20210301_beiratsstudie_gemeinsam-getrennt-erziehen

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ

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Entlastungswirkung des Kinderfreibetrags nicht mehr voll kompensiert. Die Eltern
werden im Rahmen der Steuervergütung umfangreicher als durch das Kindergeld
entlastet.

e Bei der vierten Gruppe wird Kindergeld (oder eine vergleichbare Leistung) nach
ausländischem Recht gezahlt, und der Zahlbetrag übersteigt das inländische Kindergeld.
Dann fällt nur der Anteil des gezahlten Geldes in den dualen Kinderlastenausgleich, der
der Höhe des deutschen Kindergeldes entspricht. Der übersteigende Anteil verbleibt den

Eltern als echte Förderleistung.

Während allerdings pro Elternteil zwei Steuerfreibeträge vorgesehen sind, wird das Kindergeld
auf die ganze Familie bezogen und nur an eine Person gezahlt. Kindergeld ist nicht teilbar. Eine
Gesamtgläubigerschaft der Eltern gegenüber der Familienkasse schließt die höchstrichterliche
Rechtsprechung nach geltender Rechtslage aus (BGH Urteil vom 20.4.2016 — XI ZB 45/15).
Zum Bezug ist nach $ 64 Abs. 2 S. 1 EStG, $ 3 Abs. 1 BKGG berechtigt, wer das Kind in seinen
Haushalt aufgenommen hat (Obhutsprinzip). Das Kind ist dort aufgenommen, wo es versorgt
und unterhalten wird sowie Fürsorge und Betreuung erhält (vgl. Bundesfinanzhof (BFH)
Beschluss vom 9.12.2011 —- II B 25/11 - juris Rn. 13 mit weiteren Nachweisen). Bei Aufnahme
in zwei Haushalten der Eltern ist zu ermitteln, in welchem Haushalt sich das Kind überwiegend
aufhält. Bei gleichwertiger Aufnahme in zwei Haushalten der Eltern (paritätisches
Wechselmodell) kommt $ 64 Abs. 2 S. 2-4 EStG zur Anwendung. Danach wird der oder die
Berechtigte durch die Eltern oder, wenn diese keine Bestimmung vornehmen, auf Antrag durch
das Familiengericht bestimmt (Bundesfinanzhof (BFH) v. 23.3.2005, III R 91/03, BStBl II

2008, 752 mit weiteren Nachweisen).

Da Einkommensteuer- und Sozialrecht eine reale Aufteilung des Kindergeldes nicht
ermöglichen, ist das Kindergeld unter der geltenden Rechtiläse nach familienrechtlichen
Regeln zu teilen. Der BGH hat in der genannten Entscheidung entschieden, dass das Kindergeld
isolierter Gegenstand eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs sein kann. Der BGH
differenziert dabei zwischen Bar- und Betreuungsunterhalt. Die auf den Betreuungsunterhalt
entfallende Hälfte des Kindergeldes wird zwischen den Eltern im paritätischen Wechselmodell
paritätisch aufgeteilt. Die auf den Barunterhalt entfallende andere Hälfte steht den Eltern
jeweils nach den prozentualen, aus den jeweiligen Einkommensverhältnissen abgeleiteten
Anteilen zu. Nur bei gleichen Einkommen oder für den Fall, dass die Eltern zum Barunterhalt
beide nicht imstande sind, hat nach dieser Entscheidung der nicht kindergeldberechtigte

Elternteil gegen den anderen einen Anspruch auf hälftigen Ausgleich. Eine Vollanrechnung des

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Kindergeldes auf den Barunterhalt des Kindes hat der BGH mit dieser Entscheidung abgelehnt
und dies damit begründet, dass der Kindergeldausgleich im Hinblick auf die
Betreuungsleistungen dann zugunsten des besserverdienenden Elternteils verzerrt würde. Die
Frage einer hälftigen Teilung des Kindergeldes mit Bezug allein auf den Betreuungsunterhalt
hat derselbe Senat in einer späteren Entscheidung, welche die vom 20.4.2016 bestätigt,
ebenfalls verneint, u.a. mit Hinweis auf den u.U. bestehenden Anspruch des Kindes auf
Barunterhalt gegen den besser verdienenden Elternteil (BGH 11.1.2017, XII ZB 565/15,
NZFam 2017, 171).

