100 Milliarden Euro RüstungsbudgetBundeswehr-Sondervermögen geht vor Gericht

Wie kam es zur „Zeitenwende“? Die Bundesregierung hält sämtliche Dokumente zur Entscheidung um das Sondervermögen für die Bundeswehr geheim. Wir ziehen vor Gericht.

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eigene Bearbeitung, Original: O. Scholz Von Bernhard Ludewig, CC BY 2.0

Drei Tage Bedenkzeit für 100 Milliarden Euro: unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz heute vor einem Jahr im Bundestag an, ein Sondervermögen für die Bundeswehr zu schaffen. Der Bundestag beschloss nach einigen weiteren Verhandlungen eine Grundgesetzänderung, die den Geldsegen für die deutsche Armee besiegelte. Selten zuvor besiegelte die deutsche Bundesregierung in so kurzer Zeit einen derart offensiven Politik-Umschwung.

Aber wie genau kam es zu dieser „Zeitenwende“? Welche Interessen berücksichtigte das Kanzleramt unter Scholz? Wen bezog das Amt in die Entscheidung ein und wen nicht? All das hält Scholz’ Behörde geheim. Deswegen ziehen wir jetzt mit einer Transparenzklage vor Gericht.

Geheim, was geheim ist

Das Kanzleramt möchte sogar geheim halten, welche E-Mails, Vermerke und andere Dokumente ihm zum Bundeswehr-Sondervermögen überhaupt vorliegen. In einem internen Vermerk, den wir im Rahmen der Klage einsehen konnten, schreiben die Beamten: „Vielmehr sollte offen gelassen werden, ob und ggf. welche Informationen vorliegen. Auch aus der Information über das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein bestimmter Informationen/Unterlagen könnten gegebenenfalls Rückschlüsse gezogen werden, die die o.g. Schutzgüter [zur Sicherheit] beeinträchtigen könnten.“

Unsere Klage hat – auch aus Sicht des Kanzleramts – grundsätzliche Bedeutung. Die Ablehnung unseres Antrags wurde vom Chef des Kanzleramts sowie der Leiterin des Kanzleramts genehmigt. In internen Mails schreibt die Behörde, es gehe bei der Beantwortung der Anfrage zum Sondervermögen auch darum, wie man mit allen anderen Anfragen zum Thema Ukraine umgehe – beispielsweise zu Sanktionslisten, Hilfsmaßnahmen an die Ukraine oder Treffen des Bundeskanzlers zum Krieg.

Im Rahmen unserer Klage muss das Berliner Verwaltungsgericht also auch eine Grundsatzentscheidung treffen, ob das Krisenmanagement des Kanzleramts an seiner Tradition der Geheimhaltung festhalten darf, oder ob die Bundesregierung auch in Sachen Transparenz eine Zeitenwende braucht.

