VerfassungsbeschwerdeUrteil zu Twitter-Direktnachrichten auf Prüfstand

Wir haben Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eingereicht. Die Entscheidung des Gerichts zu Twitter-Direktnachrichten hat unserer Ansicht nach gegen Grundrechte verstoßen.

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Anziehen, bitte: Richterroben am Bundesverfassungsgericht –

Im vergangenen Herbst hatte das Bundesverwaltungsgericht nach unserer Klage die Chance, mit einem Grundsatzurteil für klare Regeln zu sorgen: Wir wollten erreichen, dass Bundesministerien nicht mehr wie bisher über SMS, Twitter-Direktnachrichten und Whatsapp-Nachrichten Transparenzpflichten umgehen. Aber nachdem das Berliner Verwaltungsgericht zuvor noch geurteilt hatte, dass das Innenministerium private Twitter-Direktnachrichten nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgeben muss, stellte das Bundesgericht in Leipzig dies wieder infrage.

Es urteilte zwar, dass grundsätzlich auch Twitter-Direktnachrichten unter das Gesetz fallen können. Auch Infos in WhatsApp-Nachrichten oder SMS können amtliche Informationen darstellen. Allerdings schränkte das Bundesverwaltungsgericht dies jedoch durch die Hintertür wieder ein. Es argumentierte, dass nicht nur die Information, sondern auch die Aufzeichnung der Information amtlichen Zwecken diene müsse. Dies sei bei den Twitter-Direktnachrichten nicht gegeben, da zwar Twitter die Nachrichten gespeichert hätte, die Behörde dies aber nicht gewollt habe.

Ansonsten komme es bei der sogenannten ordnungsgemäßen Aktenführung letztlich auf die „Aktenrelevanz“ von Informationen an – eine zusätzliche Bedingung, die es so im Gesetz eigentlich nicht gibt. Wir sehen durch die Entscheidung das Grundrecht auf Informationsfreiheit eingeschränkt. Daher haben wir Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt.

Verstoß gegen Grundrechte

„Das Bundesverwaltungsgericht hat gegen Wortlaut, Sinn und Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes ein einschränkendes Kriterium der 'Aktenrelevanz' erfunden. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor: Mitarbeitende von Behörden können auf 'informelle Kanäle' ausweichen und so brisante Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten“, sagt unser Anwalt David Werdermann.

Aber nicht nur dieser Teil der Entscheidung verstößt aus unserer Sicht gegen Grundrechte. Auch im Verfahren selbst hat das Bundesverwaltungsgericht Fehler gemacht. Als Grundlage für seine Entscheidung, ob die Inhalte der Twitter-Nachrichten aus dem Ministerium aktenrelevant seien, übernahm das Gericht ungeprüft eine Schilderung des Ministeriums. Ob die Nachrichten allerdings tatsächlich so beschaffen sind wie von der Behörde angegeben, hatte das Verwaltungsgericht Berlin in der ersten Instanz gar nicht festgestellt, da es auf die “Aktenrelevanz” nach seiner Auffassung nicht ankam. Das Bundesverwaltungsgericht verwies den Rechtsstreit dennoch nicht an das Verwaltungsgericht zurück, um diese Frage klären zu lassen. Damit verstieß es nach unserer Ansicht gegen Verfahrensgrundrechte.

Das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht hat das Aktenzeichen 1 BvR 179/22.