"Im Einkommensteuerrecht erfordert die Koppelung von Freibeträgen und Kindergeld bei
getrennten Eltern die Berücksichtigung des bereits gezahlten Kindergeldes bei der
Steuerschuld. Auf die Einkommensteuer wird in allen beschriebenen Gruppen nach $ 31 8.4
2. HS EStG bei getrennt veranlagten Eltern das Kindergeld jeweils hälftig angerechnet. Die
hälftige Anrechnung erfolgt unabhängig davon, wer das Kindergeld erhalten hat und in
welchem Verhältnis das Kindergeld im familienrechtlichen Ausgleich aufgeteilt wird.
Unterhaltsrecht und Einkommensteuerrecht sieht die Literatur insoweit hinreichend

aufeinander abgestimmt (Helmke & Bauer, 2016).

Auch wenn tragfähige Zahlen bislang fehlen, spricht jedoch einiges dafür, dass im Fall des
paritätischen Wechselmodells der steuerrechtliche Familienleistungsausgleich und der
familienrechtliche Kindergeldausgleich nicht für jede Einkommensgruppe optimal koordiniert
sind. Insbesondere kann die Förderung beider Eltern je nach deren Einkommen sehr
unterschiedlich ausfallen. Schon jetzt dürfte vielfach die Situation bestehen, dass ein Elternteil
(zumeist die Mutter) das hälftige Kindergeld als Sozialleistung erhält, weil die Entlastung durch
den Kinderfreibetrag geringer ausfallen würde, während der andere Elternteil (zumeist der
Vater) aufgrund seines höheren Einkommens durch den Kinderfreibetrag umfangreicher
entlastet wird: Werden aber beim familienrechtlichen Kindergeldausgleich auch die
Betreuungsanteile berücksichtigt, spiegelt sich dieser Vorteil in den Unterhaltsberechnungen

nicht vollständig wider.

Das Wechselmodell mit seinen Konsequenzen für eine gerechte Aufteilung der
Unterhaltspflichten unter Einbeziehung des Kindergeldes erhellt eine in der
rechtswissenschaftlichen Literatur bereits erkannte und benannte Schwäche des dualen
Kinderlastenausgleichs (Felix (2006), S. 152 ff. mit weiteren Nachweisen; Seiler (2008) S. 111
ff.: „politisch missglückt‘“; Seiler (2020) $ 31 Rn. 1). Das BVerfG fordert selbst in seiner

Entscheidung zum Kindesexistenzminimum die bestehende Verkoppelung von Freibeträgen

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und Kindergeld zu einem einheitlichen Kinderlastenausgleich nicht.”” Zur gegenwärtigen
Lösung merkt es vielmehr kritisch an, die das Kindergeld betreffenden Regelungen genügten
in ihrer sozialrechtlichen, steuerrechtlichen und familienrechtlichen Verflechtung „immer
weniger“ dem Grundsatz der Normenklarheit (BVerfG v. 9.4.2003 — 1 BvL 1/01, BVerfGE
108, 52, 75 — Kindesunterhalt — zu $ 1612b BGB).

2.4.3 Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach $ 24b EStG

Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zielt darauf ab, „die höheren Kosten für die eigene
Lebens- bzw. Haushaltsführung der Alleinerziehenden abzugelten, die einen gemeinsamen
Haushalt nur mit ihren Kindern und keiner anderen erwachsenen Person führen, die tatsächlich
oder finanziell zum Haushalt beiträgt“,*? und berücksichtigt so die fehlenden Synergien bei der
Einkommensverwendung im Vergleich zu Paarhaushalten. $24b EStG regelt diesen
Entlastungsbetrag. In seinen Voraussetzungen knüpft der Steuerentlastungstatbestand des $ 24b
EStG erstens an das „Alleinstehen“ des/der Steuerpflichtigen und zweitens an die
Zugehörigkeit eines Kindes zum Haushalt an. Das Merkmal „allein stehend“ wird in
Abgrenzung zu den Voraussetzungen für das Splitting-Verfahren und zur
„Haushaltsgemeinschaft“ definiert. Die Möglichkeit des Ehegattensplittings setzt voraus, dass
Ehegatten „nicht dauernd getrennt leben“ ($ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Mit dem Begriff des
„Getrenntlebens‘ knüpft $ 26 EStG an $ 1567 BGB an, wonach Ehegatten getrennt leben, wenn
zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht
herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Ein Leben in derselben
ehelichen Wohnung schließt nach dieser Vorschrift das Getrenntleben aber nicht aus, ebenso
kann eine eheliche Gemeinschaft ohne häusliche Gemeinschaft bestehen (vgl. MüKo-Weber, $

