10.000 Euro Kosten für Null Information
Baden-Württembergs Innenministerium will uns keine Dokumente über Polizisten geben, die im Ku-Klux-Klan aktiv waren. Stattdessen will das Innenministerium jetzt von uns viel Geld. Deshalb klagen wir.

Rund 140 Arbeitsstunden will Baden-Württembergs Innenministerium benötigt haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass es einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ablehnt – die Rechnung dafür sollen wir jetzt zahlen. Wir gehen juristisch dagegen vor.
Im Juni 2022 hatten wir vom Innenministerium Dokumente zu drei Polizisten angefordert, die nachweislich Mitglieder des deutschen Ablegers des Ku-Klux-Klans waren – darunter der Dienstvorgesetzte der durch den NSU ermordeten Michèle Kiesewetter. Der Fall war im Zuge der NSU-Ermittlungen publik geworden und beschäftigte damals auch einen Untersuchungsausschuss des Landtags.
Mehr als drei Monate nach unserer Anfrage erhielten wir vom Ministerium zwar keine Informationen, jedoch eine Rechnung: Demnach hätte eine Person fast einen ganzen Monat nichts anderes gemacht, als diesen einen Antrag zu bearbeiten. Dadurch angefallene Personalkosten laut Innenministerium: 9.460 Euro. Zusätzlich seien auch noch „Sachkosten“ angefallen. Insgesamt 519,20 Euro. Wofür genau das Innenministerium so viel Geld ausgegeben hat, ist unklar. Es soll also rund 10.000 Euro gekostet haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass wir Dokumente haben wollen, die das Innenministerium gar nicht hat oder nicht herausgeben muss.
IFG-Gebühren: Sonderfall Baden-Württemberg
Diese Kosten will das Innenministerium uns nun zumindest zum Teil in Rechnung stellen: 500 Euro sollen wir für den Ablehnungsbescheid zahlen. Um unser Recht auf Informationszugang zu berücksichtigen, das „nicht durch die Erhebung von Gebühren übermäßig beeinträchtigt werden soll“, habe man sich auf diesen Betrag beschränkt, schreibt das Innenministerium dazu. Dass es überhaupt möglich ist, eine Rechnung für eine IFG-Anfrage zu bekommen, obwohl die Behörde die Anfrage ablehnt, ist nicht nur fraglich, sondern auch eine Besonderheit, die wir bisher nur in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt erlebt haben.
Im Wortlaut des baden-württembergischen Informationsfreiheitsgesetz findet sich gar keine Angabe, wie bei einer abgelehnten Anfrage mit Gebühren umzugehen ist. Eher spricht das Gesetz dafür, in solchen Fällen keine Gebühren zu erheben. Denn Gebühren dürfen laut Gesetz keine abschreckende Wirkung haben. Außerdem ist das baden-württembergische IFG im Paragraphen zur Ablehnung von Anfragen wortgleich zum Bundes-IFG, zu dem die einhellige Rechtsmeinung herrscht, dass abgelehnte Anfragen gebührenfrei sein müssen.
Innenministerium widerspricht Innenminister
Neben der Gebührenfrage hat dieser Fall eine weitere Dimension. Denn dass wir das Ministerium nach diesen Unterlagen gefragt haben, geht auf eine Aussage des Behördenleiters zurück. Im letzten Jahr gab Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) interne Unterlagen aus einer Untersuchung gegen einen ranghohen Polizisten an einen Journalisten. Später erklärte der Innenminister über seinen Anwalt, er sei wegen Transparenz- und Pressegesetzen sogar dazu verpflichtet gewesen, die Dokumente weiterzugeben.
Einen so vehementen Einsatz für Informationsfreiheit können wir nur begrüßen und haben daher geprüft, ob das Innenministerium den selbsterklärten Transparenzrichtlinien des Behördenchefs folgt. Deshalb haben wir nicht nur selbst auch noch einmal jene Dokumente angefordert, die Innenminister Strobl weitergegeben hatte, sondern versuchsweise auch Unterlagen aus anderen internen Ermittlungen gegen Polizisten in einem besonders brisanten Fall: jene baden-württembergischen Polizeibeamte, die im Ku-Klux-Klan aktiv waren. Die angeforderten Dokumente erhielten wir allerdings in keinem der Fälle.