Update, 1.9.2022: Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

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raphael thomas - Rechtsanwälte - THOMAS RECHTSANWÄLTE - ORANIENBURGER STR. 23 - 10178 BERLIN Bundesverfassungsgericht Schlossbezirk 3                                                                                         Raphael Thomas Rechtsanwalt 76131 Karlsruhe                                                                                         Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Vorab per Fax: +49 (721) 9101-382                                                                       Kay Witte Rechtsanwalt* Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Vittorio de Vecchi Lajolo Avvocato Rechtsanwalt** Datenschutzbeauftragter (TÜV) David Werdermann Rechtsanwalt* Frido Kent Rechtsanwalt* Jan Busemann Rechtsanwalt** Oranienburger Str. 23 10178 Berlin Tel: +49 30 220 6616 70 fax: +49 30 220 6616 77 Zweigstelle Chiemsee: Markstatt 6 83339 Chieming Info@thomas-law-office.com www.thomas-law-office.com * Angestellte(r) RA(in) ** Of Counsel/Freier Mitarbeiter Verfassungsbeschwerde                                                        Ihr Zeichen: Unser Zeichen:         9-22 DW Datum:         24.01.2022 des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e. V., Singerstraße 109, 10179 Berlin, Beschwerdeführers, Bevollmächtigte: Thomas Rechtsanwälte, Oranienburger Straße 23, 10178 Berlin gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2021, Az. BVerwG 10 C 3.20. Bankverbindung: Kontoinhaber: Raphael Thomas; Bank: Deutsche Kreditbank AG, 10919 Berlin, Germany IBAN: DE71 1203 0000 1008 3448 95 BIC: BYLADEM 1001 Steuernummer: 34/559/00064 USt.-ID.: DE233979049
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2 Namens und in Vollmacht (Anlage 1) des Beschwerdeführers erhebe ich Verfassungsbe- schwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2021, Az. BVerwG 10 C 3.20. Ich rüge die Verletzung der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Pressefrei- heit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), des Grundrechts auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) und des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Es wird beantragt, die genannte Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Bundesverwal- tungsgericht zurückzuverweisen. Die Anlagen wurden zur Fristwahrung bereits mit Schreiben vom 20. Januar 2022 übersen- det. Die Bevollmächtigten erklären sich ausdrücklich einverstanden mit der Nennung von Kanzlei- name und -anschrift in einer etwaigen Veröffentlichung der Entscheidung.
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3 Inhaltsverzeichnis A.        Vorbemerkung....................................................................................................... 4 B.        Sachverhalt............................................................................................................ 6 I.     Einführung ................................................................................................................................... 6 II.       Verfahren ................................................................................................................................. 7 C.        Zulässigkeit ......................................................................................................... 15 I. Frist ............................................................................................................................................. 15 II.       Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität ............................................................. 15 III.      Betroffenheit ....................................................................................................................... 16 IV.       Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung .............................................................. 16 D.        Annahmevoraussetzungen ................................................................................ 16 E.        Begründetheit...................................................................................................... 17 I. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ........................................................................ 17 1.       Schutzbereich der Informationsfreiheit ............................................................................... 17 a)    Verfassungsunmittelbarer Informationszugangsanspruch ....................................................... 18 b)    Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG..................................................... 20 (1)     Subjektive Zweckbestimmung ...................................................................................................... 23 (2)     Objektive Zweckbestimmung......................................................................................................... 27 (3)     Auslegung im Lichte der EMRK .................................................................................................... 33 2.       