1565 Rn. 23, $ 1567 Rn. 20). In beiden — eher atypischen - Fällen wird das „dauernde

22 Das BVerfG leitet in seiner Grundsatzentscheidung von 1998 (BVerfG v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91,
BVerfGE 99, 246 (267) - Kindesexistenzminimum - aus dem Familienschutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG zwar die
Berücksichtigung der elterlichen Unterhaltspflichten in Höhe des Kindesexistenzminimums, nicht aber diese
Koppelung von Freibeträgen und Kindergeld ab. Vielmehr stellt es dem Gesetzgeber ausdrücklich frei, „die
verfassungsrechtlich gebotene Änderung durch eine Anhebung des einkommensteuerlichen Kinderfreibetrages,

durch eine Anhebung des Kindergeldes oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung vorzunehmen.“

2 Siehe Schreiben des BMF (2017):
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteu
er/2017-10-23-entlastungsbetrag-fuer-alleinerziehende.pdf? _blob=p ublicationFile&v-2

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Getrenntleben“ erst durch ein subjektives Element, das Erkennbar-nicht-mehr-herstellen-
Wollen der häuslichen Gemeinschaft wegen Ablehnung der ehelichen Lebensgemeinschaft,

hergestellt oder — bei Fehlen — ausgeschlossen.

Hieraus lässt sich schließen, dass auch im Einkommensteuerrecht ein Getrenntleben der Eltern
nicht zwei Haushalte der Eltern voraussetzt, auch wenn dies der Regelfall sein dürfte.
Umgekehrt ist auch die — atypische — Konstellation denkbar, dass ein Kind von Eltern
aufgezogen wird, die nicht dauernd getrennt leben, aber auch keine häusliche Gemeinschaft
bilden und folglich das Kind in zwei Haushalten beheimaten. Nur im ersten atypischen Fall
kann der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende geltend gemacht werden, denn die
Bezugsvoraussetzungen sind so ausgestaltet, dass sich Ehegattensplitting und

Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wechselseitig ausschließen.

Alleinstehend ist im Übrigen nur, wer auch nicht mit einer anderen Person, die nicht zum Abzug
eines Kinderfreibetrags berechtigt, in Haushaltsgemeinschaft lebt. Die Haushaltsgemeinschaft
wird definiert als gemeinsames Wirtschaften in einem Haushalt. Ist eine andere Person mit
Haupt- oder Nebenwohnsitz in der Wohnung des/der Steuerpflichtigen gemeldet, wird
vermutet, dass sie mit dem/der Steuerpflichtigen gemeinsam wirtschaftet. Die Vermutung ist
widerlegbar, es sei denn, der Steuerpflichtige und die andere Person leben in einer ehe- oder
lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft. Lebt also die 20-jährige Mutter bei ihren Eltern
oder in einer Wohngemeinschaft, wird vermutet, dass sie nicht alleinstehend ist; will die Mutter
den Freibetrag beanspruchen, kann (und muss) sie in diesem Fall geltend machen, dass sie mit
den anderen Personen nicht gemeinsam wirtschaftet. Ist sie in der Wohnung ihrer
Lebensgefährtin gemeldet (oder diese bei ihr), mit der sie in eheähnlicher Gemeinschaft
verbunden ist, steht ihr der Freibetrag auch dann nicht zu, wenn sie und die Lebensgefährtin

nicht in einem Haushalt gemeinsam wirtschaften.

