ManagementfassungSchlussberichtzumAnschlag09.10.2019

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „"Schlussbericht anlässlich des terroristischen Anschlags von Halle (Saale)" (offene Managementfassung)

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Der Leiter des Stabsbereich LFZ setzte den Leiter Führungsstab der Polizeiinspektion Halle
(Saale), welcher zugleich amtierender Behördenleiter war, über die Einsatzlage in Kenntnis.
Durch diesen wurde die Einrichtung einer BAO angewiesen und die Übernahme der

Gesamteinsatzleitung erklärt.

Um 12:11 Uhr traf der erste Funkstreifenwagen an der Synagoge ein und meldete, dass eine
vermutlich angeschossene Person auf der Straße liegt. Mögliche Täter waren zu diesem
Zeitpunkt nicht vor Ort. Durch das LFZ erfolgte ein Fahndungsrundspruch zum PKW des
Täters, mit dem Hinweis, dass dieser im Bereich des Paulusviertels flüchtig ist.

Über den polizeilichen Notruf meldeten Anrufer um 12:13 Uhr eine männliche Person, welche
in einem Döner-Imbiss in der Ludwig-Wucherer-Straße umherschießt. Die Informationen zum
PKW und zur Personenbeschreibung waren identisch zur Meldung aus der Humboldtstraße.
Das LFZ setzte die Information zu diesem weiteren Einsatzort über Funk ab.

Um 12:15 Uhr meldete der in der Humboldtstraße zuerst eingetroffene Funkstreifenwagen
eine vermutlich getötete, weibliche Person und forderte Kräfte des zuständigen
Fachkommissariats an. Zeitgleich war die Arbeitsfähigkeit des Führungsstabes der BAO

hergestellt.

Ein im Nahbereich des Tatortes in der Ludwig-Wucherer-Straße eintreffender
Funkstreifenwagen meldete um 12:16 Uhr Täterkontakt und Schussabgabe auf die
Polizeikräfte. Durch weitere eintreffende Polizeikräfte wurde dies bestätigt. Bei dem
nachfolgenden Schusswechsel zwischen den Polizeikräften und dem Täter wurde dieser am
Hals verletzt, konnte aber mit dem PKW flüchten. Nacheilenden Fahndungskräften gelang es

nicht, das Täterfahrzeug im Paulusviertel aufzunehmen.

Der Führungsbeamte vom Dienst des LFZ der Polizeiinspektion Halle (Saale) informierte das
Lagezentrum der Landesregierung Sachsen-Anhalt über die lebensbedrohliche Einsatzlage in
Halle (Saale). Um 12:15 Uhr wurden weitere Einsatzkräfte, unter anderem Spezialeinheiten

und Spezialkräfte, angefordert.

Ein Zug für lebensbedrohliche Einsatzlagen der Landespolizei Sachsen wurde der
Polizeiinspektion Halle (Saale) unterstellt.

Eintreffende Kräfte des Kriminaldauerdienstes des Polizeirevieres Halle (Saale) übernahmen

in der Humboldtstraße die Tatortsicherung.

Aufgrund von Notrufeingängen und den daraus resultierenden Mitteilungen zu verschiedenen
Ereignisorten war aus polizeilicher Sicht von mehreren Tätern auszugehen.

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Ab 12:34 Uhr war ein vermehrter Zustrom von Pressevertreter*innen zum Tatort in der
Humboldtstraße zu verzeichnen.

Im Stadtgebiet Halle (Saale) wurde durch die eingesetzten Kräfte nach dem weiterhin
flüchtigen Tatverdächtigen mit der Maßgabe gefahndet, einen durch den Polizeiführer
freigegebenen Notzugriff oder Zugriff bei günstiger Gelegenheit, durchzuführen. Die am
Tatort Humboldtstraße zuerst eingetroffenen Einsatzkräfte melden um 12:18 Uhr, dass der
Tatverdächtige an diesen vorbeifuhr und in Richtung Innenstadt flüchtete.

