AfghanistanNeuer Lagebericht zeigt desolate Situation

Bis wenige Tage vor der vollständigen Machtübernahme der Taliban wollte die deutsche Bundesregierung Menschen nach Afghanistan abschieben. Der neue Lagebericht des Auswärtigen Amts zeigt ein anderes Bild.

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Hamid Karzai International Airport in Kabul am 20. August 2021 –

CC 0, US Marine Corps

Inzwischen hat es auch die Bundesregierung begriffen: Afghanistan ist nicht sicher, die Menschenrechtslage katastrophal. Das zeigt jetzt der neue Bericht über die Lage in Afghanistan des Auswärtigen Amts, den wir veröffentlichen.

In solchen Lageberichten bewertet das Auswärtige Amt regelmäßig die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen eines Landes. Bis wenige Tage vor der vollständigen Machtübernahme der Taliban plante die deutsche Bundesregierung noch, Menschen nach Afghanistan abzuschieben. Als Grundlage dafür erstellte das Auswärtige Amt im Juli einen Asyl-Lagebericht, der die Lage im Land beschönigte.

Davon ist jetzt keine Rede mehr: Afghanistan sei „aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban“ und es sei nicht davon auszugehen, dass die Verfassung fortbestehe. Die Taliban hätten zwar versichert, „von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen“, jedoch habe das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen „glaubhafte Berichte über Morde an früheren Militärangehörigen sowie zu willkürlichen Verhaftungen von ehemaligen Regierungsmitarbeitendenden und deren Familienangehörigen erhalten“. 

Wirtschaft kurz vor dem Kollaps

Seit Mitte August schiebt Deutschland vorerst keine Menschen mehr nach Afghanistan ab. Zur Situation rückkehrender Geflüchteter aus Deutschland liegen dem Auswärtigen Amt laut Lagebericht „keine aktuellen Erkenntnisse vor“, da keine Botschaftsmitarbeiter*innen mehr vor Ort sind.

Aus Berichten von anderen Organisationen ginge aber hervor, dass die Wirtschaft in Afghanistan unter anderem wegen der Corona-Pandemie und anhaltender Dürreperioden „vor dem vollständigen Kollaps“ stehe. Rückkehrende aus Deutschland verfügen „aufgrund des gewaltsamen Konflikts und der damit verbundenen Binnenflucht der Angehörigen nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern“.

Laut taz sind seit August rund 6.500 Menschen aus Afghanistan evakuiert und nach Deutschland gebracht worden. Etwa 25.000 Menschen mit einer Aufnahmezusage für Deutschland seien derzeit nach Einschätzungen aus Regierungskreisen noch in Afghanistan oder den Nachbarländern. Weil staatliche Evakuierungen schleppend laufen, übernimmt unter anderem die Initiative Kabul Luftbrücke privat einen Teil davon. Die EU-Grenzpolizei Frontex plant derweil bereits wieder Abschiebungen nach Afghanistan, wie aus einer neuen Mitteilung der Behörde hervorgeht.

Bericht zur Lage in Afghanistan Oktober 2021

zu sämtlichen Asyl-Lageberichten auf FragDenStaat

Analyse von Thomas Ruttig zum Lagebericht

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VS – Nur für den Dienstgebrauch AUSWÄRTIGES AMT Gz: 508-516.80/3 AFG VS-NfD                                                        Berlin, 22.10.2021 Bericht über die Lage in Afghanistan (Stand: 21.10.2021) Vorbemerkung: Der letzte reguläre Asyllagebericht zu Afghanistan erschien im Juli 2021. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan ist eine Überarbeitung des gesamten Berichts derzeit nicht möglich. Die Deutsche Botschaft Kabul ist seit dem 15.08.2021 geschlossen. Dies beschränkt substantiell die Möglichkeiten, ein qualifiziertes und aussagekräftiges Lagebild auf der Grundlage eigener Erkenntnisse zu erstellen. Der vorliegende Bericht informiert daher lediglich zu ausgewählten Teilen der Abschnitte „Allgemeine Politische Lage“, „Asylrelevante Tatsachen“ und „Menschenrechte“. Er beruht vorrangig auf Erkenntnissen, die das Auswärtige Amt im Rahmen seiner Kontaktarbeit mit in Afghanistan tätigen internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und weiteren mit Afghanistan befassten Ansprechpartnern gewonnen hat. Er gibt einen Überblick über die aktuelle Situation in der Islamischen Republik Afghanistan, stellt aber keinen regulären Asyllagebericht dar. Angesichts der hohen Volatilität der Lage in Afghanistan kann dieser Bericht nur als Momentaufnahme angesehen werden. Grundsätzliche Anmerkungen: 1. Auftrag: Das Auswärtige Amt erstellt Lageberichte