20210301_beiratsstudie_gemeinsam-getrennt-erziehen
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ“
Wechselmodell ®. (grundlegend dazu BGH 1.2.17, XII 7 B 601/15, NJW 2017, 1815) - stellen sich somit weitere Fragen in der Anwendung von $ 1687 BGB (dazu nur Hennemann, 2017, 1787 £f.; Wellenhofer, 2018, 2758, 2760). Es gibt Vorschläge, das Wechselmodell als Regelung des Umgangsrechts zu interpretieren (vgl. Abschnitt 2.2). Der Umgang des Kindes mit seinen Elternteilen ist in $ 1684 BGB geregelt. Grundsätzlich ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt, wobei die Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Für das Umgangsrecht der Eltern ist es unerheblich, ob dem jeweiligen Elternteil auch das Sorgerecht zusteht. Auch wenn ein Elternteil das alleinige Sorgerecht innehat, ist der andere, nicht sorgeberechtigte Elternteil grundsätzlich umgangsberechtigt und -verpflichtet. Das Umgangsrecht soll in besonderer Weise das Kindeswohl gewährleisten und ist entsprechend — gerade auch hinsichtlich seines Umfangs - von den Eltern zu beachten. Dabei sind jeweils die Umstände des Einzelfalles, wie das Alter und die Schulpflicht des Kindes, die räumliche Entfernung der Haushalte u.a.m., zu berücksichtigen (vgl. Wissenschaftliche Dienste, 2018). Bei geteilter Betreuung bzw. beim Wechselmodell geht es jedoch nicht um eine Ausweitung von Besuchszeiten im Rahmen des Umgangs, sondern im Zentrum steht das Anliegen, den Lebensmittelpunkt des Kindes bei beiden Eltern anzusiedeln. Insofern liegt es nahe, dass es bei der Entscheidung für das Wechselmodell eigentlich um das Aufenthaltsbestimmungsrecht geht. Dieses wird jedoch nicht im Rahmen des Umgangsrechts geregelt, sondern ist Teil des Personensorgerechts. Wiederholt wurde daher darauf hingewiesen, dass die Entscheidung für das Wechselmodell rechtlich als eine sorgerechtliche Regelung einzuordnen ist und nicht über das Umgangsrecht zu regeln ist (siehe auch Schumann, 2018). Eine Umgangsregelung entfiele sogar, sofern geteilte Betreuung rechtssystematisch als eine Form der Ausübung geteilter Sorge verstanden wird, die nicht mehr zwischen hauptbetreuendem und umgangsberechtigtem Elternteil unterscheidet, sondern beide Eltern in gleichen Rollen sieht (Schumann, 2018). Allerdings ist dieser Punkt bislang nicht geregelt und damit durchaus strittig. ® BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206 (207). 11
2.2 Aktueller juristischer Diskurs zum Wechselmodell: Erste Klärungen Geteilte Betreuung bzw. das Wechselmodell findet im Gegensatz zum Residenzmodell bisher keinen gesetzlichen Niederschlag im BGB. Entsprechend besteht vielfältiger Klärungsbedarf, einerseits im Hinblick auf grundlegende Fragen zu Möglichkeiten einer gerichtlichen Anordnung geteilter Betreuung bei entsprechender Uneinigkeit der Eltern bis hin zur Frage, ob eine allgemeine juristischen Priorisierung geteilter Betreuung für alle Trennungsfamilien anzustreben sei, andererseits im Hinblick auf konkrete Regelungen mit Bezug auf geteilte Betreuung. Offene Fragen hierbei sind: (1) Welche Formen geteilter Betreuung sollen berücksichtigt werden? Welche Abweichungen von einer exakt hälftigen Verteilung der Betreuungszeiten sollen unter die Regelungen zur geteilten Betreuung fallen? (2) Wie sind hierbei die sorgerechtlichen Befugnisse der Eltern zu gestalten? (3) Wie soll der Kindesunterhalt für unterschiedliche