Evaluation Ersatzfreiheitsstrafe NRW

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Ergebnisse der Erhebung des Kriminologischen Dienstes in NRW zu "Ersatzfreiheitsstrafe und potentiellen Sanktionsalternativen"

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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen 3. Merkmale der Ersatzfreiheitsstrafen Eine Ersatzfreiheitsstrafe ist bekanntermaßen nicht unmittelbar durch eine Straftat, sondern durch eine Geldstrafe begründet, mit der eine Straftat sanktioniert wurde, die aber von den Verurteilten nicht bzw. nicht komplett gezahlt wurde oder gezahlt werden konnte, so dass die Inhaftierung im Wortsinn „ersatzweise“ erfolgte. Die Haft ist inso- fern richterlich weder direkt angeordnet, noch beabsichtigt gewesen, sondern zumeist eine indirekte Folge der Mittellosigkeit der Betroffenen, darüber hinaus aber auch Kon- sequenz ihrer strafrechtlichen Vorgeschichte. 3.1. Strafrechtliche Vorgeschichte und                     Anlassdelikte       15 Für eine differenzierte Analyse der EFS-Gefangenen ist eine Beachtung früherer Ver- urteilungen neben dem Blick auf die der Geldstrafe zugrundeliegenden Delikte loh- nenswert. Ein Bundeszentralregisterauszug (BZR), dem Angaben über strafrechtlich relevante Voreinträge entnommen werden können, lag für 72 % der EFS-Gefangenen in der Akte vor. In nur elf dieser Fälle war der BZR-Ausdruck ohne Eintrag. Für den „durchschnittlichen EFS-Gefangenen“ waren etwa acht BZR-Einträge registriert. Auf dem in sämtlichen Akten enthaltenen Personaldatenblatt war allerdings nur für knapp die Hälfte der EFS-Gefangenen eine Vorstrafe oder Maßregel im engeren Sinne regis- triert. In 83 % dieser Fälle handelte es sich dabei um eine Geldstrafe. Ein knappes Drittel war zuvor bereits zu einer Haftstrafe mit Bewährung verurteilt worden – ohne Bewährung waren es 43 %. Bei den Delikten, die mit den hier in Rede stehenden uneinbringlichen Geldstrafen geahndet wurden, waren in drei von zehn Fällen (mindestens) ein Eigentumsdelikt (Diebstahl oder Unterschlagung), in fast jedem vierten Fall (23,5 %) das „Erschleichen von Leistungen“ – zumeist wohl Schwarzfahren – und in weiteren 12 % Delikte wie Betrug, Untreue, Hehlerei und andere Vermögensdelikte ursächlich. Es folgen Ver- stöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG: 9 %), Körperverletzungsdelikte (8 %), Fahren ohne Fahrerlaubnis (7 %) und andere Straßenverkehrsdelikte (6 %), Beleidigung (4 %), Sachbeschädigung (3 %), Nötigung und Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz mit jeweils 2 % sowie sonstige so genannte „Bagatellde- likte“ (5 %). Nur in Einzelfällen (in der Summe unter 1 %) waren auch schwerere Ge- walt- oder Sexualdelikte registriert – u. a. bei Tätern, die zusätzlich zu der Ersatzfreiheitsstrafe auch andere Freiheitsstrafen zu verbüßen hatten.                          16 15  Vgl. Anhangstabellen A 8: Strafrechtliche Vorgeschichte, A 9: Anlassdelikte der zugrunde liegenden Geld- strafe, A 10: Verlauf aller aktuellen Freiheitsentziehungen und A 11: Zusätzlich zur Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßende Haftstrafen. 16  Durch mögliche Mehrfachnennungen summieren sich die Angaben auf über 100 %. Lobitz & Wirth                                     KrimD NRW 2018                                    Seite 11 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Im Vergleich der Unterbringungsarten ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: Die über die gesamte Inhaftierung im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefan- genen waren erwartungsgemäß stärker strafrechtlich vorbelastet als die ausschließlich im offenen Vollzug Untergebrachten. Während die Erstgenannten im Schnitt 9,2 BZR- Einträge hatten, waren es bei Letzteren „nur“ 