Interner Bericht der Polizei Südosthessen„Diese zehn Toten sollten etwas ändern“

Offiziell verteidigt die Hessische Landesregierung die Rolle der Polizei beim Anschlag von Hanau im Jahr 2020. Ein bisher unbekannter Bericht zeigt: Intern gab es von den eigenen Beamten heftige Kritik. Wir veröffentlichen das Dokument.

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Hanau –

Initiative 19. Februar Hanau

Die Polizei habe in der Tatnacht „ihr Bestes getan“ – gegenüber der Öffentlichkeit betont die Führung der Hessischen Polizei seit drei Jahren, beim rassistischen Anschlag von Hanau 2020 kaum Fehler gemacht zu haben. Der interne Bericht einer Polizei-Arbeitsgruppe zeigt jedoch ein anderes Bild: In der 50-seitigen „einsatztaktischen Nachbereitung“ des Anschlags übten Beamte der Polizei in Südosthessen neun Monate nach dem Anschlag teils heftige Kritik an den Polizeistrukturen.

Wir veröffentlichen heute den lange unbekannten Bericht in voller Länge. Personenbezogene Daten darin haben wir überwiegend unkenntlich gemacht. Die Frankfurter Rundschau hat zuerst über das Dokument berichtet.

Polizei-Chaos in der Tatnacht

Angehörige der Anschlagsopfer kritisieren seit Jahren das Verhalten der Polizei in Hanau am 19. Februar 2020. In der Tatnacht, als ein Mann neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss und anschließend seine Mutter tötete, war der Notruf der Polizei lange nicht erreichbar. Zudem gab es Pannen bei der Suche nach dem Täter, sein Wohnhaus war teils nicht gesichert, während er sich dort aufhielt und der Notausgang eines Tatorts war verschlossen.

Auch intern benannten Beamte mit deutlichen Worten die Probleme in der Tatnacht. Dies zeigt der Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe der Polizei, die mit der Nachbereitung des Anschlags beauftragt war. In Rückmeldungen gegenüber der Polizei-Arbeitsgruppe „AG NAH“ kritisierten Polizist*innen der Polizeistation in Hanau und anderen Polizeidirektionen in Südosthessen, dass in der Tatnacht nicht genug Polizeibeamte zur Verfügung standen, „sodass es an den Tatorten zu Verzögerungen in der Abarbeitung kam.“ Aus kriminalpolizeilicher Sicht hätte früher eine sogenannte Großgefahrenlage erklärt werden müssen. Die eigentlich vorgeschriebenen Entscheidungen seien nicht eingeleitet worden.

Zudem kam es in der internen Kommunikation offensichtlich zu großen Fehlern. So kamen laut den Schilderungen im Abschlussbericht auch Fahndungshinweise „aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten nicht bei allen Kräften an.“ Da die Beamten interne Funkgruppen mehrfach wechselten, kam es zu „Informationsverlusten“. Beamte hätten über die „interne Kommunikation weniger Informationen erhalten“ als über „das Internet und soziale Medien“. Den leitenden Polizeibeamten zu erreichen, habe für am Einsatz beteiligte Polizist*innen vom Zufall abgehangen.

Angehörige als Gefährder eingestuft

Intern äußerten Polizist*innen den starken Wunsch, dass das Chaos der Tatnacht Konsequenzen für die Struktur der Polizei haben müsse. Ein Beamter habe gefordert, „diese zehn Toten sollten etwas ändern“. Nach außen verteidigt die Hessische Polizeiführung allerdings bis heute ihr Vorgehen in Hanau. Die regierungstragende Unionsfraktion im Hessischen Landtag weist Vorwürfe gegenüber der Polizei kategorisch zurück.

Auch zum Umgang mit den Angehörigen der Opfer des Anschlags findet sich Kritik im Untersuchungsbericht. Laut interner Polizei-Kritik waren die Polizeibeamt*innen auch überfordert, wie sie mit Angehörigen umgehen sollten. Die Initiative 19. Februar Hanau kritisiert seit Jahren den Umgang der Polizei mit den Überlebenden und Angehörigen nach dem Anschlag. Polizist*innen hätten sich vor allem um den Vater des Attentäters gekümmert. Angehörige der Opfer seien hingegen als mögliche Gefahr eingestuft worden.