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Wolfram Günther * Dr. Simon Schuster Bernhard-Göring-Straße 152 04277 Leipzig (im Haus der Demokratie) Tel.: 0341 / 306 51 60 Fax: 0341 / 306 51 62 Bernhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig 29.08.2022 Verwaltungsgericht Berlin www.anwaltskanzlei-guenther.de Kirchstraße 7                                                           info@anwaltskanzlei-guenther.de Bank: GLS Gemeinschaftsbank eG 10557 Berlin                                                            IBAN: DE67 4306 0967 1049 6273 00 BIC: GENODEM1GLS * Die Tätigkeit ist gem. § 47 BRAO seit dem 20.12.2019 ruhend gestellt. via beA An das Verwaltungsgericht Berlin In der Verwaltungsstreitsache des Arne Semsrott, c / o Open Knowledge Foundation e.V., Singerstraße 109, 10179 Ber- lin - Kläger - Prozessbevollmächtigter: Günther│Schuster Rechtsanwaltskanzlei, Bernhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig gegen die Bundesrepublik Deutschland, Willy-Brnadt-Straße 1, 10557 Berlin, vertreten durch das Bundeskanzleramt - Beklagte - erheben wir Namens des Klägers und ausweislich der in Kopie beigefügten Vollmacht Seite 1 von 4
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Klage Wegen:                  Anspruch auf Informationserteilung Wert vorläufig:         5.000 EUR und werden beantragen, wie folgt zu erkennen: 1.     Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21. April 2022, Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2022, Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041, wird aufgehoben. 2.     Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den Zugang zu den von ihm mit Antrag vom 28. Februar 2022 begehrten Informationen zu gewähren. BEGRÜNDUNG: Der Kläger hat Anspruch auf die mit Informationszugangsantrag vom 28. Februar 2022 begehrten Informationen nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Ausnahmegründe liegen nicht vor. Jedenfalls aber genügt der Beklagte nicht seiner Darlegungslast. Er kann den Antrag nicht mit Verweis darauf ablehnen, dass eine genaue Prüfung, ob und welche Unterlagen zu dem abgefragten Vorgang vorhan- den seien, nicht notwendig sei, da ohnehin für alle Unterlagen Ausnahmegründe vorlägen. Darauf kann sich der Beklagte auch nicht mit dem Hinweis berufen, alleine schon die Kenntnis, welche Unterlagen überhaupt zu dem Vorgang vorhanden seien, würde unabhängig von der Unterlage und dessen Inhalt schon stets von den ge- nannten Ausnahmetatbeständen erfasst sein. Sachverhalt Der Kläger begehrt von der Klägerin Zugang zu Informationen gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Der Kläger ist als freier Journalist und als Projektleiter der von der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebenen Plattform FragDenStaat.de tätig. Im Rahmen dieser Aktivitäten setzt sich der Kläger für Transparenz bei öffentlichen Stellen ein, um eine öffentliche Debatte und Kontrolle staatlicher Stellen zu ermöglichen und zu fördern. Seite 2 von 4
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Die Beklagte ist Rechtsträgerin des Bundeskanzleramts. Nach dem Beginn des Angriffs- kriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine bezog der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 in einer Sondersitzung des Bundestags dazu Stellung. Er sprach von einer Zeitenwende und kündigte zahlreiche Maßnahmen an. Mit Antrag vom 28. Februar 2022 begehrt der Kläger vom Beklagten Zugang zu Infor- mationen und verlangte die Zusendung folgender Unterlagen: - sämtliche Dokumente, die in Verbindung mit der Entscheidung des Bundeskanz- lers stehen, ein Sondervermögen für die Bundeswehr zu bilden und den Verteidi- gungsetat auf mehr als 2 % des BIP zu erhöhen, insbesondere Vermerke, Gutach- ten, Vorlagen, Sprechzettel, Entwürfe der Rede des Bundeskanzlers im Bundestag am 27.02.2022, Kommunikation innerhalb des BKamt sowie mit anderen Behörden und Dritten, darunter auch SMS, Whatsapp-, Signal- und vergleichbare Kurznach- richten. Beweis:     Informationszugangsantrag des Klägers vom 27. Februar 2022, An- lage K 1. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2021, Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041 unter Bezugnahme auf die Versagungsgründe aus §§ 3 Abs. 1 Nr. 1b, 1c, Nr. 2, 3b sowie Nr. 4 IFG ab. Beweis:     Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 21. April 2022 (Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041), Anlage K 2. Zu Beginn der Begründung heißt es einleitend, dass schon offenbleiben könne, ob über- haupt antragsgegenständliche Informationen im Bundeskanzleramt vorhanden seien. Dem Informationsbegehren stünden – unabhängig davon – jedenfalls die oben genann- ten Ausschlussgründe entgegen. Am 26. April 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. Beweis:     Widerspruchsschreiben des Klägers vom 26. April 2022, Anlage K 3. Zur Begründung wird ausgeführt, dass nur pauschal auf einige Ausnahmetatbestände verwiesen worden sei. Das Vorliegen der Ausnahmetatbestände sei aber nicht anhand vorhandenen Aktenbestände plausibilisiert worden. Andernfalls wären die Ausführungen nicht pauschal begründet worden. Der Vortrag, dass durch die Offenlegung die genann- ten Ausnahmetatbestände verwirklicht sein, sei daher eine bloße, in der Form nicht plau- sibilisierte Behauptung. Den Widerspruch lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2022 ab. Danach sei die Ablehnung des Informationszugangsantrag rechtmäßig erfolgt. Bereits Seite 3 von 4
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aus dem Vorhanden- oder Nichtvorhandensein bestimmter Informationen/Unterlagen könnten Rückschlüsse gezogen werden, die die vorstehenden genannten Schutzgüter beeinträchtigen könnten. Verwiesen wird auf interne Abläufe und die Meinungsbildung innerhalb des Bundeskanzleramtes und der Bundesregierung in ähnlichen Krisensitua- tionen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen aus dem Ablehnungsbescheid Bezug ge- nommen. Beweis: Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 30. Juli 2022(Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041), Anlage K 4. Weitere Ausführungen und die rechtliche Begründung bleiben einem weiteren Schrift- satz vorbehalten. Dr. Simon Schuster (Rechtsanwalt) Anlagen: -   Vollmacht des Klägers. -   Informationszugangsantrag des Klägers vom 28. Februar 2022, Anlage K 1. -   Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21. April 2020 (Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041), Anlage K 2. -   Widerspruchsschreiben des Klägers vom 26. April 2022, Anlage K 3. -   Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 30. Juli 2022 (Az.: 123 IFG – 02814 – In 2022 / NA 041), Anlage K 4. Seite 4 von 4
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Dozent mit rechter Vergangenheit Verfassungsschutz überprüft Polizeiprofessor

Seit seine rechte Vergangenheit öffentlich ist, darf ein Politikwissenschaftler keine Polizist*innen mehr unterrichten. Nun rücken auch aktuelle Texte in den Blick der Behörden.