Gemeinsam mit Sea-Watch ziehen wir gegen Frontex vor Gericht

Die EU-Agentur Frontex will ihre Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache geheim halten. In Kooperation mit FragDenStaat fechtet die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch dies vor Gericht an.

 

-
Frontex drone. –

All rights reserved: Airbus

Als zentraler Akteur der Grenzüberwachung im zentralen Mittelmeerraum koordiniert und führt Frontex Rettungseinsätze auf See durch. Die EU-Agentur entscheidet außerdem auch darüber, wer bei diesen Einsätzen beteiligt ist. Dass Frontex an zahlreichen Menschenrechtsverletzungen Mitschuld trägt, wird besonders bei dieser Art der Zusammenarbeit sehr deutlich.

Dass die Entscheidung, mit wem Frontex kooperiert, Menschenleben kosten kann, zeigt sich insbesondere im Falle der sogenannten libyschen Küstenwache. Die von der EU finanzierten libyschen Küstenwächter eilen in Not geratenen Menschen nicht zur Hilfe, sondern zwingen sie ins unsichere Libyen.

Da Frontex offenbar kein Interesse daran hat detaillierte Informationen über die Art und das Ausmaß der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache preiszugeben, klagt Sea-Watch gemeinsam mit FragDenStaat Frontex vor dem Gericht der Europäischen Union.

Der Hintergrund

Am 30. Juli 2021 beobachteten und dokumentierten das Sea-Watch-Flugzeug Seabird und das Rettungsschiff Sea-Watch 3 einen Verstoß gegen Menschenrechte im zentralen Mittelmeer.

Einem Boot mit etwa 20 Menschen an Bord gelang die Flucht von der libyschen Küste in internationale Gewässer. Zu diesem Zeitpunkt war die Sea-Watch 3 das nächstgelegene Schiff und besaß Kapazitäten, die Menschen nach Europa zu bringen. Dazu kam es nicht, da libysche Küstenwächter das in Seenot geratene Boot abfingen und die Menschen statt in Sicherheit zu bringen, zurück nach Libyen zwangen. Die Bedingungen, die sie dort erwarten, werden von deutschen Diplomaten als „KZ-ähnlich“ beschrieben. Dieser sogenannte Pullback stellt eine Menschenrechtsverletzung dar.

Wer die Küstenwache alarmiert hat geschweige denn aus welchen Gründen diese die Handlungshoheit über das in Notgeratene Boot - trotz einsatzbereitem Rettungsschiff – erhielt, hierzu gibt es keine Antworten vonseiten Frontex. Und das obwohl die Drohne der EU-Agentur dreimal dabei gesichtet wurde, wie sie das in Seenot geratene Boot umkreiste, bevor die Libyer vor Ort eintrafen.

Um das Mitwirken von Frontex an dieser Menschenrechtsverletzung zu enthüllen, stellte Sea-Watch eine Informationsfreiheitsanfrage an die EU-Agentur. Frontex bestätigte, dass sie im Besitz von 73 Dokumenten - einschließlich Filmmaterial, Videos und zahlreicher Korrespondenz - über ihre Rolle hinsichtlich des Vorfalls ist, verweigerte jedoch letztendlich den Zugang zu all diesen Dokumenten.

Nun klagt Sea-Watch in Zusammenarbeit mit FragDenStaat gegen die Geheimhaltung von Frontex vor dem Gericht der Europäischen Union. Wir werden für die Offenlegung der Beweise kämpfen, die Frontex der Öffentlichkeit vorenthält.

Geheimhaltung vor Rechenschaftspflicht

Seit Jahren verhält sich Frontex intransparent bezüglich auftretender Menschenrechtsverletzungen infolge ihrer Einsätze.

Allein in den Jahren 2020 und 2021 gab es über 50 Berichte über die Beteiligung von Frontex an Pushbacks, Pullbacks und an Fällen von unterlassener Hilfeleistung, bei denen der Tod von in Seenot geratenen Menschen in Kauf genommen worden ist.

Für viele dieser Fälle verfügt die EU-Grenzpolizei aufgrund eines internen Meldesystems über Dokumente unterschiedlicher Art, die den Ablauf solcher Ereignisse detailliert beschreiben. Anstatt diese preiszugeben, kehrt Frontex Details zu diesen Verstößen unter den Teppich. Die Intransparenz der Behörde zeigt sich im Allgemeinen in ihrem Umgang mit Informationsfreiheitsanfragen: über 90 % aller Anträge auf Zugang zu Dokumenten, die sich in ihrem Besitz befinden, verweigert die EU Agentur.

Frontex hat sich bisher einmal wegen seiner Geheimhaltung vor Gericht verantworten müssen, und zwar in einer Klage von FragDenStaat aus dem Jahr 2018. Leider stellte sich das EU-Gericht in diesem Fall auf die Seite von Frontex, das Informationen über seine Einsätze verweigern durfte.

Diese systematische Verweigerung von Informationen schützt Frontex vor einer Überprüfung und schirmt die Agentur daher vor jeglichen Bemühungen ab, sie zur Verantwortung zu ziehen. Infolgedessen wird Frontex immer stärker, da sie völlig ungestraft operieren kann - auf Kosten des Lebens unschuldiger Menschen.

Der EU-Gerichtshof muss nun entscheiden, ob Frontex diesen gefährlichen Kurs fortsetzen kann, oder ob wir endlich ein Recht auf Informationen über die lebensgefährlichen Maßnahmen der EU im zentralen Mittelmeer haben.

zur Pressemitteilung von Sea-Watch

Dieser Artikel ist in anderen Sprachen verfügbar.

Für eine informierte Zivilgesellschaft spenden

Unsere Recherchen, Klagen und Kampagnen sind essentiell, um unsere Politik und Verwaltung transparenter zu machen! So können wir unsere Demokratie stärken. Daraus schlagen wir kein Profit. Im Gegenteil: Als gemeinnütziges Projekt sind wir auf Spenden angewiesen.

Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit!

Jetzt spenden!

FragDenStaat-Transparenzbericht Quartal 1/2022

Koalitionstracker, Klagen gegen den Bundespräsidenten sowie den Ex-Bundeskanzler und der finale Erfolg im Kampf gegen das #Zensurheberrecht – 2022 ist ereignisreich gestartet. Das finanzielle Quartalsergebnis sieht leider negativ aus.