6,8 Eintragungen. Allerdings ist auch das eine stattliche Anzahl. Etwa die Hälfte 55 % der Gefangenen im offenen Vollzug hatten bis zu fünf Eintragungen – im geschlossenen Vollzug betraf dies etwa vier von zehn Gefangenen – jeweils bezogen auf Gefangene, die ausschließlich in der genannten Vollzugsart untergebracht waren. Auf den ersten Blick erstaunlich wirkt hingegen, dass unter den ausschließlich im ge- schlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen 41 % im strafrechtlichen Sinne als vorbestraft gelten, dass dies aber für 55 % der ausschließlich offen Untergebrachten galt. Allerdings ist der Anteil der Fälle, bei denen Angaben zur Vorstrafenbelastung fehlten, hier mit knapp 27 % besonders hoch. Und zudem fällt eine besonders hohe Quote vorbestrafter Gefangener (69 %) unter denen auf, die nach einer anfänglich of- fenen Unterbringung in den geschlossenen Vollzug (zurück-)verlegt worden waren. Bei den vom geschlossenen in den offenen Vollzug Verlegten, zu denen insgesamt jeder fünfte EFS-Gefangene zählt (vgl. dazu auch die Einführung zu Kapitel 2), fällt der Anteil vorbestrafter Gefangener mit 52 % kleiner aus. Unter den vorbestraften EFS- Gefangenen, die im offenen Vollzug untergebracht oder aus diesem entlassen worden waren, waren zudem der Anteil und die Anzahl von früheren Verurteilungen zu einer Haftstrafe ohne Bewährung deutlich geringer als unter den (bei Entlassung) im ge- schlossenen Vollzug Untergebrachten. Allerdings liegt der Anteil dieser Tätergruppe auch im offenen Vollzug bei einem guten Drittel.                17 Bei Betrachtung einzelner Anlassdelikte der aktuell untersuchten Haft sind die Unter- schiede zwischen den Unterbringungsarten gering. Lediglich bei den ausschließlich im offenen Vollzug Untergebrachten gibt es leicht unterdurchschnittliche Anteile von Ge- fangenen, die wegen Diebstahlsdelikten oder wegen des Erschleichens von Leistun- gen verurteilt worden waren. Dafür ist die Quote der wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis Verurteilten hier leicht überdurchschnittlich. Gefangene, die die Voll- zugsart während ihrer Haft gewechselt haben, zeigen ein uneinheitliches Bild. Bei je- nen, die vom geschlossenen in den offenen Vollzug verlegt worden waren, liegt der Anteil der Diebstahlsdelikte unter dem Durchschnitt. Bei den aus einer offenen in eine geschlossene Unterbringung verlegten Gefangenen ist der Vergleichswert doppelt so hoch. Eine umgekehrte Tendenz ist bei den Vermögensdelikten (Betrug, Untreue, etc.) zu erkennen, und bei dem Delikt der Leistungserschleichung halten sich die Ver- gleichswerte die Waage, allerdings auf überdurchschnittlichem Niveau.                      18 17 Weitere Daten zur strafrechtlichen Vorgeschichte finden sich in der Anhangstabelle A 8. 18 Vgl. Anhangstabelle A 9. Lobitz & Wirth                                KrimD NRW 2018                                  Seite 12 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen 3.2. Anzahl und Dauer der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafen Tatsächlich waren drei von zehn EFS-Gefangenen (31 %) von mehr als nur einer Frei- heitsentziehung betroffen. Insgesamt waren 14 % wegen zwei und weitere fünf Pro- zent wegen drei und mehr Ersatzfreiheitsstrafen inhaftiert. Das allerdings nur in einem (Ausnahme-)Fall registrierte Maximum lag bei fünf Ersatzfreiheitsstrafen. Bei 15 % war zusätzlich zu der oder den Ersatzfreiheitsstrafe(n) noch mindestens eine „normale“ Freiheitsstrafe zu verbüßen, die entweder vor oder nach dem Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe(n) angetreten wurde, sofern diese nicht in Unterbrechung der wei- teren Freiheitsstrafe zu vollziehen war(en). Ein knappes Viertel dieser Haftstrafen war auf Verurteilungen wegen Gewaltdelikten, einschließlich