Am Tatort in der Humboldtstraße wurde durch Einsatzkräfte festgestellt, dass sich ein
granatenähnlicher Gegenstand auf der Straße und diverse Flaschen mit einer unbekannten
Substanz im Hof vor der Synagoge befanden. Am Tatort in der Ludwig-Wucherer-Straße
wurde Munition durch Einsatzkräfte aufgefunden. Zuständige Kräfte für USBV wurden
angefordert und zum Einsatz gebracht,

Aufgrund von ersten Zeugenbefragungen durch Einsatzkräfte am Tatort in der Humboldtstraße
wurde eine nähere Personenbeschreibung des Täters bekannt und über Funk an alle
eingesetzten Kräfte übermittelt.

Der Führungsstab des Polizeiführers löste um 12:46 Uhr die Fahndung aus. Durch das
Führungs- und Lagezentrum der Polizeidirektion Leipzig erging die Mitteilung, dass alle
verfügbaren sächsischen Einsatzkräfte alarmiert und zur Landesgrenze Sachsen-Anhalt
verlegt werden. In Leipzig fand an diesem Tag das „Lichtfest“ anlässlich des 30. Jahrestages
der friedlichen Revolution unter Teilnahme mehrerer Schutzpersonen, unter anderem des

Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, statt.

Ein landeseigener Polizeihubschrauber befand sich seit 12:48 Uhr im Einsatzraum und warin
Fahndungsmaßnahmen involviert. Ein Polizeihubschrauber der Bundespolizei wurde als
Reserve auf dem Flugplatz Halle/Oppin vorgehalten.

Der Polizeiführer gab um 12:55 Uhr den finalen Rettungsschuss frei.’ Die Voraussetzungen

dafür wurden benannt.

Erste Hinweise auf eine mögliche politische Motivation des Täters ergaben sich auch aus
Zeugenaussagen, die ein versuchtes Eindringen des Täters in die Synagoge bestätigten.
Kräfte des Polizeireviers Halle (Saale) überprüften die Schutzobjekte der islamischen und

jüdischen Gemeinden in Halle (Saale).

10 Hierbei handelt es sich um einen Auszug aus dem getätigten Funkspruch im Einsatz.

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Ab 13:00 Uhr gingen mehrere Notrufe im LFZ zum Tatort Wiedersdorf ein. Gemeldet wurde
der Versuch einer bewaffneten, männlichen Person, den PKW eines Ehepaares zu
entwenden. Das Ehepaar wurde durch Schüsse des Täters verletzt.

Ein Notrufteilnehmer gab gegenüber dem BRA an, dass der Täter ein Taxi entwendet hat und
dieses über eine Ortungsfunktion verfügt. Darüber hinaus teilte der Anrufer mit, dass der Täter
die Ortslage Wiedersdorf mit dem Taxi verlassen hat. Diese Umstände übermittelte das LFZ
der Polizeiinspektion Halle (Saale) dem BRA,.

Der Geschädigte nahm die Verfolgung mit einem anderen Taxi auf und hielt eigenständig bei
Einsatzkräften der PD Leipzig an, welche gerade eine Kontrollstelle nahe der BAB 9 in
Wiedemar einrichteten. Dort informierte der Geschädigte die sächsischen Kräfte zum

Sachverhalt.

Durch den Führungsstab des Polizeiführers wurden umgehend Einsatzkräfte, unter anderem
ein Polizeihubschrauber, zum Tatort in Wiedersdorf entsandt. Nachfolgend wurde über die
Taximietgenossenschaft mitgeteilt, dass sich das entwendete Taxi in Richtung Wiedemar und
somit zur BAB 9 bewegt. Durch den Führungsstab des Polizeiführers wurde die Fahndungs
richtung an die eigenen Einsatzkräfte unter Benennung des amtlichen Kennzeichenskommu-
niziert. Das Führungs- und Lagezentrum der Polizeidirektion Leipzig wurde telefonisch über
die Fluchtrichtung unter Benennung des amtlichen Kennzeichens informiert.