Ausprägungen geteilter Betreuung geregelt werden? Inwieweit soll hierbei ein Mehrbedarf der Haushalte bei geteilter Betreuung berücksichtigt werden? (4) Welche weiteren Regelungsbedarfe gibt es im Sozial- und Steuerrecht, soweit in diesen Rechtsbereichen an die Haushaltszugehörigkeit und Betreuung von Kindern angeknüpft wird? (5) Welche weiteren Bedingungen sollen an die Anerkennung geteilter Betreuung im Unterhalts-, Sozial- und Steuerrecht geknüpft werden? Die Literatur (vgl. Ruetten, 2016) und Rechtsprechung haben sich breit mit einzelnen Problemstellungen zum Wechselmodell befasst. Im Folgenden greifen wir zentrale Punkte auf. Verfassungsmäßigkeit der Gesetzeslage zur gerichtlichen Anordnung des Wechselmodells In einigen Ländern wie Kanada und Australien wurde geteilte Betreuung als zu präferierende Lösung für Trennungsfamilien gesetzlich verankert, u.a. indem bei Konflikten der Eltern über Umgang und Betreuung seitens der Gerichte dem Wechselmodell der Vorzug gegeben werden soll. Andere Länder (wie die Niederlande) haben eine häufigere Nutzung geteilter Betreuung durch Gesetzesreformen angeregt, ohne geteilte Betreuung bzw. das Wechselmodell zur verpflichtenden Lösung zu machen. Auch in Deutschland wurde geprüft, inwieweit das 12
Grundgesetz und/oder die Kinderrechtekonvention entsprechend weitreichende Reformen nahelegen. Nach Rechtsprechung des BVerfG ist der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet, das Wechselmodell als Regelfall im Gesetz zu verankern?. Aus Art. 6 Abs. 2 GG ergebe sich nicht, dass der Gesetzgeber den Gerichten eine Regelung für paritätische Betreuungsmodelle vorgeben müsse”. Auch eine völkerrechtskonforme Auslegung im Sinne der UN- Kinderrechtskonvention ergebe nichts Gegenteiliges!!. Damit . belässt das BVerfG der Gesetzgebung einen weiten Gestaltungsspielraum. Familienrechtliche Einordnung des Wechselmodells Bei entsprechenden Spielräumen für die Wahl eines Betreuungsmodells stellt sich die Frage, wie auf Basis der aktuell gültigen Gesetzeslage bei Uneinigkeit der Eltern zu entscheiden ist. Kann im gerichtlichen Konflikt das Wechselmodell angeordnet werden? Einer Auslegung des BGH zufolge stellt die Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen des mitsorgeberechtigten Elternteils eine Umgangsregelung dar und könne gemäß $ 1684 Abs. 3 BGB angeordnet werden!?. Dafür spricht nach Auffassung des BGH, dass die Bestimmung eines Betreuungsmodells durch das Gericht wie eine Umgangsregelung lediglich die Ausübung des Sorgerechts betreffe, ohne das Sorgerecht einzuschränken oder zu entziehen'?. Der BGH stellt lediglich fest, dass die Anordnung des Wechselmodells über $ 1684 BGB bei Eltern, die nicht das gemeinsame Sorgerecht innehaben, zu sachlichen Widersprüchen führen könne !*. Teilweise wird vorgebracht, dass gegen die Anordnung über die Umgangsregelung spreche, dass die Norm lediglich den Umgang und gerade nicht die Betreuung bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht betreffe. Das Umgangsrecht berechtige gerade nur zu einem Recht der tatsächlichen Betreuung gemäß $ 1687 Abs. 1 S. 4 BGB (Fritz, 2014). Das Umgangsrecht solle dem nicht Betreuenden ermöglichen, die Bindung zu seinem Kind durch regelmäßige Aufenthalte zu pflegen. Das paritätische Wechselmodell gehe jedoch über die ? BVerfG, Beschluss v. 24.6.2015, 1 BvR 486/14, NIJW 2015, 3366 (3366). 10 BVerfG, Beschluss v. 24.6.2015, 1 BvR 486/14, NJW 2015, 3366 (3366). !! BVerfG, Beschluss v. 24.6.2015, 1 BvR 486/14, NIW 2015, 3366 (3367). 12 BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206 (206). 13 BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XIT ZB 60 1/15, NZFam 2017, 206 (208). 14 BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206 (208). 13