Sexualdelikten (2 %), 14 % auf BtMG-Delikte, 60 % auf Eigentumsdelikte und 12 % auf Vermögensdelikte zurück- zuführen. Im Hinblick auf die Anzahl der aktuell zu verbüßenden Freiheitsentziehungen ist un- mittelbar anzunehmen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Unterbringung im geschlos- senen Vollzug wächst, je mehr Haftstrafen zu verbüßen sind. Die im geschlossenen Vollzug untergebrachten oder daraus entlassenen Gefangenen haben durchschnittlich mehr Freiheitsstrafen „auf dem Konto“ (1,7) als Gefangene, die ausschließlich (1,3) oder zumindest am Ende ihrer Haft (1,4) im offenen Vollzug untergebracht waren. Al- lerdings gilt der vermeintliche Zusammenhang nur, wenn man Ersatz- und andere Frei- heitsstrafen zusammen berücksichtigt. Bei ausschließlicher Berücksichtigung der Ersatzfreiheitsstrafen sind die Unterschiede nicht mehr erkennbar. Insofern ist hier doch eher die Art als die Anzahl der zu verbüßenden Freiheitsstrafe(n) ausschlagge- bend. Besonders deutlich wird das auch daran, dass unter den im offenen Vollzug Unterge- brachten ca. 95 % ausschließlich eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen hatten. Im ge- schlossenen Vollzug gilt dies nur für 72 % – die übrigen Gefangenen verbüßten zusätzlich mindestens eine weitere Freiheitsstrafe. Im Übrigen liegt die Selbststeller- quote bei den EFS-Gefangenen, die über den gesamten Zeitraum ihrer Haft in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht waren, bei nur 3 %. Dagegen hatten sich im offenen Vollzug je nach Betrachtungsweise (ausschließliche oder nur anfängliche Un- terbringung) etwa 23 bis 27 % selbst zum Strafantritt gestellt. Die Befunde zur Dauer der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die in die Untersuchung einbezogenen 1.008 EFS-Gefangenen                                19 hatten insgesamt 1.254 Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen. In der Summe entspricht dies 74.836 Tagessätzen – im Durchschnitt also 74 Tagessätze pro Gefangenem mit einer ebenfalls mittleren Höhe von 16,70 Euro. Bezieht man diese Berechnung auf die 19 Für die Berechnungen zur Höhe und Dauer der EFS mussten sieben Fälle wegen unvollständiger Datenlage aus der Analyse ausgeschlossen werden. Zu weiteren Daten über Anzahl und Verlauf des Ersatzfreiheits- strafenvollzuges vgl. Anhangstabelle A10. Lobitz & Wirth                                 KrimD NRW 2018                               Seite 13 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Gesamtzahl der Ersatzfreiheitsstrafen anstatt auf die Anzahl der ESF-Gefangenen, ergibt sich eine durchschnittliche Anzahl von 60 Tagessätzen pro Ersatzfreiheitsstrafe. Dabei ist es interessant zu sehen, dass sich die jeweils erste und in den meisten Fällen (s. o.) auch einzige Ersatzfreiheitsstrafe durchschnittlich „nur“ auf 58 Tagessätze à 16,80 Euro bezieht. Bei Gefangenen, die mehrere Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen haben, erhöht sich die Anzahl der Tagessätze mit jeder Strafe bei gleichzeitiger Ver- 20 ringerung der Tagessatzhöhe , wie die folgende Tabelle zeigt, die auch gruppierte Verteilungen der Anzahl und Höhe zu verbüßender Tagessätze ausweist. Tabelle 1: Ersatzfreiheitsstrafen im Überblick Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) Anzahl und Höhe der 1. EFS        2. EFS         3. EFS         4. EFS          5. EFS Tagessätze der zugrunde liegenden Geldstrafen (laut Vollstreckungsblatt)              % von          % von         % von           % von           % von n=1.008        n=188         n=44            n=13             n=1 Anzahl der Tagessätze 1 bis 15                                           9,1           3,7              2,3            0,0           0,0 16 bis 30                                         