Fahndungskräfte stellten das gesuchte Taxi auf der BAB 9 im Gegenverkehr in Fahrtrichtung
München fest. Nacheilende Einsatzkräfte verloren den Sichtkontakt zum Täter am

Autobahnkreuz Rippachtal.

Eine Funkstreifenwagenbesatzung, die in die Fahndung eingebunden war, stellte das
gesuchte Taxi auf der B 91 bei Werschen fest und nahm die Verfolgung auf. Während der
Flucht verursachte der Täter im Baustellenbereich einen Verkehrsunfall mit einem
entgegenkommenden LKW. Nach versuchter fußläufiger Flucht konnte der Täter um 13:36
Uhr durch Einsatzkräfte festgenommen werden.

Die zwei durch Schüsse verletzten Personen wurden durch Rettungskräfte medizinisch
versorgt. Einsatzkräfte suchten die Ortschaft Wiedersdorf nach dem zurückgelassenen
Tatfahrzeug ab. Das Tatfahrzeug konnte bei der Absuche um 14:03 Uhr aufgefunden,
gesichert und im Nachgang durch Spezialkräfte untersucht werden. Im Fahrzeug wurden
umfangreiche USBV sowie weiteres Beweismaterial aufgefunden.

Durch den Führungsstab des Polizeiführers wurden im Weiteren die Folgemaßnahmen
(kriminaltechnische und beweissichernde Maßnahmen) an den Tatorten angewiesen. Diese
erfolgten unter Beteiligung von Spezialkräften der LKÄ Sachsen-Anhalt und Berlin.

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Zugleich begann die Vorbereitung der Phase 2 mit der sukzessiven Bildung der gemäß
Führungs- und Einsatzkonzeption - terroristische Einsatzlagen - vorgesehenen

Einsatzabschnitte.

Im Stadtgebiet von Halle (Saale) waren Hinweise auf mehrere mögliche Parallellagen durch
die Einsatzkräfte zu überprüfen. Mit den aufwachsenden Kräften und der Unterstützung durch
Spezialeinheiten wurden fortlaufend Meldungen über mögliche weitere Täter geprüft. Die
polizeilichen Maßnahmen hierzu umfassten über den gesamten Einsatzzeitraum insgesamt
23 mutmaßliche Parallellagen. Diese bestätigten sich nicht.

Die Polizeiinspektionen Stendal, Magdeburg und Dessau-Roßlau unterstellten der
Polizeiinspektion Halle (Saale) Kräfte der Schutz- und Kriminalpolizei zur Lagebewältigung.

Am Tatort in der Humboldtstraße wurden die erforderlichen Maßnahmen bezüglich der in der
Synagoge befindlichen Personen vorbereitet. So stellte die Leitstelle der Halleschen
Verkehrsbetriebe zwei Busse zur Verbringung der Personen zur Verfügung. Ab 15:59 Uhr
wurden die 52 Personen aus der Synagoge geleitet. Die Personen wurden durch einen
Notarzt medizinisch erstuntersucht, durch Einsatzkräfte befragt und nach erfolgter
Identitätsfeststellung in ortsansässige Krankenhäuser verbracht. An den Krankenhäusern
erfolgten Schutzmaßnahmen.

Die Einsatzführungsstelle im Polizeirevier Halle (Saale) forderte für die in den Schusswechsel
mit dem Täter involvierten Beamt*innen ein Kriseninterventionsteam an, welches nachfolgend

zum Einsatz kam.
Die Bundespolizei gab um 17:46 Uhr den Bahnverkehr wieder frei.

2.3.2 Phase2

Um 18:15 Uhr wurde durch den Polizeiführer die Phase 2 der BAO erklärt. Zeitgleich erfolgte
die Aufhebung der Warnmeldung für die Bevölkerung und die Freigabe des Öffentlichen
Personennahverkehrs.

An die Einsatzabschnitte wurden per Funkrundspruch die sogenannten Leitlinien des
Polizeiführers bekanntgegeben, die taktischen Ziele kommuniziert und Einsatzabschnitte
gebildet.