Dies belegt nun ein internes Protokoll der Polizei, das wir mit Schwärzungen nun ebenfalls veröffentlichen. Es ist eine Zusammenfassung des Umgangs mit dem Vater des Täters, die vier Tage nach dem Anschlag angefertigt wurde. Darin stellen die Beamt*innen fest, die „Opferfamilien wären hier potentielle Gefährder für [den] Vater“. Dementsprechend müsse „eine Art Gefährderansprache gemacht werden“. Eine solche Ansprache gegenüber Opferfamilien fand auch tatsächlich statt, wie eine interne E-Mail zeigt, die wir ebenfalls veröffentlichen.

Außerdem zeigen sich die Beamt*innen im Protokoll besorgt, die „linksextremistische Szene“ könne dem Vater des Täters „eine rechtsextremistische Gesinnung“ unterstellen. Daraus folgerten die Polizist*innen ebenfalls eine Gefährdung des Vaters. Tatsächlich fällt der Vater seit dem Anschlag massiv mit Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen gegenüber den Angehörigen auf.

Noch bis kurz vor den Hessischen Landtagswahlen im Oktober dieses Jahres tagt im Hessischen Parlament ein Untersuchungsausschuss zum Hanauer Anschlag. Transparenz zur Arbeit der Polizei gibt es bisher weniger durch die Landesregierung als vor allem durch die Arbeit der Initiative 19. Februar Hanau, die gemeinsam mit dem Recherchekollektiv Forensic Architecture viele Aspekte der Tatnacht untersucht hat. Da die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen die Polizei vom dortigen Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen hat, ist die Polizei gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit nicht transparenzpflichtig.

zum internen Polizeibericht

zum Einsatzprotokoll in Bezug auf den Vater des Täters

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Polizeipräsidium Südosthessen                                                    HESSEN
Abteilung Einsatz
AG NAH




Abschlussbericht der AG NAH
anlässlich              der      eins·atztaktischen              Nachbereitung   des
Anschlags in Hanau vom 19.02.2020




gefertigt von POK
Stand: 04.11.2020




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Inhaltsverzeichnis

1.      VORBEMERKUNG UND ZIELSETZUNG .................................................; .................... .'................................ 4

2.      EINRICHTUNG UND AUFBAU DER AG NAH ............................................................................................... 5

     2.1         ALLGEMEINES UND ORGANISATORISCHES .................................... .................................... ........................... 5
     2.2         HINTERGRÜNDE .................................... .................................... ......................., ................................... 7
     2.3         ZEITLICHER ABLAUF UND UMSETZUNG .................................... .................................... .............................. 7
     2.4         .QUELLEN DIESER NACHBEREITUNG .................................... .................................... ................................... 9

3.      KÜRZFAZIT .................................... .................................... .................................... ................................. 10

     3.1         INFORMATIONSAUFKOMMEN ................ , .................................·.................................... .......................... 10
     3.2         lAGEEINSCHÄtzUNG .............. .-................................... .................................... ...................................,. 10
     3.3         KOMMUNIKATION •••.........• .-................................... .................................... .................................... ..... 10
     3.4.        VERFÜGBARKEIT VON KRÄFTEN .................................... .................................... .................................... . 11
     3.5        . FÜHREN VON PARALLELLAGEN .................................... .................................... .................................... ... 11
     3.6         SCHULUNGSMAßNAHMEN .................................... .................................... ..... : ..........................._........... 11

4.      DARSTELLUNG DES EINSATZVERLAUFS .................................... .................................... ........................... 12

