Abschiebezentrum am Flughafen BEREin vorbestrafter Investor für Seehofers Vermächtnis

Bund und Brandenburg wollen „effizienter“ abschieben. Dafür werden ein überdimensioniertes Abschiebezentrum am BER gebaut, ein linker Finanzminister umgangen und ein vorbestrafter Investor eingespannt – das zeigt unsere Recherche mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste und rbb24.

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Bereits ohne Abschiebezentrum trist: der Flughafen BER –

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69 Abschiebungen zu seinem 69. Geburtstag – Bundesinnenminister Horst Seehofer lächelt darüber, als er im Juli 2018 seinen Plan für eine „Asylwende in Deutschland“ vorstellt. Ein Punkt in seinem „Masterplan Migration“: an zentralen Flughäfen sollen „Gewahrsamseinrichtungen“ gebaut werden, um Sammelabschiebungen zu erleichtern. 

Drei Jahre später, in Seehofers letzten Zügen seiner Amtszeit als Innenminister, wird sein Plan in Brandenburg greifbarer. Am 25. Oktober 2021, rund ein Monat nach der Bundestagswahl, unterzeichnen Seehofer und der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) eine „Grundsatzverständigung“. Sie besiegeln ein „Einreise- und Ausreisezentrum am Flughafen BER“, um „Aufnahme und Ausreise ausländischer Personen [...] effizienter zu gestalten“. Das Land Brandenburg werde sich um den Bau kümmern und Bundesbehörden, wie die Bundespolizei und das BAMF, sich einmieten. In einer internen Präsentation wird es später als „europaweit einmalige Einrichtung“, „als locker gebauter Campus“ und ein „Vorzeigeprojekt von internationaler Bedeutung“ mit „höchster Priorität auf Bundes- und Landesebene“ beschrieben. 

Was nicht erwähnt wird: Hinter den sperrigen und behördlichen Begriffen verbirgt sich ein Abschiebezentrum. Ein Ort, an dem Asylsuchende festgehalten und eingesperrt werden. Um dies ohne politischen Gegenwind umsetzen zu können, wählten das brandenburgische Innenministerium einen wegen einer Schmiergeldaffäre vorbestraften Investor aus. Mit ihm könnte so der damalige Linke-Finanzminister umgangen werden. 

Das zeigt eine monatelange gemeinsame Recherche mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste und rbb|24. Wir haben mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) hunderte E-Mails, Protokolle und Verträge bei Landes- und Bundesbehörden angefragt, erhalten und ausgewertet. Wir waren am zuständigen Amtsgericht und haben Einsicht ins Grundbuch genommen, um mehr über die Eigentümer der Grundstücke zu erfahren, auf denen das Abschiebezentrum entstehen soll. Unsere Ergebnisse sowie die Dokumente veröffentlichen wir hier. 

Am Koalitionspartner vorbei geplant

Im Jahr 2018, als die Planungen für das Abschiebezentrum am BER konkreter wurden, regiert in Brandenburg eine rot-rote Koalition. Das Ministerium des Innern und für Kommunales (MIK) ist in der Hand der SPD, die Linken führen das Finanzministerium. Und über letztere scheint es in den Innenministerien von Bund und Land Bedenken zu geben, dass sie den Bau des Abschiebezentrums stoppen würden. So protokolliert das BMI im Januar 2019 den Wunsch des brandenburgischen Innenministers: 

„Da der Finanzminister von der Linken gestellt wird, will der Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern von einem Investor errichten lassen und anmieten. St (Anm.: gemeint ist Staatssekretärin Katrin Lange, heute selbst Finanzministerin) schwebt vor, gemeinsam mit dem Bund eine größere Einrichtung vorzusehen”.

Der Vorteil, wenn ein Investor und nicht das Land selbst baut: Es braucht keine Abstimmung zwischen den Koalitionspartnern der Landesregierung. Und die Kosten für das Abschiebezentrum tauchen im Landeshaushalt erst auf, wenn der Bau bereits steht und die erste Miete an den Investor fällig ist. Würde das Land selbst bauen, müsste das Geld vorher beantragt werden. Dann wüssten der Finanzminister und auch der Landtag Bescheid – und könnten den Bau in Frage stellen.

Der Name, der nicht genannt werden soll

Im September 2019 wird in Brandenburg eine neue Landesregierung gewählt. Es folgt eine rot-schwarz-grüne Koalition. Katrin Lange (SPD), die als Staatssekretärin im MIK den Bau durch einen Investor voran trieb, wird Finanzministerin. Auf eine Presseanfrage des rbb antwortet ihr Sprecher, dass Lange nicht mehr zuständig sei, den Bau jedoch begrüße. Michael Stübgen (CDU) übernimmt das Innenministerium und führt mit Horst Seehofer die Planung zum Bau des Abschiebezentrums fort – lange jedoch unter dem medialen und politischen Radar. 

