Transparenz-Niemandsland
Die Berliner Verwaltungsgerichte machen es unmöglich, Auskünfte über den Gazprom-Lobbyismus des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder einzuholen. Erst schickten sie uns von Behörde zu Behörde – jetzt soll es gar keine Infos mehr geben.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) hat zum zweiten Mal unseren Eilantrag zu Gerhard Schröders Lobby-Terminen abgelehnt. Es entschied, dass Gerhard Schröder keine Auskunft darüber geben muss, welche Lobby-Termine er für Gazprom und andere Unternehmen durch das steuerfinanzierte Ex-Kanzlerbüro organisieren ließ. Der Grund: Das Büro von Schröder sei derzeit nicht besetzt und könne unseren Antrag deswegen nicht bearbeiten.
Damit endet unser Gerichtsverfahren in einer Sackgasse, die das OVG vorher selbst gebaut hatte: In unserem ersten Eilantrag vor einem Jahr hatten wir die Lobby-Infos direkt vom Bundeskanzleramt angefordert, dem das Ex-Kanzlerbüro untersteht. Es dürfte Zugriff auf den Terminkalender von Schröder haben. Im Sommer hatte das Gericht allerdings entschieden, dass wir uns nicht ans Kanzleramt, sondern an Schröders Büro wenden müssen – um jetzt ein weiteres halbes Jahr später zu entscheiden, dass dieses auch keine Auskunft geben muss.
Gazprom-Lobby darf im Dunklen bleiben
Damit endet vorerst eine einjährige Gerichts-Farce. Begonnen hatte sie damit, dass das Berliner Verwaltungsgericht in erster Instanz unseren Eilantrag abgewiesen hatte, weil wir keine Presse seien. Als wir dann selbst eine Zeitung herausgaben, akzeptierte das OVG unseren Presse-Status – nur um den Antrag abzuweisen, weil das Ex-Kanzlerbüro selbst zuständig sei. Dabei hatten wir unsere Presseanfrage sowohl an das Kanzleramt als auch an das Ex-Kanzlerbüro gerichtet und hatten nur in dem Antrag an das Gericht das Kanzlerbüro nicht separat benannt.
Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren ist aber ohnehin die Bundesrepublik Deutschland und keine bestimmte Behörde. Die zuständige Behörde vertritt die Bundesrepublik Deutschland lediglich vor Gericht und falls zunächst die falsche Behörde genannt wird, kann dies im Gerichtsverfahren noch geändert werden. Das OVG hätte damals also auch über unseren Antrag gegenüber dem Ex-Kanzlerbüro entscheiden können. Es wollte aber offenbar nicht. Zwischenzeitlich wollte das VG Berlin das Verfahren sogar an das Verwaltungsgericht in Schröders Heimatstadt Hannover abgeben.
Der Putin-Vertraute und Ex-Kanzler Gerhard Schröder unterhielt bis vor kurzem ein Büro in den Räumen des Bundestags, das für ihn auf Steuerzahlerkosten arbeitete. Es organisierte für Schröder zahlreiche private Lobbytermine. Das Kanzleramt ließ sich das Büro 400.000 Euro jährlich kosten, allerdings wurde Schröder im vergangenen Jahr vom Haushaltsausschuss des Bundestags der Geldhahn zugedreht. Die Infos über die Organisation seiner Lobby-Termine in den vergangenen Jahren liegen seitdem weiterhin vor, die Akten wurden offenbar nicht gelöscht. Nur können wir durch den OVG-Beschluss weder das angeblich nicht zuständige Kanzleramt noch das unbesetzte Ex-Kanzlerbüro verpflichten, uns die Infos herauszugeben. Willkommen im Transparenz-Niemandsland.
beglaubigte Abschrift OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS OVG 6 S 68/22 VG 27 L 250/22 Berlin In der Verwaltungsstreitsache des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstraße 109, 10179 Berlin, Antragstellers und Beschwerdeführers, bevollmächtigt: Rechtsanwälte Beiler, Karl, Platzbecker & Partner, Palmaille 96, 22767 Hamburg, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Büro Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder zuletzt c/o Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin, bevollmächtigt: HLP. Heiermann Losch Rechtsanwälte, Marienstraße 9-11, 30171 Hannover, -2-