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2 A. Sachverhalt Der Kläger wendet sich gegen den Kostenbescheid des Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg (Innenministerium), mit dem Gebühren für die Ablehnung eines Auskunftsersuchens in der maximalen Höhe von 500 Euro festgesetzt wurden. Im Mai des Jahres 2022 gab der Minister des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden- Württemberg Thomas Strobl im Innenausschuss des Landtags von Baden-Württemberg an, ei- nen Brief des Anwalts, der den vom Dienst suspendierten Polizeiinspektor des Landes Baden- Württemberg vertritt, an die Presse weitergegeben zu haben (https://www.swr.de/swraktuell/ba- den-wuerttemberg/affaere-thomas-strobl-was-bisher-geschah-100.html). Gegen den Polizeiin- spektor läuft ein Disziplinarverfahren, weil er versucht haben soll, eine Kollegin zum Sex zu über- reden und dabei darauf hingewiesen habe, dass er über ihre Beförderung entscheide. Ende Mai rechtfertigte der Innenminister sein Handeln damit, dass er sowohl nach dem Landespressege- setz als auch nach dem Baden-Württemberger Informationsfreiheitsgesetz dazu verpflichtet ge- wesen sei, den Informationsanspruch des Journalisten zu erfüllen (https://www.tagesspie- gel.de/politik/innenminister-strobl-holt-sich-hilfe-von-berliner-medienanwalt-4334617.html). Zu diesem Ergebnis sei sein Anwalt, der Medienrechtler Christian Schertz, gelangt. Dies bildet den Hintergrund des Antrags des Klägers. Der Kläger ist Journalist für das Projekt „Frag den Staat“ der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. Mit E-Mail vom 1. Juni 2022 (VV Bl. 3) bat der Kläger das Innenministerium ihm Zugang zu den folgenden Informationen zu gewähren: — Sämtliche Unterlagen (insbesondere juristische bzw. anwaltliche Korrespondenz) aus den Disziplinarverfahren zu den drei Beamten der Polizei Baden-Württemberg, die nachweis- lich Mitglied des deutschen Ablegers des Ku-Ku-Klans waren – darunter der Dienstvor- gesetzte der durch den NSU ermordeten Michèle Kiesewetter — Sämtliche weiteren vorhandenen Unterlagen zu dem Fall (z.B. Protokolle über erfolgte Gefährderansprachen, interne Korrespondenz von untergeordneten Behörden, Untersu- chungsberichte etc.) Der Kläger stützte seinen Antrag unter anderem ausdrücklich auf das Landesinformationsfrei- heitsgesetz und das Landespressegesetz des Landes Baden-Württemberg. Er ging dabei davon aus, dass sein Informationsbegehren dem Begehren des Journalisten gleiche, der die angefrag- ten Informationen im Falle des Polizeiinspektors trotz eines laufenden Disziplinarverfahrens durch

3 den Innenminister erhalten hatte und deshalb auch sein Informationsanspruch durch das Minis- terium erfüllt werden würde. Mit E-Mail vom 10. Juni 2022 (VV Bl. 1) teilte der Ministeriumsmitarbeiter vom Referat 35 seinem Kollegen vom Referat 32 mit, dass ein ca. 10 cm hoher Stapel an Unterlagen im Referat 35 vorhanden sei. Wegen des NSU-Untersuchungsausschusses rechne man mit einem Schwerpunkt der Unterlagen bei Referat 32. Mit E-Mail vom 20. Juni 2022 (VV Bl. 33) bat die Ministeriumsmitarbeiterin ihre Kollegin vom Referat 32 um die Übernahme der Bearbeitung des Antrags. Mit Schreiben vom 27. Juni 2022 (VV Bl. 74) teilte der Beklagte mit, dass er vor dem Hintergrund eines erhöhten Verwaltungsaufwandes beabsichtige, dem Kläger gemäß § 10 Abs. 1 und 2 LIFG BW in Verbindung mit § 1 GebVO IM und Ziffer 20.3.2 des Gebührenverzeichnisses des Innen- ministeriums Kosten in Höhe von 500 Euro in