EU-AgrarsubventionenDie Großen profitieren, die Kleinen sterben

Am meisten Geld gibt die EU für landwirtschaftliche Subventionen aus. Aber bei welchen Betrieben landet das Geld? Wir haben detaillierte Daten der letzten Jahre gesammelt und mit unseren nationalen wie internationalen Medienpartnern ausgewertet.

Ergebnis der EU-Subventionen: Je mehr Fläche, desto mehr Profit –

Unsplash, Montage: FragDenStaat

Halb Deutschland besteht aus landwirtschaftlichen Flächen. Auf 16,6 Millionen Hektar finden sich Äcker für Weizen, Wiesen für Obstbäume und Weiden für Vieh. Die Zahl der Landwirt:innen, die sie bewirtschaften, sinkt jedoch kontinuierlich. Etwa 3.500 Betriebe machen jährlich dicht. Es sind vor allem die kleinen bis mittelgroßen Landwirtschaftsbetriebe. Großbetriebe, die weiter bestehen bleiben, profitieren davon – nicht nur von mehr Ertragsfläche, auch von mehr Fördergeldern. 

Mehr als ein Drittel ihres Haushaltsbudgets gibt die EU jedes Jahr für Agrarsubventionen aus. Es ist der größte Posten im Haushalt – und einer der umstrittensten. Um ein Gespür für diese Summen zu bekommen, hat unser Tech Lead Stefan Wehrmeyer gemeinsam mit Arena for Journalism in Europe und dem Datenjournalist Simon Wörpel in den vergangenen zehn Jahren alle Daten zu Agrarsubventionen der EU gesammelt. Jetzt ist erstmals an einem Ort zusammengetragen, wer wie viel Geld für welchen Zweck bekommen hat.

In Kooperation mit WDR, NDR, Süddeutsche Zeitung, Correctiv, Der Standard, IrpiMedia, Reporter.lu, Reporters United, Expresso, Follow the Money und Gazeta Wyborcza haben wir die Daten aus nationalen wie internationalen Blickwinkeln analysiert. Das Ergebnis: Das Geld kommt nicht dort an, wo es von Konsument:innen und Umwelt gebraucht wird. Grund dafür ist das Verteilungssystem der EU. 

Mehr Fläche, mehr Geld

Die Verteilung der Subventionen besteht aus zwei Säulen. Die erste Säule besteht aus Direktzahlungen für Landwirt:innen,die zweite aus Förderungen für „Entwicklung im ländlichen Raum“. Letzteres ist sehr breit gefächert und umfasst in Deutschland beispielsweise auch Zahlungen an Landesministerien für den Hochwasserschutz. 

Die Direktzahlungen an Landwirt:innen sollen Verluste ausgleichen, die beim Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse entstehen; etwa aufgrund niedriger Marktpreise. Die Summe errechnet sich pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Wer also mehr hat, bekommt auch mehr. In der täglichen Arbeit macht es jedoch einen erheblichen Unterschied, wie groß ein landwirtschaftlicher Betrieb ist. Wer mehr Fläche hat, hat in der Regel entsprechende Maschinen – und benötigt somit weniger Arbeitskräfte. Meist ist auch der wirtschaftliche Ertrag höher bei großen Feldern, auf denen nur eine Pflanze wächst. 

Vom Verkauf ihrer Agrarprodukte allein können kleine Landwirt:innen nicht überleben. Sie sind von den Subventionen abhängig. Bei kleinstrukturierten Landwirtschaften besteht bis zu zwei Drittel des Einkommens aus Fördermitteln. Zugleich sind diese kleinen Betriebe essentiell, um einen Strukturwandel in der Landwirtschaft voranzutreiben.

Gemeinsam mit dem Correctiv-Datenjournalist Max Donheiser haben wir uns die Größe der Betriebe, die jährlich aus dem Subventionssystem ausscheiden, angesehen. Es zeigt sich, dass sie im Mittel kleiner sind als jene, die weiter Fördergelder erhalten. Jene, die im System bleiben, profitieren davon. Denn der Geldtopf bleibt in der Summe gleich und passt sich nicht an die Zahl der Empfänger:innen an.

Auch unsere internationalen Partner kommen für ihre jeweiligen Länder zum Schluss: Es sind die Großen, die profitieren. Diese Großbetriebe  sind es jedoch auch, die eine Transformation in der Landwirtschaft aufhalten, die es laut Wissenschaftler:innen so dringend bräuchte, um die Folgen des Klimawandels einzudämmen. 