Unter Verweis auf bereits geleistete Dienstzeiten erfolgte die Entlassung von Teilkräften aus
dem Einsatz’'. Gleichlautend wurde um 18:58 Uhr die Aufhebung der bundesweiten
Fahndungsmaßnahme veranlasst und per EPOST810 über das Lagezentrum der

Landesregierung Sachsen- Anhalt bundesweit gesteuert.

N! Kräfte der Frühschicht waren seit 06.00 Uhr im Dienst
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Aufgrund seiner Schussverletzung wurde der Täter unter polizeilicher Bewachung im BG
Klinikum Bergmannstrost operiert. Vorgesehen war, dass der Täter am 10. Oktober 2019 per
Lufttransport nach Karlsruhe verbracht wird und die Vorführung beim Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofes erfolgt.

Der Schutz der Tatorte sowie der jüdischen Einrichtungen im Land Sachsen-Anhalt wurde
aufgrund der Sicherheitslage ab 14:46 Uhr durch Erlasse des Ministeriums für Inneres und
Sport des Landes Sachsen-Anhalt festgelegt bzw. intensiviert.

Im Führungsstab des Polizeiführers erfolgten erste Vorbereitungen zum Besuch des
Bundespräsidenten sowie des geplanten Treffens des Bundesinnenministers mit dem
Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, dem Minister für Inneres und Sport des
Landes Sachsen-Anhalt und dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden am 10. Oktober
2019 in Halle (Saale).

Im Führungsstab der BAO erfolgte in den Nachtstunden die Ablösung der Stabsbereiche durch
Personal aus dem Polizeirevier Halle (Saale). Als Polizeiführerin fungierte die Leiterin des

Polizeireviers.

Am 10. Oktober 2019 gewährleisteten Kräfte des ZED der Polizeiinspektion Halle (Saale) die
Durchführung der Schutzmaßnahmen.

Ebenso am 10. Oktober, um 16:00 Uhr erfolgte die Erklärung der Verfahrensübernahme des
BKA. Die Ermittlungen wurden durch die BAO Concordia des BKA fortgeführt,

Maßnahmen zum Schutz der ab 11:30 Uhr in Halle (Saale) anwesenden Repräsentanten des
Bundes, des Landes Sachsen-Anhalt sowie weiterer Schutzpersonen verliefen, einhergehend
mit einem sehr hohen medialen Interesse, störungsfrei. Dies galt gleichfalls für zwei weitere
versammlungsrechtliche Aktionen mit 300 bis 400 bzw. 230 Teilnehmer*innen.

Die BAO der Polizeiinspektion Halle (Saale) wurde am 10. Oktober 2019 um 22:00 Uhr
beendet. Die in Schutzmaßnahmen eingebundenen Einsatzkräfte wurden dem Polizeirevier
Halle (Saale) unterstellt,

2.3.3 Kräftelage
Am 9. Oktober 2019, um 12:03 Uhr, waren im Rahmen des Pflichtdienstmanagements der
Polizeiinspektion Halle (Saale) 26 Funkstreifenwagen im Dienst. Davon befanden sich sieben
im Zuständigkeitsbereich des Polizeirevieres Halle (Saale), jeweils fünf in den
Zuständigkeitsbereichen der Polizeireviere Saalekreis, Burgenlandkreis und Mansfeld-
Südharz sowie vier Funkstreifenwagen im Bereich des Zentralen \Verkehrs- und
Autobahndienstes im Einsatz.

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Zum Zeitpunkt des Eingangs der ersten Mitteilung im LFZ der Polizeiinspektion Halle (Saale)
waren die sieben Funkstreifenwagen des Polizeireviers Halle (Saale), unter anderem bei der
Bearbeitung einer gefährlichen Körperverletzung, im Rahmen eines Einsatzes mit einer
renitenten Person, bei der Aufnahme eines Verkehrsunfalls sowie bei der Anfahrt zu einem
Einbruchsdiebstahl mit mehreren, noch vor Ort befindlichen Tätern, einsatzgebunden.