Mit dem Merkmal „Meldung in einer Wohnung“ nimmt das EStG Bezug auf das Melderecht,
das mittlerweile bundesgesetzlich geregelt ist. Die Meldung erfolgt bei der Meldebehörde und
dient der Registrierung der in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnenden Personen zu dem
Zweck, deren Identität und Wohnungen feststellen und nachweisen zu können. Zur Erfüllung
ihrer Aufgaben führen die Meldebehörden Melderegister, auf welche andere Behörden
zugreifen können. Die Meldung einer anderen Person in der Wohnung des/der Steuerpflichtigen
bildet jedoch nicht unmittelbar ein Ausschlusskriterium für den Entlastungsbetrag, sondern
begründet eine Vermutung für eine Wirtschaftsgemeinschaft, die im Falle der ehe- oder

partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft unwiderleglich, in anderen Fällen widerleglich (s.o.) ist.

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Alleinerziehen wird in zweiter Komponente durch die Zugehörigkeit eines Kindes zum
Haushalt des/der alleinstehenden Steuerpflichtigen geprägt. Die Haushaltszugehörigkeit „ist
anzunehmen“, wenn das Kind in der Wohnung des/der Steuerpflichtigen gemeldet ist. (Das
Kind muss außerdem durch eine an es nach $ 139b AO vergebene Identifikationsnummer oder,
wenn es an einer solchen fehlt, in anderer Weise zu identifizieren sein.) Den Fall, dass ein Kind
bei mehreren Steuerpflichtigen gemeldet ist, sieht und regelt $ 24b Abs. 1 EStG ebenfalls. In
diesen Fällen steht der Entlastungsbetrag „demjenigen Alleinstehenden zu, der die
Voraussetzungen auf Auszahlung des Kindergeldes nach $ 64 Abs. 2 S. 1 erfüllt oder erfüllen

würde in Fällen, in denen nur ein Anspruch auf einen Freibetrag nach $ 32 Abs. 6 besteht.“

$ 64 Abs. 2 S. 1 EStG regelt den Fall, dass ein Kindergeldberechtigter das Kind in seinen
Haushalt aufgenommen hat (zur Kindergeldberechtigung siehe oben 2.4.2). Ist das Kind in
beiden Haushalten der Eltern paritätisch aufgenommen, kann dennoch auch der
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nur von einem Elternteil beansprucht werden und ist
nicht teilbar. Im paritätischen Wechselmodell können die Eltern den Abzugsberechtigten unter
sich bestimmen. Die Möglichkeit einer familiengerichtlichen Entscheidung nach $ 64 Abs. 2 S.
3 EStG lehnt der Bundesfinanzhof ab (BFH 28.4.2010, IITR 79/08, NJW 2010, 1263), der Streit
muss zwischen den Eltern folglich um die Kindergeldberechtigung geführt werden (vgl.
Lettmaier & Dürbek, 2019, S. 89 und oben 2.4.2.). Ob auch die aus dem Entlastungsbetrag für
Alleinerziehende folgenden finanziellen Vorteile Gegenstand eines familienrechtlichen
Ausgleichsanspruchs sein können, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden (ebenso

Lettmaier & Dürbek, 2019).

2.4.4 Unterhaltsvorschuss

Der Unterhaltsvorschuss bezweckt, alleinerziehenden Eltern bei Ausfall des Unterhalts für das
Kind finanzielle Erleichterung zu verschaffen, und zugleich kommt er dem Kind zugute (vgl.
Koppenfels-Spies, 2019, mit Bezug auf Bundestag, BT-Drs. 8/1952, S. 6). Der Anspruch auf
Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Lebensjahr (seit dem 01.07.2017, vorher bis zum 12.
Lebensjahr) setzt voraus, dass das Kind bei „einem seiner Elternteile“ lebt, der ledig, verwitwet
oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt ($ 1

Abs. 1 Nr. 2 UhVorschG) und dass dieser Elternteil vom anderen (noch lebenden) Elternteil

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nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt in Höhe des Mindestunterhalts erhält.”* Entfällt eine
(Bar-)Unterhaltspflicht durch Vereinbarung (z.B. für den Fall, dass zwei Kinder nach der
Trennung unter den Eltern aufgeteilt und je vollständig versorgt werden und die Eltern sich
verständigt haben, dass seitens des jeweils nicht betreuenden Elternteils kein Unterhalt gezahlt
wird), so entfällt auch ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss (OVG NRW, Beschluss vom
22.4.2013 -12 A 1973/12; HessVGH FamRZ 2005, 483; VGH BW, NVwZ 1996, 61).

