Nord Stream 2 und die Politik„Entsprechender Kabinettsbeschluss wünschenswert“

Wie eng stand die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern dem russischen Staatsunternehmen Gazprom? Wie groß war die politische Hilfe für die Gas-Pipeline Nord Stream 2? Wir veröffentlichen weitere Dokumente aus der Staatskanzlei.

Nord Stream 2, die “Klimastiftung M-V”, und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig – drei Namen, die seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine in Deutschland heiß diskutiert werden. Vor allem geht es dabei um die Frage: Wie groß war der Einfluss des russischen Staatsunternehmen Gazprom – und damit von Russland selbst – auf die Entscheidungen deutscher Politiker:innen, allen voran der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern?

Über eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz bei der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern haben wir zahlreiche externe wie interne E-Mails, Briefe sowie Aktenvermerke seit Anfang des Jahres 2016 rund um den Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 erhalten. Gemeinsam mit der Wochenzeitung Die Zeit haben wir die Dokumente ausgewertet und veröffentlichen sie hier vollständig. Sie verdichten das Bild vom engen Verhältnis zwischen Vertreter:innen der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und der Nord Stream 2 AG. Zuvor hatten wir bereits gemeinsam mit t-online zum Komplex recherchiert.

Der Datensatz beginnt im Jahr 2016 mit einer E-Mail von Steffen Ebert, dem „Communications Manager Germany“ der Nord Stream 2 AG, an Christian Frenzel, zu diesem Zeitpunkt Chef der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern. Ebert bittet um einen „Auftakttermin“, um den „regelmäßigen Dialog“ starten zu können. Es kommt zu einem Treffen zuerst mit dem Energieministerium im April 2016, später mit Frenzel selbst im Mai 2016. Das Ziel des Termins laut einer Antwort auf eine kleine Anfrage an den Landtag Mecklenburg-Vorpommern der Fraktion Bündnis/90 Grünen: „Vorbereitung Antragsverfahren“.

Entsprechender Kabinettsbeschluss wünschenswert

Vor dem Treffen schickt die Nord Stream 2 AG eine Präsentation an die Staatskanzlei – mit deutlich formulierten Erwartungen. Neben Daten zu dem Projekt an sich geht es dort auch um „Unterstützungsbedarf“ durch die Politik für den Bau der Gas-Pipeline wie „eine politische Flankierung der Neuausweisung“, die „von großer Wichtigkeit“ für Nord Stream 2 sei und, dass ein „entsprechender Kabinettsbeschluss“ in der „laufenden Legislaturperiode wünschenswert” sei. 

Zu diesem Zeitpunkt ist Erwin Sellering Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Heute ist Sellering der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV, die laut ihrer Satzung den Zweck verfolgt, Nord Stream 2 fertig zu stellen. 

Ende November 2016 schickt das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung als Vorbereitung für ein Treffen mit der Nord Stream 2 AG ein Fax an die Staatskanzlei. Darin verweist das Ministerium auf den „Handlungsbedarf für die Landesregierung“ hinsichtlich einer Ausnahmegenehmigung für die Pipeline Nord Stream 2, die stellenweise durch ein besonders geschütztes „Natura2000-Gebiet“ laufen soll. Laut dem Fax würden „mehrere Voraussetzungen für die Möglichkeit vom FFH-Gebietsschutz gemäß §34 Abs. 3 BNatSchG“ bestehen. Somit könnte ein Projekt entgegen der Schutzbestimmungen der europaweiten Natura-2000-Gebiete dennoch zugelassen werden.

Was es dafür braucht: die Darlegung der „Alternativlosigkeit des Vorhabens und die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses”. Hier sei die „Landesregierung M-V gefordert, entsprechend triftige Gründe z.B. wirtschafts- , arbeitsmarkt- und energiepolitischer Natur darzulegen”, schreibt das Energieministerium.

Und auch die Nord Stream 2 AG verschickt Unterlagen zur Gesprächsvorbereitung. So legt Jens Lange, „Permitting Manager Germany” der Nord Stream 2 AG im Nachgang zu einem undatierten Gespräch mit den Ministern Argumente für die oben genannte juristische Ausnahme dar. Diese Argumentation wird innerhalb der Ministerien weiter verschickt mit der Anmerkung seitens des Landwirtschaftsministerium, dass der Inhalt zwar noch nicht geprüft werden konnte, „die Darstellung von Nord Stream 2 aber schlüssig” erscheine und „im Wesentlichen dem Vorbesprochenen” entspreche. 