Es standen lediglich jeweils ein Funkstreifenwagen des Polizeirevieres Saalekreis und des
Zentralen Verkehrs- und Autobahndienstes, die ihren Dienstort ebenfalls im Stadtgebiet Halle
(Saale) haben, zum sofortigen Disponieren zur Verfügung. Diese zwei Funkstreifenwagen
verlegten unverzüglich zum Tatort in die Humboldtstraße.

Als um 12:13 Uhr die Mitteilung im LFZ der Polizeiinspektion Halle (Saale) einging, dass der
Täter im Kiez Döner in der Ludwig-Wucherer-Straße agiert, befanden sich zwei weitere
Funkstreifenwagen in unmittelbarer Nähe zum Tatort. Dabei handelte es sich um jeweils
einen Funkstreifenwagen des Polizeirevieres Halle (Saale) und des ZED, welche gerade auf
der Anfahrt zum Tatort in die Humboldtstraße waren. Diese Einsatzkräfte wurden mit
Eintreffen am zweiten Tatort unmittelbar vom Täter beschossen und erwiderten das Feuer.

Im Anschluss an den Schusswechsel zwischen dem Täter und den Einsatzkräften waren mit
Beginn der Flucht ab 12:18 Uhr mindestens 17 Funkstreifenwagen in die
Fahndungsmaßnahmen nach dem Täter im Stadtgebiet Halle (Saale) involviert. Es handelte
sich dabei um die Funkstreifenwagen des Polizeireviers Halle (Saale), die ihre Aufträge
abgebrochen hatten, zwei Funkstreifenwagen des Polizeireviers Saalekreis, zwei
Funkstreifenwagen des Polizeireviers Mansfeld-Südharz, drei Funkstreifenwagen des ZED"?,
ein Funkstreifenwagen des ZVAD sowie zwei weitere mit Kräften des Polizeireviers Halle
(Saale) besetzte Funkstreifenwagen. Außerdem war ab 12:48 Uhr ein Polizeihubschrauber
über dem Stadtgebiet von Halle (Saale) im Einsatz. Zwischenzeitlich erreichten weitere
angeforderte Kräfte aus den Polizeiinspektionen Magdeburg, Stendal und Dessau-Roßlau
sowie der LBP LSA und dem LKA den Einsatzraum.

Nachdem um 13:00 Uhr über den Notruf der Polizei mitgeteilt wurde, dass der Täter in
Wiedersdorf zwei Personen verletzte und einen PKW entwendete, verlegten sechs
Funkstreifenwagen, zwei Halbgruppen des ZED sowie zwei Polizeihubschrauber in die
Ortslage Wiedersdorf.

Im Verlauf der Flucht des Täters aus Wiedersdorf bis zu seiner Festnahme auf der B 91 waren
zwölf Funkstreifenwagen, zwei Halbgruppen des ZED, ein Einsatzzug der LBP LSA, Kräfte

"2 Die Einsatzkräfte des ZED agierten als geschlossene Einheiten, sodass die Fahrzeuge mit mehreren Polizeivollzugsbeamt*in-
nen besetzt waren.

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des Mobilen Einsatzkommandos des LKA Sachsen-Anhalt sowie zwei Polizeihubschrauberin
die Fahndungsmaßnahmen nach dem Täter involviert. Darüber hinaus verblieben Kräfte im
Stadtgebiet von Halle (Saale) und in der Ortslage Wiedersdorf.

Mit Bekanntwerden der Einsatzlage bis zur Festnahme des Täters verlegten umgehend
Funkstreifenwagen aus den benachbarten Polizeirevieren und Polizeiinspektionen in den
Einsatzraum. Diese waren unterstützend an den Tatorten eingesetzt und in die
Fahndungsmaßnahmen eingebunden. Weitere Einsatzkräfte trafen an den Tatorten ein, um an
diesen die Führung vor Ort zu übernehmen sowie kriminalpolizeiliche Maßnahmen einzuleiten
und durchzuführen.