Rechnung zu stellen. Gleichzeitig forderte er den Kläger dazu auf, sich innerhalb eines Monats darüber zu erklären, ob er den Antrag weiterverfol- gen möchte. Mit Schreiben vom 4. Juli 2022 (VV Bl. 77) teilte der Kläger dem Ministerium mit, dass er auch angesichts der voraussichtlichen Verwaltungskosten an seinem Antrag festhalte. In der Folge nahm die Mitarbeiterin des Beklagten umfangreiche Schwärzungen vor (Bl. 78) und beteiligte mehrere Referate (VV Bl. 78, 88, 95, 98, 105, 113, 121, 122, 130, 132, 161, 163, 190, 203, 229, 240, 251, 272, 294) sowie das Landeskriminalamt (VV Bl. 86, 138, 154, 180, 198) und andere Polizeidienststellen (VV Bl. 144, 172, 177, 188) umfassend. Auch in der Zulieferung von Referat 35 wurden Schwärzungen vorgenommen (VV Bl. 133). Mit E-Mail vom 22. August 2022 (VV Bl. 215) verschickte das Referat 32 einen Entwurf für ein Antwortschreiben zur Mitzeichnung an die Referate 25, 35 und 66 (42). Der Entwurf sah eine teilweise Stattgabe vor. Nach dem Entwurf sollten Gebühren in Höhe von 500 Euro festgesetzt werden. Dies wurde mit einem Aufwand von 101 Stunden begründet (VV Bl. 223). Am 31. August 2022 fand eine Besprechung der Mitarbeiter*innen , und statt (vgl. VV Bl. 294, 313). Im Nachgang überarbeitete die Mitarbeiterin den Bescheid und griff die „gemeinsam gefundene Argumentationslinie zur Ablehnung des LIFG Antrags“ auf (VV Bl. 313). Der Entwurf sah nunmehr eine vollständige Ablehnung vor.

Begründet wurde dies im Kern damit, dass sämtliche Informationen, personenbezogene Daten seien (VV Bl. 317 ff). Auf die Gebührenerhebung sollte nunmehr „unter Berücksichtigung der ‚Ablehnung dieses Antrags“ verzichtet werden. Der Aufwand wurde auf über 140 Stunden beziffert (W BI. 320). Es folgten weitere Abstimmungen, u.a. zu den Kosten (VV Bl. 321, 332, 341, 346, 370, 399). Zuletzt sah der Entwurf zwei Alternativen vor. Nach einer Alternative sollten Gebühren in Höhe von 500 Euro erhoben werden. Nach der anderen Alternative sollte auf die Gebühren verzichtet werden (VV Bl. 390, 397 f.). In einer E-Mail vom 2. September 2022 äußerte die Mitarbeiterin N ie Bitte, cas Ant- wortschreiben „nach der Mitzeichnung von 66 an Bernd zur Schlusszeichnung und Entscheidung über die Gebührenerhebung“ zu versenden. An I | äußerte sie die Bitte, sie „für unsere Emp- fehlung/Votum zur Gebührenerhebung“ anzurufen (VV Bl. 370). Im vorliegenden Verwaltungsvorgang ist weder eine Empfehlung oder ein Votum noch eine Ent- scheidung oder Schlusszeichnung von Bu (gemeint ist wahrscheinlich BEE der of- fenbar eine Leitungsfunktion innehatte) enthalten. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Unterlagen nachträglich dem Verwaltungsvorgang entnommen wurden und/oder eine wei- tere Akte existiert. Es wird angeregt, den Beklagten zur Vorlage der fehlenden Unterlagen aufzufordern. Mit Schreiben vom 6. September 2022 (Anlage K1, VV Bl. 399 ff.) lehnte der Beklagte den Antrag ab. Mit Ziffer 2 des Bescheids traf er eine Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers und setzte Gebühren in Höhe von 500 Euro fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Kostenent- scheidung beruhe auf $ 10 Abs. 1 LIFG und $ 4 Abs. 2 Landesgebührengesetz (LGebG) in Ver- bindung mit $ 1 der Gebührenverordnung des Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen und Nr. 1.1 des Gebührenverzeichnisses (Anlage der Gebührenverordnung Ministe- rium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen). Der Personalaufwand für die Bearbeitung des Antrags, insbesondere für eine umfangreiche Recherche in den Akten zur Vorlage an die Untersuchungsausschüsse NSU I und NSU Il und deren Prüfung, habe 140 Stunden betragen. Nach der Verwaltungsvorschrift des Finanzministeriums über die Berücksichtigung der Verwal- tungskosten insbesondere bei der Festsetzung von Gebühren und sonstigen Entgelten für die