reine Umgangsregelung hinaus, weil das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Fall gerade bei beiden Sorgeberechtigten habe (Hennemann, 2017). Z. T. wird die Anordnung des Wechselmodells daher als sorgerechtliche Regelung 1.S.d. $ 1671 BGB betrachtet (Fritz, 2014). Verteilung der elterlichen Entscheidungskompetenzen beim Wechselmodell Streitig ist zudem, wie sich die Verteilung der elterlichen Entscheidungskompetenzen nach $ 1687 BGB auf das Wechselmodell übertragen lässt. Zum Teil wird vorgebracht, dass die Alleinentscheidungsbefugnis in Fragen der Alltagssorge mit der jeweiligen Hauptbetreuung wechseln solle (Fritz, 2014; Schmid, 2016). $ 1687 Abs. 1 S. 2,3 BGB sei analog anzuwenden (Schmid, 2016). Der BGH äußert sich in seiner jüngsten Rechtsprechung lediglich dahingehend, dass sich die sorgerechtlichen Folgen aus $ 1687 BGB entnehmen ließen”. Gegen die Anwendung des Grundkonzepts des $ 1687 BGB wird allerdings vorgetragen, dass der Bereich der Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, die ein Einvernehmen der Eltern erfordern, beim Wechselmodell weiter gefasst werden müsste, um konträren Entscheidungen entgegenzuwirken (Finke, 2014). Damit soll gewährleistet werden, dass betroffene Kinder bei geteilter Betreuung der Eltern nicht disparaten Lebenswelten mit widersprüchlichen elterlichen Vorgaben ausgesetzt sind. Auch die im BGH-Beschluss formulierte Voraussetzung einer bestehenden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern ist in diesem Kontext zu sehen. Hinzu kommt, dass bei geteilter Betreuung de facto mehr Belange der Kinder im Konsens der Eltern gelöst werden müssen. Dies betrifft nicht zuletzt die Ausgaben für Bedarfe der Kinder, die nun nicht mehr in der Hand eines Elternteils liegen, sondern von beiden Eltern (weitgehend) gleichermaßen oder zumindest entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten gedeckt werden müssen (siehe Abschnitt 2.3 zum Unterhalt bei geteilter Betreuung). Während bein Residenzmodell der Erwerb des Wintermantels und der Schulmaterialien für die Kinder durch den hauptbetreuenden Elternteil organisiert und durch die Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils mitgetragen wurden, müssen sich bei geteilter Betreuung die Eltern darüber einigen, wer den Wintermantel und wer die Schulmaterialien bezahlt. Schon dies setzt eine erhöhte Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern voraus. 15 BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206 (209). 14
2.3 Unterhalt 2.3.1 Kindesunterhalt bei geteilter Betreuung in Deutschland und im internationalen Vergleich Grundsätzlich sind beide Elternteile für ihr Kind bzw. ihre Kinder unterhaltspflichtig ($ 1606 Abs. 38.1 BGB). Gemäß $ 1606 Abs. 3 S.2 BGB kommt der Elternteil, der die hauptsächliche Betreuung übernimmt, seiner Unterhaltspflicht durch die Pflege und Erziehung nach. Dieser Elternteil ist nicht zum Barunterhalt verpflichtet!