     4.1         ALLGEMEIN UND DARSTELLUNG DER GESAMT-BAO .................................... .................................... ........... 12
     4.2 ·       ZEITSTRAHL DER WICHTIGSTEN EREIGNISSE IN DEN ERSTEN DREI STUNDEN .................................... ................... 13
     4.3         E 31/32 .......................... ·.................................... .................................... ............................. ·......... 15
     4.4         F0ST OF .................................· .................................... .................................... ................................ 16
     4.5         PF/FüST HU ..................... ;.................................... .................................... .................................... .. 17
     4.6         EA   1 (TATORTE) .................................... .................................... .................................... ..................... 17
     4. 7        EA 6 (ERMITTLUNGEN) .................................... ............. :.................................... .................................. 18
     4.8         EA 7 (FAHNDUNG) .................................... .... : •• :.................................... .................................... ......... 19
     4.9         KRÄFTESAMMELSTELLE (KSS} ............... , .................................... .................................... ......................... 20
     4.10        PÖA ........................ .- .................................... .................................... .................................... ......... 21

5.      SYSTEM FRAGEBOGEN ...... :....... .-................................... .................................... .......... :.................._. ....... 21

6.      PERSÖNLICHE NACHBEREITUNGEN .................................... .................................... ................................ 22

     6.1         WORKSHOP-ÜBERGREIFENDE KRITIKPUNKTE .................................... ..... ; .................................... ............... 23
        6.1.1         Positive Aspekte ........ .-..............................._...................................................................................... 23
             Hohe Motivation und Leistungsbereitschaft .......................................................,............ ,...............................:........ 23
        6.1.2         Negative Aspekte .......................................................................................................... ·.................. 23
             6.1.2.1          Kommunikation und Informationsfluss ....... :...................................................................... :.................... 23
             6.1.2.2          Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ............................................................................ 24
             6.1.2.3          Paralleleinsatz Bombenentschärfung (Ad-hoc-Zug/vorhandener.FüSt) ............................................... ,. 25
     6.2         E 31/32, PF/FüST HU, F0ST OF .................................... .............. : .................................... .................. 27
        6.2.1         Kräftedefizit zu Beginn ................................................... :................................................................ 27
        6..2.2        Dokumentation ................................................................................................................................ 28
        6.2.3         Lageführung und -Übergabe ......................................................................................... :............. ,.. 28
        6.2.4         Alarmierungen ................................ ................................................................................................. 29
        6.2.5         Be_urteilung der Lage und Klassifizierung......................................................................................... 30
        6.2.6         Räumliche und technische Defizite .................................................................................................. 30
        6.2.7         Arbeit im Nebenamt ..... ,.................................................................................................................. 31



                                                         - VS - Nur für den Dienstgebrauch -

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Elektronische Ablage LPP-Hanau



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     6.3         EA 1 (TATORTE} .................. .................. .................. .................. ... ;.....................................................
        6.3.1        Betreuung Angehöriger vor Ort ....................................................................................................... 32
        6.3.2        Allgemeines/grundsätzliche Probleme ................................................................. :.......................... 32
                                                                                                                                              ....... 33
     6.4         EA 4 (TATORTARBEIT} UND EA 6 (ERMITTLUNGEN} ... :.................. .................. .................. ..................
        6.4.1        identifizierte Problemfelder................................................................. '. ........................ :.................. 33
                                                                                                                                                                                                    33
             6.4.1.1         Alarmierung ............................................................................................................................................
                                                                                                                                  :..................... ............... :...... : ..............   33
             6.4.1.2         Kräfte ....................................................:......................................
                                                                                                                                                                                                    34
             6.4.1.3         Kommunikation ........ :....................................................................................................................;........
                                                                                         .....................  :..................... ....................................... : ...............    34
             6.4.1.4         Struktur und Organisation .....................
                                                                                            .....................   ..................... ..................... .....................  ..........   35
             6.4.1.S         Führung;_ und Einsatzmittel .....................
                                                                                                                                                                                               .... 35
             6.4.1.6         5chnittstellenzu anderen Einsatzabschnitten ....................................................................................
                                               t der    Zivilkräfte     ..................... : ......................................:..................... .....................   ....... : .... 35 ·
             6.4.1.7         Erkennbarkei
        6.4.2       .Optimierungspotential ..................... :.............................................. ,.................................... ··:· .. ····· 36
                                                                                                                                                                           36
             6.4.2.1    Struktur und Alarmierung .........................................................................................:..............................
                                                      : .................................................................................................................. 36
             6.4.2.2    Fu°hrungs- und Einsatzmittel
                                     itvon·zivilkrä ften   ............................................................................................................... 37
             6.4.2.3    Erkennbarke
                EA 7 (FAHNDUNG} & KRÄFTESAMMELSTELLE            (KSS}      ..................   ..................  ..................   ..................   ..........   37
     6.5
        6.5.1        In beiden Bereichen wurden die folgenden positiven Punkte festgestellt: ...................................... 37
        6.5.2        In beiden Bereichen wurden die folgende negativen Punktefestgeste/lt: ....................................... 37
                                                                                                                                                                     38
             6.5.2.1         Im EA 7 wurden die folgenden Punkte festgestellt: ....... : ......................, ................... :............................
                                                                                                                   ..................... . , ....................... 38
             6.5.2.2         Im Bereich der KSS wurden die folgenden Punkte erörtert: .....................
        6.5.3       ·zusammenarbeit ............................................................................................. :............................... 38
        6.5.4        Verbesserungsansätze .................................................... i ................... ................... ................... ....... 39
                                                                                                                       .................. .. 40
     6.6         GESAMTBEWERTUNG DER NACHBEREITUNGSVERANSTALTUNG ............. : .................. ..................
                                                                                                                                                                                                 41
     6.7         PÖA ... ·.................. .................. .................. .................. .................·.................. .................. .............
                                                                                           .................. . 42
7.         ERGÄNZENDE, THEMENÜBERGREIFENDE FRAGE- UND PROBLEMSTELLUNGEN ..................

