen, OVG NRW und OVG Berlin-Brandenburg stellten gleich fünf Oberverwaltungsgerichte klar, dass die Behörden zur Auskunft der Kontrollergebnisse verpflichtet sind – auch wenn die Anträge über die Plattform „Topf Secret“ gestellt wurden. Mit den Urteilen des Landgerichts Schweinfurt und des Landgerichts Köln gibt es jetzt zwei Entscheidungen in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen, bei denen Betriebe nicht gegen Behörden, sondern direkt gegen Verbraucher:innen bzw. gegen die Betreiber der Plattform „Topf Secret“ geklagt hatten.

zum Urteil

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Beglaubigte Abschrift 28 0 249/20                                             Verkündet am 22.09.2021 Gebhardt, Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle · · Landgericht Köln IM NAMEN DES VOLKES Urteil In dem Rechtsstreit der Tacos Gastro GmbH, Kölner Straße 197, 50226 Frechen, Klägerin, Prozessbevollmächtigte: gegen den Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstr. 109, 10179 Berlin, Beklagten, Prozessbevollmächtigte:                  Rechtsanwälte Dr. Geulen & Dr. Klinger, Schaperstraße 15, 10719 Berlin, hat die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25 .08 .2021 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Eßer da Sil.va, den Richter am Landgericht Dr. Patt und die Richterin am Landgericht Heck für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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2 Tatbestand: Die Klägerin betreibt u.a. in der Bonner Innenstadt das Restaurant „Tacos". Der Beklagte     ist als    Betreiber   verantwortlich für   die    Inhalte der   Website https://fragdenstaat.de/. Bei der Website handelt es sich um eine Plattform über die Verbraucher verschiedene Anfragen an Behörden stellen können. Zusammen mit dem eingetragenen Verein Foodwatch e.V. hat der Beklagte das Projekt „Topf Secret" (nachfolgend: ,,die Plattform") gestartet. Dabei handelt es sich um eine Plattform, die es Verbrauchern ermöglicht, vorformulierte Anfragen zur Hygiene von Lebensmittelbetrieben an die zuständigen Behörden zu schicken. Ziel der Plattform ist, dass die von den Verbrauchern angefragten Ergebnisse zu den Hygienekontrollen in Restaurants, Bäckereien, Supermärkten etc. dann auf der Plattform veröffentlicht werden. Das Verfahren der Abfrage eines Ergebnisses einer Hygienekontrolle läuft wie folgt: Der Verbraucher verwendet zur Anfrage bei der zuständigen Behörde das vorformulierte Formular des Beklagten. Dabei ist die Anfrage so formuliert, dass nur im Falle von Beanstandungen um die Zusendung des Kontrollberichtes gebeten wird. Der Verbraucher gibt zwar seine Adresse an, als E-Mailabsender den die Behörde erhält, wird automatisch eine E-Mailadresse von FragdenStaat generiert. Für die Behörde ist also die E-Mailadresse des Nutzers nicht erkennbar. Nachdem eine Behörde dem Verbraucher einen Bericht zugesendet hat (per E-Mail oder postalisch) ist vorgesehen, dass der Verbraucher personenbezogene Daten schwärzt und den Bericht auf die Plattform hochlädt. Die oben erwähnte Lokalität „Tacos" der Klägerin wurde am 08.09.2016 im Rahmen einer Hygienekontrolle kontrolliert. Dabei kam es zu mehreren Beanstandungen durch die Behörde, welche im Hygienekontrollbericht schriftlich vermerkt wurden (vgl. auch Anlage K2):
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3 .   ·-·-------------. ~ - - - - --·-------------- ·--·---·-1 .  ·-··-··-1 . . -----·------------,<•····-----Ji ~~~===-~~~::'14!1Nf &5:lt~ 4~V,:«H;~nfl, ~ 4 - , •*'~ ~~..v,!•,M ,.-..,t <,f.4 M, .;.M A('u..~w-~--F'(.~,l· _!..(;~_...