Darüber hinaus verlegten bis zur Festnahme des Täters weitere Einsatzeinheiten der LBP
LSA, der Spezialeinheiten des LKA Sachsen-Anhalt sowie Einsatzeinheiten und
Spezialeinheiten der Polizei Sachsen in den Einsatzraum. Die Anzahl der
Einsatzbeamt*innen wuchs stetig an. Im Nachgang des Einsätzes war nicht lückenlos
nachvollziehbar, wo sich die Einsatzkräfte zu welchem Zeitpunkt befanden. Ein
nachträgliches Auslesen der GPS-Daten der Funkstreifenwagen oder Funkgeräte ist nicht
möglich.

Insgesamt waren bis zu 1.569 Einsatzkräfte in die Einsatzmaßnahmen eingebunden. Neben
Einsatzkräften der Landespolizei Sachsen-Anhalt kamen Einsatzkräfte der Bundespolizei, und
der Landespolizeien Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen zum

Einsatz.

3  Erfolgskritische Themenfelder
3.1 Besondere Aufbauorganisation Phase 1

3.1.1 Erstintervention

Zur Bewältigung einer entsprechenden Einsatzlage ist gemäß des Erstinterventionskonzepts
zu verfahren. Das Erstinterventionskonzept gibt vorab einen allgemeinen Rahmen, definiert
und kennzeichnet Szenarien, nennt und beschreibt Leitlinien, besondere Einsatzgrundsätze
und taktische Ziele und stellt die Führung und den Einsatz der BAO in der Phase 1 dar. Bei
der Anlage 1 zum Erstinterventionskonzept handelt es sich um die Checkliste LFZ/Befehls-
stelle. Die Anlagen 2 bis 4 beschreiben Maßnahmen im Einsatzraum.

3.1.1.1 Lage- und Führungszentrum/Führungsstab

Um 12:04 Uhr erfolgte die inhaltliche Übermittlung des ersten Notrufs über das BRA der Stadt
Halle (Saale) an das LFZ. Aufgrund der unklaren Sicherheitslage schickte das BRA der Stadt
Halle (Saale), nach Rücksprache mit dem LFZ, keine Rettungskräfte in den Einsatzraum.

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Parallel dazu liefen um 12:04 Uhr und 12:05 Uhr zwei weitere Notrufe von Bürgern im LFZ mit
ähnlichem Inhalt ein. Die Disponentin des ersten Notrufs entsandte über die Funkrufgruppe
für das Polizeirevier Saalekreis einen Funkstreifenwagen des Polizeireviers Saalekreis und
über die Funkrufgruppe für den ZVAD einen Funkstreifenwagen des ZVAD zum Tatort in die
Humboldtstraße. Es erging zusätzlich der Hinweis, auf die Eigensicherung zu achten. Um
12:07 Uhr fragte die Disponentin über die Funkrufgruppe für das Polizeirevier Halle
(Saale) nach verfügbaren Einsatzmitteln im Bereich der Stadt Halle (Saale). Des Weiteren
wurden die Führungsbeamten vom Dienst der Früh- und Spätschicht im LFZ, welche sich
gerade in der Schichtübergabe befanden, informiert. Zwei im Dienst befindliche Diensthund-
führer wurden fernmündlich über den Sachverhalt informiert und beauftragt, in den Einsatz-
raum zu verlegen. Der Leiter Stabsbereich LFZ wurde vom Führungsbeamten vom Dienst der
Frühschicht telefonisch in Kenntnis gesetzt. Er begab sich unverzüglich in das LFZ,
klassifizierte die Lage, löste um 12:10 Uhr die BAO lebensbedrohliche Einsatzlagen Phase 1
aus und erkläte gegenüber den beiden Führungsbeamten vom Dienst die
Führungsübernahme. Anschließend gliederte der Leiter Stabsbereich LFZ die Phase 1 und
benannte die Einsatzabschnittsführer,

Sowohl die Klassifizierung der Lage, die Führungsübernahme und der Aufbau der BAO
lebensbedrohliche Einsatzlage Phase 1 wurden nicht nachhaltig über Funk kommuniziert.
Der Inhalt und die Art und Weise der Funkkommunikation führten dennoch dazu, dass den
beteiligten Einsatzkräften klar war, dass es sich um eine lebensbedrohliche Einsatzlage
handelt.