Dem Zweck des UhVorschG entsprechend ist das gesetzliche Merkmal „Leben des Kindes bei
einem seiner Elternteile“ nur dann erfüllt, wenn ein Elternteil wegen des Ausfalls des anderen
Elternteils mit Erziehung und Unterhaltsgewährung doppelt belastet ist. Für die Frage, ob das
Kind bei einem Elternteil trotz zeitweiligen Aufenthalts beim anderen Elternteil lebt, hebt die
Rechtsprechung deshalb ab auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die ein Kind beim
anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des den Unterhaltsvorschuss
begehrenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes. Hat die Betreuung durch den
anderen Elternteil eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beanspruchenden
Elternteils zur Folge, sieht die Rechtsprechung das „Leben des Kindes bei einem seiner
Elternteile“ nicht gegeben (BVerwGE 144, 306 = FamRZ 2013, 353 mit Nachweisen zur älteren
Rechtsprechung). Die Erziehungs- und Betreuungsanteile müssen dabei nicht in quantitativer
und qualitativer Hinsicht gleich sein; im Hinblick auf den Zweck des $ 1 UhVorschG sollen
sich die Erschwernisse, die eine finanzielle Besserstellung durch den Unterhaltsvorschuss
erfordern, schon dann nicht mehr feststellen lassen, wenn der andere Elternteil in wesentlichem
Umfang — wenn auch nicht völlig gleichwertig - an der erzieherischen Leistung mitwirkt (OVG
Berlin-Brandenburg, Urteil v. 13.12.2018- OVG 6 B 9.17, juris Rn. 21; OVG Münster, FamRZ
2016, 143 ff., juris Rn. 29; VGH München, Beschluss vom 14.1.2013 — 12 C 12.2737 -, juris
Rn. 10). Das OVG Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg v. 13.12.2018, juris Rn. 22) geht
so weit, eine Orientierung am Merkmal der „Aufnahme in den Haushalt“ in $ 64 Abs. 2 S. 1
EStG (vgl. dazu oben 2.4.2) nahezulegen, bleibt mit dieser Auffassung aber bislang allein.

Die seit dem 1. Januar 2020 gültigen Richtlinien konkretisieren das Merkmal „Leben des
Kindes bei einem seiner Elternteile“ nunmehr wie folgt: Es setzt voraus, dass das Kind seinen

Lebensmittelpunkt im Haushalt des Elternteils hat, der ganz überwiegend die

4 Für Kinder ab 12 Jahren setzt der Anspruch voraus, dass sich entweder das Kind nicht im SGB II-Bezug befindet
oder dieser durch den Unterhaltsvorschuss vermieden wird oder dass der alleinerziehende Elternteil über ein
Einkommen von mehr als 600 Euro monatlich verfügt, $ 1 Abs. la UVG und Begründung in BT-Drs. 18/12589
zu Artikel 23). :

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Erziehungsverantwortung trägt. Bei geteilter Personensorge und nahezu gleichmäßiger
Betreuung (und damit für das symmetrische Wechselmodell) wird dies verneint. Umgekehrt
würde bei einer exakten Aufteilung der Betreuung 1/3 : 2/3 das Kind noch „bei einem seiner
Elternteile leben“. Trägt der Elternteil, bei dem das Kind nicht den Lebensmittelpunkt hat,
Erziehungsverantwortung zu mehr als einem Drittel und/oder hat das Kind seinen
Lebensmittelpunkt zu mehr als einem Drittel bei ihm, besteht nach den Richtlinien eine
Vermutung für geteilte Betreuung; bei entsprechenden, durch den antragstellenden Elternteil
vorgebrachten Anhaltspunkten wird jedoch die Erziehungssituation im Einzelfall anhand

präziser Kriterien ermittelt und ggf. Alleinerziehen dennoch bejaht.