Eingriff ................................................................................................................................................... 34 3.       Keine Rechtfertigung .................................................................................................................... 34 II.       Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG .................................................................... 34 III.      Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG .................................................................................. 36 1.       Willkürliche Auslegung ................................................................................................................. 36 2.       Ungleichbehandlung nach dem Kriterium der Aktenrelevanz ................................ 36 IV.       Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG .................................................................. 37 1.       Keine gerichtliche Überprüfung des Inhalts der Nachrichten ................................. 38 a)    Entscheidungserheblichkeit angeblich bindend festgestellter Tatsachen ....................... 38 b)    Keine Feststellungen des Verwaltungsgerichts .............................................................................. 40 c)    Tatsachen wurden bestritten .................................................................................................................... 42 d)    Gebotene Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht ........................................................ 44 2.       Missachtung der Speicherung auf Server der Facelift bbt GmbH ....................... 46 V.        Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ................................. 48 VI.       Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ............................................................... 48
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4 Begründung A. Vorbemerkung Die vorliegende Verfassungsbeschwerde betrifft den Zugang zu Direktnachrichten der Social- Media-Plattform Twitter. Der Beschwerdeführer beantragte nach dem Informationsfreiheits- gesetz des Bundes (IFG) Zugang zu den Direktnachrichten des Accounts @BMI_Bund. Der Account wird vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zur Öffentlich- keitsarbeit betrieben. In den Direktnachrichten beantwortet das BMI u.a. Anfragen von Bür- ger:innen und spricht sich mit anderen Behörden ab. Durch das angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde die Klage des Be- schwerdeführers auf Informationszugang mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei den Direktnachrichten nicht um „amtliche Informationen“ im Sinne des § 2 Nr. 1 Satz 1 IFG handele. Dabei verkürzt das Bundesverwaltungsgericht den Begriff der amtlichen Information („jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung“) in unvertretbarer Weise. Soweit es auf den subjektiven Zweck der Aufzeichnung abstellt, verweist es darauf, dass die Nachrichten auf dem Server der Twitter Inc. gespeichert werden und sich der amtliche Zweck „mit Ab- wicklung der Kommunikation“ erledigt habe. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Informationen, die im Auftrag von Behörden bei privaten Dritten gespeichert werden, nicht mehr im Nach- hinein nachvollzogen werden können. Hinsichtlich der objektiven Zweckbestimmung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Grundsätze ordnungsgemäßer Aktenführung und leitet daraus – gegen Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes – ein einschränkendes Kriterium der „Aktenrelevanz“ ab, ein aus informationsfreiheitsrechtlicher Sicht sachwidriges Kriterium. Diese vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung hat weitreichende Konse- quenzen. Geänderte Kommunikationsgewohnheiten machen auch vor Behörden nicht Halt. Amtliche Kommunikation verlagert sich zunehmend auf „informelle Kanäle“. Dies gilt sowohl für die Kommunikation nach außen, die zunehmend über Social-Media-Plattformen erfolgt, als auch für die inner- und zwischenbehördliche Kommunikation. So wird Medienberichten zufolge an einem Messenger für die Bundesverwaltung gearbeitet, der voraussichtlich mit privaten Diensten wie WhatsApp oder auch der Direktnachricht-Funktion von Twitter ver- gleichbar sein wird (Tagesspiegel Background vom 3. Dezember 2019, Anlage 2). Diese Form der Kommunikation mittels Kurznachrichten ersetzt nicht nur teilweise die mündliche und fernmündliche Kommunikation, sondern zunehmend auch den traditionellen Schriftverkehr