Durch den’ Polizeiführer wurden anschließend Festlegungen entsprechend des
Erstinterventionskonzeptes getroffen. Parallel wurde begonnen, die Lage zu dokumentieren.

Der Leiter Stabsbereich LFZ informierte den Leiter Führungsstab, welcher zugleich
amtierender Behördenleiter war, über die Einsatzlage. Der Leiter Führungsstab wies die
Einrichtung einer BAO an und erklärte die Führungsübernahme. Um 12:15 Uhr ging die
Gesamteinsatzleitung vom LFZ auf den Führungsstab des Polizeiführers über.

In der ersten Phase richtete das LFZ seine Maßnahmen bzw. sein Vorgehen an der Anlage 1
Landeskonzeption für lebensbedrohliche Einsatzlagen — Checkliste LFZ/Befehlsstelle aus.
Diese beschreibt zwölf Sofortmaßnahmen. Die dort aufgeführten Sofortmaßnahmen fanden
trotz der dynamischen Anfangsphase im Wesentlichen Erledigung. Die
Informationsgewinnung erfolgte zunächst durch gezielte Befragung der
Notrufteilnehmer*innen. Die Disponentin erkannte die Dringlichkeit der Lage, ohne diese

jedoch unverzüglich eindeutig zu klassifizieren.

In der Dokumentation fanden sich anfangs die Stichworte „Hinweis", „Amok“ und „Mitteilung“.
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Das Szenario „lebensbedrohliche Einsatzlage" ist im ELDIS nicht hinterlegt und kann lediglich
im Freitext eingepflegt werden. Letztlich nutzte man die Klassifizierung lebensbedrohliche
Einsatzlage im Sprachgebrauch, ohne dies über die Funkrufgruppen nachhaltig zu
kommunizieren bzw. anhaltend zu doppeln.

Folgerichtig stellte sich die kurzfristige Führungsübernahme durch den Leiter Stabsbereich
LFZ dar. Dieser übernahm den Sachverhalt mit Aufbau der BAO, der Festlegung von
Führungsverantwortlichkeiten innerhalb der BAO- und besonderen
Festlegungen/Regelungen. Hierzu zählen insbesondere die Festlegung zur Intervention und
die Anforderung von zusätzlichen Kräften und Führungs- und Einsatzmitteln
(Spezialeinheiten und Spezialkräfte, geschlossene Einheiten der LBP LSA inklusive
Abteilungsführungsgruppe und Polizeihubschrauber, weitere landeseigene und landesfremde
Kräfte).

Parallel erfolgte die Verständigung des amtierenden Behördenleiters der unverzüglich die
Führungsübernahme erklärte. Die Pressestelle der Polizeiinspektion sowie das Lagezentrum
der Landesregierung Sachsen-Anhalt wurden umgehend in Kenntnis gesetzt. Die Erstmeldung
zur Einsatzlage wurde um 12:33 Uhr über EPOST810 abgesetzt.

Am 9. Oktober 2019, 12:03 Uhr, waren im Rahmen des Pflichtdienstmanagements im
Zuständigkeitsbereich 26 Funkstreifenwagen im Dienst. Zusätzlich bot sich ein
Funkstreifenwagen des Polizeireviers Saalekreis nach beendeter Schießfortbildung an. Die
Besatzung eines zivilen Funkstreifenwagens des ZED brach eine geplante
Rückführungsmaßnahme ab und verlegte in den Einsatzraum. Aus dem Polizeirevier
Burgenlandkreis wurden zunächst keine Einsatzmittel Funkstreifenwagen entsandt. Bei den
weiteren zur Verfügung stehenden Funkstreifenwagen der Polizeireviere Halle (Saale),
Saalekreis sowie Mansfeld-Südharz und der Zentralen Dienste (ZED und ZVAD) wurden
diejenigen entsandt, welche nicht auftragsgebunden waren. Die Priorisierung der Einsätze
wurde dabei nicht berücksichtigt. Im Ergebnis wurden nicht sofort alle im Dienst befindlichen
Einsatzkräfte der Flächenreviere entsandt, Deren Einbindung erfolge in die
Fahndungsmaßnahmen.