Nach diesen Grundsätzen entfällt der Unterhaltsvorschuss bei geteilter Betreuung auch dann,
wenn noch Barunterhalt geschuldet wird. Eine gezielte Unterstützung des Kindes wird in dieser
Höhe verfehlt. Für eine zwischen ‚den Eltern geteilte Betreuung des Kindes ist der
Unterhaltsvorschuss sichtlich nicht konzipiert und auf diese Situation damit auch nicht gut
abgestimmt. Der Gesetzgeber begründete die Einführung des Unterhaltsvorschusses 1978 mit
einer besonderen, über die Unterhaltsleistung hinausgehenden und sich durch das Ausbleiben
des Barunterhalts noch verschärfenden Belastung alleinerziehender Elternteile kleiner Kinder
(BT-Drs. 8/1952, S. 6, aufgenommen in BVerfG NJW-RR 2004, 1154). Der Sozialleistung und
ihrer Ausgestaltung für Kinder bis zum 12. Lebensjahr?” liegt damit ein Bild der Familie
zugrunde, in der auch nach der Trennung ein Elternteil erwerbstätig ist und der andere Elternteil
unter Verzicht auf Erwerbstätigkeit erzieht und betreut. Auf diesem überkommenen Bild der
Familie und des Alleinerziehens beruht auch der Wegfall des Anspruchs bei Wiederheirat des
betreuenden Elternteils ohne Rücksicht darauf, dass der Stiefelternteil nicht zum Unterhalt des
Kindes verpflichtet ist. In beiden Konstellationen wird der Anspruch des Kindes auf
Barunterhalt nicht angemessen berücksichtigt. Im Verhältnis der Eltern wird überdies aufseiten
des hauptbetreuenden Elternteils ein negativer Anreiz für eine substanzielle Beteiligung des
barunterhaltspflichtigen Elternteils an der Betreuung gesetzt, der geeignet ist, finanzielle
Konflikte um die Kinderbetreuung zu schüren (verfassungsrechtliche Bedenken bei Schmidt,

2018, S. 145 (146)).

2 Der seit Juli 2017 gezahlte Unterhaltsvorschuss für ältere Kinder setzt nach $ 1 Abs. la UVG nun u.a. ein
Mindesteinkommen voraus. Der Gesetzgeber versteht dies als Anreiz für die alleinerziehenden Eltern,
„perspektivisch, mit Hilfe eines weiteren Ausbaus ihrer Erwerbstätigkeit die Hilfebedürftigkeit zu überwinden“,
BT-Drs. 18/11135 S. 160.

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2.4.5 Kinderzuschlag

Der Kinderzuschlag nach $ 6a BKGG soll die Bedürftigkeit eines Kindes und seiner Familie
vermeiden helfen und sicherstellen, dass sich zusätzliches Einkommen immer lohnt oder
jedenfalls nicht nachteilig auswirkt. Nach der Reform durch das „Starke-Familien-Gesetz“ vom
29.4.2019 (BGBl. I, S. 530) bemisst sich der Höchstbetrag des Kinderzuschlags mit Wirkung
vom 1.7.2019 so, dass er zusammen mit dem Kindergeld für ein erstes Kind und den Leistungen
für Bildung und Teilhabe nach 8&6b BKGG das steuerfrei zu stellende sächliche
Existenzminimum des Kindes (abzüglich des dort ausgewiesenen Betrages für BuT-
Leistungen) deckt. Können Eltern ihren eigenen Bedarf mit eigenem Einkommen decken,
vermindert sich der Kinderzuschlag mit zusätzlichem Einkommen, bis er vollständig
abgeschmolzen ist. Die Bezugsberechtigung für den Kinderzuschlag folgt im Wesentlichen”®
derjenigen des Kindergeldes, d.h. Kinderzuschlag steht nach geltendem Recht mit wenigen
Ausnahmen nur demjenigen Elternteil zu, der für das Kind Anspruch auf Kindergeld hat (siehe
oben 2.4.2.).