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5 und die elektronische Kommunikation via E-Mail. Die Auslegung durch das Bundesverwal- tungsgericht führt somit aller Voraussicht nach dazu, dass künftig ein großer Teil behördlicher Kommunikation nicht mehr mittels Anträgen nach dem Informationsfreiheitsgesetz nachvoll- zogen werden kann. Sie birgt darüber hinaus ein erhebliches Missbrauchspotenzial, weil Mit- arbeitende der Behörden bei brisanten Informationen auf „informelle“ Kanäle ausweichen können. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde bietet die Gelegenheit, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Informationsfreiheit fortzuentwickeln. Das Gericht hat bereits entschieden, dass durch § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aktiviert wird (BVerfGE 145, 365, 373). Offen ist jedoch die Frage, welche Vorgaben die Verfassung für die – in erster Linie den Fachgerichten obliegende – Aus- legung von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG macht und unter welchen Voraussetzungen ein verfassungs- unmittelbarer Informationszugangsanspruch besteht. Die Verfassungsbeschwerde bietet dar- über hinaus die Gelegenheit, Impulse aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- hofs für Menschenrechte aufzunehmen. Bei der gebotenen transparenzfreundlichen Ausle- gung von Grundgesetz und Informationsfreiheitsgesetz ist der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die nicht nachvollziehbare und sachwidrige Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht verstößt zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Darüber hinaus verletzt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den Beschwerde- führer in seinen Justizgrundrechten. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf angeblich bindende Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Inhalt der Direktnach- richten gestützt. Das Verwaltungsgericht hatte jedoch dazu gar keine Feststellungen getrof- fen, da es nach seiner Auffassung auf den Inhalt nicht ankam. Die Passagen des Urteils, auf die das Bundesverwaltungsgericht verweist, geben lediglich (bestrittene) Behauptungen der Beklagten wieder. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Behauptungen als „festgestellte Tatsachen“ behandelt und darauf gestützt „durchentschieden“, statt den Rechtsstreit an das für die Tatsachenfeststellung zuständige Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Dies verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, seinem allgemei- nen Justizgewährleistungsanspruch und seinem Recht auf den gesetzlichen Richter.
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6 B. Sachverhalt I. Einführung Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Revisionsurteil des Bundesverwaltungsge- richts, das seine Klage auf Übersendung von empfangenen und erhaltenen Direktnachrichten (direct messages, DM) des Twitter-Accounts des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) auf der Social-Media-Plattform Twitter des Unternehmens Twitter Inc. abgelehnt hat. Über die Kommunikationsplattform Twitter lassen sich insbesondere „Tweets“ veröffentlichen und verbreiten. Grundsätzlich sind diese öffentlich einsehbar. Es können aber auch Direkt- nachrichten versendet werden, die wie bei einer SMS, einer E-Mail oder einem Messenger- Dienst nur für die jeweils adressierten Personen einsehbar sind. Sie werden auf dem Server von Twitter gespeichert. Das BMI betreibt seit 2016 den Twitter-Account @BMI_Bund zur Öffentlichkeitsarbeit. Das BMI bedient sich zudem einer Redaktions-Software der Firma Facelift bbt GmbH, die es ihm ermöglicht, eine größere Anzahl an eingehenden Nachrichten den Mitgliedern einer Social- Media-Redaktion zuzuweisen und zu beantworten. Das BMI hat Zugriff auf die Direktnach- richten über die auf dienstlichen mobilen Endgeräten installierte Twitter-App und die Redak- tions-Software der Firma Facelift bbt GmbH. Sämtliche Direktnachrichten sind auf den Ser- vern der Twitter Inc. gespeichert und von der Beklagten jedenfalls bis zum Tage der mündli- chen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vollständig abrufbar. Soweit Nachrichten auch auf den Servern der Facelift bbt GmbH gespeichert sind, werden diese in einem monatlichen Rhythmus gelöscht, soweit sie älter als drei Monate sind. Der Beschwerdeführer ist freier Journalist und Projektleiter des von dem gemeinnützigen Ver- ein Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebenen Transparenzportals “Frag- DenStaat”, das Bürger:innen dabei unterstützt, Anfragen nach dem IFG zu stellen. Er veröf- fentlicht regelmäßig Beiträge auf der Webseite www.fragdenstaat.de sowie in anderen Me- dien.
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7 II. Verfahren Mit E-Mail vom 20. Mai 2018 (Anlage 3) stellte der Beschwerdeführer über das FragDenStaat- Portal einen Informationszugangsantrag an das BMI mit der Bitte, sämtliche Direktnachrich- ten, die der Twitter-Account des Ministeriums in den Jahren 2014 bis 2018 versendet und erhalten hat, an ihn zu übermitteln, wobei, falls erforderlich, personenbezogene Daten zu schwärzen wären. Mit Bescheid vom 28. Mai 2018 (Anlage 4) lehnte das BMI den Antrag ab. Das Ministerium betreibe erst seit Mai 2016 einen Twitter-Kanal. Die dort bislang eingegangenen Direktnach- richten hätten jedoch nicht die Notwendigkeit eines Verwaltungshandelns ergeben. Die bis- herigen Direktnachrichten seien nicht aktenrelevant gewesen; es handele sich nicht um amt- liche Informationen i.S.d. § 1 Nr. 1 IFG. Ein Informationszugang auf nicht „veraktete“ Kom- munikation sei nach dem IFG nicht geboten. Hiergegen wendete sich der Beschwerdeführer mit Widerspruch vom 2. Juni 2018 (Anlage 5). Darin vertrat er die Auffassung, das Betreiben des BMI-Twitter-Kanals sowie das Versenden von Direktnachrichten stelle Verwaltungshandeln dar. Der Beschwerdeführer verwies auf ein Arbeitspapier des BMI, in dem es darüber informiert, dass über seine sozialen Kanäle Kom- mentare und Direktnachrichten zugelassen seien. Auch die Hausanordnung zur "Nutzung von sozialen Medien im BMI" regele die dienstliche Nutzung von sozialen Medien, zu denen ex- plizit auch Twitter gehöre. Die begehrten Informationen seien demnach Aufzeichnungen, die gemäß § 2 Nr. 1 IFG amtlichen Zwecken dienten. Auf die Art der Speicherung sowie eine möglicherweise nicht erfolgte "Veraktung" komme es nicht an. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2018 (Anlage 6) wies das BMI den Widerspruch des Beschwerdeführers zurück. Informationszugang zu nicht verakteter Kommunikation sei durch das IFG nicht geboten. Dies lasse sich dem Wortlaut des § 2 Nr. 1 Satz 2 IFG entneh- men, wonach "Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen", nicht zur amtlichen Information gehörten. Twitter-Direktnachrichten seien mit SMS-Nachrich- ten vergleichbar. Soweit die Verwaltung dem sozialen und technischen Wandel nachgebe und informelle Kommunikationswege eröffne, auf denen für jedermann ersichtlich keine rechtlich verbindliche Kommunikation geführt werde, müsse sie derartige Korrespondenz nicht mit der gleichen Sorgfalt verakten wie traditionelle papierschriftliche Kommunikation. Hilfsweise be- rief sich das BMI auf den Ausschlussgrund der Vertraulichkeit der Kommunikation nach § 3 Nr. 7 IFG.
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8 Am 17. September 2018 erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem Verwaltungsgericht Ber- lin (Anlage 7), mit der er Einsicht in die Direktnachrichten aus den Jahren 2016, 2017 und 2018 begehrte. Zur Begründung führte er aus, auch Twitter-Direktnachrichten seien aktenre- levant, da das BMI als Behörde verpflichtet sei, einen Geschehensablauf wahrheitsgetreu und vollständig zu dokumentieren. Es komme nach dem Informationsfreiheitsgesetz gerade nicht auf den Zugang zu Akten an, sondern zu amtlichen Informationen. Die Amtlichkeit sei aus- weislich des Gesetzeszwecks des Informationsfreiheitsgesetzes weit zu verstehen. Ausge- nommen seien nur Informationen, die ausschließlich und eindeutig privater Natur seien. Es komme bei der Amtlichkeit einer Information nicht auf einen Bezug zu einem konkreten Ver- waltungsvorgang an. Direktnachrichten würden – entgegen der Aussage des BMI– für Ver- waltungshandeln genutzt. Diesbezüglich reichte der Beschwerdeführer einen Tweet des BMI als Anlage K7 ein, wonach für die Abstimmung eines Gesprächstermins zum Thema Seenot- rettung auf das Schreiben von Twitter-Direktnachrichten verwiesen wurde. Eine Behörde könne nicht selbstständig darüber bestimmen, wann ein Kommunikationsweg lediglich infor- mell bzw. wann eine Kommunikation „rechtlich verbindlich“ sei und wann nicht. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, dass das Informationsfreiheitsgesetz vor allem der demokra- tischen Meinungs- und Willensbildung diene, weshalb die Anwendung des IFG auf Twitter- Direktnachrichten nicht pauschal ausgeschlossen werden könne. Eine bereits verschickte Di- rektnachricht sei wegen der endgültigen Festlegung des Inhaltes weder ein Entwurf noch eine Notiz im Sinne von § 2 Nr. 1 S. 2 IFG. Ein Ausschlussgrund gemäß § 3 Nr. 7 IFG bestehe nicht. Der Kläger habe auch einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 GG. Mit der Einführung der Informationsfreiheitsgesetze habe der Gesetzgeber die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG aktiviert. Der Beschwerdeführer berief sich zudem auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem die Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einen Auskunftsanspruch habe. Der Kläger habe auch einen Anspruch aus Art. 10 EMRK. Hierfür sei es ausreichend, journalistisch oder durch Beiträge zur öffentlichen Willensbildung tätig werden zu wollen. Dies sei im Fall des Beschwerdeführers gegeben, da er als freier Jour- nalist und für die Open Knowledge Foundation e. V. arbeite und die streitgegenständlichen Informationen zum Zwecke der Meinungsbildung der Öffentlichkeit zugänglich mache. Er sei damit als „public watchdog“ zu sehen. Die Informationen seien für das BMI zudem leicht zu beschaffen. Das Anliegen des Klägers bestehe in der Transparenz der Verwaltung, offenen Daten und offenem Wissen, woran auch die Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse habe.