Erst im Mai 2022 wird eher zufällig der Name des Mannes bekannt, der im Auftrag des Landes das geplante Abschiebezentrum errichten soll; als ein Brief des Innenminister Stübgens an den Bürgermeister der Gemeinde Schönefeld vom August 2021 öffentlich wird. Stübgen gingen die Abstimmungen zu den Genehmigungen anscheinend zu langsam, weshalb er die Gemeinde zu einer rascheren Entscheidung drängte, denn „dem Land und auch dem privaten Investor, der Fa. Harder + Partner, sind bereits erhebliche Kosten entstanden“. 

Ein vorbestrafter Investor    

Hinter dieser Firma steht der Immobilienunternehmer Jürgen B. Harder. 2015 wurde er im Zusammenhang mit einem Schmiergeldskandal bei einem Grundstückskauf zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Harder soll das Abschiebezentrum bauen und später an Bund und Land vermieten. 

Ein solcher Auftrag ist ein solider Deal für Investor:innen, denn er garantiert hohe Mieteinnahmen über Jahre. Wie hoch genau, darüber schweigt das MIK. Andrea Johlige, die für die Linkspartei im brandenburgischen Landtag sitzt, schätzt auf Nachfrage des rbb, dass der Investor in den nächsten 30 Jahren mit der Vermietung des Abschiebezentrums mindestens 100 Millionen Euro verdienen werde. 

Warum Harder trotz des Schmiergeldskandals ausgewählt wurde, erklärt Stübgen Anfang Mai 2022 vor dem brandenburgischen Innenausschuss: Seit 2018 spreche man mit Harder, denn er sei im Besitz der einzigen noch bebaubaren Grundstücke und wolle nicht verkaufen. Eine Enteignung habe das Land geprüft, jedoch ohne Erfolg. 

Seit diesem Jahr plane das Land den Bau, so Stübgen weiter. Das war also vor seiner Amtszeit, weshalb er nicht alle Fragen beantworten könnte, denn es „gibt nicht sehr viele Unterlagen dazu, weil vieles informell war.” Der Innenminister bis 2019, Karl-Heinz Schröter (SPD), sagt auf Nachfrage des rbb, dass er sich nicht mehr genau erinnere, wie das damals ablief – also haben wir recherchiert. 

Ein Eigentümer, der keiner ist

Wir sind zum zuständigen Amtsgericht Königs-Wusterhausen gefahren. Dort haben wir die Grundbuchakten eingesehen, um herauszufinden, wie lange Jürgen B. Harder schon Eigentümer der Grundstücke ist, auf denen das Abschiebezentrum gebaut werden soll. 

Das Ergebnis: Harder gehört nur ein Bruchteil der Grundstücke, auf denen er das Abschiebezentrum bauen soll. Was ihm seit 2017 gehört, sind zwei kleinere Grundstücke, die nördlich am vorgesehenen Baugelände liegen. Laut einer Visualisierung war dort zuvor das Abschiebezentrum unter anderem geplant gewesen.

Zuvor war das Abschiebezentrum kleiner geplant gewesen. Das Gebäude links der Allee steht auf dem Grund, den Harder 2017 erworben hat.

Der Standort wurde verändert. Laut einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken „zugunsten einer effektiveren und wirtschaftlicheren Gestaltung des Areals“. Jetzt soll weiter südlich, auf einem weitaus größeren Areal, gebaut werden. Auf unter anderem jenem Teil, der Harder noch nicht gehört: Laut Verträgen steht er seit Oktober 2018 in Verhandlung mit den eigentlichen Eigentümer:innen und hat seit April 2019 eine Kaufoption.

Aktuelle Baufläche des Abschiebezentrum: Die beiden kleinen, nördlichen Flächen gehören Harder seit 2017. Für den Großteil der südlichen hält er seit 2018 eine Kaufoption.

Die Frage, wann Jürgen B. Harder von dem Bau generell und von der Planänderung erfahren hat und wer es ihm erzählt hat, konnten wir nicht klären. Was sich jedoch zeigt: Die Behörden planten fest mit diesem Investor – unabhängig von seinem Grundstückseigentum. 

Auf einer internen Präsentation vom September 2020 wird die Firma Harder „per Option“ als Grundstückseigentümer gelistet. Im Dezember 2020 wird ein alternativer Standort besprochen und vermerkt, „dass der Investor – wenn ihm die notwendigen Grundstücke etwa tauschweise verschafft würden – sicherlich auch an einer Errichtung des Komplexes in Waltersdorf Interesse hätte”. In einem Protokoll einer Besprechung von Bund und Land im Oktober 2021 steht, dass vom Investor, also von Harder, gerade angrenzende Grundstücke erworben werden.

In einer E-Mail der Bundesagentur für Immobilienaufgaben im Oktober 2021 wird zusammengefasst, dass eine „standortoffene Suche [...] auf Grund der getroffenen politischen Entscheidung nicht (mehr)“ stattfinden würde. Und in einer Präsentation vom Juni 2021 steht, dass über den Standort „politisch entschieden“ worden sei. 