Auch die Rechtsprechung?” (vgl. Sächsisches LSG v. 14.01.2016 - L3 BK 8/13, juris Rn. 26
mit weiteren Nachweisen, vgl. ferner a. BSG v. 11.5.2019-B 14 AS 23/18 R, juris Rn. 22) hält
daran fest, dass der Kinderzuschlag wie das Kindergeld nur an einen berechtigten Elternteil
gezahlt wird. Diese Verknüpfung des Kinderzuschlags mit der Bezugsberechtigung für das
Kindergeld beruht auf der Annahme, dass ein Kind getrenntlebender Eltern typischerweise
durch einen Elternteil überwiegend betreut wird. Der Kinderzuschlag soll dabei eine finanzielle
Bedarfslage des Elternteils abfedern, die infolge der Versorgung des Kindes entsteht. Bei
geteilter Betreuung ist aber unsicherer als im Residenzmodell, welcher Elternteil in die typische
Lage kommt, die den Anspruch auf Kinderzuschlag auslöst, und in welcher Höhe diese

Sozialleistung jeweils zu gewähren ist. Denkbar ist außerdem, dass bei geteilter Betreuung

26 Bezugsberechtigt ist auch die wesentlich kleinere Gruppe von Personen, die Leistungen nach $ 4 BKGG, d.h.
vor allem Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Kinderzuschüsse aus der gesetzlichen

Rentenversicherung, erhalten.

27 Das Bayerische LSG (21.03.2013 — L 7 BK 5/12, juris; teilw. — ohne Sachverhalt — abgedruckt in NZS 2013,
432) will auf den Kinderzuschlag die Grundsätze der temporären Bedarfsgemeinschaft (s.u. 2.4.8) anwenden. Im
konkreten Fall lebte das Kind zeitweise in einem Internat und während der übrigen Zeit bei einem
alleinerziehenden Elternteil, weshalb diese Entscheidung für die Frage einer zwischen den Eltern geteilten
Betreuung keine Berücksichtigung finden soll. Vgl. aber zustimmend Kühl, in: Schlegel/V oelzke, jurisPK SGB II,
$ 6a BKGG Rn. 32, ohne Bezug auf die konkrete Fallgestaltung.

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beide Elternhaushalte eine Einkommenssituation aufweisen, die der Kinderzuschlag
berücksichtigen will. Dann entscheidet nach geltender Rechtslage allein die Berechtigung für
den Bezug des — ganz anders gelagerten — Kindergeldes darüber, welcher Elternteil den

Kinderzuschlag erhalten kann und welche zur Bedarfsgemeinschaft nach SGB II wird.

Ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch des anderen Elternteils ist weder in $$ 1612a und
1612b BGB noch in den Leitlinien der Oberlandesgerichte angesprochen. Ob der
Kinderzuschlag in Fällen geteilter Betreuung vergleichbar dem Kindergeld familienrechtlich
auszugleichen ist, ist angesichts der unterschiedlichen Funktionen von Kindergeld und
Kinderzuschlag höchst unsicher. Die Änderung des $ 6a BKGG durch das Starke-Familien-
Gesetz zum 01.07.2019, die u.a. eine „zielgenaue Stärkung von Familien und ihren Kindern“

bezweckt, hat diese Unsicherheiten noch verstärkt (vgl. Borth, 2019, S. 855).

2.4.6 Leistungen für Bildung und Teilhabe

$ 6b BKGG und $ 28 SGB II ermöglichen laufende Leistungen für freies Schulmittagessen oder
als monatlichen Zuschuss für musische und sportliche Betätigung oder zur Schülerbeförderung
sowie — in $ 28 SGB II genauer benannte - Unterstützungsleistungen für laufenden oder
einmaligen Mehrbedarf eines Kindes im Sinne von $ 1610 Abs. 1, 2 BGB. Nach der
Begründung des Starke-Familien-Gesetzes sollen die Leistungen der Familie zugutekommen,
„in der das Kind lebt“. Eine Anrechnung auf den Anspruch auf Barunterhalt gegen den
Elternteil, bei dem ein Kind nicht lebt, scheidet hiernach aus. Ob und inwiefern auf den Fall der
wechselweisen Betreuung die Grundsätze der temporären Bedarfsgemeinschaft (s.u. 2.4.8.)
anzuwenden sind oder ob nach den Grundsätzen für das Kindergeld nur ein Elternteil die
Leistungen beanspruchen kann, ist offen. Spätestens im familienrechtlichen Innenverhältnis

sind auch diese Leistungen ggf. zwischen den Eltern aufzuteilen.