23,4          19,7             22,7            7,7           0,0 31 bis 90                                         51,9          59,0             52,3           61,5           0,0 91 bis 180                                        14,0          16,5             22,7           30,8        100,0 mehr als 180                                       1,6           1,1              0,0            0,0           0,0 Ø Anzahl der Tagessätze                         58,13         64,18            67,45          85,23        102,00 ∑ Anzahl der Tagessätze                        58.592        12.066            2.968          1.108           102 Höhe der Tagessätze 1 bis 5 €                                          2,2             2,7            4,5            7,7             0,0 6 bis 10 €                                        47,2            50,0          59,1           53,8              0,0 11 bis 25 €                                       32,5            38,8          31,8           38,5           100,0 26 bis 50 €                                       17,4             7,4            4,5            0,0             0,0 mehr als 50 €                                      0,7             1,1            0,0            0,0             0,0 Ø Höhe der Tagessätze in Euro                   16,84           14,45          13,18          12,69           20,00 ∑ Höhe der Tagessätze in Euro                  16.975           2.716            580            165              20 So sind im Falle einer zweiten Ersatzfreiheitsstrafe durchschnittlich 64 Tage mit einer Tagessatzhöhe von 14,50 Euro zu verbüßen. Bei einer dritten Ersatzfreiheitsstrafe sind es 67 Tage à 13,20 Euro und bei einer vierten 85 Tage à 12,70 Euro. Mit anderen Worten: Unabhängig von der Tatsache, dass sich die EFS-Gefangenen auch in dieser Untersuchung erneut zu sehr großen Teilen als sozial besonders rand- ständige Personengruppe erwiesen haben, zeigt sich, dass in der Tendenz vor allem 20   Mit (zufallsbedingter) Ausnahme des Einzelfalles, der fünf Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen hatte. Lobitz & Wirth                                     KrimD NRW 2018                                       Seite 14 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Gefangene mit geringerem, an der Tagessatzhöhe erkennbaren (fiktiven) Einkommen mehrere Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen haben, deren Dauer mit zunehmender An- zahl steigt. Dabei darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass etwa 84 % der ESF- Gefangenen Ersatzfreiheitsstrafen mit Tagessätzen von maximal 25 Euro zu verbüßen haben; die Hälfte gar nur Tagessätze von maximal 10 Euro, was die ökonomische Randständigkeit der Inhaftierten noch einmal besonders eindrucksvoll illustriert. Zudem fällt die Anzahl der Tagessätze in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle eher gering aus, was wiederum die relative Geringfügigkeit der meisten Anlassdelikte unterstreicht. So beschränkt sich beispielsweise die zu verbüßende Dauer der ersten und zumeist einzigen Ersatzfreiheitsstrafe in einem Drittel der Fälle auf maximal 30 Tage und bei 84 % auf maximal 90 Tage – ein Zeitraum, in dem eine resozialisierungs- fördernde Behandlung der Gefangenen, wenn überhaupt, nur in sehr begrenztem Um- fang möglich ist, zumal das verhängte Strafmaß nicht unbedingt der faktischen Vollzugsdauer entspricht. Die Frage, ob und inwieweit die Ersatzfreiheitsstrafen tatsächlich vollständig vollzogen werden (müssen) bzw. ob und bei welchen Gefangenen es nach Antritt der Ersatzfrei- heitsstrafe zu einer vorzeitigen Entlassung durch eine (teilweise) Tilgung der Geld- strafe oder durch eine Vereinbarung von Ratenzahlungen nach Haftantritt kommt, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. 4. Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen Nach geltender Rechtslage erfolgt die Anordnung der Vollstreckung einer Ersatzfrei- heitsstrafe erst nach wiederholt fehlgeschlagenen Versuchen der Vollstreckungsbe- hörden, die Geldstrafe beizutreiben oder durch alternative Haftvermeidungsleistungen abzuwenden. Die ursprünglich zu einer Geldstrafe verurteilten EFS-Gefangenen konn- ten also (zunächst) den fälligen Geldbetrag weder durch Zahlung oder durch Ableis- tung gemeinnütziger bzw. freier Arbeit tilgen. Ausweislich unserer Daten verbüßte allerdings ein Drittel der EFS-Gefangenen eine Restersatzfreiheitsstrafe und hatte demzufolge zumindest mit der Tilgung der Geld- strafe begonnen, diese jedoch nicht komplett beglichen, sodass eine Ersatzfreiheits- strafe zur Verbüßung der restlichen Tagessätze nicht mehr abzuwenden war. Dabei kann die teilweise Tilgung der Geldstrafe vor der drohenden Ersatzfreiheitsstrafe er- folgt sein oder nach deren Antritt, etwa wenn im Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe eine Ratenzahlung vereinbart war, die dann nach einer daran geknüpften vorzeitigen Ent- lassung nicht geleistet wurde – mit der Folge einer erneuten Inhaftierung. Lobitz & Wirth                           KrimD NRW 2018                           Seite 15 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Gleichwohl ist nach den Leitlinien für den Strafvollzug des Landes Nordrhein-Westfa- len „alles Notwendige zu unternehmen, den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zu ver- kürzen. Insbesondere ist das Bemühen der Gefangenen zu unterstützen, Mittel zur Zahlung der Geldstrafe beizubringen“. Inwieweit sich diese Forderung in den Ergeb- 21 nissen dieser Untersuchung widerspiegelt, wird in den beiden folgenden Abschnitten aufgezeigt, in denen neben einer Darstellung der tatsächlichen Dauer der Haft auch Befunde zu den Gründen einer vorzeitigen Beendigung der Ersatzfreiheitsstrafe und der damit verbundenen Anzahl ggf. durch Tilgung oder Ratenzahlungsvereinbarung eingesparter Hafttage zusammenfassend in den Blick genommen werden. Da diese Auswertungen wiederum nicht personenbezogen erfolgen können, sondern auf die jeweils zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafen zu beziehen sind, wurde hier auf eine Differenzierung nach der Unterbringungsart der Gefangenen verzichtet. 4.1. Dauer der tatsächlich verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen Haftverkürzungen werden der Regel nach in der Reihenfolge von der zeitlich zuletzt zu verbüßenden bis hin zur aktuellen Ersatzfreiheitsstrafe auf die ursprüngliche Haft- dauer angerechnet. Ist es beispielsweise einem Gefangenen, der insgesamt zwei EFS zu verbüßen hat, möglich, noch während des Vollzuges der ersten EFS den ausste- henden Gesamtbetrag aller Geldstrafen zu tilgen, werden die noch ausstehenden Haft- tage der ersten sowie die kompletten Hafttage der zweiten Ersatzfreiheitsstrafe eingespart. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die aktenkundige Anzahl der vorzeiti- gen Beendigungen. Tabelle 2: Anzahl vorzeitiger EFS-Beendigungen                       22 Ersatzfreiheits-                           Anzahl vorzeitiger EFS Beendigungen strafen              EFS 1 (n=820) EFS 2 (n=144) EFS 3 (n=31)                EFS 4 (n=12)        EFS 5 (n=1) EFS 1                                  562                 31                  6                 1                   0 EFS 2                                                     101                  9                 2                   0 EFS 3                                                                        26                  6                   0 EFS 4                                                                                           10                   0 EFS 5                                                                                                                1 21 S. Leitlinie 11 „Haftvermeidung“ unter https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/Justizvollzug/justizvoll- zug1/leitlinien/Leitlinien_Strafvollzug.pdf (Zugriff: 27.03.2018). 