°. Der umgangsberechtigte Elternteil ist damit allein barunterhaltspflichtig, wobei sich die Höhe des Unterhalts an seinem Einkommen orientiert und anhand der Düsseldorfer Tabelle berechnet wird. Die Unterhaltsregelung des $ 1606 BGB stellt somit ebenfalls auf das Residenzmodell als Standard ab. Erhält der betreuende Elternteil keinen Kindesunterhalt vom anderen Elternteil, ist er oder sie berechtigt, Unterhaltsvorschuss zu beantragen. Unterhaltsvorschuss sichert allerdings weniger als den Mindestunterhalt, da im- Unterhaltsvorschuss für das erste Kind das volle Kindergeld angerechnet wird, im Mindestunterhalt demgegenüber nur das halbe Kindergeld. Bis 2017 war der Unterhaltsvorschuss zudem auf eine Bezugsdauer von 72 Monaten und auf Kinder bis 12 Jahren begrenzt. Ab 2017 ist die zeitliche Begrenzung für Kinder bis 12 Jahren aufgehoben worden und die Möglichkeit, Unterhaltsvorschuss für ältere Kinder zu beantragen, erweitert worden. Allerdings ist der Bezug von Unterhaltsvorschuss für Kinder ab 12 Jahren abhängig vom Einkommen des alleinerziehenden Elternteils. Bei ALG II-Bezug entfällt der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, es sei denn, mit ihm kann der ALG II-Bezug vermieden werden. Eine weitere Ausnahme stellen Eltern mit einem Einkommen von mindestens 600 Euro dar, die ALG II als sog. Aufstocker beziehen.” Fraglich ist, wie die Unterhaltsansprüche im Wechselmodell geregelt werden. Liegt der Schwerpunkt der Betreuung deutlich bei einem Elternteil, ist den Grundsätzen des Residenzmodells ($ 1606 Abs. 3 BGB) zu folgen'®. Beim paritätischen Wechselmodell (ca. 50/50 der Betreuung und Erziehung) seien beide Elternteile zum Barunterhalt verpflichtet!? (Dethloff, 2018). Bei einer nicht gänzlich paritätischen Teilung sei der Barunterhaltspflichtige zumindest berechtigt, seine Unterhaltspflicht zu mindern (Fritz, 2014). 16 Vgl. Dethloff, Familienrecht, 31. Auflage, $ 11 Rn. 60. 17 Angemerkt sei zudem, dass der Unterhaltsvorschuss für jedes Alter des Kindes bei Wiederheirat entfällt. 18 BGH, Beschluss v. 12.3.2014, XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958 (1961). '® BGH, Beschluss v. 12.3.2014, XIT ZB 234/13, NJW 2014, 1958 (1961). 15
Da die ausstehenden Unterhaltsregelungen für Trennungsfamilien mit geteilter Betreuung besonders kontrovers diskutiert werden und für die Familien von zentraler Bedeutung sind, greifen wir im Folgenden auf Erfahrungen und Regelungen anderer Länder zurück, um einen für Deutschland geeigneten Vorschlag zu entwickeln. Im internationalen Vergleich existieren unterschiedliche Modelle zur Bemessung des Kindesunterhalts und zur Ermittlung des Unterhaltsanspruchs zwischen den Eltern. Dethloff and Kaesling (2018) unterscheiden hierbei das Stufenmodell, welches in Frankreich und dem Vereinigten Königreich praktiziert wird, das Prozentmodell, welches in den USA und in Australien verbreitet ist, und das Schwellenmodell, welches z.B. in Kanada angewendet wird. Die drei Modelle unterscheiden sich v.a. in der Frage, (a) ab welchem Betreuungsanteil ein Elternteil in welchem Maße von der Barunterhaltspflicht entlastet wird und (b) ob die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beider Elternteile berücksichtigt werden oder nur die Einkommenssituation des barunterhaltspflichtigen Elternteils in die Berechnung eingeht. Die letztgenannte Frage tangiert den Ressourcenfluss zwischen den Eltern und damit die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse, die das