Abschlussbericht Ersatzfreiheitsstrafen

Bund-Länder-Arbeitsgruppe

Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten - Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB

Abschlussbericht

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- 10 - f)     Einrichtung von Schwerpunktanstalten für den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe ................................. 261 VIII.    RESÜMEE ..............................................................................................................................................262 1.    ANZAHL UND ANTEIL DER ERSATZFREIHEITSSTRAFEN IM VOLLZUG SOWIE DIE DIESEN ZUGRUNDELIEGENDEN DELIKTE ........... 262 2.    ANTEIL DER ERSATZFREIHEITSSTRAFEN AN VOLLSTRECKUNGSANORDNUNGEN .............................................................. 263 3.    LEBENSLAGEN VON ERSATZFREIHEITSSTRAFERN ...................................................................................................... 264 a)     Feststellungen zur Person und ihren Lebenslagen ................................................................................. 264 b)     Feststellungen zur strafrechtlichen Vorgeschichte ................................................................................. 264 c)     Feststellungen zur vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe und zur Inhaftierung .......................................... 264 4.    POTENTIELLE GRÜNDE FÜR DEN ANSTIEG DER ERSATZFREIHEITSSTRAFER IM VOLLZUG ................................................... 265 5.    VERGLEICH DES DEUTSCHEN SANKTIONENSYSTEMS MIT DEM ANDERER STAATEN .......................................................... 265 6.    VORSCHLÄGE DER ARBEITSGRUPPE ...................................................................................................................... 265 a)     Beibehaltung der Ersatzfreiheitsstrafe ................................................................................................... 265 b)     Verbesserungsvorschläge ....................................................................................................................... 266 (1)    Informationen in der Muttersprache ..................................................................................................................266 (2)    Hilfe bei der Antragstellung ................................................................................................................................266 (3)    Lockerung des Sozialgeheimnisses......................................................................................................................266 (4)    Änderung des Umrechnungsmaßstabs in § 43 StGB ...........................................................................................267 (5)    Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen ............................................................................................................268 (6)    Pfändung des Eigengeldes / Nutzung des Zahlungsüberwachungsverfahrens ...................................................268 (7)    Ausdehnung des Rechtsgedankens des § 154 StPO im Vollstreckungsverfahren ...............................................268 (8)    Förderung von Ratenzahlungsvereinbarungen durch Einschaltung freier Träger /Bediensteter des ambulanten Sozialen Dienstes ...........................................................................................................................................................268 (9)    Ausbau vollzuglicher (Arbeits-)Projekte ..............................................................................................................269 c)     Ablehnung von Änderungsbedarf .......................................................................................................... 269 (1)    Einführung neuer Sanktionen im Strafrecht Allgemeiner Teil.............................................................................269 (2)    Entkriminalisierung (Strafrecht Besonderer Teil) ................................................................................................271 (3)    Effektivierungsmaßnahmen im Erkenntnisverfahren .........................................................................................271 (4)    Effektivierungsmaßnahmen im Vollstreckungsverfahren ...................................................................................272 (5)    Effektivierungsmaßnahmen im Vollzug ..............................................................................................................273
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- 11 - I.    AUSGANGSLAGE UND BERICHTSAUFTRAG 1. Auftrag Auf der Frühjahrskonferenz vom 1. bis 2. Juni 2016 haben die Justizministerinnen und Justizminister unter TOP II.11: „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ den folgenden Beschluss gefasst: 1.  Die Justizministerinnen und Justizminister haben die Rechtspraxis im Zusammenhang mit der Anordnung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, die in den Ländern praktizierten vielfältigen Maßnahmen zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, etwa durch gemeinnützige Arbeit, und auch neue Vorschläge zur Haftvermeidung und für eine effektivere Geldstrafenvollstreckung sowie alternative Sanktionsmöglichkeiten erörtert. 2.  Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich darin einig, dass eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe einer eingehenden und vertieften Prüfung bedarf. 3.  Die Justizministerinnen und Justizminister sprechen sich dafür aus, in einer Bund- Länder-Arbeitsgruppe diese Frage sowie weitere Verbesserungen des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung eingehend zu prüfen und in diese Prüfung auch neue Vorschläge sowohl zur Anordnung als auch zur Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen (z. B. durch eine Strafrestaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 StGB oder eine noch nachdrücklichere Geldstrafenvollstreckung) einzubeziehen. Auch ist der Frage nach alternativen Sanktionsmöglichkeiten nachzugehen. Dabei sollen insbesondere auch rechtsvergleichende Erkenntnisse einbezogen werden. 4.  Die Justizministerinnen und Justizminister bitten daher den Strafrechtsausschuss, eine entsprechende Arbeitsgruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz der Länder Brandenburg und Nordrhein-Westfalen einzurichten. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bitten sie, sich an der Arbeitsgruppe zu beteiligen. 2. Zielsetzung der Arbeitsgruppe Der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses hat daraufhin eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen eingerichtet. Aufgabe der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sollte sein, eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe sowie weitere Verbesserungen des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung eingehend zu prüfen und dabei auch neue Vorschläge sowohl zur Anordnung als auch zur Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen in den Blick zu nehmen.