in Erfüllung seiner Pflicht zur Rechts- und Amtshilfe gegenüber Behörden und Gerichten des Bundes und der Länder (Art. 35 Abs. 1 GG, §§ 14, 99 Abs. 1 VwGO). Insoweit wird auf die Entscheidung des BVerfG vom 14.05.1996 (BVerfGE 94,115) zu sicheren Herkunftsstaaten besonders hingewiesen, in der es heißt: „Angesichts der Tatsache, dass die Verfassung dem Gesetzgeber die Einschätzung von Auslandssachverhalten aufgibt (…), fällt gerade den Auslandsvertretungen eine Verantwortung zu, die sie zu besonderer Sorgfalt bei der Abfassung ihrer einschlägigen Berichte verpflichtet, die diese sowohl für den Gesetzgeber wie für die Exekutive eine wesentliche Entscheidungshilfe bilden.“ 2. Funktion: Lageberichte sollen vor allem dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Verwaltungsgerichten, aber auch den Innenbehörden der Länder als eine Entscheidungshilfe in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten dienen. In ihnen stellt das Auswärtige Amt asyl- und abschiebungsrelevante Tatsachen und Ereignisse dar. Sie enthalten keine Wertungen oder rechtliche Schlussfolgerungen aus der tatsächlichen Lage. 3. Einstufung: Lageberichte sind als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Nur dieses restriktive Weitergabeverfahren stellt sicher, dass die Berichte ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Interessen formuliert werden können. Die Schutzbedürftigkeit ist auch aus Gründen des Quellenschutzes und in Einzelfällen sogar im Interesse der persönlichen Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes geboten. Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass die Lageberichte nicht an Dritte, die selbst weder in einem anhängigen Verfahren beteiligt noch prozessbevollmächtigt sind, weitergegeben werden dürfen. Die unbefugte Weitergabe dieser Informationen durch verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte stellt einen Verstoß gegen berufliches Standesrecht dar (§ 19 der Berufsordnung der Rechtsanwälte) und kann entsprechend geahndet werden. Das Auswärtige Amt hat keine Einwände gegen die Einsichtnahme in diesen Lagebericht bei Verwaltungsgerichten durch Prozessbevollmächtigte, wenn die Bevollmächtigung in einem laufenden Verfahren nachgewiesen ist. Aus Gründen der Praktikabilität befürwortet das Auswärtige Amt, dass die Einsichtnahme unabhängig von örtlicher und sachlicher Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, bei dem der/die Prozessbevollmächtigte im Einzelfall Einsicht nehmen möchte, möglich ist. Eine Anfertigung von Kopien ist aus o. a. Geheimschutzgründen jedoch nicht möglich. Hierdurch kann der in § 3 der © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 2 Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung - VSA) festgeschriebene Grundsatz „Kenntnis nur, wenn nötig“ nicht mehr gewährleistet werden. Die Fertigung von Kopien dieser VS ist untersagt (§ 20 i. V. m. Anlage IV VSA). 4. Ergänzende Auskünfte: Über die Lageberichte hinausgehende Anfragen von Behörden und Gerichten zu konkreten tatsächlichen Sachverhalten werden im Rahmen der Amtshilfe beantwortet. Die rechtliche Wertung obliegt dabei der ersuchenden Stelle. 5. Auskünfte zum ausländischen Recht: Es wird darauf hingewiesen, dass die Auskünfte zum ausländischen Recht unverbindlich erteilt werden und keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit erheben. 6. Quellen: Bei der Erstellung des Lageberichts werden u. a. Informationen von Menschenrechtsgruppen, Nichtregierungsorganisationen (NROs), Oppositionskreisen, Rechtsanwälten, Botschaften von Partnerstaaten, internationalen Organisationen, wie z. B. UNHCR oder IKRK, Regierungskreisen sowie abgeschobenen Personen herangezogen. Dadurch sowie durch stets mögliche schriftliche Stellungnahmen erhalten diese Organisationen die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse zu den in den Lageberichten dargestellten Sachverhalten einzubringen. Es wird darauf hingewiesen, dass Zugang und Verifizierungsmöglichkeiten landesweit für alle beteiligten Organisationen und Personen aktuell begrenzt sind. Für diesen Lagebericht wurden u. a. folgende Quellen herangezogen: Auskünfte, Berichte und Analysen des UNHCR, der UNAMA, des IKRK, der IOM, AIHRC, internationaler und afghanischer NROs, Analysen des Afghanistan Analysts Network (AAN), Auskünfte des UN-OCHA, regelmäßige Lageberichte des VN-Generalsekretärs zu Afghanistan, Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch, sowie Presseberichterstattung. 