Mit all dem haben wir Jürgen B. Harder und das brandenburgische Innenministerium (MIK) konfrontiert. Harder hat nicht geantwortet. Das MIK argumentiert, dass es sich grundsätzlich um zwei unterschiedliche Projekte handle: Ab Mitte 2018 wollte Brandenburg einen Ersatz für die Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt bauen. Mitte 2019 sei dies gestoppt worden. Im Frühjahr 2020 hätte das MIK dann begonnen, das Konzept des „Einreise- und Ausreisezentrums“ zu erarbeiten: „Es handelt sich um ein neues Vorhaben mit einer völlig anderen Zielsetzung und auch einem Fokus auf das durch Bund und Land zu bewältigende absehbare Einreisegeschehen.“ Kurz: Es ist weitaus größer. 

Ob Harder über das zweite Projekt Bescheid wusste? Nach Aktenlage nicht, so das MIK. Im April 2019, als er die Kaufoption erhielt, wusste er jedoch zumindest über das Vorgängerprojekt Bescheid. 

In einem internen Briefing des BMI vom Januar 2019 klingt das anders: Demnach ist dem MIK zu diesem Zeitpunkt bereits vorgeschwebt, „gemeinsam mit dem Bund eine größere Einrichtung vorzusehen, da eine solche kosteneffizienter geschaffen und betrieben werden könnte“. 

Ein politisches Statement

Neben all den Ungereimtheiten zur Planung und der Wahl des Investors ist jedoch seit der Unterzeichnung der Grundsatzverständigung zwischen Seehofer und Stübgen offiziell, dass ein Abschiebezentrum am BER gebaut werden soll. 

Grundsätzlich sollen dort vor allem Menschen aus zwei Gruppen festgehalten werden: Jene, die am Flughafen BER ankommen, einen Asylantrag stellen und für die das sogenannte „Flughafenasylverfahren“ gilt. Sie können das Gelände während des gesamten Verfahrens nicht verlassen. Und jene, die irgendwo anders in Deutschland einen negativen Asylbescheid bekommen haben, und abgeschoben werden sollen. 

Aber warum braucht es das? Die Unterlagen, die wir veröffentlichen, zeichnen das Bild einer Entscheidung, die einem politischen Statement gleicht: So schreibt die Bundesbehörde BAMF im Dezember 2020, dass das Abschiebezentrum „zur Sicherstellung des künftig gewichtiger werdenden Auftrages der Politik“ diene, Abschiebungen konsequenter durchzuführen. Ebenso würde ein Abschiebezentrum einen „asyltaktischen Austausch“ unter den Asylsuchenden verhindern. Dadurch könnten „die Verfahrensdauern dieser Verfahren nochmals massiv verkürzt werden”.  Und das BMI notierte im Oktober 2020, dass man mit einem „erwarteten/geplanten Anstieg“ an Abschiebungen rechne und an einer „möglichst hohen Auslastung interessiert“ sei.

Abschiebehaft perspektivisch möglich

Und noch ein weiterer Aspekt zeigt, wie sehr der Plan des Abschiebezentrums zugleich ein Plan eines politischen Stimmungswechsels ist. Dafür ist die Unterscheidung zwischen Abschiebegewahrsam und Abschiebehaft wichtig. Bei beiden Begriffen geht es grundsätzlich um Freiheitsentzug, der richterlich angeordnet wurde. Gewahrsam kann maximal zehn Tage dauern, Haft jedoch bis zu 18 Monate. 

Aktuell sind 120 sogenannte „Gewahrsamsplätze“ vorgesehen. Eine interne E-Mail einer Beamtin aus dem BMI lässt darauf schließen, dass dies in Zukunft geändert werden sollte. Sie schreibt im Januar 2019 zur Wortwahl: „nicht: Abschiebungshaft, ist offensichtlich politisch unter der regierenden Koalition nicht darstellbar, wäre aber perspektivisch unter geänderten Bedingungen auch denkbar“. 

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Warum wir in die Grundbuchakten schauen konnten:

Im Gegensatz zum IFG ist es nicht für jede:n Bürger:in möglich, Einsicht in die Grundbuchakten zu nehmen. Das geht als Eigentümer:in, als potentielle:r Käufer:in oder als Pressevertreter:in, wenn ein berechtigtes öffentliches Interesse begründet werden kann. Als Journalist:innen mit einen Presseausweis und einer umfangreichen Begründung war eine Einsicht daher möglich.

Online-Text von rbb24.de

IFG-Anfrage beim Bundesinnenministerium (BMI) (1/2)

IFG-Anfrage beim Bundesinnenministerium (BMI) (2/2)

IFG-Anfrage beim Ministerium des Innern und Kommunalen (MIK)

IFG-Anfrage bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

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