Manuela Schwesig übernimmt

Seit dem 4. Juli 2017 ist Manuela Schwesig Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit geht es um das Planfestellungsverfahren der Gaspipeline, also die behördliche Prüfung, ob das Projekt den Vorgaben entspricht. 

Die Dokumente, die wir veröffentlichen, zeigen, dass die Staatskanzlei und Ministerien zeitlichen Druck auf die zuständigen Behörden ausübten und betonten: „[D]ie Nord Stream 2 hält an ihrem sehr ambitionierten Zeitplan fest und möchte vor Weihnachten 2017 den Planfeststellungsbeschluss vom Bergamt Stralsund erteilt bekommen.” Die Sorgen und Wünsche von Nord Stream 2 kommunizieren die Behörden eindrücklich. So wird in einem Vermerk des Landwirtschaftsministeriums vom 23.10.2017 für ein Treffen zwischen Staatskanzlei, Landwirtschaftsministerium, Energieministerium und Wirtschaftsministerium thematisiert, dass „nach Darstellung der Nord Stream 2 AG” eine eintretende Verzögerung „dramatische Konsequenzen” für das Projekt hätte und „die ggf. die Wirtschaftlichkeit” in Frage stellen könnten. Das würde wiederum Probleme bei der Abweichungsprüfung nach § 34 Abs 3 BNatSchG bringen. 

Weiter wird die zeitlich Verschiebung des Baus der Dünenverstärkung angemerkt, auf die Nord Stream 2 AG „drängen” werde. Es müsse „politisch entschieden werden, ob politisch Gründe der technisch vertretbaren und entsprechend begründbaren Verschiebung der Dünenverstärkung entgegenstehen”. 

Eine interne E-Mail im Nachgang der Ministerrunde zeigt, dass die nachfolgenden politischen Entscheidungen diesen Wünschen entsprechen. Generell zeige man sich einig: „Sowohl die Nord Stream 2 AG als auch das LM [Anm.: Landwirtschaftsministerium] sehen aus Gründen der Rechtssicherheit eine (ggfs. vorsorgliche Abweichung im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung und eine entsprechende Tenorierung in einem etwaigen Planfeststellungsbeschluss des Bergamts Stralsund zwingend notwendig”.

Am ambitionierten Zeitplan wird festgehalten

Auch untereinander machten sich Behördenmitarbeiter:innen gegenseitig Druck, um den Plänen von Nord Stream 2 gerecht zu werden. Jürgen Buchwald, Staatssekretär im Umweltministerium MV, verschickt am 18.10.2017 ein Fax an Ina Maria Ulbrich vom Energieministerium mit einer Nachfrage, die im Zusammenhang mit dem Planfeststellungsverfahren steht. Darin verweist er auf eine „zeitnahe und eindeutige” Antwort wegen des „ambitionierten Zeitplanes” der Nord Stream 2 AG.

An dem Zeitplan wird auch festgehalten. So wird am 11. Dezember 2017, obwohl die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, vermerkt, dass „nach Auffassung” des Landwirtschaftsministerium „einem zeitnahen Erlass eines Planungsfeststellungsbeschlusses durch das Bergamt Stralsund nicht entgegen” stehe. Im Januar 2018 wird der Beschluss erteilt. 

Dann kamen jedoch weitere Hürden für Nord Stream 2, allen voran die US-Sanktionen, die den Fortgang der Bauarbeiten bedrohten. Argumente für den Weiterbau liefert der Pressesprecher der Nord Stream 2 AG, Stefan Ebert. Am 9. Oktober 2020 verschickt er nach Aufforderung aus der Staatskanzlei eine E-Mail dass „wir” wegen der Sanktionen „gezwungen sind, nach neuen Lösungen für die Verlegung der fehlenden 6% unserer Pipeline zu suchen”. Diese E-Mail wurde als Vorbereitung für ein Treffen am 15. Oktober 2020 in Lubmin mit Manuela Schwesig verschickt. Eine neue Lösung für die Fertigstellung von Nord Stream 2 findet sich tatsächlich. Anfang des Jahres 2021 wird die Gründung der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV offiziell vom Landtag beschlossen. 

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