Als unzweckmäßig erscheint das nicht einheitliche Festlegen von TBZ-Funkrufgruppen und
die ausgebliebene Information an die Autorisierte Stelle Digitalfunk BOS Sachsen-Anhalt.

Die Information an die benachbarten Kreisleitstellen erfolgte nicht. Der erste Notruf ging zwar
im BRA der Stadt Halle (Saale) ein. Die Beteiligung der benachbarten Behörden und
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben erfolgte offensichtlich nicht. Positiv wirkte sich aus,
dass der Kontakt zum BRA der Stadt Halle (Saale) über den gesamten Einsatzverlauf hinweg
bestehen blieb und sich mit dem Entsenden eines Verbindungsbeamten der Stadt Halle

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(Saale) in den Führungsstab des Polizeiführers festigte.

Durch das LFZ und den Führungsstab des Polizeiführers wurden die wesentlichen Elemente

des Erstinterventionskonzepts umgesetzt.

> ImELDIS sollte die Hinterlegung von „lebensbedrohliche Einsatzlage" als mögliches
Szenario erfolgen.

> Die Anlage 1 Landeskonzeption für lebensbedrohliche Einsatzlagen — Checkliste
LFZ/Befehlsstelle sollte an jedem Einsatzleitplatz des LFZ vorliegen.
Des Weiteren sollte diese Anlage im ELDIS hinterlegt sein und bei der Auswahl des
Szenarios „lebensbedrohliche Einsatzlage“ sichtbar werden. Diese Checkliste sowie
weitere Ausführungen in Form von Fragebögen und Spruchzetteln könnten als
Anleitung und Hilfestellung dienen.

3.1.1.2 Operative Erstintervention

3.1.1.2.1 Vorbetrachtungen

Das Vorgehen der Einsatzkräfte war in der Erstintervention von einem sehr schnellen Handeln
geprägt. Dies belegen vor allem die kurzen Reaktionszeiten am Einsatztag. In der
Zeugenvernehmung am 13. Verhandlungstag vor dem Landgericht Magdeburg äußerte sich
ein Polizeibeamter, welcher zur den Erstinterventionskräften am Kiez Döner gehörte, wie folgt:
„Ich habe meine Kollegin noch nie so schnell fahren sehen.""?

Die Einsatzkräfte begannen unverzüglich mit der Intervention in Richtung des Täters, obwohl
unter anderem die Anzahl möglicher weiterer Täter noch nicht bekannt war und die
Schwierigkeit bestand, zwischen den Maßnahmen der Tatortsicherung, Hilfe für Verletzte und
der Fahndung nach dem Täter abzuwägen. Unter einem erheblichen Informationsdefizit und
trotz der anfangs fehlenden Kommunikation zur Klassifizierung der Lage, ordneten die
Einsatzkräfte die Lage für sich selbst bzw. innerhalb ihrer Funkstreifenwagenbesatzungen
als lebensbedrohliche Einsatzlage ein und handelten dementsprechend. Das Handeln war
zielstrebig und täterorientiert. Bei einer derart multiplen und mobilen Lage, mit einer
unbekannten Anzahl an Tätern, unbekannter Bewaffnung und unklarem Einwirkungsbereich
war unter Inkaufnahme der Eigengefährdung für die Polizeibeamt*innen das polizeiliche
Handeln außergewöhnlich entschlossen. Besonders hervorzuheben ist auch, dass sich
Einsatzkräfte aus Fortbildungs- und Rückführungsmaßnahmen anboten und in den
Einsatzraum verlegten.

1% Mitteldeutsche Zeitung (Stand: 16.09.2020) https://www.mz-web.de/halle-saale/anschlag-in-halle-saale/13--verhandlungstag-
polizisten-berichten-von-schusswechsel-mit-halle-attentaeter-37344712 [06.11.2020]
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