Wie alles begann

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist einer der ältesten Politikbereiche auf europäischer Ebene. Sie trat 1962 in Kraft. Ausgangsidee war vor allem, die Produktivität der Landwirtschaften durch eine Preisgarantie anzukurbeln, um so den Nahrungsmittelbedarf im Nachkriegs-Europa sicherzustellen. Dieses Ziel wurde rasch erreicht, Europas Landwirtschaft produzierte Lebensmittel im Überschuss. Die Gewinne der Landwirt:innen stagnierten jedoch.

So kam es in den 70er Jahren zu einer Richtungsänderung, die sich stärker am wirtschaftlichen Ertrag der Betriebe als am Bedarf der Bevölkerung orientierte. Betriebe sollten größer werden und somit effizienter produzieren und zugleich günstiger verkaufen. Dieser Kurs dominiert noch heute die europäische Agrarpolitik. Das Ergebnis: Industrielle Landwirtschaft, die sich am Weltmarkt orientiert, wird honoriert. Die Verlierer sind ökologische Betriebe und die Konsument:innen.

In Deutschland wird beispielsweise mehr Schweinefleisch, Milch und Weizen erzeugt, als überhaupt gekauft oder gegessen werden kann. Dafür gibt es nicht ausreichend heimisches Obst und Gemüse. Weniger als ein Viertel des Bedarfs kann von der deutschen Landwirtschaft überhaupt gedeckt werden. All das wird dann wieder importiert. 

Das letzte Jahrzehnt hat gezeigt, dass eine Veränderung der Agrarsubventionierung essentiell ist. Um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen, müssen Arten-, Natur- und Umweltschutz in den Vordergrund stehen. Auch die russische Invasion in der Ukraine und damit einhergehende Preisschwankungen haben verdeutlicht, wie wichtig es ist, sich nicht von globalen Lieferketten abhängig zu machen und stattdessen auf regionale Produktion zu setzen. Doch an den nötigen Stellschrauben wurde nur mäßig gedreht.

Klimapolitik: gut gemeint

2014 verabschiedete die EU erstmals Regelungen, die vor allem „Klimawandel, Tierwohl, Lebensmittelsicherheit und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ berücksichtigen sollten. Das sogenannte „Greening“ wurde eingeführt. Seither müssen Auflagen wie Anbau verschiedener Pflanzen und Erhalt von Dauergrünland erfüllt werden, um überhaupt Geld von der EU zu bekommen. 

Doch wirklich gebracht hat das nichts. Eine Studie im Auftrag des vom Umweltbundesamt kommt zu einem ernüchternden Ergebnis, was sich seit 2014 durch das Greening verändert hat:

„Zwar konnte der Verlust von Flächen eingedämmt werden, jedoch hat das Greening unter anderem nicht zum Artenschutz und zur Diversifizierung der Pflanzen beigetragen. Ebenso werden viele Maßnahmen, wie das Bereitstellen von Brachen und Blühstreifen, nicht ausreichend umgesetzt. Es werden weiterhin giftige Pflanzenschutzmittel eingesetzt und es besteht weiterhin ein Stickstoffüberschuss in den landwirtschaftlichen Böden.“

Im Januar 2023 werden die Vergaberegeln für Agrarsubventionen erneuert. Grün und nachhaltig lautet nun das Credo. Die EU möchte den Anteil der Biobetriebe auf mindestens 25 Prozent anheben – Deutschland hat sich als Ziel sogar gleich 30 Prozent gesetzt. Erreicht werden soll das durch die Abschaffung der Greening-Prämie und die Einführung sogenannter Eco-Schemes, einjährige freiwillige Maßnahmen.

Um das umzusetzen, erhalten die EU-Mitgliedstaaten mehr Autonomie bei der Vergabe der Subventionen. Sie müssen „National Strategy Plans“ verfassen, die auf zuvor durchgeführten Situationsanalysen beruhen. Diese Pläne werden anschließend von der EU-Kommission geprüft und genehmigt. Die EU rät den Mitgliedstaaten, sich bei ihren Plänen an zentralen Linien des sogenannten Green Deals zu orientieren: Weniger Pestizide, mehr Grünflächen und eine Förderung zum Umstieg auf ökologische Landwirtschaft. Dies ist jedoch nicht verpflichtend.