7. Aktualität: Lageberichte berücksichtigen die dem Auswärtigen Amt bekannten Tatsachen und Ereignisse bis zu dem jeweils angegebenen Datum des Standes, sofern nicht ausdrücklich anders angegeben. Die Aktualisierung der Lageberichte erfolgt in regelmäßigen Zeitabständen. Dabei geht das Auswärtige Amt auch Hinweisen auf evtl. in den Lageberichten enthaltene inhaltliche Unrichtigkeiten nach. Bei einer gravierenden, plötzlich eintretenden Veränderung der Lage erstellt das Auswärtige Amt in der Regel einen Ad-hoc-Bericht. Bei Anhaltspunkten für eine Veränderung der Lage, die den Empfängerinnen und Empfängern bekannt geworden sind, steht das Auswärtige Amt darüber hinaus für Auskünfte zur Verfügung. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 3 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung ...................................................................................................................... 4 I. Allgemeine politische Lage .................................................................................................... 6 1. Überblick ........................................................................................................................... 6 2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen ........................................ 7 3. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs ................................... 7 II. Asylrelevante Tatsachen ........................................................................................................ 8 1. Repressionen durch die de-facto Machthaber ................................................................... 8 1.1 Politische Opposition .................................................................................................. 8 1.2 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit ................. 9 1.3 Minderheiten ............................................................................................................. 10 1.4 Religionsfreiheit........................................................................................................ 10 1.5 Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis ........................................................ 10 1.6 Handlungen gegen Kinder ........................................................................................ 11 1.7 Geschlechtsspezifische Verfolgung .......................................................................... 11 1.8 Exilpolitische Aktivitäten ......................................................................................... 12 2. Repressionen Dritter ........................................................................................................ 12 3. Ausweichmöglichkeiten .................................................................................................. 13 4. Konfliktregionen .............................................................................................................. 13 III. Menschenrechtslage ........................................................................................................... 13 1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung................................................................ 13 2. Folter ................................................................................................................................ 13 3. Todesstrafe....................................................................................................................... 13 4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen ................................................................ 13 5. Lage von Flüchtlingen ..................................................................................................... 