22 Datenabweichungen zu den Anhangstabellen 15 ff. ergeben sich daraus, dass dort die einzelnen Ersatzfrei- heitsstrafen betrachtet werden, während hier die pro Fall dokumentierte Summe der zu verbüßenden EFS im Blick ist. Beispiel: In der obigen Tab. 2 sind 12 Fälle mit exakt vier Ersatzfreiheitsstrafen gelistet. In den An- hangstabellen A15 ff erscheinen in der Gruppe „4. Ersatzfreiheitsstrafe“ 13 Fälle, weil der Einzelfall mit fünf EFS „auch“ eine vierte zu verbüßen hatte, die hier gesondert dargestellt wird und so fort. Lobitz & Wirth                                     KrimD NRW 2018                                       Seite 16 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Mit 81,3 % (n=820) verbüßte die überwiegende Mehrheit der Gefangenen eine einzige Ersatzfreiheitsstrafe, die in 69 % (n=562) der Fälle vorzeitig beendet wurde. Die übri- gen 188 Gefangenen verbüßten mehrere Ersatzfreiheitsstrafen – und zwar, wie zuvor bereits erwähnt, maximal und lediglich in einem Fall fünf. Von den 144 (14,3 %) Gefangenen, die zwei Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen hat- ten, beendeten 101 (70 %) diese Strafe vorzeitig. Davon wurden 31 Gefangene bereits während des Vollzuges der ersten Ersatzfreiheitsstrafe aus der Haft entlassen. 26 (84 %) von 31 (3,1 %) Gefangenen, die drei Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen hat- ten, konnten die ursprünglich vorgesehene Haftzeit reduzieren. Auch diese Gefange- nen haben die Haft teilweise vor Antritt der jeweils weiteren Ersatzfreiheitsstrafen vorzeitig beenden können; neun Mal wurde bereits die zweite und in sechs Fällen so- gar bereits die erste Ersatzfreiheitsstrafe vorzeitig beendet. Zwölf Personen (1,2 %) waren zur Verbüßung von vier Ersatzfreiheitsstrafen inhaftiert, von denen zehn (83 %) faktisch weniger Zeit in Haft verbrachten als ursprünglich be- rechnet. Sechs dieser Gefangenen haben während ihrer dritten, zwei während ihrer zweiten und ein Gefangener schon während des Vollzuges der ersten Ersatzfreiheits- strafe die Haft vorzeitig beenden können. Der einzige Gefangene, der insgesamt fünf Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen hatte, verbüßte die ersten vier komplett und konnte die Haftzeit der fünften Ersatzfreiheits- strafe schließlich reduzieren. Unabhängig von den möglichen Beendigungsgründen (vgl. Kap. 4.2) haben insgesamt mehr als zwei Drittel (69 %) der 1.008 EFS-Gefangenen (mindestens) eine Ersatzfrei- heitsstrafe vorzeitig beendet, wobei die Anteile der vorzeitigen Beendigungen mit der Anzahl der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafen steigen. Doch wie viele Hafttage wurden insgesamt dadurch eingespart? Die Darlegung der Größenordnung eingespar- ter Hafttage (siehe Tabelle 3) dürfte nicht zuletzt auch unter ökonomischen Gesichts- punkten wissenswert sein. Tabelle 3: Dauer der Ersatzfreiheitsstrafen und vorzeitige Beendigung Vorzeitige Beendigung                 ∑ Anzahl ∑ Anzahl tats.       ∑ Anzahl     Ø Anzahl Tagessätze der                                        Verbüßter        eingesparter eingesparter bei EFS- Ersatzfreiheitsstrafe(n)                                Tagessätze          Hafttage     Hafttage Antritt EFS       nein (n=499)                     24.465              24.465                0          0,00 zusammen ja (n=755)                           50.371              22.993           27.378        21,83 n = 1.254 insgesamt                          74.836              47.458           27.378        21,83 Lobitz & Wirth                                  KrimD NRW 2018                                Seite 17 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Bezieht man die Berechnungen auf die Gesamtzahl der zu verbüßenden Ersatzfrei- heitsstrafen und nicht auf die Inhaftierten, ergibt sich eine Quote vorzeitiger Beendi- gungen von 60,2 %: 755 der insgesamt 1.254 Ersatzfreiheitsstrafen waren nicht vollständig zu verbüßen. Von den bereits berichteten 74.836 ursprünglich zu verbüßenden Tagessätzen sind faktisch lediglich 47.458 Tage in Haft verbüßt worden. Dies entspricht einem Anteil von 63 % der Gesamtanzahl zu verbüßender Tagessätze. Mit anderen Worten: In der Summe wurde die bei Strafantritt erwartete Inhaftierungszeit um 27.378 Tage redu- ziert. Es wurden durchschnittlich 22 Hafttage pro Ersatzfreiheitsstrafe bzw. 27 Hafttage pro Gefangenem eingespart. Von der ersten und zweiten Ersatzfreiheitsstrafe wurden jeweils 60 % vorzeitig been- det, wobei im Durchschnitt 21 bzw. 22 Hafttage eingespart wurden. 32 (73 %) der 44 Fälle mit einer dritten Ersatzfreiheitsstrafe sind, bei einer mittleren Einsparung von 27 Hafttagen, vorzeitig beendet worden. Von den 13 Gefangenen mit vier bzw. fünf Er- satzfreiheitsstrafen wurden zehn mit einer Haftzeitverkürzung von durchschnittlich so- gar 51 Hafttagen vorzeitig beendet; die fünfte Ersatzfreiheitsstrafe konnte um 24 Hafttage verkürzt werden.        23 4.2. Beendigung des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafen Eine vorzeitige Beendigung der Ersatzfreiheitsstrafe kann allerdings aus verschiede- nen Gründen erfolgen. Nicht immer ist die Tilgung der Geldstrafe (Auslösung) oder eine vorzeitige Entlassung auf der Grundlage von Vereinbarungen von Ratenzahlun- gen mit der Staatsanwaltschaft dafür ausschlaggebend. Vorzeitige Entlassungen kön- nen auch auf der Grundlage verschiedener weiterer Gründe erfolgen, wie etwa einer Entlassung auf Bewährung oder auch aufgrund einer Vereinbarung mit der Staatsan- waltschaft zu gemeinnütziger Arbeit, die ggf. nach der Entlassung von den Gefange- nen zu leisten wäre. In dem hier zugrundeliegenden Datensatz gab es allerdings nur drei Fälle mit einer Vereinbarung zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit und 27 Fälle zur Ratenzahlung nach der Entlassung sowie insgesamt zehn Fälle mit vorzeitigen Entlassungen nach § 57 StGB, § 456a StPO oder im Wege einer Gnadenentscheidung. Insofern bekommt vor allem die Verkürzung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Auslösung ein besonderes Gewicht, wobei in der folgenden Tabelle zusätzlich zu der Zahlung des entsprechen- den Geldbetrages auch Haftzeitverkürzungen durch die Vereinbarung von Ratenzah- lungen mit der Staatsanwaltschaft dargestellt werden, weil diese gelegentlich auch in Kombination mit der unmittelbaren Zahlung von Geldleistungen erfolgt.                  24 23 Anhangstabelle A 15: Vorzeitige Beendigung der Ersatzfreiheitsstrafe. 24 Zu weiteren Differenzierungen siehe Anhangstabellen A15 ff. Lobitz & Wirth                                KrimD NRW 2018                              Seite 18 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Tabelle 4: Summe der Tagessätze und eingesparter Hafttage ∑ Anzahl ∑ Anzahl                                ∑ Anzahl Verkürzung der EFS durch                                                 tatsächlich ursprüngliche                            eingesparte Auslösung oder Ratenzahlung                                                verbüßte Tagessätze                                Hafttage Hafttage durch Auslösung                                     38.553               14.682          23.871 EFS zusammen    durch Ratenvereinbarungen                            