5 Inanspruchnahme der Landesverwaltung (VwV-Kostenfestlegung) würde für diesen Verwaltungs- aufwand eine Gebühr in Höhe von 9.460 Euro für die Personalkosten und 519,20 Euro für die Sachkosten angesetzt werden. Aufgrund des angefallenen Arbeitsaufwands sei die Gebühr unter besonderer Berücksichtigung des Rechts auf Informationszugang auf den maximalen Betrag von 500 Euro festgesetzt worden. Der Kläger bat mit Schreiben vom 8. September 2022 um die Vermittlung des Landesbeauftrag- ten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg und monierte insbe- sondere die Kostenentscheidung. Eine Antwort hat er noch nicht erhalten. Am 6. Oktober 2022 erhob der Kläger Klage. ██████████████████████████████████████████ (IM)“, in der sie Ausführungen zu den Gebühren und zum Aufwand machte (VV Bl. 451). Im Ver- waltungsvorgang befindet an dieser Stelle auch eine „Auflistung Arbeits- und Zeitaufwand“, die für das Innenministerium 109 Stunden ghobener Dienst und 79 Stunden höherer Dienst, für das Landeskriminalamt 5 Stunden gehobener Dienst, 4,5 Stunden höherer Dienst ausweist (VV Bl. 452). B. Rechtliche Würdigung Die Klage ist zulässig und begründet. I. Zulässigkeit Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage. Eine isolierte Anfechtung der Gebührenentscheidung ist möglich, da sie ein eigenständiger Ver- waltungsakt ist (BeckOK InfoMedienR/Beyerbach, 36. Ed. 1.11.2021, LIFG BW § 10 Rn. 11). § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 LGebG BW sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, die Gebührenentschei- dung selbständig anzufechten. Das Vorverfahren ist nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO entbehrlich.

6 Der Bescheid ging dem Kläger am 6. September 2022 per E-Mail zu. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO endete somit frühestens am 6. Oktober 2022. Die Klage wurde daher fristge- mäß am 6. Oktober 2022 eingereicht. II. Begründetheit Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Innenministeriums vom 8. Sep- tember 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit darin eine Gebühr in Höhe von 500 Euro festgesetzt worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Gebühr liegen nicht vor. Der von dem Beklagte an- geführte Gebührentatbestand ist nicht erfüllt, weil Ablehnungsbescheide generell nicht gebühren- pflichtig sind (dazu unter 1.) und im konkreten Fall eine falsche Rahmengebühr zugrunde gelegt wurde (dazu unter 2.). Darüber hinaus leidet die Kostenentscheidung unter Ermessensfehlern (dazu unter 3.) und ist insgesamt unbillig im Sinne des § 11 Abs. 2 LIFG BW (dazu unter 4.). 1. Keine Gebühren für Ablehnungen Der Tatbestand der vom Innenministerium ins Feld geführten Rechtsgrundlage ist nicht erfüllt, da die Ablehnung eines Antrags an sich nicht gebührenpflichtig ist. Hinsichtlich des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes nimmt die herrschende Meinung an, dass nur die Stattgabe des Antrags und die tatsächliche Gewährung des Informationszugangs gebührenpflichtig ist, auch wenn das im Wortlaut des § 10 IFG (Bund) nicht hinreichend zum Ausdruck kommt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.11.2014 – 12 B 14.13, Rn. 36; BMI GMBl. 2005, 1346 (1349); BeckOK InfoMedienR/Sicko, 36. Ed. 1.5.2022, IFG Bund § 10 Rn. 29a; BeckOK InfoMedienR/Beyerbach, 37. Ed. 1.11.2021, LIFG BW § 10 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen). Eine Stütze findet diese Ansicht in der Gesetzesbegründung, nach der bei Ableh- nung des Antrags keine Gebühren erhoben werden dürfen (BT-Drs. 15/4493, 16). Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 LIFG BW gleicht dem des § 10 Abs. 1 IFG (Bund) bis auf die konditionale Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge, sodass die zu § 10 Abs. 1 IFG (Bund) entwickelte Dogmatik grundsätzlich auf die Landesnorm übertragbar ist. Zudem gibt auch der Landesgesetzgeber einen Hinweis auf die Kostenfreiheit eines Ablehnungsbescheids. In der Ge- setzesbegründung zu § 10 Abs. 1 LIFG BW heißt es, dass den Gemeinden und Gemeindever- bänden – im Gegensatz zu den Stellen des Landes – die Möglichkeit zur vollen Kostendeckung

7 für die Gewährung des Informationszugangs durch die Erhebung von Gebühren und Auslagen eingeräumt wird (LT-Drs. 15/7720, 78). Daraus lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber wie selbstverständlich davon ausging, dass die Ablehnung eines Antrags – wie im Bundesrecht – kostenfrei zu erfolgen hat. Für die Gebührenfreiheit spricht auch, dass bei (ggf. fingierter) Rücknahme des Antrags selbst dann keine Gebühren erhoben werden, wenn durch den Antrag ein gewisser Aufwand entstan- den ist (vgl. § 10 Abs. 2 LIFG BW, LT-Drs. 15/7720). Dadurch kommt zum Ausdruck, dass nur die Gewährung des Informationszugangs gebührenpflichtig ist. Dafür spricht auch § 10 Abs. 3 Satz 1 LIFG BW. Danach dürfen die informationspflichtigen Stellen für den Informationszugang in einfachen Fällen keine Gebühren und Auslagen erheben. Ein ent- sprechendes Verbot der Gebührenerhebung für Ablehnungen in einfachen Fällen fehlt. Das zeigt, dass für Ablehnungen von vornherein keine Gebühren festgesetzt werden dürfen. Außerdem trägt die Gebührenfreiheit des Ablehnungsbescheides dem in § 10 Abs. 3 S. 2 LIFG enthaltenen Verbot der prohibitiven Wirkung Rechnung (vgl. Debus, Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, § 10 LIFG BW, Rn. 21). Da es sich beim Innenministerium um eine Stelle des Landes im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 LIFG BW handelt, muss es die abschreckende Wirkung des Gebührenbescheids berücksichtigen. Der Gebührenfreiheit widerspricht nicht, dass die Gebührenverordnung des Innenministeriums die Gebührenpflicht auch für abgelehnte Anträge grundsätzlich vorsieht. Denn Baden-Württem- berg verfolgt einen dezentralen Ansatz für die Gestaltung der Gebührentatbestände. Die Gebüh- renverordnung des Innenministeriums ist eine allgemeine Gebührenverordnung, die nicht speziell – wie in den anderen Bundesländern – für das Landesinformationsfreiheitsgesetz geschaffen wurde. Der Gebührentatbestand für die Ablehnung der Anträge (Nr. 1.1 Gebührenverzeichnis) ist systematisch den leistungsbereichsübergreifenden Gebührentatbeständen zugeordnet, aber auf das Landesinformationsfreiheitsgesetz nicht anwendbar. Legt man das Gesagte zu Grunde, ist schon der Tatbestand des § 10 Abs. 1 LIFG BW bezie- hungsweise der Gebührentatbestand nicht erfüllt. Die speziellen Gebührentatbestände für das Landesinformationsfreiheitsgesetz und der Nr. 20 des Gebührenverzeichnisses beziehen sich nach dem jeweiligen Wortlaut ausschließlich auf die Gewährung des Informationszugangs.