Kind in beiden elterlichen Haushalten erlebt. Innerhalb der Modelle kann es standardisierte Berechnungsmethoden für den Kindesunterhalt geben oder richterliche Einzelfallentscheidungen. Im Stufenmodell werden die Betreuungsanteile der Eltern stufenweise unterschieden. Auch asymmetrischen Formen des Wechselmodells kann somit Rechnung getragen werden (z.B. streng paritätisches WM im Bereich 50:50 bis asymmetrisches WM im Bereich 70:30). Im Prozentmodell wird die Betreuung tages- bzw. nachtgenau erfasst. Im Schwellenmodell werden nur zwei Fälle unterschieden, entweder wird das Kind nur von einem Elternteil betreut (Residenzmodell) oder die Betreuung erfolgt paritätisch (50:50 mit oder ohne Spielraum). Die aktuelle deutsche Rechtslage zum Kindesunterhalt entspricht am ehesten einem Schwellenmodell mit einem gerichtlichen Ermessensspielraum bezüglich der Schwellenbreite (um die 50:50-Aufteilung herum). 2.3.2 Nachehelicher Unterhalt und Betreuungsunterhalt Neben dem Kindesunterhalt werden auch der nacheheliche Unterhalt und der Betreuungsunterhalt (für unverheiratete und getrennte Eltern) durch die zunehmende Bedeutung des Wechselmodells tangiert. Seit 2008 ist das neue Unterhaltsrecht in Kraft. Bis 2008 richtete sich die Gewährung von nachehelichem Unterhalt vor allem nach dem Alter des 16
Kindes, wobei eine Vollzeiterwerbstätigkeit für den betreuenden Elternteil erst eingefordert werden konnte, wenn das jüngste Kind 15 Jahre alt war. In der alten Rechtsprechung hatten prinzipiell auch ledige Eltern Anspruch auf Betreuungsunterhalt vom Ex-Partner bzw. von der Ex-Partnerin. Im Unterschied zum nachehelichen Unterhalt, den Geschiedene beziehen konnten, war dieser Anspruch jedoch bis zum dritten Geburtstag des jüngsten Kindes begrenzt (BGH, 2009). Mit der Gesetzesreform 2008 haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für ledige und geschiedene Personen mit Kindern angeglichen. Für beide Gruppen gilt, dass ein Betreuungsunterhalt bzw. der nacheheliche Unterhalt in der Regel auf drei Jahre nach Geburt des Kindes begrenzt ist ($16151 II BGB und 81570 I BGB). Bislang gibt es keine Regelungen zum nachehelichen und Bereuungsunterhalt bei geteilter Betreuung. 2.4 Familienbezogene Leistungen bei geteilter Betreuung 2.4.1 Ein Überblick über betroffene Rechtsbereiche Die Fragen geteilter Betreuung in Nachtrennungsfamilien tangieren das Familienrecht und die Unterhaltszahlungen, die das BGB regelt. Darüber hinaus betreffen sie das Melderecht, unterschiedliche Bereiche des Einkommensteuerrechts und weitere finanzielle sowie nicht- finanzielle Leistungen für Familien, die im Sozialrecht, unter anderem im SGB II, geregelt werden. Tabelle 1 gibt — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — einen groben Überblick, inwiefern unterschiedliche Betreuungsmodelle in den einzelnen Rechtsbereichen Rechnung getragen wird bzw. wie stark die jeweiligen Regelungen auf einzelne Betreuungsmodelle — vor allem das Residenzmodell — beschränkt sind. Im Melderecht ist es zwar möglich, an einen Haupt- und Nebenwohnsitz registriert zu sein. Allerdings ist es nicht möglich, gleichzeitig zwei Hauptwohnsitze in unterschiedlichen ‚Wohnungen anzugeben. Vom Residenzmodell wird zudem bei der Berechnung und Gewährung von Kindergeld, Unterhaltsvorschuss, der Freitage für die Betreuung kranker Kinder, dem nachehelichen Unterhalt und dem Betreuungsunterhalt ausgegangen. Im Rentenrecht wird de facto ein — allerdings auf die Ehe beschränktes — Paritätsmodell angewandt, da Rentenentgeltpunkte, die während der Ehe durch Betreuung und Pflege erzielt wurden, im Rahmen des Versorgungsausgleichs zwischen den Eheleuten geteilt werden. Der einzige Rechtsbereich, in dem derzeit eine tagesgenaue Abrechnung stattfindet, ist der Regelbedarf im ALGI. 17
