Kampagne „Verschlusssache Prüfung“Staat verscherbelt Prüfungen, Verlag verdient Millionen

Ein Verlag verdient Millionen mit dem Verkauf von alten Abiturprüfungen. Der Staat bekommt für seine alten Klausuren meist nur wenige hundert Euro. Dabei bleibt vor allem die Bildungsgerechtigkeit auf der Strecke.

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Alte Prüfungen eignen sich besonders gut für die Vorbereitung auf den anstehenden Schulabschluss. Doch an sie heranzukommen, ist vielerorts für Schüler*innen schwierig. Die meisten Bundesländer hüten sie wie einen Schatz vor den Lernenden. Nur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein können die alten Aufgaben einfach im Internet heruntergeladen werden. Überall sonst ist es schwierig, an sie heranzukommen – oder teuer.

Prüfungen denen, die damit Geld verdienen wollen

Die am weitesten verbreitete Quelle für Altklausuren sind die Bücher des Stark Verlags. In den roten Heften druckt das Unternehmen, das zur britischen Pearson-Gruppe gehört, die Originalprüfungen vergangener Jahre mit Lösungsvorschlägen ab. Wir wollten wissen, was Stark genau mit den Ländern ausgehandelt hat und haben Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestellt. Das Ergebnis: der Verlag zahlt ziemlich wenig für die Nutzungsrechte. Rheinland-Pfalz verlangt 100 Euro je Fach und Jahrgang, Brandenburg 200 Euro. Baden-Württemberg nimmt insgesamt 200 Euro, plus bis zu zehn Prozent vom Umsatz. Und Hamburg verschenkt die Nutzungsrechte sogar.

Ein Coup für den Stark Verlag: 2021 machte das Unternehmen laut Bundesanzeiger rund 13 Millionen Euro Umsatz. Die roten Hefte zur Prüfungsvorbereitung machten dabei ganze 82 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Millionen Euro Umsatz, generiert durch lernwillige und vor allem zahlungsfähige Schüler*innen. Die gesammelten Altklausuren kosten rund 15 Euro – pro Schulfach. Um sich auf mehrere Prüfungsfächer vorzubereiten kommen so schnell hohe Beträge zusammen. Die Pisa-Studien zeigen regelmäßig, dass der Bildungserfolg in Deutschland maßgeblich vom Einkommen des Elternhauses abhängt. Wer es sich nicht leisten kann, alte Prüfungen von einem privaten Anbieter zu kaufen, zieht bei der Vorbereitung den Kürzeren.

Übersichtskarte zur Verfügbarkeit von alten Prüfungen. In acht Bundesländern gibt es für Schüler*innen gar keinen Zugriff, einige bieten Zugang über geschützte Portale an. Lediglich Niedersachsen und Schleswig-Holstein veröffentlichen alles online.
Föderaler Flickenteppich bei der Verfügbarkeit von alten Prüfungen –

Karte: CC-BY-SA David Liuzzo, Destatis

Übersicht: Konditionen der Länder mit dem Stark Verlag
LandVeröffentlicht Aufgaben onlineZugangsportal für Schüler*innenVertragskonditionen mit dem Stark Verlag
Baden-Württembergneinnein200 Euro + bis zu 10 % Nettoumsatz
Bayernnur teilweise
BerlinneinneinBerlin zahlt 20.000 Euro an Verlag, damit dieser Prüfungsaufgaben erstellt
Brandenburgneinnein200 Euro pro Fach
Bremenneinjakein Vertrag
Hamburgneinneinstellt Aufgaben kostenlos zur Verfügung
HessenneinneinKonditionen sind geheim
Mecklenburg-Vorpommernneinjakein Vertrag
Niedersachsenja
Nordrhein-Westfalenneinjavia Verband Bildungsmedien e.V., dieser zahlt ca. 16.000 Euro
Rheinland-Pfalzneinnein100 Euro je Fach
Saarlandneinneinkein Vertrag
Sachsenneinja
Sachsen-Anhaltneinneinkein Vertrag
Schleswig-Holsteinja100 Euro je Fach
Thüringenneinneinkein Vertrag

Kampagne „Verschlusssache Prüfung“ zwingt Länder zur Veröffentlichung

Mit unserer Kampagne Verschlusssache Prüfung wollten wir dieses Problem gemeinsam mit Wikimedia Deutschland beheben. Über unsere Plattform kann man mit wenigen Klicks die Bildungsbehörden nach den begehrten Altklausuren fragen. Die rechtliche Grundlage dafür sind die IFGs der Länder: Behörden müssen demnach auf Anfrage amtliche Informationen wie Prüfungen an Bürger*innen herausgeben.

Doch das klappt leider nicht überall. Oftmals gibt es keinen Rechtsanspruch. In Bayern etwa gibt es gar kein IFG, und in anderen Ländern sind Prüfungsbehörden explizit ausgenommen. Hessen und Sachsen-Anhalt verlangten hohe Gebühren für die Einsicht, oft hunderte Euro.

Einen ganz besonderen Weg ging Hamburg. Dort änderte der Senat 2020 als Reaktion auf unsere Kampagne sogar das Gesetz, sodass Anfragen nach Prüfungen nicht mehr möglich sind. Die Hansestadt verwehrt es Schüler*innen, die Aufgaben zu erhalten, schenkt diese aber zugleich dem Stark Verlag, der damit Geld verdient. Auf Nachfrage liefert die Schulbehörde eine merkwürdige Begründung: Schüler*innen fehle „sowohl der Überblick als auch die Erfahrung“, um alte Prüfungen sinnvoll einzusetzen.

Prüfungen von den Ländern kaufen und diese dann zu seinen eigenen Konditionen an Schüler*innen geben? Was der Stark Verlag kann, können wir auch. Gemeinsam mit Wikimedia Deutschland versuchen wir nun, ähnliche Verträge mit den Ländern abzuschließen – um die Prüfungen dann endlich kostenfrei zu veröffentlichen.

Zur Kampagne Verschlusssache Prüfung
→ Mehr zum Thema Prüfungen freikaufen: „Das Geschäft mit der Prüfungsvorbereitung“ auf netzpolitik.org

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