     7.1         EINSATZFÜHRUNGSSYSTEM (EFS) ..........................................................................................
                                                                                                                                        ...............'. 42
                                                                                                                                                                                                 43
     7.2     A.USWIRKUNGEN AUF SPÄTERENVERLAUF/TATORTDIENSTSTELlE ...................................................................
        7.2.1 Informationsbedürfnis             von externen Behörden; Institutionen und Presse ....................                                  ...... ,........... 43
                                '                 .   .                                     '                                  .             .


        7.2.2 subjektives Sicherheitsgefühl und Vorwurfsfage an die                                 Hanauer        Polizei   ........... , ... ,................... ..... 43
                                                                                                                                     ..................   .:  ........... 44
     7.3     METIS .................. .................. .................. .................. .................. ..................
                                                                                                                                                                          45
     7.4     FUNKGRUPPEN .................. .................. .................. .................. .................. ...;.................. ..................
                                                                                                ;.................. 45
8.         ABLEITUNGEN, MÖGLICHE SCHLUSSFOLGERUNGEN/ EMPFEHLUNGEN .............................
                                                                                                                                                                       45
     8.1 •        BAO-VERSTÄNDNIS.WEITER OPTIMIEREN .................. .................. ..............;.............................. ,..............
                                                                                                           ......... : .................. .................. ......... 45
     8.2          DURCHFÜHREN VON ÜBUNGEN .................. .................. ..................
                                                                                                                                                           .......... 46
     8.3          ERARBEITEN VON CHECKLISTEN UND ÄBLAUFPLÄNEN .................. .................. .................. ..................
                                                                                                                                                                       47
     8.4          BESCHULUNG EFS .....................,.................. .................. .................. .................. .................. ...............
                  RUFBEREITSCHAFTEN .................. .................. .................. .................. .................. .................. ...............
                                                                                                                                                                       47
     8.5
                                                                                                                                                                 47
     8.6          ROLLENZUWEISUNG IN DER BAO .................. .................. .................. .................. .................. .................
                                                                                                                         : ............... : ................. ; 48
     8. 7         VORPLANUNG VON AAO·KRÄFTEN ......... ;.................. ....... :.................. ...............
                             EN FÜR PARALLELE. EINSATZLAGEN .................. .................. ......... ; .................. ..................
                                                                                                                                                         ......  48
     8.8          VORPLANUNG
                                                                                                                                                          ...........                             49
     8.9          FUNKKOMMUNIKATION .................. .................. .................. .................. .................. ..................
                                                                              . ; ........... , .................. .................. ..................  ........... 49
     8.10         TELEFONERREICHBARKEITEN OPTIMIEREN ..................
                                                                                                                         .................. ........ , .............. 50
     8.11         STANDARDISIERUNG DER NACHBEREITUNG .................. .................. ..................