[_. __ ,,-·,· ~· """"'•1~1\.it•~ Bei    einer weiteren                  Kontrolle                    der          Lokalität am              23.04.2018 gab es keine Beanstandungen. Sodann stellte die Klägerin fest, dass der Hygienebericht der Kontrolle vom 08.09.2016 auf der oben erwähnten Plattform „Topf Secret" veröffentlicht worden war. Der Hygienebericht war zuvor am 22.07.2019 von einem Nutzer der Website bei qer zuständigen Stelle unter Einsatz des zur Verfügung gestellten Musterschreibens angefordert worden. Nachdem die Stadt Bonn dem Antrag am 09.10.2019 stattgegeben hatte, wurde der Hygienebericht auf der Website im Rahmen der „Topf Secret"-Kampagne als Anlage veröffentlicht. Im dazugehörigen Anschreiben der Stadt Bonn wird auf die Kontrollen am 08.09.2016 und 23.04.2018 hingewiesen. Weiter heißt es: ,,Da es bei der Kontrolle am 08.09.2016 zu Beanstandungen kam, übersende ich Ihnen anliegenden Bericht. Die Kontrolle vom 23.04.2018 verlief ohne Beanstandungen." Mit Schreiben vom 17.06.2020 wies die Klägerin den Beklagten auf die aus ihrer Sicht rechtswidrige Veröffentlichung des Hygieneberichts auf der Plattform „Topf Secret" hin und machte Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend (vgl.
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4 Anlage K 3). Mit Schreiben vom 19.06.2020 erklärte sich der Beklagte bereit, den für die Klägerin positiven Hygienebericht vom 23.04.2018, ausnahmsweise ohne vorherige Verifizierung, auf der Plattform zu veröffentlichen (vgl. Anlage K4). Den Unterlassungsanspruch wies die Beklagte zurück. Mit   der   vorliegenden   Klage   begehrt     die   Klägerin   die   Unterlassung  der Veröffentlichung des Hygieneberichts vom 08.09.2016 vom Beklagten. Mittlerweile ist dieser Hygienebericht nicht mehr online, wobei streitig ist, wann ein~ Entfernung erfolgte. Ferner w~rde zwischenzeitlich ein weiterer Hygienebericht vom 28.01.2020 bezüglich des Restaurants „Tacos" auf der Website veröffentlicht (vgl. Anlage 86). Der Klägerin trägt vor, dass die Veröffentlichung des Hygieneberichts unter mehreren Aspekten     rechtswidrig  sei,  weshalb     der   Klägerin   ein   Unterlassungs-  und Beseitigungsanspruch zustehe. Die Veröffentlichung geschäftsschädigender Kritik greife unmittelbar in den betrieblichen Organismus der Klägerin ein und habe erhebliches      Schädigungspotenzial.     Die    unbefristete . Veröffentlichung   der Hygieneberichte sei geeignet, das Geschäft der Klägerin vollständig zum Erliegen zu bringen. Bewertungen im Internet würden für die Konsumentscheidung von Kunden eine immer größere Bedeutung gewinnen, sodass ein negativer Hygienebericht die Entscheidung von potenziellen Gästen der Klägerin negativ beeinflussen könne. Durch die Veröffentlichung des negativen Hygieneberichts, stehe das Lokal der Klägerin öffentlich am „Pranger". Zeitlich unbegrenzt könnten alle potenziellen Kunden und Geschäftspartner auf die Beanstandungen zugreifen. Dabei zeichneten die Beanstandungen kein repräsentatives Bild von den Hygienestandards des Lokals der Klägerin, denn bereits 2018 seien sämtliche Beanstandungen behoben worden. Kunden, die nach dem Lokal im Internet suchen, könnten dennoch auf den Hygienebericht aufmerksam werden und einen falschen Eindruck erhalten. Die grundrechtlich geschützten Interessen der Klägerin würden hier das des Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG überwiegen. Der streitgegenständliche Hygienebericht werde zwar als wahre Tatsachenbehauptung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, aber die unbegrenzte zeitliche Veröffentlichung auf dem      Portal  des   Beklagten    sei   unverhältnismäßig     zu  den   drohenden Konsequenzen bei der Klägerin. Das Bundesverfassungsgericht habe zu der damaligen Rechtslage bzgl. des § 40 Abs. 1a a. F. LFGB festgehalten, dass eine Veröffentlichung von Hygieneberichten