-2- hat der 6. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Buchheis- ter, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Rudolph und den Richter am Ober- verwaltungsgericht Panzer am 9. Februar 2023 beschlossen: Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwal- tungsgerichts Berlin vom 28. November 2022 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt. Gründe Der Antragsteller ist freier Journalist und Projektleiter des Online-Portals „Frag- DenStaat“. Mit seiner Beschwerde verfolgt er seinen erstinstanzlich gestellten An- trag weiter, das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Auskunft zu folgenden Fragen zu erteilen: 1. Welche Gesprächstermine (Datum und Gesprächspartner) hat das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder für Herrn Schröder in den Jah- ren 2019, 2020, 2021 und 2022 vereinbart? 2. Bei welchen der im Antrag zu 1) bezeichneten Termine ist das Thema des Termins bekannt? 3. Welche der im Antrag zu 1) bezeichneten Termine standen oder stehen in einem Zusammenhang mit Energiepolitik oder den Unternehmen Gazprom, Nord Stream 2 oder Rosneft? Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwal- tungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des angefoch- tenen Beschlusses. -3-

-3- Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht – wie für die begehrte Vorwegnahme der Hauptsa- che erforderlich – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Der dem Antrag- steller als Vertreter der Presse zur Seite stehende verfassungsunmittelbare Aus- kunftsanspruch gehe gegenüber dem „Büro Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder“ zurzeit ins Leere, weil diese Behörde wegen einer Unterbrechung ihrer Tätigkeit für eine solche Auskunftserteilungsverpflichtung derzeit nicht zur Verfü- gung stehe. Das nach dem Beschluss des erkennenden Senats vom 16. August 2022 – OVG 6 S 37/22 – (juris) dem Grunde nach als auskunftspflichte Stelle an- zusehende Büro sei derzeit auf der Grundlage des Beschlusses des Haushalts- ausschusses des Deutschen Bundestages vom 19. Mai 2022 ruhend gestellt. Ausweislich der plausiblen Auskunft der Antragsgegnerseite stehe dort Personal nicht mehr zur Verfügung und sei der Betrieb des Büros inzwischen eingestellt worden. Die Ruhendstellung habe somit im Ergebnis zumindest eine Unterbre- chung des Vorhandenseins dieses Büros – im rechtlichen Sinnen als einer organi- satorischen Einheit von Personen und sächlichen Mitteln – und der tatsächlichen Tätigkeit dieser Stelle zur Folge. Sei aber die im Grundsatz auskunftspflichtige Behörde zurzeit nicht vorhanden, könne sie folglich auch nicht für eine Auskunfts- verpflichtung in Anspruch genommen werden. Die hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Soweit der Antragsteller rügt, das Verwaltungsgericht habe sich über den Senatsbeschluss vom 16. August 2022 (OVG 6 S 37/22) hinweggesetzt, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Er- folg. Anders als der Antragsteller meint, verhält sich der genannte Beschluss nicht zu der Frage, ob die „Ruhendstellung“ des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder einen möglichen presserechtlichen Auskunftsanspruch gegen- über diesem Büro tangiert. In den Gründen des Beschlusses finden sich keinerlei Feststellungen zu einer Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder. Diese Frage war im Beschwerdeverfahren OVG 6 S 37/22 auch nicht entscheidungserheblich, denn es war allein darüber zu entscheiden, ob das Verwaltungsgericht Berlin es im Ergebnis zu Recht abgelehnt hatte, das Bun- deskanzleramt als auskunftspflichtige Stelle im Wege einstweiliger Anordnung zu einer Erteilung von Auskünften zu verpflichten. Die Beschwerde wurde mit der entscheidungstragenden Begründung zurückgewiesen, dass das Bundeskanzler- -4-