13 © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 4 Zusammenfassung Am 30. August 2021 haben die letzten internationalen Truppen Afghanistan verlassen. Die Taliban hatten bereits am 15. August 2021 Kabul weitgehend gewaltfrei eingenommen und verfügen nun, trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands in einigen Landesteilen, über weitgehende Kontrolle im ganzen Land. Damit haben sich die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan grundlegend verändert. Die Anpassung staatlicher und institutioneller Strukturen an diese Veränderung hat gerade erst begonnen. Während Teile der Bevölkerung, vor allem im städtischen Raum und unter ehemaligen Mitgliedern der Regierungs- und Sicherheitskräfte, eine massive Beschneidung ihrer Grundrechte und Freiheiten wahrnehmen und Vergeltungsmaßnahmen fürchten, befanden sich einige ländliche Gebiete zum Zeitpunkt der Machtübernahme teils bereits über Jahre unter der Kontrolle der Taliban, sodass der Machtwechsel für Teile der Zivilbevölkerung im ländlichen Raum keine weitreichenden Veränderungen des bereits zuvor von den Schattenstrukturen der Taliban geprägten Alltagslebens mit sich brachte. Allerdings hat sich die wirtschaftliche Lage zuletzt landesweit weiter verschlechtert. Mit zunehmender Machtkonsolidierung der Taliban und abnehmenden Kampfhandlungen hat die Zahl ziviler Opfer in Afghanistan nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) seit Anfang August 2021 deutlich abgenommen. Erste Meldungen deuten auf eine Rückkehr konfliktbedingter Binnenvertriebener in ihre Heimatgemeinden hin. Die Bedrohung durch den „Islamischen Staat – Provinz Khorasan“ (ISKP) besteht fort, mehr als 100 Zivilisten fielen im Oktober Bombenanschlägen in Kabul, Kundus und Kandahar zum Opfer, mehrere hundert wurden verletzt. Vereinzelt gibt es Berichte über Opfer von Sprengfallen und Minen. Ob es sich dabei um aktuelle Anwendungen oder zur Explosion gelangte Altbestände handelt ist unklar. Die Taliban leiten ihren Herrschaftsanspruch ausschließlich religiös her, der Emir als „Befehlshaber der Gläubigen“ führt seinem Verständnis nach die Herrschaft im Sinne Gottes und des Volkes aus. Demokratische Wahlen oder andere säkulare Prozesse sind aus diesem Verständnis heraus nicht notwendig, aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Trotz Ernennung einer Übergangsregierung durch die Taliban am 7. September 2021 bleiben zentrale Fragen nach der zukünftigen Verfasstheit und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen des afghanischen Staates weitgehend ungeklärt. Dies schließt insbesondere auch Justiz und Rechtswesen ein. Auch liegen wenig gesicherte Erkenntnisse über geplante Verfahren der Verfassungs- oder Gesetzgebung vor. Die Taliban veröffentlichen zwar sukzessive Dekrete zu einzelnen Politikbereichen und nehmen dabei teilweise auf bestehende Gesetze der afghanischen Republik Bezug. Grundsätzliche Entscheidungen der Talibanführung zu einer möglicherweise vorläufigen Fortgeltung dieser Gesetze sind jedoch bisher nicht bekannt. Allgemeinen Erklärungen der Taliban, beispielsweise zu einer Amnestie für ehemalige Mitglieder der Regierungs- und Sicherheitskräfte, Pressefreiheit und Frauenrechten, stehen spezifische Anweisungen gegenüber, die die Versammlungsfreiheit, sowie Bildung und Berufstätigkeit für Mädchen und Frauen faktisch einschränken. Hinzu kommen eine Vielzahl von, unter den gegenwärtigen Bedingungen schwer zu verifizierenden, Meldungen von Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen             über    Vergeltungsmaßnahmen, Repressionen und Verfolgung. Die deutsche Botschaft ist seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15. August 2021 geschlossen, Gleiches gilt für einen Großteil anderer © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 5 ausländischer Botschaften. Auch zahlreiche internationale Organisationen                 und Nichtregierungsorganisationen mussten ihre Arbeit einstellen oder stark einschränken. Die bereits vor der Machtübernahme der Taliban angespannte wirtschaftliche Lage hat sich weiter verschlechtert. Zahlreiche Haushalte, die von Gehältern im öffentlichen Dienst oder im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder von Tätigkeiten bei internationalen Akteuren abhängig waren, haben ihre Einkommensquellen verloren. Die Bundesregierung bemüht sich gegenwärtig darum, Ortskräfte und sonstigen besonders gefährdeten Personen die Ausreise zu ermöglichen; entsprechende Aufnahmezusagen liegen bereits vor. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 6 I. Allgemeine politische Lage 1. Überblick Der mit NATO-Beschluss vom 14. April 2021 zum Ende der Mission Resolute Support (RSM) zum 1. Mai 2021 eingeleitete Abzug der internationalen militärischen Kräfte aus Afghanistan ist abgeschlossen. Am 30. August 2021 verließen mit den USA die letzten ausländischen Truppen Afghanistan. Die Deutsche Botschaft Kabul ist bis auf weiteres geschlossen, seit der Ausreise der letzten deutschen Beamten am 26. August 2021 besteht keine deutsche Präsenz in Afghanistan; auch die diplomatische Präsenz anderer Staaten ist stark eingeschränkt. Seit Mai 2021 hatte sich die Sicherheitslage in Afghanistan aufgrund zunehmender bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Taliban und Regierungstruppen kontinuierlich und schnell verschlechtert. UNAMA dokumentierte im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 5.183 zivile Opfer des Konflikts in Afghanistan, davon 2.392 Fälle allein in den Monaten Mai und Juni. Den Taliban gelang es sukzessive ihre Kontrolle zuerst im ländlichen Raum, ab Anfang August dann auch in den Provinzhauptstädten, auszudehnen. Am 6. August 2021 nahmen sie die erste Provinzhauptstadt (Zaranj) ein und kontrollierten nur zehn Tage später 33 von 34 Provinzhauptstädten. Nachdem der afghanische Präsident Ashraf Ghani das Land am 15. August 2021 überstürzt verlassen hatte, nahmen die Taliban am gleichen Tag auch die Hauptstadt Kabul kampflos ein. Als letzte Provinz steht seit dem 5. September 2021 auch die Provinz Panjshir und damit, trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands, ganz Afghanistan weitgehend unter der Kontrolle der Taliban. Am 7. September 2021 gaben die Taliban eine aus 33 Mitgliedern bestehende geschäftsführende Übergangsregierung bekannt, die auch nach der sukzessive folgenden Ernennung von weiteren Personen keine Frauen und nur wenige Vertreter ethnischer Minderheiten umfasst. Die Taliban stützen sich bislang weitgehend auf bereits vorhandene staatliche Strukturen der ehemaligen Regierung, in Verbindung mit ihren eigenen schon vor dem Machtwechsel bestehenden Schattenstrukturen. Eine neue rechtliche Grundlage für die zukünftige staatliche Verfasstheit ist bisher nicht vorhanden. Es existieren eine Reihe – im jeweiligen Einzelfall schwer zu verifizierender – Berichte über Menschenrechtsverletzungen, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Erschießungen. Nach Demonstrationen in Kabul und anderen Städten haben die Taliban am 8. September 2021 ein Dekret erlassen, nach dem Demonstrationen unter Angaben von Details zu Zweck, Zeitraum und Ort des Protests mit einem Vorlauf von 24 Stunden beim Justizministerium angemeldet und von dort genehmigt werden müssen. Über zielgerichtete, großangelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen gibt es bislang keine fundierten Erkenntnisse. Die Übernahme der faktischen Regierungsverantwortung inklusive der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung stellt die Taliban vor Herausforderungen, auf die sie kaum vorbereitet sind. Leere öffentliche Kassen und die Sperrung des afghanischen Staatsguthabens im Ausland, sowie internationale und US-Sanktionen gegen Mitglieder der Übergangsregierung, haben zu Schwierigkeiten bei der Geldversorgung, steigenden Preisen und Verknappung essentieller Güter geführt. Die deutsche staatliche bilaterale © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 7 Entwicklungszusammenarbeit wurde, ebenso wie die Unterstützung anderer internationaler Geber, soweit sie nicht der humanitären Hilfe zuzurechnen ist, bis auf weiteres ausgesetzt. Die Vereinten Nationen warnen nachdrücklich vor einer humanitären Katastrophe, falls internationale Hilfsleistungen ausbleiben oder nicht implementiert werden können. Die von Deutschland geförderten humanitären Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen wurden aus Sicherheitsgründen temporär eingestellt, die Umsetzung der substantiellen deutschen humanitären Hilfe erfolgt über internationale Organisationen. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen, UNAMA ist ebenso wie eine Reihe von VN-Unterorganisationen (z. B. WHO, WFP, UNHCR, IOM) vor Ort – mit Abstrichen – weiter arbeitsfähig. Bei einer internationalen Geberkonferenz am 13. September 2021 hat die internationale Gemeinschaft über 1 Milliarde US-Dollar an Nothilfen für Afghanistan zugesagt. 