8 2. Falscher Gebührenrahmen Selbst unter der Prämisse, dass auch die Ablehnung eines Antrags gebührenpflichtig sein kann, ist der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage nicht erfüllt. Der Gebührentatbestand des § 1 GebVO IM in Verbindung mit Nr. 20.3.2 und Nr. 1.1 des Gebührenverzeichnisses ist nicht erfüllt. Nach Nr. 1.1 des Gebührenverzeichnisses wird für die Ablehnung eines Antrags auf Erbringung einer öffentlichen Leistung eine Gebühr in Höhe von 1/10 bis zum vollen Betrag der für die Er- bringung der öffentlichen Leistung zu erhebenden Gebühr, mindestens 10 Euro, erhoben. Der Beklagte geht offenbar davon aus, dass der Höchstsatz dieser Rahmengebühr der Höchst- satz nach Nr. 20.3.2 Gebührenverzeichnis ist. Danach ist die Gebührenrahmen für die Erteilung einer schriftlichen oder elektronischen Auskunft, auch bei zusätzlicher Zurverfügungstellung von Informationen in sonstiger Weise, wenn im Einzelfall ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand entsteht, insbesondere wenn zum Schutz öffentlicher oder privater Belange Daten ausgesondert oder Passagen geschwärzt werden müssen, 200,01 bis 500 Euro. Der Beklagte begründet den Höchstsatz mit einem tatsächlich angefallenen zeitlichen Aufwand von rund 140 Stunden. Dem ist nicht zu folgen. Erstens ist für die Bestimmung des Höchstsatzes nicht der tatsächliche Aufwand maßgeblich, sondern der „volle Betrag der für die Erbringung der öffentlichen Leistung zu erhebenden Gebühr“ (Nr. 1.1 des Gebührenverzeichnisses). Im Falle der Ablehnung muss der Höchstsatz also denk- notwendig nach dem hypothetischen Aufwand für die Erbringung der öffentlichen Leistung be- stimmt werden, nicht nach dem tatsächlichen Aufwand. Vorliegend hätte der Beklagte die Unter- lagen lediglich einscannen bzw. kopieren und verschicken müssen. Dafür hätten wenige Minuten ausgereicht. Der Höchstsatz bestimmt sich somit nach Nr. 20.2.2 und dürfte eher bei 30 als bei 200 Euro anzusiedeln sein. Unzutreffend ist hingegen die Herangehensweise des Beklagten, den Aufwand für eine äußerst aufwendige Teilablehnung für den Höchstsatz nach Nr. 1.1 des Gebüh- renverzeichnisses zugrunde zu legen. Zweitens muss, selbst wenn man den tatsächlich angefallenen Aufwand zugrunde legt, ein Groß- teil des Aufwands unberücksichtigt bleiben. Denn dieser ist dem Kläger nicht zuzurechnen. Der Aufwand ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Mitarbeitenden des Innenministeriums umfangreiche Schwärzungen vorgenommen haben und umfassende Abstimmungs- und Beteili- gungsverfahren durchgeführt haben, bevor sie – ganz am Ende des Verfahrens – den Antrag mit

9 einer vergleichsweise einfachen Begründung abgelehnt haben. Am Ende der Bearbeitung steht ein Bescheid mit lediglich 3.000 Wörtern. Der durch diese unrichtige Sachbearbeitung entstandenen Aufwand, muss für die Frage, ob ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand im Sinne der Nr. 20.2.3 des Gebührenverzeichnisses vor- liegt, unberücksichtigt bleiben. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BGebG werden Gebühren, die bei rich- tiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht erhoben (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, IFG § 10 Rn. 31). Eine entsprechende Regelung fehlt zwar im Lan- desgebührengesetz Baden-Württemberg. Es widerspricht jedoch dem Grundsatz von Treu und Glauben, Aufwand zu berücksichtigen, der durch die sachwidrige Bearbeitung des Antrags ent- standen ist. 3. Ermessensfehler § 10 Abs. 1 LIFG BW räumt der Behörde – im Gegensatz zu § 10 Abs. 1 IFG (Bund) – ein Ermes- sen ein, ob sie für die individuell zurechenbare öffentliche Leistung Gebühren und Auslagen erhebt oder nicht (BeckOK InfoMedienR/Beyerbach, 37. Ed. 1.11.2021, LIFG § 10 Rn. 4). Gemäß § 114 S. 1 VwGO ist die Ermessensentscheidung der Behörde gerichtlich nur einge- schränkt überprüfbar, nämlich nur dahingehend, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerhaft ausge- übt hat. Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt (dazu unter a)) und die Grenzen des Ermessens, die sich aus dem Äquivalenzprinzip (dazu unter b)) und dem Verbot prohibitiver Wirkung (dazu unter c)) ergeben, überschritten. Darüber hinaus ist die Gebührenbemessung er- messensfehlerhaft (dazu unter d)). a) Ermessensausfall Der Beklagte hat das ihm durch § 10 Abs. 1 LIFG BW eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt, denn der Bescheid des Ministeriums lässt nicht erkennen, dass der Beklagte sich darüber im Klaren war, dass er auch vollständig auf die Erhebung einer Gebühr hätte verzichten können. Eine Ermessensunterschreitung im Sinne eines Ermessensausfalls oder -nichtgebrauchs liegt vor, wenn die Behörde den ihr zustehenden Handlungsfreiraum nicht erkannt und dementsprechend überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (Schoch/Schneider/Riese, 42. EL Februar 2022, VwGO § 114 Rn. 60).

10 Gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 LVwVfG BW soll die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Der Beklagte teilt in der Begründung zu 2. lediglich die Rechtsgrundlage mit und lässt erkennen, dass er sich an den Gebührenrahmen der Nummer 1.1 des Gebührenver- zeichnisses mit einer Untergrenze von 10 Euro gebunden sieht. Dass ihm schon § 10 Abs. 1 LIFG – abseits von Billigkeitsregelungen und im Gegensatz zum Informationsfreiheitsgesetz des Bun- des – ermöglicht, vollständig auf die Erhebung einer Gebühr zu verzichten, geht aus der Begrün- dung nicht hervor. Im Übrigen übt der Beklagte sein Ermessen lediglich hinsichtlich der konkreten Bemessung der Gebühren, also dessen Höhe aus. Eine weitergehende Prüfung, ob der Beklagte sein Ermessen ausgeübt hat, ist dem Kläger – und dem Gericht – nicht möglich. Denn die maßgeblichen Unterlagen – insbesondere die Empfeh- lung/das Votum und die Entscheidung über die Gebühren bzw. die Schlusszeichnung durch █████████████████ Insofern regen wir erneut an, den Beklagten zur Vorlage der fehlenden Unterlagen aufzufordern. b) Verletzung des Äquivalenzprinzips Jedenfalls hat der Beklagte die Grenzen des Ermessens überschritten, weil die Kostenentschei- dung das verfassungsrechtlich gewährleistete Äquivalenzprinzip verletzt. Wie das Bundesverwal- tungsgericht entschieden hat, leitet sich das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip aus dem ver- fassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip ab (BVerwGE 26, 305, Rn. 20, 21). § 10 Abs. 3 S. 2 LIFG, der im Wesentlichen § 10 Abs. 2 IFG (Bund) nachgebildet ist, ist eine spezialgesetzliche Ausprägung des Äquivalenzprinzips (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, IFG § 10, Rn. 70). Die Vorgaben des Äquivalenzprinzips hat der baden-württembergische Gesetzgeber auch allgemein für das Gebührenrecht in § 7 Abs. 2 und 3 LGebG BW übernommen und konkretisiert (Debus, Informa- tionszugangsrecht Baden-Württemberg, § 10 LIFG BW, Rn. 33). Die Vorschriften des allgemeinen Gebührenrechts sind ergänzend zum Landesinformationsfreiheitsgesetz Baden-Württemberg anwendbar (LReg, LT-Drs. 15/7720, 48 ff., 78 f.). Gemäß § 7 Abs. 3 LGebG BW darf die Gebühr nicht in einem Missverhältnis zur öffentlichen Leistung stehen.