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- 12 - An der Arbeitsgruppe haben sich - neben Brandenburg und Nordrhein-Westfalen - folgende Länder beteiligt: -    Bayern -    Berlin -    Hamburg -    Hessen -    Niedersachsen -    Rheinland-Pfalz -    Sachsen -    Sachsen-Anhalt -    Schleswig-Holstein -    Thüringen. Die konstituierende Sitzung fand am 4. Oktober 2016 in Düsseldorf statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppen trafen sich zudem am 22./23. März in Potsdam, am 9./10. November 2017 und am 11./12. April 2018 in Düsseldorf, am 5./6. Juli 2018 in Potsdam sowie am 19./20. September 2018, 29./30. Januar 2019, 26./27. Februar, 25. bis 27. März 2019 und 9. April 2019 in Düsseldorf. a) Durchführung einer Bestandsaufnahme Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe kamen überein, dass Grundvoraussetzung für eine eventuelle Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe sowie die Prüfung von Verbesserungen der bestehenden Instrumentarien zur Haftvermeidung eine Bestandsaufnahme in allen Bundesländern ist. Insbesondere sollte geklärt werden, in welchem Umfang die Länder von der Vollstreckung der Geldstrafe durch Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe betroffen sind, ob es zwischen den Ländern insoweit Unterschiede gibt, welche Haftvermeidungsmaßnahmen in den Ländern verfolgt werden und inwieweit sich diese positiv auf die Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen ausgewirkt haben und welche Klientel von der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen ist. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe entwickelten daher zunächst einen umfangreichen Fragebogen, um das Ausmaß der Problematik und potentielle Ansatzpunkte zutreffend zu ermitteln. Folgende Fragen sollten anhand der bestehenden technischen Unterstützungsprogramme zur Vorgangsverwaltung geklärt werden: 1.    Wie hoch war die Anzahl der zu vollstreckenden Geldstrafen in 2013 bis 2015? 2.    Wie hoch waren in den einzelnen Jahren die Anzahl und der Anteil von erledigten bzw. abgeschlossenen Zahlungen, von freier Arbeit, von Zahlung und freier Arbeit, von Zahlung, freier Arbeit und angeordneter Ersatzfreiheitsstrafe, von Zahlung und angeordneter Ersatzfreiheitsstrafe, von angeordneter Ersatzfreiheitsstrafe, von Gesamtstrafenbildungen und von sonstigen Erledigungen?
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- 13 - 3.  In wie viele Fällen (d.h. abgeschlossenen Verfahren) konnte im Beobachtungszeitraum die Geldstrafe durch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise beigetrieben werden? 4.  In wie vielen Fällen verlief die Zwangsvollstreckung im Beobachtungszeitraum fruchtlos? 5.  Gibt es in den Ländern Projekte oder sonstige Maßnahmen, die sich gezielt an Geldstrafenschuldner richten, um die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden? Haben sich diese ausweislich einer Evaluation oder interner Berechnungen als wirkungsvoll erwiesen? 6.  Mit wie vielen Stunden freie Arbeit wird ein Tagessatz getilgt? 7.  Sieht die Tilgungsverordnung bzw. Gnadenordnung die Möglichkeit der Reduzierung der Stundenzahl im Einzelfall vor? 8.  Besteht die Möglichkeit, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe während des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit zu verkürzen? Wie häufig wird hiervon Gebrauch gemacht? 9.  Besteht die Möglichkeit, die Vollstreckung einer weiteren Ersatzfreiheitsstrafe während des Vollzuges einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden? Wie häufig wird hiervon Gebrauch gemacht? 10. Besteht die Möglichkeit, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden? Wie häufig wird hiervon Gebrauch gemacht? 11. Gibt es spezielle Einrichtungen des Vollzuges (Übergangseinrichtungen/Vollzug in freien Formen), in denen bzw. durch die die Möglichkeit besteht, die Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen? 12. Sofern freie Arbeit während des Vollzuges geleistet werden kann: Wie wird die Gemeinnützigkeit definiert? 13. Welcher Personenkreis ist vom Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen (familiäre Situation,     Lebensverhältnisse,      berufliche    Qualifikation,    Arbeitssituation, Suchterkrankungen, Geschlecht, Alter, etc.)? 14. Gibt es für den vom Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe betroffenen Personenkreis eine wissenschaftliche Untersuchung? 15. Welche Straftaten liegen den vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug zugrunde? Wie hoch ist deren Anteil? 16. Sind mehrere Ersatzfreiheitsstrafen zu vollstrecken? 17. Wie hoch ist der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen im geschlossenen und im offenen Vollzug? 18. Wie viele Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sitzen in Unterbrechung einer Freiheitsstrafe ein? 19. Wie viele Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sitzen in Unterbrechung einer U-Haft ein? 20. Wie viele Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sitzen im Anschluss an eine Freiheitsstrafe ein? 21. Wie viele Ersatzfreiheitsstrafen dauerten bis zu 30, über 30 bis 60, über 60 bis 100, über 100 bis 200, über 201 bis 300 und über 300 Tagen?
