AusländerbehördenDas bürokratische Chaos

Schon seit Jahren stehen Ausländerbehörden in der Kritik – zu langsam, zu chaotisch. Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale haben wir diese Behörden unter die Lupe genommen.

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Papier, Papier und noch mehr Papier –

CC0, Dall-E, eigene Bearbeitung

Papierstapel, ewige Wartezeiten und lange Warteschlangen – es sind diese Bilder, mit denen deutsche Ausländerbehörden immer wieder in den Schlagzeilen landen. Die Kritik: Ausländerbehörden seien überlastet und kämen ihren Aufgaben nicht mehr hinterher. 

Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale haben wir in den letzten Monaten das „System Ausländerbehörden“ unter die Lupe genommen. Mithilfe zahlreicher Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) haben wir über 1.000 interne Dokumente erhalten und ausgewertet. Das Ergebnis verdeutlicht: Hinter den Ausländerbehörden steckt ein bürokratisches Chaos – mit weitreichenden Folgen für diejenigen, die von den Ausländerbehörden abhängig sind. 

Wer einen deutschen Pass oder den Pass eines anderen EU-Mitgliedstaates hat, wird mit Ausländerbehörden bisher wenig oder gar nicht in Berührung gekommen sein. Denn Ausländerbehörden sind zuständig für Drittstaatsangehörige, die etwa beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asyl beantragt haben, hierzulande studieren oder arbeiten wollen. 

Dafür braucht es einen sogenannten Aufenthaltstitel, eine schriftliche Bestätigung, dass man in Deutschland bleiben kann. Der Aufenthaltstitel wird von der Ausländerbehörde erteilt, entsprechende Papiere ausgestellt und verlängert. Im Falle einer negativen Asylentscheidung des BAMF, sind Ausländerbehörden auch dafür zuständig Abschiebungen zu planen. 

Bürokratische Zwischenwelt

Aufenthaltstitel sind grundsätzlich zeitlich begrenzt. Eine Verlängerung muss man persönlich bei einer Ausländerbehörde beantragen. Jedoch kann man im Amt nicht unangekündigt aufkreuzen, sondern braucht einen Termin – und die sind rar. Das führt dazu, dass Menschen ihren Aufenthaltstitel verlieren. 

Als vermeintliche Lösung des Problems haben die Behörden eine bürokratische Zwischenwelt geschaffen, die „Fiktionsbescheinigungen“. Dabei handelt es sich um eine Bestätigung dafür, dass der Aufenthaltstitel gerade bürokratisch nicht abgewickelt werden kann, weil beispielsweise kein regulärer Termin frei ist. So eine Fiktionsbescheinigung bringt jedoch einige Nachteile für den Alltag von Drittstaatsangehörigen. 

„Fiktionsbescheinigungen besitzen in der Regel nur eine Gültigkeit von wenigen Monaten“, erklärt Marcel Keienborg, Anwalt für Migrationsrecht in Düsseldorf. Deshalb seien sie eine große Hürde, um eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden, weil viele Vermieter:innen oder Arbeitgeber:innen eine baldige Abschiebung befürchten. Zudem müssen Fiktionsbescheinigungen wegen ihrer kurzen Gültigkeit häufig verlängert werden. Dabei komme es häufig zu Schwierigkeiten, sodass Menschen dann ganz ohne gültige Papiere dastehen, sagt Keienborg. „Das kann beispielsweise dazu führen, dass das Jobcenter die Leistungen einstellt und die Betroffenen ohne Geld und Krankenversicherung dastehen.“ 

Was ein Hilfsmittel für den Ausnahmefall sein soll, scheint bei den Ausländerbehörden zur Regel geworden zu sein. Im Frühjahr 2022 wurden so viele Fiktionsbescheinigungen ausgestellt, dass die Bundesdruckerei sie nicht mehr ausstellen konnte: 

„Gleichwohl erreichte das TMMJV [Thüringische Migrationsministerium] erst kürzlich die Information, dass auch in weiteren Thüringer Landkreisen und kreisfreien Städten Engpässe an Trägervordrucken der Fiktionsbescheinigungen bestehen, bei der Bundesdruckerei aufgegebene Bestellungen noch nicht bedient wurden und die Ausländerbehörden daher teilweise über keinerlei Vordrucke mehr verfügen.“

Auf unsere Nachfrage schreibt die Bundesdruckerei, sie habe im Mai und Juni aufgrund einer „sehr hohen Bestellmenge bei den Vordrucken für Fiktionsbescheinigungen” nur die „Mindestmenge“ liefern können. 