2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen Gegenwärtig bietet sich u. a. mangels Gesetzgebung oder einheitlicher Regelungen bzw. Handlungen der Talibanregierung noch kein klares Bild über die künftigen Betätigungsmöglichkeiten für Menschenrechtsorganisationen. Faktisch ist ihre Arbeit im Moment aber kaum möglich. Aus Sorge vor gewaltsamen Repressalien haben zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen Afghanistan kurz vor bzw. nach der Machtübernahme der Taliban verlassen oder halten sich in „safe houses“ oder bei Familienangehörigen versteckt. Es liegen eine Reihe zum Teil schwer verifizierbarer Berichte über Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmung von Eigentum, Drohungen und Gewaltanwendung gegen Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen vor. Amnesty International hat eine Reihe dieser Fälle verifiziert und mit Bericht vom 21. September 2021 dokumentiert. Die afghanische staatliche Menschenrechtskommission (Afghan Independent Human Rights Commission – AIHRC) hat am 18. September 2021 ein Statement veröffentlicht, wonach sie in Folge der Machtübernahme der Taliban nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Dazu gehören insbesondere die Aufnahme und Untersuchung von Beschwerden der Bevölkerung über Menschenrechtsverletzungen. Als Grund benennt die Kommission die Besetzung und Nutzung ihrer Einrichtungen durch die Taliban und Beschränkungen der Berufstätigkeit von Frauen. Die Kommission ruft, wie auch andere internationale Menschenrechtsorganisationen, zur Einrichtung einer unabhängigen durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mandatierten Untersuchungskommission auf. Am 7. Oktober 2021 hat der VN-Menschenrechtsrat die Ernennung eines Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage in Afghanistan ab März 2022 beschlossen. 3. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs Die Taliban haben mit ihrer Machtübernahme faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Die Ein- und Zuteilung der bisherigen Kämpfer für diese Aufgaben folgt keiner einheitlichen Regelung. Neben bewaffneten Talibankämpfern in Uniform gibt es auch weiter eine Vielzahl von Talibankämpfern in zivil, die Sicherheitsaufgaben wahrnehmen ohne dass klar wäre, in wessen Auftrag oder auf welcher Grundlage sie dies tun. Angaben des amtierenden Oberbefehlshabers der Taliban Qari Fasihuddin zufolge planen die Taliban den Aufbau einer regulären Armee unter Einbeziehung bisheriger Sicherheitskräfte, deren gute Ausbildung man nutzen wolle. Gleiches soll auch für die Polizei gelten. Erkenntnisse über die Umsetzung dieser Planungen liegen bisher nicht vor. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 8 Wachsende Kriminalität war bereits in den vergangenen Jahren ein Problem, insbesondere in den Städten. Die Taliban nehmen für sich in Anspruch, dem entgegenzuwirken. Ihnen nahestehende Medien veröffentlichen beispielsweise Berichte über die Befreiung von Entführungsopfern oder die Gefangennahme von Dieben und Drogenschmugglern. Gleichzeitig existieren Berichte über öffentliche Strafmaßnahmen gegen und Zurschaustellung von Verbrechern durch die Taliban. Dies entspricht auch dem gängigen Vorgehen des ersten Talibanregimes. II. Asylrelevante Tatsachen 1. Repressionen durch die de-facto Machthaber Bislang hat sich noch kein umfassendes Staatswesen herausausgebildet. Der Status der bisherigen Verfassung und Gesetze der Vorgängerregierung ist, trotz politischer Ankündigung einzelner Taliban, auf die Verfassung von 1964 zurückgreifen zu wollen, unklar, das Regierungshandeln uneinheitlich. Hinzu kommen die teilweise beschränkten Durchgriffsmöglichkeiten der Talibanführung auf ihre Vertreter auf Provinz- und Distriktebene. Repressives Verhalten von Taliban der Bevölkerung gegenüber hängt deswegen stark von individuellen und lokalen Umständen ab. Die Taliban haben mehrfach versichert, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen, solange diese sich ihnen nicht widersetzten und die Autorität der Taliban akzeptieren. Ähnliche Zusicherungen existieren beispielsweise in den Bereichen Pressefreiheit und Frauenrechte. Jedoch kam es Berichten zufolge, die durch das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen geprüft und für begründet befunden wurden, seit der Machtübernahme in verschiedenen Regionen zu Vorfällen, die dem widersprechen. So hat das Hochkommissariat glaubhafte Berichte über Morde an früheren Militärangehörigen sowie zu willkürlichen Verhaftungen von ehemaligen Regierungsmitarbeitendenden und deren Familienangehörigen erhalten. Darüber hinaus liegen dem Hochkommissariat zahlreiche Berichte zu Hausdurchsuchungen vor, unter anderem in Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-e-Sharif, Gardez, Maimana und Samangan. Diese sollen Regierungsmitarbeitende