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- 14 - 22.   Wie hoch war ihr Anteil (Angabe von Frage 21 in Prozent)? 23.   Wie verteilten sich die Ersatzfreiheitsstrafen nach der Tagessatzhöhe? 24.   Wie verteilten sich die Ersatzfreiheitsstrafen nach der Tagessatzhöhe prozentual? 25.   In wie vielen Fällen wurden ICD-10 Diagnosen bei Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, festgestellt? 26.   Auf welchen Kategorien verteilten sich diese? 27.   Wie viele Inhaftierte stellen einen Antrag auf Ableistung freier Arbeit? 28.   Wie viele Inhaftierte zahlten nach Haftantritt die Geldstrafe ganz oder teilweise? 29.   Wie viele Hafttage wurden durch die (Teil-)Zahlung erspart? b) Beauftragung des Kriminologischen Dienstes Nordrhein-Westfalen durch die Landesjustizverwaltung Da die bestehenden technischen Unterstützungsprogramme zur Vorgangsverwaltung Antworten zu den vorgenannten Fragen teilweise nicht oder nur unzureichend abbilden und unter großem Aufwand allenfalls händisch hätten ermittelt werden können und aktuelle Forschungsergebnisse nicht vorliegen, hat die Justizverwaltung des Landes Nordrhein- Westfalen den Kriminologischen Dienst mit der Untersuchung -   der strafrechtlichen Vorgeschichte von Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, -   den Anlassdelikten der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafen zw. Haftstrafen, -   des Verlaufs aktueller Freiheitsentziehungen, -   des Gesundheitsstatus, -   der Einkünfte vor Inhaftierung laut Aufnahmeverhandlung, -   von Arbeit, Einkünften und Leistungsansprüchen während der Haft, -   von Schulden und weiteren Zahlungsverpflichtungen, -   von Vollzugslockerungen und Entlassung der Gefangenen und -   des aktenkundigen Guthabens bei Entlassung beauftragt. Untersucht wurden die in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 13. April 2017 in den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen. Die Ergebnisse der Evaluation sind in diesen Abschlussbericht eingeflossen. Über das Ergebnis hat der Leiter des Kriminologischen Dienstes, Herr Leitender Regierungsdirektor Wirth, die Mitglieder der Arbeitsgruppe in der Sitzung am 10. November 2017 unterrichtet. Der Bericht ist als Anlage 1 beigefügt. c) Weitere Maßnahmen Zudem hat die Arbeitsgruppe die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden um Erstellung einer aktuellen Literaturübersicht zur Ersatzfreiheitsstrafe gebeten. Vertreter und Vertreterinnen der Arbeitsgruppe haben zudem -   an der Fachtagung der Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e.V. zu der Thematik „Uneinbringliche Geldstrafen erfolgreich tilgen“ am 16. Oktober 2017 in Berlin, -   an dem Rechtspolitischen Gespräch „Auf das Wesentliche konzentrieren – Schwarzfahren entkriminalisieren?“ am 5. Februar 2018 in Berlin und
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- 15 - -   an der Jahrestagung der Evangelischen Akademie Bad Boll zum Thema Haftvermeidung und Haftverkürzung am 23./24. Juli 2018 teilgenommen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat ferner über das Netzwerk für legislative Zusammenarbeit der Justizministerien der EU-Mitgliedstaaten aktuelle Erkenntnisse in Schweden, den Niederlanden, Dänemark, Österreich, Frankreich, Großbritannien und Spanien eingeholt. In der Sitzung am 11./12. April 2018 hat eine Vertreterin des niederländischen Justizministeriums den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das dortige System erläutert. In der Sitzung am 19./20. September 2018 berichtete Frau Prof. Dr. Hochmayr, Universität Frankfurt/Oder, über die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch Hausarrest, insbesondere in Österreich. Frau Rechtsanwältin Nadine Haandrikman-Lampen hat die Mitglieder in der Sitzung am 11./12. April 2018 über ihr laufendes Forschungsvorhaben "Ersatzfreiheitsstrafen Wirksamkeit der Haftvermeidungsmaßnahme ‚Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe‘ unter dem Blickwinkel der Legalbewährung“ informiert. In die Überlegungen der Arbeitsgruppe sind schließlich auch die Erwägungen der 2015 in Niedersachsen eingerichteten Länder-Arbeitsgruppe „Umgang mit Bagatellstrafsachen“, das Ergebnis der Prüfung aufgrund der Prüfbitte der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister in Ziffer 2 des Beschlusses zu TOP II.12 „Stärkere Ausrichtung der gesetzlichen Regelung zur Bemessung der Tagessatzhöhe von Geldstrafen am Sozialstaatsprinzip“ vom 4. Juli 2018 (Anlage 2) und die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Weitere Einsatzmöglichkeiten der EAÜ“ eingeflossen.