2.4.7 Wohngeld und soziale Wohnungsförderung

$ 4 WoGG bindet den Anspruch auf Wohngeld an die Haushaltsmitgliedschaft.
Haushaltsmitglieder sind auch Kinder der wohngeldberechtigten Person, wenn sie mit diesem
Elternteil die Wohnung gemeinsam bewohnen und dieser Wohnraum der jeweilige Mittelpunkt
der Lebensbeziehungen ist ($ 5 Abs. 1 Nr. 4 WoGG). Die Frage des gemeinsam getrennt
Erziehens regelt das WoGG bereits in einer Fassung von 2008, die im WoGG 2016 nochmals

verändert wurde. $ 5 Abs. 6 WoGG lautet wie folgt:
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„Betreuen nicht nur vorübergehend getrennt lebende Eltern ein Kind oder mehrere Kinder zu
annähernd gleichen Teilen, ist jedes dieser Kinder bei beiden Elternteilen Haushaltsmitglied.
Gleiches gilt bei einer Aufteilung der Betreuung bis zu einem Verhältnis von mindestens einem
Drittel zu zwei Dritteln je Kind. Betreuen die Eltern mindestens zwei dieser Kinder nicht
paritätisch und nicht im Verhältnis 1:2, ist bei dem Elternteil mit dem geringeren

Betreuungsanteil nur das jüngste dieser Kinder Haushaltsmitglied.“

Die Zeitanteile der Betreuung werden hier zwar mathematisch genau geregelt, der Begriff der
Betreuung aber nicht präzisiert. $ 5 Abs. 6 WoGG 2008 hatte an Stelle der heutigen
„Betreuung“ noch ein gemeinsames Sorgerecht und das Bereithalten zusätzlichen Wohnraums
für ein Kind oder mehrere Kinder gefordert. Die Neuregelung ist nun stärker auf das
tatsächliche gemeinsame Erziehen abgestimmt, flexibilisiert und um die Drittel-Regelung
ergänzt worden. Die Neuregelung nimmt eine schon unter der alten Rechtslage bestehende

Verwaltungspraxis auf (vgl. Begr. Zu WoGRefG, BT-Drs. 18/4897).

Die Verwaltungsvorschrift zum Wohngeldgesetz präzisiert die Regelung des $ 5 Abs. 4 WoGG
für Kinder getrenntlebender Eltern, die Kinder zu annähernd gleichen Teilen betreuen, und
gleichgestellte Fälle. Betreuung in diesem Sinne liegt vor, wenn sich das Kind abwechselnd
und regelmäßig bei beiden Elternteilen aufhält. Die Betreuung ist durch die antragstellende(n)
Eltern glaubhaft zu machen und eine gerichtliche Regelung bzw. eine schriftliche Vereinbarung

der Eltern oder sonstige Unterlagen „sind gegebenenfalls beizufügen“ (Nr. 5.41 WoGVwV).

Zum Haushalt zählende Kinder haben auch Einfluss auf die Höhe der Förderung sozialen
Wohnraums. Nach $ 18 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) zählen als
Haushaltsangehörige auch Kinder, die mit den Eltern eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft
führen. Mittelbar nimmt der Bundesfinanzhof (BFH) für die Prüfung der Voraussetzungen für
die Eigenheimzulage nach $ 9 Abs. 5 S. 5 EigZulG auch Bezug auf den für die konkrete
Entscheidung nicht erheblichen $ 18 WoFG. Zum Verständnis der in beiden Vorschriften
genannten „Haushaltszugehörigkeit“ verweist der BFH wiederum auf den Begriff der
Haushaltsaufnahme in $ 64 Abs. 2 S. 1 EStG für das Kindergeld (s.o. 4.2.2.) (BFH v.
10.12.2004 — IM B 162/03, juris Rn. 12 ff.). Die Zwecke der Wohngeld- und
Wohnraumförderung sprechen allerdings gegen eine solche Anknüpfung unter der neuen
Rechtslage des WoGG 2016: Hiernach haben, anders als beim Kindergeld, beide gemeinsam

getrennt betreuenden Eltern Anspruch auf Wohngeld und einen Wohnberechtigungsschein.

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