Tabelle 1: Betreuungsmodelle in unterschiedlichen Rechtsgebieten Residenz- | Paritäts- | Tagesgenaue modell modell | Abrechnung BMG: Melderecht X | EStG, BKGG: Kindergeld X EStG: Kinderfreibetrag und Freibetrag für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf | Alleinerziehende BKGG: Kinderzuschlag BGB: nachehelicher Unterhalt BGB: Betreuungsunterhalt SGB II, XII: Regelbetrag ALG II Sozialhilfe Asymmetrische Modell BKGG, SGB II: Bildung und X Teilhabe WoGG: Wohngeld X WoGG: Zuschuss zu Heizung und X Unterkunft SGBIVBGB Versorgungsausgleich SGB V: Pflegetage für kranke X Kinder Legende: BMG: Bundesmeldegesetz, EStG: Einkommensteuergesetz, BKGG: Bundeskindergeldgesetz, BGB: Bürgerliches Gesetzbuch; SGB: Sozialgesetzbuch, WoGG: Wohngeldgesetz SGB I, XII: Mehrbedarf ALG I], X Sozialhilfe Das Einkommensteuerrecht berücksichtigt Familienzugehörigkeit oder Familien- angelegenheiten mit unterschiedlichen Merkmalen. Im Folgenden werden mit dem Kindergeld, den Freibeträgen für Kinder und dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende sowie der 2% Bei Wechsel in mindestens einwöchigen Intervallen, BSG v. 3. 3. 2009 — B 4 AS 50/07 R, BSGE 102, 290; Simon in: Schlegel & Voelzke, jurisPK SGB XI, 3. Auflage Stand 1. 2. 2020, $ 30 SGB XII Rn. 80 f. m.w.N. 18
Berücksichtigung von Betreuungsmehrbedarf bei Leistungen nach SGB II die wichtigsten für das Wechselmodell relevanten Leistungen bzw. Steuerkomponenten im Detail diskutiert. Eine zentrale Rolle spielt für alle Leistungen das Existenzminimum des Kindes, das auch in der Situation von Trennungsfamilien von Verfassungs wegen zu gewährleisten ist. Das Existenzminimum wird in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich bemessen (vgl. ausführlich Ott et al., 2020, Kap. 3.1). Als Referenzsystem für den notwendigen Sachbedarf eines Kindes — das sächliche Existenzminimum — dienen die altersgewichteten Regelbedarf- sätze, die der Sozialhilfe nach SGB XI zugrunde liegen und in die Grundsicherung nach SGB H übernommen wurden. Das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum wird auf ihrer Basis regelmäßig als fixer monetärer Bedarf ermittelt (Existenzminimumbericht der Bundesregierung), der für alle Kinder gleich hoch ist und die Grundlage für den Kinderfreibetrag bildet.?! Zusätzlich werden im Einkommensteuerrecht normierte Wohnkosten und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket berücksichtigt. Anders als im Sozialrecht wird das Existenzminimum bzgl. des Alters der Kinder und der Wohnkosten typisiert. Darüber hinaus wird ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA) berücksichtigt. Nach dem so bemessenen steuerrechtlichen Existenzminimum wird die Höhe des Kindergeldes für das erste Kind abgeleitet. Das sächliche Existenzminimum ist wiederum Richtgröße für den Mindestunterhalt nach BGB und damit auch für den Unterhaltsvorschuss. Besondere Aufwendungen z.B. im Krankheitsfall werden gesondert und jeweils auf Antrag berücksichtigt. Kinder in Trennungsfamilien