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- 16 - II. PROBLEMDARSTELLUNG Ersatzfreiheitsstrafe tritt gemäß § 43 Satz 1 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe. Dabei entspricht ein Tagessatz regelmäßig einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Zum 31. März 2018 waren bundesweit 4.753 zu einer Geldstrafe Verurteilte nur deshalb inhaftiert, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Durch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen entstehen erhebliche Belastungen für die Landesjustizverwaltungen. Die Haftkosten variieren in den Ländern in den Jahren 2013 – 2016 zwischen 98,10 € und 188,12 € pro Tag. Über die genaue Höhe gibt die nachfolgende Übersicht Aufschluss. Quelle: Eigene Berechnungen. Durch den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen werden erhebliche Ressourcen, die der Strafvollzug anderweitig benötigt, gebunden. Haftplatz- und Personalkapazitäten (Aufnahme, Einkleidung, Unterbringung und wenige Tage oder Wochen später der entsprechende Aufwand der Entlassungsvorbereitung) werden bei kurzen Haftstrafen in überproportionalem Maß in Anspruch genommen. Gleichzeitig verzichtet der Staat auf eine „Einnahmequelle“, da die Geldstrafe durch die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe getilgt ist. Für die verurteilten Personen können mit dem Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe nicht unerhebliche - aber grundsätzlich unerwünschte - persönliche und berufliche Nachteile verbunden sein. Die Kosten für die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen belaufen sich bundesweit rechnerisch auf mehrere Millionen pro Jahr. Will man diese Kostenlast verringern und gleichzeitig unnötigen Freiheitsentzug vermeiden, müssen effektivere Wege zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen beschritten werden. Da der Großteil der Geldstrafen unter 90 Tagessätzen liegt und sich nur in wenigen Fällen auf mehr als 180 Tagessätze beläuft, werden überwiegend kurze Ersatzfreiheitsstrafen in
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- 17 - den Justizvollzugsanstalten vollstreckt. Der staatliche Resozialisierungsauftrag ist in diesem kurzen Zeitraum nicht zu erfüllen. Im Hinblick auf § 47 Absatz 1 StGB wird die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen von Teilen der Literatur als generell problematisch angesehen. § 47 Absatz 1 StGB bestimmt, dass originäre Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nur verhängt werden dürfen, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Dabei sind unter anderem die Anzahl, das Gewicht und der zeitliche Abstand der Vorstrafen, die Umstände der Tat und deren Schuldgehalt sowie die Lebensverhältnisse des Täters zu berücksichtigen. Entscheidend ist zum Beispiel, ob der abzuurteilenden Tat Vorbelastungen aufgrund gleicher oder ähnlicher Taten vorangegangen sind oder ob kein Zusammenhang zu etwaigen früheren Straftaten besteht. Bei der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen fehlt eine derartige Prüfung. Vielmehr ordnet (allein) der Rechtspfleger bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe die Vollstreckung an. Der Grund hierfür ist, dass die Ersatzfreiheitsstrafe eben keine originäre Freiheitsstrafe ist, in der der Freiheitsentzug selbst die schuldangemessene Strafe ist, sondern sie tritt an die Stelle der Geldstrafe, wenn diese uneinbringlich ist. Daher ist – anders als bei der originären Freiheitsstrafe – auch nicht entscheidend, ob sie trotz ihrer kurzen Dauer aus spezial- oder generalpräventiven Gründen notwendig ist. 1. Entw icklung der Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug a) Bundesweite Entwicklung Die bundesweite Entwicklung der Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug von 2003 bis 1 2018 veranschaulicht das nachfolgende Schaubild: 1 Die Daten, die der Berechnung in diesem Abschnitt zugrunde gelegt wurden, stammen aus der Fachserie „Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätze des geschlossenen und offenen Vollzuges, jeweils zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November eines Jahres“ des Statistischen Bundesamts, Spalte R.