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5 ohne Befristunq unverhältnismäßiq im engeren Sinne sei und insoweit gegen die durch das Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit aus Art. 12 GG verstoße. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze seien auf die vorliegende Fallkonstellation und bei der Interessenabwägung einzubeziehen. Im Ergebnis seien die Veröffentlichungen negativer Hygieneberichte auf jeden Fall immer dann unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn zum einen kein Hinweis bei den Hygieneberichten. erfolge, ob oder wann die Mängel behoben worden seien, und wenn    die   Veröffentlichung  zeitlich    unbeschränkt   erfolge.  Grundsätzlich   sei entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Zeitpunkt des Hochladens. In § 40 Abs. 4a LFGB werde· die Veröffentlichung auf sechs Monate begrenzt, Fristbeginn der Sechsmonatsfrist sei die behördliche Prüfentscheidung. Vorliegend sei der Bericht über die gegenständliche Kontrolle am 08.09.2016 durch einen Nutzer am 06.11.2019 auf der Plattform hochgeladen worden, die sechsmonatige Frist sei folglich seit Jahren abgelaufen. Die Klage sei auch nicht unzulässig; eine strafbewehrte Unterlassungserklärung habe der Beklagte nicht abgegeben. Eine „Anprangerung" scheide auch nicht durch den Hinweis auf eine zweite Kontrolle ohne Beanstandungen aus. Für den „mündigen Verbraucher" sei keinesfalls unmittelbar    zu   erkennen,   dass     es    etwa  auch    andere   Kontrollen   ohne Beanstandungen      gegeben    habe.    Damit dem Hinweis in         der Begleit-E-Mail entscheidende Bedeutung zukomme, müsse man davon ausgehen, dass der Verbraucher den gesamten E-Mailverkehr auf der Plattform auch aufmerksam lese. Ein~ solche Annahme erscheine lebensfremd. Wenn der Verbraucher nach Hygieneberichten zu einem Betrieb suche, interessiere ihn im Zweifel nur der tatsächliche Bericht. Außerdem sei          es dem Verbraucher möglich         über die Suchfunktion der interaktiven Karte auch direkt den Hygienebericht aufzurufen. Die Schwelle zur Persönlichkeitsverletzung sei hier überschritten, da der zu erwartende Schaden außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der betreffenden Informationen stehe. Auch wenn es sich lediglich um einen geringfügigen Verstoß handele,    könne   die Veröffentlichung      eine  Beeinträchtigung   des  betroffenen Unternehmens verursachen. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Bericht im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits entfernt gewesen sei. Der Klägerin beantragt,
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6 den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorständen des Beklagten, auf      der       Website                       www.fragdenstaat.de                                                  den Hygienebericht des Lebensmittelüberwachungsamtes der Bundesstadt Bonn vom 08.09.2016 bezüglich der Lokalität „Tacos" der Klägerin wie folgt zu öffentlich zugänglich zu machen ~ ! ( ~... 0...0tf lWl~~VI Qt,11. •'«v.M ~o., ~<1'141,vf ~ Vc!1~VrtJr\ ~~6~ te:.!,)ir ._.V.._,t.,.,. ~ J">:f<S,t A,,1   W"I lk~~l\-~"".nMNn~th-1.~~t-h\                                                                                ' ~itt~~-.f>i.AU•-LliL.L___~ .. ,... ,,,,,,.,,fo:!t-Jk"1llll.-f~'t Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte trägt vor, dass der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil sie den streitgegenständlichen Bericht vorsorglich bereits vor Klageerhebung von der Plattform genommen habe, nämlich am 02.07.2020. Der Anspruch sei erfüllt. Zudem·
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7 sei unzutreffend, dass Veröffentlichungen unbefristet erfolgen würden; Ergebnisse zu Lebensmittelkontrollen, die mehr als fünf Jahre zurückliegen, würden vom Beklagten von der Plattform entfernt. Es bestehe kein Unterlassungsanspruch, da im vorliegenden Fall bei der Interessenabwägung das Interesse des Beklagten und der Portalnutzer überwiege. Es handele sich um wahre Tatsachen und die Klägerin sei in der Sozialsphäre betroffen. Die Klägerin werde auch nicht angeprangert. Für Besucher der Website sei zu erkennen gewesen, dass die spätere Kontrolle ohne Beanstandungen verlaufen sei. Dem VIG liege das Leitbild eines mündigen Verbrauchers zu Grunde. Der Klägerin seien auch keine unzumutbaren Nachteile entstanden, gerade im Hinblick auf das geringe Gewicht der Beanstandung und den langen Zeitablauf seit der Beanstandung. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Hygienepranger sei vorliegend nicht von Relevanz, da es nicht um staatliches Informationshandeln,     sondern   Handeln   von     Privaten  ginge, was  auch   die oberverwaltungsgerichtliche      Rechtsprechung       in   mehreren   Entscheidungen berücksichtigt habe. Die Hoffnung des hinter der Klägerin stehenden Verbandes, dass die Zivilgerichte dies anders bewerten würden, sei unbegründet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die Klage ist unbegründet. 1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1 S. 2,823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG. 1. Bei der Verletzung des Allgemeinen (Unternehmer-)Persönlichkeitsrechts handelt es sich um einen sogenannten offenen Tatbestand, d. h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch    die    Tatbestandsmäßigkeit     indiziert,    sondern    im  Rahmen    einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und             Beachtung des Grundsatzes der· Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Sprau in: Palandt, Kommentar zum BGB, 78. Auflage 2019, § 823 BGB, Rn. 95 m. w. N.). Stehen sich als widerstreitende
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8 Interessen - wie vorliegend - die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Tatsachen sind innere und äußere Vorgänge, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen, während Meinungsäußerungen durch das Element der Stellungnahme, des Meines und Dafürhaltens geprägt sind. Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den durch den Antrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser im Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers abzustellen (vgl. BGH, NJW 1998, 3047). Auch wenn sich wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist, kann die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile im Rahmen einer Abwägung der Rechte eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der . Meinungsfreiheit    hinter   dem    durch  das   grundrechtsbeschränkende      Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten. Jedenfalls fällt die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, regelmäßig bei der Abwägung ins Gewicht. Anders liegt es nur, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt. Wenn sich einer Äußerung die Behauptung einer konkret greifbaren Tatsache nicht entnehmen lässt und sie bloß ein pauschales Urteil enthält, tritt der tatsächl.iche Gehalt gegenüber der Wertung zurück und beeinflusst die Abwägung nicht (vgl. BGH,     Urteil  vom     11.03.2008    -  VI   ZR    189/06).   Im    Gegensatz     zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens geprägt ist. Auf den Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an (vgl. BVerfG, NJW 1983, 1415, 1416). Mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit ist der Begriff der Meinung in Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das muss auch dann gelten, wenn sich diese Elemente - wie häufig ~ mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann,
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9 wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung     in  den  Hintergrund    tritt (vgl.   BVerfG,   a.a.O.). Wird    durch  eine Berichterstattung die Sozialsphäre und dies nur aufgrund einer Mitteilung von unstreitig wahren Tatsachen betroffen, kann ein Unterlassungsanspruch im Regelfall nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen     bestehen, also etwa, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen wäre (BGH v. 21.11.2006 - VI ZR 259/05, NJW-RR 2007, 619 Tz. 13). 