betreffen, aber auch Personen, die mit den US-Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsfirmen zusammengearbeitet haben, sowie auch VN-Mitarbeitende. Auch die Büros von Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen sollen betroffen sein. Im Zuge der Kämpfe um die Provinz Panjshir verhängten die Taliban eine umfassende Nachrichtensperre in der Region. Auch ausländischen Journalisten, die sich ansonsten bislang überwiegend unbehelligt im Land bewegen können, wurde der Zugang verwehrt. Bislang kaum zu verifizierenden Berichten zufolge kam es in diesem Zusammenhang zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban sowohl in Panjshir, als auch zur Verfolgung von Personen aus dieser Region in Kabul und anderen Landsteilen. 1.1 Politische Opposition Eine formelle, organisierte politische Opposition im Land ist bislang nicht vorhanden. Eine Reihe ehemaliger politischer Akteure, sowohl aus ehemaligen Regierungskreisen als auch aus der ehemaligen politischen Opposition, befinden sich gegenwärtig im Ausland. Prominente Figuren wie der ehemalige Vorsitzende des Hohen Rates für Nationale Versöhnung Abdullah und der ehemalige Präsident Hamid Karzai befinden sich weiterhin in Kabul und führen Gespräche, u. a. auch mit ausländischen Gästen. Ihr Aktionsradius ist darüber hinaus äußerst eingeschränkt, ihre öffentlichen Äußerungen sind von großer Zurückhaltung geprägt. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 9 Mit politischem Dissens ist u. a. mit Blick auf die bisher wenig inklusive Regierungsführung der Taliban, die schwierige wirtschaftliche Lage und die Benachteiligung von Frauen und Mädchen mittelfristig zu rechnen, die Reaktion der Taliban darauf bleibt abzuwarten. In Panjshir hat sich unter der Führung von Ahmad Massoud und dem ehemaligen Vizepräsidenten Saleh die sogenannte „Nationale Widerstandsfront“ gebildet, die laut eigenen Angaben auch nach der weitgehenden Übernahme der Provinz durch die Taliban weiter aktiv ist und Angriffe durchführt. Vereinzelt gibt es auch aus anderen Provinzen Meldungen über bewaffneten Widerstand gegen die Taliban. Die Führung der „Nationalen Widerstandsfront“ hat sich mittlerweile nach Tadschikistan zurückgezogen. 1.2 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Meinungs- und Pressefreiheit wurden seit der Machtübernahme der Taliban entgegen allgemeiner Zusicherungen deutlich eingeschränkt. Friedlich Demonstrierende waren zwischen August und September einer zunehmend gewaltsamen Behandlung durch die Taliban ausgesetzt, einschließlich der Verwendung scharfer Munition. Dabei kam es in verschiedenen Regionen zu Verhaftungen und Todesfällen, so beispielsweise in den Provinzen Nagarhar und Kunar. Anfang September 2021 protestierten Frauen in Herat, Kabul, Badakhshan, Balkh und anderen Städten gegen die Diskriminierung von Frauen durch die Taliban. Die mehrtägigen Proteste wurden teilweise gewaltsam aufgelöst. Am 8. September 2021 erließ das Innenministerium eine Weisung, die Demonstrationen nur nach vorheriger Genehmigung erlaubt und die Bevölkerung gleichzeitig auffordert,     von    Demonstrationen       abzusehen.     Am      9.    September     wurden Telekommunikationsfirmen angewiesen, das Internet für Mobiltelefone in bestimmten Teilen Kabuls auszuschalten. Dennoch kommt es landesweit immer wieder zu Protesten und Gewaltanwendung gegen Demonstranten und Journalisten, zuletzt am 21. Oktober 2021 bei einer Demonstration in Kabul für die Öffnung von Mädchenschulen und die Verbesserung der Wirtschaftslage. Am 14. September 2021 demonstrierten Bewohner eines Stadtviertels in Kandahar, in dem vorwiegend ehemalige Mitglieder der Sicherheitskräfte leben, gegen die von den Taliban angeordnete Zwangsräumung des Viertels. Die Taliban haben zwar wiederholt Presse- und Meinungsfreiheit in allgemeiner Form zugesichert. Es existiert jedoch eine Reihe von nur teilweise verifizierbaren Berichten über die Festnahme und Misshandlung von Journalisten. Ein Beispiel ist der medienwirksame Fall des Journalisten Neamat Naqdi, der am 8. September 2021 zusammen mit einem Kollegen von den Taliban verhaftet und gefoltert wurde, nachdem er versucht hatte, über einen Frauenprotest gegen die Taliban zu berichten. Dem VN Hochkommissariat zufolge liegen dort glaubhafte Berichte über die gewaltsame Verhaftung von bis zu 15 Journalisten am 7. September während eines Protests in Kabul