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9 In der Klageerwiderung vom 18. Oktober 2018 (Anlage 8) führte das BMI erneut aus, dass es über den Twitter-Account die unterschiedlichsten Anfragen von Journalistinnen und Journa- listen, Bürgerinnen und Bürgern sowie anderen Behörden erhalte. Das BMI beantworte im Rahmen informeller Kommunikation Bürger- und Presseanfragen und koordiniere auf kurzem Weg die Zusammenarbeit im Social-Media Bereich mit anderen Behörden. Der Kläger sei kein Journalist; er könne sich nicht auf die Pressefreiheit berufen. Die Direktnachrichten hätten keine Aktenrelevanz. Die Versagung des Auskunftsanspruchs verstoße nicht gegen Art. 10 Abs. 1 EMRK. Der Informationszugang wäre jedenfalls nach § 3 Nr. 7 IFG ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer replizierte mit Schriftsatz vom 23. November 2018 (Anlage 9). Er könne sich auf die Pressefreiheit berufen. Er sei Journalist, was sich aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen in Presseorganen ergebe. Zudem falle auch die Tätigkeit als Blogger unter den Schutz der Pressefreiheit. Der Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK sei zudem nicht auf Journalisten beschränkt. In Bezug auf die Aktenrelevanz der Direktnachrichten verwies der Beschwerdeführer auf seine Klageschrift und ergänzte, dass der Vergleich mit SMS- Nachrichten nicht zeige, dass keine Aktenrelevanz vorliege. Soweit sich die Beklagte auf den Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 7 IFG berufe, komme sie ihrer Darlegungslast nicht nach, da nicht hinreichend erläutert werde, weshalb die Kommunikation vertraulich sei. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2018 (Anlage 10) erwiderte das BMI, dass die Direktnach- richten kein für den normalen Nachrichtenverkehr vorgesehenes Kommunikationsmittel seien, sondern allenfalls ein zusätzliches Abstimmungsmedium, das mangels papiergebundener Schriftlichkeit nicht für rechtsgeschäftlich relevante Kommunikation zu gebrauchen sei. Die Verwaltung berücksichtige daher auch keine Anträge (zum Beispiel auf Informationszugang), die über die Direktnachrichten übertragen werden, sondern verweise in solchen Fällen auf ihre offiziellen Kommunikationskanäle. Hinsichtlich der per Direktnachricht gestellten Fragen von Journalisten, verweist das BMI auf die Gefahr, dass durch die anonymisierte Veröffentli- chung in die Pressefreiheit eingegriffen werde. Der Beschwerdeführer ergänzte seinen Vortrag mit Schriftsatz vom 8. Januar 2019 (Anlage 11). Er bestritt, dass die Nachrichten der Organisation des Ministeriums nicht vorlägen und nicht im BMI-Netz gespeichert seien, da die Nachrichten sowohl von mobilen Endgeräten als auch fest installierten Computern abrufbar seien. Er gehe davon aus, dass jede Direktnach- richt ausgedruckt und zu den Akten genommen werde. Ein Unterschied zwischen Twitter- Direktnachrichten und E-Mails bestehe nicht. Die elektronische Form der Kommunikation sei gleich geeignet für rechtsgeschäftlich relevante Kommunikation.
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10 Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2019 (Anlage 12) wies der Beschwerdeführer auf einen Tweet des BMI hin. Das BMI erwiderte mit Schriftsatz vom 13. Februar (Anlage 13), es werde weiterhin verkannt, dass nur aktenrelevante Kommunikation zu den Akten genommen werde, was bei den Direkt- nachrichten nicht der Fall sei. Das BMI benannte insofern einen Mitarbeiter des Presserefe- rates als Zeugen zur Bestätigung des geschilderten Inhaltes. Direktnachrichten seien mit E- Mails bereits formal aufgrund der Unterschiede in der Registrierung eines Twitter-Accounts und eines E-Mail-Accounts nicht vergleichbar. Sie seien allenfalls mit SMS-Nachrichten, MMS oder WhatsApp-Nachrichten vergleichbar. Am 26. August 2020 verhandelte das Verwaltungsgericht die Klage des Beschwerdeführers (Anlage 14). Mit Urteil vom 26. August 2020 (Anlage 15) gab das Verwaltungsgericht Berlin der Klage des Beschwerdeführers statt. Der geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in die Twitter-Direkt- nachrichten bestehe nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Bei den Twitter-Direktnachrichten handele es sich um amtliche Informationen. Der Begriff der Amtlichkeit sei aufgrund des Gesetzeszwecks des Informationsfreiheitsgesetzes, die demo- kratischen Beteiligungsrechte der Bürger durch die Verbesserung der Informationszugangs- rechte zu stärken und auf der Grundlage der so vermittelten Erkenntnisse der Meinungs- und Willensbildung in der Demokratie zu dienen weit zu verstehen. Es seien nur Informationen, die ausschließlich und eindeutig privaten bzw. persönlichen Zwecken dienen, vom Begriff „amt- liche Informationen“ ausgeschlossen. Nach diesen Maßgaben diene das Handeln des BMI, über den Twitter-Account Bürger- und Presseanfragen zu beantworten und die Zusammen- arbeit im Social-Media-Bereich mit anderen Bundesbehörden zu koordinieren, der Erfüllung der Aufgaben. Dass Twitter-Direktnachrichten nach dem Vortrag der Beklagten keinen Ein- gang in einen Verwaltungsvorgang gefunden hätten, führe zu keiner anderen Bewertung. Ak- tenrelevanz sei kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 1 IFG. Die Rechtsvorschrift sei auch nicht teleologisch zu reduzieren. Zwar knüpfe das Gesetz in § 2 Nr. 1 Satz 2, § 3 Nr. 5 IFG daran an, ob die Informationen Bestandteil eines Vorgangs werden sollen. Syste- matik sowie Sinn und Zweck der Regelungen sprächen aber gegen eine vom eindeutigen Wortlaut des Anwendungsbereichs abweichende Auslegung. Hätte der Gesetzgeber solche Informationen vom Anspruch auf Informationszugang ausschließen wollen, hätte er dies in § 2
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