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- 18 - Quelle: Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzuges, Stand 2018. In den Jahren 2003 bis 2009 verbüßten bundesweit durchschnittlich 3.826 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe. In den Jahren 2010 bis 2017 waren es im Durchschnitt 4.206 Personen. Dies bedeutet einen Anstieg von 9,9 %. Vergleicht man die Stichtage 31. März 2003 und 31. März 2018 zeigt sich ein Anstieg von 26,8 %. b) Entwicklung in den Ländern Die Entwicklung der Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug in den einzelnen Bundesländern kann den Anlagen der einzelnen Bundesländer (Anlagen 3 – 18) entnommen werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass (nur) in Schleswig-Holstein und Hamburg die Anzahl der Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, über den gesamten Beobachtungszeitraum tendenziell gesunken ist. Zwar weisen neben Schleswig-Holstein und Hamburg auch Niedersachsen und Brandenburg geringere Inhaftiertenzahlen am 31. März 2017 gegenüber dem 31. März 2003 aus, jedoch steigt in Brandenburg seit dem 31. August 2010 und in Niedersachsen seit dem 31. August 2012 tendenziell die Anzahl nahezu kontinuierlich. Auch in Mecklenburg-Vorpommern steigt die Anzahl langfristig gesehen. Während der Mittelwert seit 2010 bei 85 liegt, betrug er in den Jahren 2003 – 2009 nur 72. Gleiches gilt für Berlin. In den übrigen Ländern zeigt sich ein teils deutlicher Anstieg der entsprechenden Inhaftiertenzahlen. 2. Entw icklung              der       Anteile          der        Ersatzfreiheitsstrafen               an Freiheitsentziehungen im Vollzug Für das Ausmaß der Belastung wird - insbesondere in der Presse - immer wieder der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen an allen Freiheitsentziehungen im Vollzug herangezogen. a) Bundesweite Entwicklung Bundesweit zeigt der Längsvergleich einen kontinuierlichen Anstieg des Anteils der Ersatzfreiheitsstrafen an allen im Vollzug vollstreckten Freiheitsstrafen seit 2003 von 7 % auf 10,2 %.
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- 19 - Quelle: Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzuges, Stand 2018. b) Entwicklung in den Ländern Die genaue prozentuale Entwicklung in den Ländern kann ebenfalls den Anlagen 3 – 18 der einzelnen Länder entnommen werden. c) Bewertung der Anteile von Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug Den prozentualen Anstieg der Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug hält die Arbeitsgruppe für sich allein betrachtet allerdings nicht für aussagekräftig. Denn sie erwecken den Eindruck, dass der Anstieg allein Folge der vermehrten Anzahl von Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug ist. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Denn der Anteil im Vollzug erhöht sich nicht nur durch eine absolut höhere Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen, sondern hängt entscheidend auch von der Anzahl der im Vollzug verbüßten Freiheitsstrafen ab. Sinkt dieser Anteil, erhöht sich automatisch der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen, steigt der Anteil, verringert sich der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen – und zwar unabhängig von einer Veränderung der absoluten Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug. Um diesen Effekt abschätzen zu können, hat die Arbeitsgruppe auch die Entwicklung der Freiheitsstrafen im Vollzug in den Blick genommen. 2 Die Anzahl der im Vollzug vollstreckten Freiheitsstrafen ist im Beobachtungszeitraum bundesweit deutlich zurückgegangen. Quelle: Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzuges, Stand 2018. 2 Hierzu zählen auch die Ersatzfreiheitsstrafen.
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