vor. Am 8. September sollen fünf Journalisten dort verhaftet und über Stunden schwer geschlagen worden sein. Amnesty International und Reporter ohne Grenzen berichten von ähnlichen Vorfällen. Zahlreiche Medienschaffende haben ihre Arbeit nach der Machtübernahme der Taliban aufgegeben oder vermeiden die Berichterstattung zu bestimmten Themen wie Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Sicherheitsbedenken. Dies gilt insbesondere für Journalistinnen – nach Angaben von Reporter ohne Grenzen waren am 31. August 2021 nur noch rund 100 von 700 weiblichen Medienschaffenden in Kabul tätig. Ausländische Journalistinnen und Journalisten können gegenwärtig weitestgehend ungehindert arbeiten. Die Akkreditierung verläuft bislang problemlos, Reisen im Land sind grundsätzlich möglich, eine Begleitung durch die Taliban erfolgt in der Regel nicht. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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VS – Nur für den Dienstgebrauch 10 1.3 Minderheiten Die Einteilung des Vielvölkerstaats Afghanistan in ethnisch differenzierte Bevölkerungsgruppen war bereits in der Vergangenheit politisch umstritten, sodass diese seit 1979 in keinem Zensus erfasst wurden. Die letzte Verfassung erkennt 14 Ethnien an, weitere 54 ethnische Kategorien wurden bisher in den Identitätsnachweis aufgenommen. Die größten Bevölkerungsgruppen sind die Paschtunen (32-42%), Tadschiken (ca. 27%), Hazara (ca. 9- 20%) und Usbeken (ca.9%), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2%). Die am 7. September 2021 gebildete Übergangsregierung der Taliban umfasste nur drei Vertreter der usbekischen bzw. der tadschikischen Minderheiten, durch weitere Ernennungen kamen mittlerweile wenige weitere, darunter ein Vertreter der Hazara hinzu. Darüber hinaus unterliegen soweit bislang erkennbar ethnische Minderheiten aber keiner grundsätzlichen Verfolgung durch die Taliban, solange sie ihren Machtanspruch akzeptieren. Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Sie haben insbesondere den, überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen, Hazara, die während des ersten Talibanregimes benachteiligt und teilweise verfolgt wurden, Zusicherungen gemacht. Zum Nachweis haben die Taliban mit ihren Kämpfern die Ashura-Feierlichkeiten am 19. August 2021 abgesichert und sich medienwirksam mit Hazara-Führern getroffen. Die Hazara sind weiterhin besonders gefährdet, Opfer von Anschlägen des ISKP zu werden. Diese Anschläge waren bereits in der Vergangenheit häufig gegen überwiegend von Hazara genutzte Einrichtungen oder Wohnviertel gerichtet. Am 8. Oktober 2021 und am 15. Oktober 2021 kamen bei Selbstmordattentaten auf schiitische Moscheen zum Zeitpunkt des Freitagsgebets in Kundus und Kandahar mehr als 100 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt. Der amtierende Außenminister der Taliban sagte zu, die Sicherheitsvorrichtungen für schiitische Moscheen zu verstärken. 1.4 Religionsfreiheit Laut Schätzungen sind mehr als 99% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, darunter etwa 10-15% schiitisch, einschließlich ismailitisch. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z. B. die Sikhs, Hindus, Baha´i sowie Christinnen und Christen machten bereits bisher weniger als 1% der Bevölkerung aus. Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt. Bisherige allgemeine Zusicherungen der Taliban richten sich auch an religiöse Minderheiten. Medienberichten zufolge hat die einzig verbleibende Person jüdischen Glaubens Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban verlassen, auch zahlreiche Hindus und Sikhs sind nach Indien ausgereist. 1.5 Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis Bislang hat sich kein formelles neues Justizsystem etabliert. Bereits vor der Machtübernahme unterhielten die Taliban Schattengerichte unter strikter Auslegung der Scharia in den von ihnen kontrollierten Gebieten, die von der Bevölkerung zum Teil als effizienter und verlässlicher als das korruptionsbelastete Justizsystem der Republik empfunden wurde. Aktuell gibt es Berichte, wonach die Taliban auf lokaler Ebene gegen Kriminalität vorgehen und Täter öffentlich bestrafen. Darüber was im Anschluss weiter mit den Tätern passiert, liegen keine Erkenntnisse vor. © Auswärtiges Amt 2021 – Nicht zur Veröffentlichung bestimmt – Nachdruck verboten
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