-4- amt in Bezug auf das konkrete Auskunftsersuchen nicht passivlegitimiert sei; denn bei dem Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder handele es sich nicht um einen Teil des Bundeskanzleramts, sondern um eine eigenständige Behörde im presserechtlichen Sinne, die in Bezug auf das streitgegenständliche Aus- kunftsersuchen dem Grunde nach (selbst) auskunftspflichtig sei. Anders als der Antragsteller meint, ist das Verwaltungsgericht auch nicht unter Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft von einer Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder aus- gegangen. Das Verwaltungsgericht hat sich auf das vom Antragsteller vorgelegte Schreiben des Bundeskanzleramts an den Leiter des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder vom 10. Juni 2022 sowie auf die schlüssigen Angaben der Antragsgegnerseite gestützt, dass in dem Büro Personal nicht mehr zur Verfü- gung stehe und der Betrieb des Büros mittlerweile eingestellt sei. Damit ist der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), die im Eilrechtsschutzverfahren in einem Spannungsverhältnis mit der Pflicht zur Gewährung effektiven Rechts- schutzes steht, genügt. Auf die vom Antragsteller angeführten Bedenken an der rechtlichen Zulässigkeit, das Büro eines ehemaligen Bundeskanzlers durch eine Entscheidung des Haushaltsausschusses ruhend zu stellen, kommt es für Richtig- keit der vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellung nicht an. Soweit der Antragsteller meint, dass die Ruhendstellung des Büros des Bundes- kanzlers a.D. Gerhard Schröder jedenfalls nicht die Erfüllung presserechtlicher Auskunftsansprüche hindern könne, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass der im Presse- recht zu Grunde zu legende funktionelle Behördenbegriff unter anderem eine „or- ganisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ voraussetze (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2022 – OVG 6 S 37/22 – juris Rn. 13), die mit der Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder nicht mehr gegeben sei, so dass zumindest von einer Unterbrechung des Vorhandens- eins der Behörde im presserechtlichen Sinne ausgegangen werden müsse. Der Einwand des Antragstellers, dass eine Ruhendstellung keine Auflösung sei, son- dern lediglich ein Pausieren des aktuellen Betriebs der Behörde, wodurch die ggf. spätere Erfüllung von Auskunftspflichten nicht tangiert werde, führt nicht weiter. Dass keine Auflösung des Büros erfolgt sein mag, belegt für sich genommen -5-

-5- nicht, dass das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder als Behörde im oben beschriebenen funktionellen Sinne fortbestehen würde. Entsprechendes gilt für den Hinweis des Antragstellers, dass er auf eine an das Büro gerichtete E-Mail vom 17. August 2022 eine automatische Antwort erhalten habe und an das Büro gesandte Post an eine von Gerhard Schröder bereitgestellte Anschrift in Hannover weitergeleitet worden sei. Ohne Erfolg macht der Antragsteller schließlich unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2016 – 7 C 2.15 – (juris Rn. 44) geltend, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die Ruhendstellung vor der Erfüllung seiner Presseanfrage, die über zwei Monate vor der Entscheidung über die Ruhendstellung bei dem Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder eingegangen sei, nicht vollzogen werden könne. Das vom Antragsteller angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betraf einen An- spruch auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz, in dem das Vorhandensein einer Behörde – auch wenn diese sich in Abwicklung befand und nur noch über 1,5 Mitarbeiter verfügte – nicht in Frage stand. Im vorliegenden Verfahren ist aber im nach der Senatsrechtsprechung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Urteil vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris Rn. 33; Beschluss vom 30. Dezember 2016 – OVG 6 S 29.16 – juris Rn. 27) keine Stelle vorhanden, die für eine Auskunftsverpflichtung in Anspruch genommen werden könnte. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Pflicht zur Abfrage „präsenten dienstlichen Wissens“ bei Gerhard Schröder aus. Zwar gewährleistet der verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Zugang zu allen bei einer Bundesbehörde tatsächlich vorhandenen Informationen, wozu auch auf dienstliche Vorgänge und Wahrneh- mungen bezogene Informationen gehören, die zwar nicht verschriftlicht bzw. nicht aktenkundig gemacht wurden, aber in Form präsenten dienstlichen Wissens der Beschäftigten der auskunftspflichtigen Stelle bei dieser Stelle vorliegen und ggf. abzufragen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris Rn. 47). Eine Pflicht der auskunftspflichtigen Stelle zur Abfrage präsenten dienstlichen Wissens bei ihren Beschäftigten setzt jedoch voraus, dass im maßgeblichen Zeit- punkt der gerichtlichen Entscheidung eine potenziell auskunftspflichtige (Bundes-) Behörde existiert. Daran fehlt es hier. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Auf- gaben an anderer Stelle fortgeführt werden im Sinne einer Funktionsnachfolge -6-

-6- oder eine Abwicklung durch eine Stelle stattfindet, gegen die sich Auskunftsan- sprüche richten könnten. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat we- gen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Auf- fangwertes absieht. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Buchheister Panzer Rudolph