Suizidgefährdet und abschiebefähig

Wenn das BAMF entscheidet, dass eine Person kein Asyl oder eine subsidiären Schutz bekommt, sind die Ausländerbehörden dafür verantwortlich, diese Entscheidung umzusetzen. Sie muss zuallererst aber prüfen, ob eine Person abschiebefähig ist oder nicht.  

Laut Aufenthaltsgesetz darf ein Mensch nämlich nicht abgeschoben werden, wenn im Zielland eine „erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht“ oder „lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen (...) sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden“. 

Wer suizidgefährdet ist, fällt jedoch nicht unter diese Ausnahmeregelung. So steht es in einer Weisung des Bundesinnenministeriums. Vielmehr sei die Abschiebung dann „ggf. so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann, z.B. durch ärztliche Begleitung auf dem Abschiebeflug“. Eine solche ärztliche Betreuung endet am Zielort des Abschiebeflugs – die Suizidgefährdung hingegen nicht. 

Für die Statistik „entbehrlich“

Immer wieder kommt es zu Fällen, bei denen die Abschiebebehörden Familien mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen, zum Flughafen bringen und abschieben. Immer wieder werden diese Fälle auch vor Gericht ausgefochten. Im Aufenthaltsgesetz steht zwar, dass die Wohnung „zur Nachtzeit“ betreten werden dürfe, wenn „Tatsachen vorliegen“, dass die Person ansonsten nicht erfasst werden könnte - jedoch auch, dass eine solche Praxis nicht zur Regel werden sollte. 

Ob sie zur Regel wird, wird in Thüringen schwerer nachzuvollziehen sein. Denn das Innenministerium in Thüringen schreibt in einer Weisung an die entsprechenden Ausländerbehörden, dass der Aspekt „Abholung Familie/Nacht“ in der staatlichen Abschiebestatistik „entbehrlich“ sei und deshalb nicht mehr erfasst werden solle. Die Öffentlichkeit kann so kaum noch nachvollziehen, ob nächtliche Abschiebungen regelmäßig stattfinden.

Keine Antwort, dafür Fesseln

Doch nicht von allen Behörden haben wir Antworten auf unsere IFG-Anfragen bekommen. Das Bundesinnenministerium erklärte, die Bearbeitung unserer Anfrage würde zehn Monate in Anspruch nehmen. Das Saarland schreibt, dass es seine Weisungen nicht entsprechend sortiert habe. Und auch in Nordrhein-Westfalen lässt man sich mit einer finalen Antwort viel Zeit - obwohl diese interessant sein könnte. 

Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtling und Integration habe im Dezember 2021 empfohlen, Mitarbeitende mit „Hand- und Fußfesseln (Stahl) als Führungs- und Einsatzmittel“ auszustatten, hieß es in einer kleinen Anfrage. Diese Empfehlung wurde tatsächlich umgesetzt. Auf Nachfrage schreibt das Ministerium, dass „in der Regel“ die Ausländerbehörden mit „Hand- und Fußfesseln aus Stahl sowie mit Klettband ausgestattet“ sind. Das gilt auch in Hamburg, wie wir über eine Presseanfrage erfahren haben. 

Über die Weihnachtszeit haben fast alle Bundesländer einen Abschiebestopp verhängt. Das Chaos pausiert für anderthalb Wochen. 2023 geht es weiter. 

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Behörden lehnen Anfragen oft solange ab, bis Klage eingereicht wird. Danach geht es dann aber ganz schnell. Eine teure Verzögerungstaktik auf Kosten der Allgemeinheit.