                                                                  VS - Nur für den Dienstgebrauch -

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Elektronische Ablage LPP-Hanau




   ·1. Vorbemerkung und Zielsetzung


Am Mittwoch, den 19.02.2020, kam es ab ca. 21 :50 Uhr in der Stadt Hanau an
mehreren Tatorten zu Schussabgaben, bei denen zehn Menschen getötet und
mehrere Personen verletzt wurden. Im weiteren Verlauf wurde der mutmaßliche Täter
an seiner Wohnanschrift tot aufgefunden. Weitere Details zum Sachverhalt werden als
bekannt vorausgesetzt.


Die Führung der Lage oblag zunächst dem Polizeipräsidium Südosthessen (PP SOH),
welches nach erster Führungsübernahme durch den PvD ab ca. 23:30 ·Uhr die Lage .
in Form einer Besonderen Aufbauorganisation unter der Führung von Herrn Ltd. PD
         abarbeitete. Gegen 01 :00 Uhr des 20.02.2020 wurde die Lageführung durch
das Polizeipräsidium Frankfurt am Main unter Leitung von Herrn Ltd. PD Fornoff
übernommen.


In der Folge kam es zu weiteren Führungsübernahmen durch das HLKA sowie des
BKA, welche in diesem Bericht jedoch nicht weiter thematisiert werden.


Im Rahmen.der Nachbereitung durch die AG NAH wurden die ersten drei Stunden der
Einsatzbewältigung               nochmals     beleuchtet       und     Optimierungsmöglichkeiten
herausgearbeitet, um hiesige Behörde für zukünftige Lagen in der ersten Einsatzphase
noch besser vorbereiten zu können.


Die polizeilichen Ermittlungen, welche durch das BKA geführt werden, als auch
weitere,     parallel oder     ergänzend   stattfindende Aufarbeitungen   des

.Geschehensablaufs, insbesondere ab der polizeilichen Führungsübernahme durch
 andere Polizeibehörden, wurden und werden durch hiesige AG NAH nicht tangiert.




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     2. Einrichtung und Aufbau der AG NAH


     2.1        Allgemeines und Organisatorisches
 Innerhalb .der Abteilung Einsatz wurde zeitnah zum Tatgeschehen der Bedarf einer
 Nachbereitung dieser herausragenden Einsatzlage festgestellt. Im Polizeipräsidium
  Südosthessen wurde daher im Nachgang zum Einsatz am 19.02.2020 in Hanau die
. AG NAH (= Nachbereitung Anschlag Hanau) eingerichtet und PHK       (L E 34)            0




 mit deren operativer Leitung beauftragt. Nach dessen Weggang aus hi~sigem
 Präsidium wurde die Leitung an POK          (Abteilung Einsatz) übertragen. Die
            .                                                   .

 strategische Leitung der AG NAH oblag der Abteilungsleitung Einsatz.


 Felgende Mitarbeiter/-innen waren in der AG NAH im Nebenamt tätig:
     •                                (E 34)
     •                                    (Führungsgruppe PD Main-Kinzig)
     •                             (Führungsassistent der Abteilungsleitung Einsatz)
     •                            (E 2)
     •                                (E 34)


  Um die Nachbereitung strukturiert zu gestalten, wurden. durch . die AG NAH die
. folgenden Themenfelder definiert,· diesen feste Mitarbeiter/-innen zugewiesen und
'jeweils themenspezifisch aufgearbeitet:
    ·•     E 31/E 32 (PvD und Leitstelle)
     •     PF/FüSt Hanau
     •     FüSt Offenbach mit eigener Lage (Entschärfung eines Bombenblindgängers)
     •     EA 1 - Tatorte
     •     EA 6 - Ermittlungen
     •     EA 7 - Fahndung
     •     EA Kräftesammelstelle (KSS)
     •     Einsatzbegleitende.Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (ePÖA)


 Geprägt war die Arbeit der AG NAH zu Beginn durch ein Informationsdefizit, das.
 insbesondere darin begründet lag, dass die vorhandene Einsatzdokumentation nicht


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vollständig             den   damaligen    Geschehensablauf             darstellt,   da   am    19.02.2020
nachvollziehbarerweise der Fokus auf die Lösung der Lage gelegt wurde. Daher
wurden innerhalb der AG NAH die weiteren Themenbereiche Einsatzführungssystem
(EFS},       Kräfte-          und   Auftragsorganigramm        in   der       BAO     sowie    „Allgemeine
                                                                    '
Problemstellungen" definiert, um eine bestmögliche retrograde Darstellung der am
Einsatztag getroffenen Maßnahmen und Kräfteverhältnisse schaffen zu können.