Nachdem die Mitgliedsstaaten ihre Pläne eingereicht hatten, war die EU-Kommission selbst wenig überzeugt vom Erfolg der Reform. In internen Briefen aus dem Sommer 2022, die von der NGO Arc2020 veröffentlicht wurden, schreibt sie von wenig zufriedenstellenden Ergebnissen. Das System habe sich hinsichtlich einer umweltschonenden Landwirtschaft kaum verbessert. 

Ein bisschen grüner, mehr nicht

Noch düsterer als das Urteil der EU, fällt jenes der Öko-Landwirt:innen aus. „Klimawandel und Artensterben zeigen uns in dramatischer Weise, wie dringend wir eine Transformation der Landwirtschaft brauchen. Aber förderpolitisch stecken wir quasi immer noch in der Nachkriegszeit, als nach den Hungerjahren allein der höchste Ertrag im Mittelpunkt stand – ohne Rücksicht auf Verluste”, sagt Hubert Heigl, Präsident des Verbandes für ökologischen Landbau Naturland und selbst von der konventionellen auf die ökologische Landwirtschaft umgestiegen. „Wir brauchen eine Förderpolitik, die den Schutz unserer Lebensgrundlagen in den Mittelpunkt stellt.“

Selbst das Bundeslandwirtschaftsministerium sah in der jüngsten Vergangenheit Handlungsbedarf. Die Vorgängerregierung sei dem Prinzip „wachse oder weiche” gefolgt, schreibt ein Ministeriumssprecher auf Anfrage Dies habe dazu geführt, dass immer mehr kleine Betriebe aufgegeben hätten. Zwischenzeitlich habe die Politik aber reagiert und nachjustiert, heißt es jetzt. Man unterstütze den „notwendigen Transformationsprozess der Landwirtschaft” und fördere eine „eine ökologisch-nachhaltige Agrarwirtschaft“. 

Diesem positiven Fazit kann der Präsident von Landbau Naturland wenig abgewinnen. Laut Hubert Heigl würden die neuen Richtlinien keine Verbesserung bringen, sondern nur die Schäden der konventionellen Landwirtschaft minimal eingrenzen. Ökologische Betriebe wären weiterhin finanziell benachteiligt. „Das System ist maximal darauf ausgerichtet, die konventionelle Landwirtschaft vielleicht ein bisschen grüner zu machen. Es wird aber kein aktiver Anreiz zum Umstieg auf ökologische Landwirtschaft gesetzt“, sagt Heigl. 

Es ist kompliziert

Über die Jahre ist das System der Agrarsubventionen immer komplexer geworden. Sich einen Überblick zu verschaffen, fühlt sich an, als würde man eine Steuererklärung für ein komplexes Firmengeflecht einreichen müssen – mit lauter Schlupflöchern, die man nicht kennt. Zudem steht keine:n Steuerberater:in zur Seite, sondern man muss diese Schreibtischarbeit zwischen dem Stallgang morgens, dem Bestellen der Felder nachmittags und dem Stallgang abends einbauen.

„Es ist einfach irrsinnig viel Steuergeld, das da ausgegeben wird. Und es profitieren vor allem Großgrundbesitzer“, sagt Karl Bär, der für die Grünen im Bundestag sitzt. „Die Reformen der letzten Jahre haben weder den Strukturwandel gestoppt, noch die Umweltprobleme gelöst, sondern das System noch komplexer und noch bürokratischer gemacht." Sein Vorschlag ist daher, das System der Direktzahlungen, die über die Hektar Landfläche berechnet werden, abzuschaffen. Stattdessen sollten nur noch Höfe und Projekte gefördert werden, die wirklich einen Beitrag zu Klima- und Umweltschutz leisten.

Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium, seit dieser Wahlperiode unter Grüner Leitung, richtet den Blick dahingehend auch in die Zukunft und antwortet auf eine Presseanfrage: „Zudem wird die europäische Förderpolitik mit Blick auf die nächste Förderperiode ab 2027 auf den Prüfstand gestellt, um das System der Direktzahlungen durch die Honorierung von Klima- und Umweltleistungen angemessen zu ersetzen.“ 

Wie viele kleine Höfe bis dahin den Betrieb einstellen müssen, bleibt unklar. 

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Die Daten zu Farmubsidy.org sind in den vergangenen Jahren von FragDenStaat in Kooperation mit Arena for Journalism in Europe gesammelt worden und wurden nun gemeinsam analysiert von NDR, WDR, Süddeutscher Zeitung, CORRECTIV, Der Standard, IrpiMedia, Reporter.lu, Reporters United Greece, Expresso, Follow The Money und Gazeta Wyborcza. 

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