haben zwar den gleichen Bedarf an bestimmten Gütern und Leistungen. In Trennungsfamilien erfordert die Deckung dieses Bedarfs allerdings meist höhere finanzielle Aufwendungen (z.B. Kinderzimmer in zwei Wohnungen). Dies wird bei den familienpolitischen Leistungen bislang noch wenig systematisch und typisierend berücksichtigt. Lediglich für Alleinerziehende gibt es: sowohl im EStG als auch SGB II Sonderregelungen. Eltern im SGB II-Bezug haben ein Anrecht, Mehrkosten für Umgangskontakte (Fahrtkosten, Unterkunft, Heizkosten) geltend zu machen. Weitere Regelungen des existenziellen Mehrbedarfs im Falle geteilter Betreuung stehen allerdings noch aus. *! Im EStG wird gelegentlich ein leicht über diesem sächlichen Existenzminimum liegender Freibetrag festgelegt. 19
2.4.2 Kinderfreibetrag und Kindergeld Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens bei der Einkommensteuer kommen Freibeträge für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und für seinen Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf (BEA) zur Anrechnung ($ 32 Abs. 1, 6 EStG). Sie stehen beiden Eltern zu und können folglich nach der Trennung durch jeden Elternteil geltend gemacht werden. $ 32 Abs. 6 sieht eine Verdoppelung des Freibetrags vor, wenn die Ehegatten nach $$ 26, 26b EStG gemeinsam veranlagt werden, wenn der andere Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist oder wenn der Steuerpflichtige allein das Kind angenommen hat oder das Kind nur zu ihm in einem Pflegeverhältnis steht. Nur ein Freibetrag kann daher beansprucht werden, wenn der/die alleinstehende Steuerpflichtige nicht gemeinsam mit dem Ehegatten veranlagt wird. Die Haushaltszugehörigkeit des Kindes spielt in diesem Fall keine Rolle. Kindergeld und Kinderfreibetrag sind nach aktueller Rechtslage zu einem dualen Kinderlastenausgleich (nach $ 31 „Familienleistungsausgleich“) verbunden. Eine sog. Günstigerprüfung des Finanzamts nach $ 31 S. 4 EStG gewährleistet, dass ein Kind nicht durch Kindergeld und Kinderfreibeträge doppelt berücksichtigt wird. Vier Gruppen von Eltern sind dabei idealiter zu unterscheiden: e Die erste Gruppe erhält Kindergeld genau in dem Umfang, in dem sich bei Abzug der Kinderfreibeträge die Steuerpflicht für den Veranlagungszeitraum mindert. Das Kindergeld hat bei dieser Gruppe die Funktion einer vorweggenommenen Steuervergütung (vgl. $31 Satz 3 EStG). Die Familie erhält in der Logik dieses Lastenausgleichs keine finanzielle Förderung, sondern wird lediglich in dem Umfang, in dem sich die (das steuerliche Kindesexistenzminimum abbildenden) Kinderfreibeträge die Steuerschuld tatsächlich mindern, von der Steuerpflicht entlastet. e In der zweiten Gruppe liegt das Einkommen so niedrig, dass die Kinderfreibeträge gar nicht oder nicht in der Höhe die Steuerschuld mindern können, in der das Kindergeld im Veranlagungszeitraum gezahlt wurde. Das Kindergeld fungiert dann in Höhe des (Rest-)Kinderfreibetrags ebenfalls als vorweggenommene Steuervergütung. Den Rest des „zuviel“ gezahlten Kindergeldes dürfen die Eltern behalten: In dieser Höhe dient das Kindergeld „der Förderung der Familie“ und ist damit eine echte Sozialleistung. e Inder dritten Gruppe liegt das Einkommen so hoch, dass die Entlastungswirkung des Kinderfreibetrags höher ausfällt als das Kindergeld, d.h. das Kindergeld kann als vorweggenommene Steuervergütung die mit dem Einkommen steigende 20