Die folgende Grafik illustriert die interne Aufstellung der AG NAH:




                              Nachbereitung Anschlag Hanau (AG NAH)
                                        Phase 1 bis Lageübernahme PP Frankfurt a.M.

    Polizeipräsirlium
     Südosthessen




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 Elektronische Ablage LPP-Hanau




     2.2       Hintergründe
 Die Nachbereitung polizeilicher Einsatzlagen ist gern. PDV 100 grundsätzlich
 durchzuführen und hat sich immer am Einzelfall zu orientieren. Für eine Einsatzlage
 dieser      Größenordnung        gibt    es     weder      eine        DienstanweisunQ,    noch

 Arbeitsbeschreibungen oder gar ein zurückliegend vergleichbares Ereignis', das als
 Muster für die Nachbereitung hätte dienen können, sodass die A_rbeit der AG NAH
_auch eine hohe konzeptionelle Komponente beinhaltete.


 In die Nachbereitung einbezogen wurden darüber hinaus die einschlägigen Erlasse
 zur Bewältigung von Sonderlagen sowie· die entsprechenden ergänzenden
 Dienstanweisungen des PP SOH.


     2.3       Zeitlicher Ablauf und Umsetzung
_ Bedingt durch die weltweite Coronavirus-Pandemie (COVID-19) kam es auch bei der
  hessischen Polizei zu erheblichen Einschränkungen im Dienstbetrieb, sodass
 persönliche Kontakte aufein absolut notwendiges Minimum reduziert werden mussten. ·
 Die für ·_ eine erfolgreiche· polizeiliche Nachbereituri'g unbedingt erforderlichen
 Gespräche in (Klein-) Gruppen konnten daher nicht in der gewünschten zeitlichen
 Nähe zum Anschlagstag stattfinden.
 Um trotzdem zeitnah die Erfahrungen der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten/-innen
 nutzen· zu können, wurde ein Fragebogen entwickelt. Es wird an dieser Stelle auf
 Nummer 5 des Berichts verwiesen, der das Verfahren näher beschreibt.


 Die AG NAH würde mit Fertigstellung dieses Abschlussberichts zum 30.10.2020
· aufgelöst.




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               • Entscheidung der Abteilung Einsatz zur Einrichtung der AG NAH
               • Festlegen der Zielsetzung und Mitarbeiterstruktur ·



               • Sammlung von Informationen zum Einsatzverlauf
               • Initiieren elektronischer Auswertungen



               • Entwurf des·Fragebogens unter Einbindung hiesiger Gremien und
                 des ZPD



               • Anforderung der erweiterten EFS-Protokollierungen nach
                 Zustimmung des Datenschutzbeauftragten



               • Versand des Fragebogens .an Dienststellen im PP SOH sowie an
                 weitere hessische und bayerische Polizeidienststellen



               •·Auswertung der zurückgesandten Fragebögen



               • Eingang der detaillierten EFS-Protokolle aus dem HPT
               • Retrogrades Erstellen des Kräfteorganigramms



               • Erstes physisches Treffen der AG NAH und Festlegung auf eine
              · Z$ntrale Nachbereitungsveranstaltung für alle Th.emenbereiche



               • Durchführung der-zentralen Nachbereitungsveranstaltung unter
                 Einhaltung der gültigen Hygienevorschriften zur Corona„Pandemie



               • Aufarbeiten der gewonnen Erkenntnisse und Besprechung mit den
                 betreffenden Themenbereichen und Organisationseinheiten ·



