100.000 Euro aus SteuergeldernWir verklagen das EU-Parlament wegen griechischem Nazi-Abgeordneten, der im Gefängnis sitzt

Der griechische Nazi Ioannis Lagos muss eine 13-jährige Gefängnisstrafe absitzen. Gleichzeitig sitzt er aber weiterhin im EU-Parlament und kassiert Abgeordnetengelder. Wofür die Zahlungen verwendet werden, legt das Parlament nicht offen – und begründet das mit „Datenschutz“. Deswegen ziehen wir vors Europäische Gericht in Luxemburg.

Ioannis Lagos continues to attend parliamentary sessions from prison. –

Screenshot

Im Oktober 2020 wurde die griechische Nazi-Partei Goldene Morgenröte in einem wegweisenden Urteil als kriminelle Vereinigung eingestuft. Die Partei wurde aufgelöst und ihre Anführer wurden zu Haftstrafen verurteilt – ein wichtiger Zwischensieg im Kampf gegen den Faschismus.

Zu den Verurteilten, die zu einer Haftstrafe von über 13 Jahren verurteilt wurden, gehörte auch der Europa-Abgeordnete Ioannis Lagos, das einzige Mitglied der Goldenen Morgenröte, das einen Sitz im EU-Parlament hat. Lagos wurde für schuldig befunden, die kriminelle Organisation Goldene Morgenröte gegründet und unter anderem den tödlichen Angriff auf den antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas organisiert zu haben.

Doch trotz seiner strafrechtlichen Verurteilung ist Lagos nicht nur bis heute Mitglied des Europäischen Parlaments. Er hat auch weiterhin Zugang zu den öffentlichen Geldern, auf die alle Abgeordneten des EU-Parlaments und ihre Assistenten Anspruch haben. Mehr als 100.000 Euro wurden ihm bis heute zur Verfügung gestellt. Lagos beantragt diese Gelder aus dem griechischen Knast heraus: „Obwohl ich zu Unrecht im Gefängnis sitze, habe ich beschlossen, alles in Anspruch zu nehmen, was mir als gewählter Abgeordneter des Europäischen Parlaments zusteht, und meine Pflichten so weit wie möglich zu erfüllen“, erklärte er.

Mehr als 100.000 € für Nazi-Abgeordneten

Lagos wurde im Mai 2021 an Griechenland ausgeliefert und kam ins Gefängnis, nachdem er sich zuvor viele Monate trotz Verurteilung frei in Brüssel bewegen konnte. Das EU-Parlament brauchte über sieben Monate, um die Abgeordneten-Immunität von Lagos aufzuheben, die ihn vor einer Auslieferung schützte. In dieser Zeit erklärte Lagos auch offen, dass er Vorkehrungen traf, um anderswo in Europa – wahrscheinlich in Norwegen – Asyl zu suchen, um seiner Verurteilung zu entgehen.

Sein Zugang zu und seine Verwendung öffentlicher Gelder wirft daher wichtige Fragen auf: Wofür hat Lagos diese Mittel verwendet? Wurden öffentliche Gelder verwendet, um kriminelle Aktivitäten aufrechtzuerhalten? Oder um einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen?

Nur das Europäische Parlament kann diese Fragen beantworten. Das Parlament weigert sich jedoch, diese Informationen zu veröffentlichen, um die „persönlichen Daten“ von Lagos zu schützen. Deshalb haben wir eine Klage vor dem Gericht der Europäischen Union eingereicht.

Bis heute hat es das EU-Parlament versäumt, klare Rechenschaftspflichten für EU-Abgeordnete zu schaffen. Die Verwendung öffentlicher Mittel durch öffentlich gewählte Vertreter ist in der Regel undurchsichtig und kann durch die Öffentlichkeit nicht kontrolliert werden – weder bei Nazi-Abgeordneten noch bei demokratischen Volksverteter:innen.

Doch angesichts des Aufschwungs rechtsextremer Kräfte in vielen EU-Ländern werden Schlupflöcher wie dieses zu einem immer größeren Problem. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 wurde eine Rekordzahl von rechtsextremen Abgeordneten gewählt. Dieser Anstieg und viele andere Fortschritte auf nationaler Ebene hätten ein Warnzeichen sein und sofortiges Handeln auslösen müssen: Alle Lücken in der Rechenschaftspflicht öffentlicher Institutionen können von undemokratischen Akteuren ausgenutzt werden und müssen daher geschlossen werden, bevor es zu spät ist.

Verwendung öffentlicher Gelder und der „Datenschutz“

Zusätzlich zu ihrem Gehalt verfügen die EU-Abgeordneten während und nach ihrer Amtszeit über eine Reihe von parlamentarischen (öffentlichen) Mitteln, die als „Zulagen“ bezeichnet werden. Diese Zulagen können zur Deckung von Reisekosten, Unterbringung, Krankheitskosten, Nutzung von Dienstfahrzeugen, Mahlzeiten, Büromiete, Telefonrechnungen usw. verwendet werden. Die Abgeordneten erhalten auch eine Zulage für jeden Tag, an dem sie im Büro erscheinen, d. h. für das einfache Erscheinen zur Arbeit. Der Gesamtbetrag der Zulagen, über den jeder Abgeordnete verfügt, beläuft sich auf über 5.000 Euro pro Monat.

Die Verwendung dieser Gelder durch die Abgeordneten und ihre Assistenten wird kaum kontrolliert und es gibt keine Rechenschaftspflicht. Für einen Teil dieser Zulagen, die so genannte „Allgemeine Kostenpauschale“, haben die Abgeordneten die Möglichkeit, proaktiv zu veröffentlichen, wie viel Geld sie beanspruchen und wofür sie es verwenden. Da diese Bestimmung jedoch freiwillig ist, veröffentlicht nur ein kleiner Prozentsatz der Abgeordneten diese Informationen, wobei der Detailgrad stark variiert.

Für andere Zulagen als die für die allgemeinen Ausgaben gibt es nicht einmal eine freiwillige Bestimmung, um sie transparent zu machen. Die einzige Möglichkeit, mehr über die Verwendung dieser Mittel zu erfahren, ist das EU-Informationsfreiheitsgesetz, mit dem eine Anfrage an das Europäische Parlament gestellt werden kann.

Das Parlament hat sich jedoch wiederholt geweigert, überhaupt Informationen herauszugeben, weil es sich bei der Verwendung dieser Mittel und den Ausgaben der Abgeordneten um „persönliche Daten“ handele. Dies war auch der Fall, als wir alle Ausgaben von Ioannis Lagos ab dem Zeitpunkt seiner Verurteilung bis zur Aufhebung seiner Immunität anforderten. In diesem Zeitraum reichte Lagos zahlreiche Spesenabrechnungen ein; keine einzige wurde vom Parlament offengelegt, das angeblich kein öffentliches Interesse darin sieht, diese Informationen transparent zu machen. Das Gericht der EU wird nun entscheiden müssen, ob dies tatsächlich rechtmäßig ist.

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