2. Nach     dieser  Maßgabe      ist die    streitgegenständliche   Veröffentlichung  unter Berücksichtigung der wechselseitigen. Interessen von der Klägerin hinzune~men. Die ,Veröffentlichung betrifft wahre Tatsachen aus der Sozialsphäre der Klägerin. Anders als von der Klägerin zunächst vorgetragen liegt keine zeitlich unbegrenzte, sondern eine auf fünf Jahre begrenzte Veröffentlichung vor. Für die Veröffentlichung sprechen das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und insbesondere der Nutzer der Website der Beklagten. Durch die Veröffentlichung erfolgt mehr Transparenz in der Lebensmittelüberwachung, was letztlich dem Interesse der Allgemeinheit dient und einen legitimen Zweck darstellt, gerade vor dem Hintergrund des damit einhergehenden Verbraucher- und Gesundheitsschutzes. Demgegenüber droht der Klägerin durch die Veröffentlichung kein unzumutbarer Nachteil. Dass es sich um einen unrichtigen Bericht handelt, wird von der Klägerin nicht eingewandt. Eine Prangerwirkung liegt im konkreten Fall fern, da für den durchschnittlichen Rezipienten der Veröffentlichung ohne weiteres erkennbar war, dass die spätere Kontrolle im Jahr 2018 ohne Beanstandungen verlaufen ist. Zudem waren für den Rezipienten das Datum der Kontrolle              und die im Einzelnen festgestellten Beanstandungen einsehbar, so dass sich der „mündige Verbraucher" ein eigenes Bild von der Situation machen konnte. Zusätzlich wird auf Grund des mit der Veröffentlichung erfolgten Hinweises für den Rezipienten auch klargestellt, dass es nicht um Darstellung der aktueUen Situation bei der Klägerin bzw. dem betroffenen Gastronomiebetrieb geht, sondern nur die Situation im Zeitpunkt der Kontrolle beschrieben wird. Konkrete Wettbewerbsnachteile durch die Veröffentlichung sind durch die Klägerin nicht dargelegt; selbst wenn dies der Fall wäre, wäre aber naheliegend, dass diese durch die Klägerin auch hinzunehmen wären, da der hygienische Zustand des Betriebs im Verantwortungsbereich der Klägerin liegt. Es
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10 bestehen überdies keine Zweifel, dass sich die Klägerin als Teilnehmerin am Wirtschaftsleben und Betreiberin eines Gastronomiebetriebes im Grundsatz einer öffentlichen Erörterung und Bewertung - auch kritischer Art - stellen muss. Hinsichtlich der von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidung des BVerfG schließt sich die Kammer der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte an, wonach vorliegend eine Übertragung der verfassungsgerichtlichen Grundsätze für ein aktives staatliches Informationshandeln auf die vorliegende Konstellation (Veröffentlichung durch eine private Stelle) nicht vorgenommen werden kann (vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7. August 2020-5 CS 20.1302 -, juris). Die Plattform veröffentlicht lediglich durch private Dritte zur Verfügung gestellte von der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Dokumente; dadurch wird sie nicht selbst zu einer staatlichen Veröffentlichungsplattform. Dass die Anträge auf Information über die Webseite „Frag den Staat" erfolgen, erweckt auch nicht den Eindruck, „TopfSecret" sei eine staatliche Veröffentlichungsplattform. Es liegen Unterschiede in qualitativer und quantitativer Hinsicht vor, die zu beachten sind. Ein aktives staatliches Informationshandeln verschafft einer Information breite Beachtung _und gesteigerte Wirkung, was bei einer Informationsgewährung wie im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall ist. Zudem betrifft das staatliche Handeln die Warnung der Verbraucher im Sinne der Gefahrenabwehr, wohingegen es im vorliegenden Fall um einzelne Feststellungen der Abweichung von behördlichen Vorgaben geht, die durch antragsgebundene Informationsgewährung an Einzelpersonen erfolgt. überdies liegt seitens der Beklagten sowohl eine zeitliche Befristung als auch ein hinreichender Hinweis vor, wobei die Kammer bei dem Hinweis davon ausgeht, dass dieser von einem durchschnittlichen Rezipienten auch wahrgenommen wird. 11. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf§§ 91, 709 ZPO. Streitwert: 10.000 €. Rechtsbehelfsbelehrung: Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist, 1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder 2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
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