               • Fertigstellung und Vorlage des Abschlussberichts zur AG NAH




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    2.4      Quellen dieser Nachbereitung
Für die Nachbereitung wurde eine Vielzahl von QUellen herangezogen, um die
multidimensionale Bearbeitung dieses Ereignisses zu gewährleisten. Diese waren:
    •     Auswertung aller verfügbaren EFS-Protokolle
    •     Auswertung des einschlägigen Fernschreibverkehrs (EPOST 810)
    •     Durchsicht der Ermittlungsakte für den betreffenden Zeitraum
    •     Auswertung der zurückgesandten Fragebögen
    •     Eine    Vielzahl       persönlicher    Gespräche       sowie    Studium   persönlicher

          Aufzeichnungen zum Einsatzgeschehen, soweit vorhanden und bereitgestellt ·
    •     Auswertung des-bestehenden Berichtswesens im Sachzusammenhang
    •     Teilnahme         an      internen     Nachbereitungsveranstaltungen         einzelner
          Organisationseinheiten         bzw.     Ergebnismitteilungen      über    selbstständig

          durchgeführte Veranstaltungen
    •     Persönliche Nachbereitung als Zentralveranstaltung am i 1.08.2020


Darüber hinaus haben Nachbereitungen in kleinerem, dezentralem                          Rahmen

eigenständig stattgefunden. Beispielhaft genannt werden kann dies für die Kräfte des
EA Betreuung sowie der Kollegen/-innen E 31/32, welche zum Teil unter Zuhilfenahme
von Moderatoren im kleinen Kreis den Einsatzv~rlauf aufgearbeitet haben.
lnwieweitin diesem Zusammenhang auch die Annahme von individuellen Angeboten
des Zentralen Polizeipsychologischen Dienst der Hessischen Polizei (ZPD) stattfand,
kann hier nicht bewertet werden.


Die vorliegenden Hintergru~dinformationen und die Aufarbeitung führen in einem
nächsten Schritt zu einem Kurzfazit, das die relevanten Punkte ·und konkrete
Optimierungsvorschläge benennt.




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      3. Kurzfazit

      3.1     Informationsaufkommen
Mit Eingang der ersten Meldungen über die Geschehnisse in Hanau gingen
Informationen im Überfluss ein, deren Bewertung in der Kürze der Zeit nicht .
allumfassend gelang. Gleichzeitig bestand bei den tatrelevanten Hinweisen ein großer
Bedarf an Verifizierung der übermittelten Inhalte, der nicht unmittelbar gedeckt und
erst m,t dem Eintreffen starker Kräfte an den Tatorten abgearbeitet werden konnte.
Dieser Umstand, welcher in den ersten drei Stunden nicht vollumfänglich behoben
werden konnte, wird auch bei zukünftigen Lagen einzukalkulieren sein.


      3.. 2   Lageeinschätzung
Sowohl für die PvD als auch für den PF war es zunächst nicht möglich, hinreichend
gesicherte Erkenntnisse über Tatablauf, Tatmotivation sowie mögllcherweise noch
folgende Lageverschärfungen zu erhalten. Es mussten so immer wieder neue
Hypothesen gebildet werden, auch die Klassifizierung der Lage wurde so erschwert
und erst zu einem späten Zeitpunkt durchgeführt.
Die      Konzeption      ;,Sofortmaßnahmen bei· lebensbedrohlichen                Einsatzlagen       im
Zusammenhang mit bewaffneten · Gewalttätern" hätte hier Hilfestellungen geben
können, wenn sie frühzeitig angewandtworden wäre.


      3.3     Kommunikation
Die      vorhandenen         Kommunikationsstrukturen          waren       ausgelastet     und    dem
Kommunikationsbedürfnis nicht gewachsen. Dies betraf .sowohl das Leitmedium
Digitalfunk,      welcher        nicht   nur    ausgelastet · war,         sondern       auch    durch
Anwendungsprobleme nicht ideal genutzt wurde, als auch die telefonischen
Erreichbarkeiten, welche überlastet waren. Der persönliche
                                                  '
                                                           Kontakt zwischen PvD und                   .



PF war durc~ die örtlichen Gegebenheiten ebenfalls nicht möglich.
Eine Verbesserung dieser Strukturen, nicht zuletzt durch den .· Neubau des
Polizeipräsidiums, wäre anzustreben.




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