2.393                  599           1.794 durch Auslösung u. Ratenvereinbarungen                 397                   79             318 (n = 1.254) nein                                                33.493               32.098           1.395 Gesamt                                              74.836               47.458          27.378 23.871 Hafttage wurden eingespart, weil die Gefangenen aus der Haft heraus den Betrag der noch ausstehenden Geldstrafe begleichen und sich somit aus der Haft aus- lösen konnten. Mit 1.794 eingesparten Hafttagen konnte die Dauer des Vollzuges der Ersatzfreiheits- strafe(n) durch Vereinbarungen zu Ratenzahlungen mit der Staatsanwaltschaft in ei- nem deutlich geringeren Umfang reduziert werden. Die vergleichsweise noch seltenere Kombination aus Auslösung und Ratenzahlungsvereinbarungen führte zu ei- ner Einsparung weiterer 318 Tage. Darüber hinaus wurden weitere 1.395 Hafttage durch vorzeitige Entlassungen nach Maßgabe der § 57 StPO etc. (siehe weiter oben) eingespart, die unabhängig von der Tilgung durch Geld- oder Ratenzahlungen erfolgten. In der Tab. 4 ist dies durch ein „Nein“ in der Spalte „Verkürzung der EFS durch Auslösung oder Ratenzahlung ge- kennzeichnet. In Tabelle 5 auf der folgenden Seite ist die Art der dokumentierten Geldquellen (in 25 absoluten Zahlen) abgebildet, die die jeweiligen Auslösungen ermöglicht haben. Die hier dargestellten Daten sind allerdings als Mindestgrößen zu verstehen, weil in den Akten zwar akkurate Angaben zur Höhe, häufig aber keine eindeutigen Angaben zur Herkunft der Auslösungsbeträge enthalten waren. Soweit also Angaben zur Art der Geldquellen überhaupt vorlagen (entsprechend differenzierte Darstellungen finden sich in der Anhangstabelle 17), wurden demnach laut Aktenlage mindestens 278 Er- satzfreiheitsstrafen von insgesamt 260 EFS-Gefangenen zumindest teilweise verkürzt, weil der oder die Gefangene die ausstehende Geldstrafe durch Zahlung mit „eigenem Geld“ tilgen konnte. 25     Die Verteilungen pro Ersatzfreiheitsstrafe sind der Anhangstabelle A15 ff. zu entnehmen. Lobitz & Wirth                                            KrimD NRW 2018                                Seite 19 von 39
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Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen Tabelle 5: Tilgung der Geldstrafe – Geldquellen „Eigenes Geld“ ist mit großem Abstand die in den Akten meist dokumentierte Geld- quelle, doch bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Gefangenen den Auslösungs- betrag zum Straftantritt mit in die Anstalt brachten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Geld auch im Zuge von vollzugsöffnenden Maßnahmen beigebracht wurde, die einem knappen Viertel der EFS-Gefangenen gewährt worden waren. Insofern kann              26 die in der Anstalt erfolgte Verbuchung als „eigenes Geld“ dann möglicherweise erfolgt sein, obwohl es faktisch von Dritten stammte. Dies ist den Akten allerdings nicht zu entnehmen. Explizit Geld von Verwandten oder anderen Personen konnte aktenkundig 42-mal zur Tilgung der Strafe herangezogen werden. Darüber hinaus wurde der ausstehende Geldbetrag laut Gefangenenpersonalakte in 15 Ersatzfreiheitsstrafen (auch) durch Entgelt für Arbeit in der Haft beglichen. Dabei ist zu beachten, dass insgesamt nur 23 % der EFS-Gefangenen vergütungsfähig beschäftigt waren, von den ausschließlich im geschlossenen Vollzug Untergebrachten sogar nur jeder Zehnte.                        27 Insbesondere Gefangene, die mehr als eine Ersatzfreiheitsstrafe, unter Umständen zusätzlich auch eine „normale“ Freiheitsstrafe, zu verbüßen hatten, konnten in 55 Fäl- len teilweise auch ihr während der Haft angespartes Überbrückungsgeld zur Tilgung 28 der Geldstrafe nutzen. Allerdings bestehen auch hier Zweifel, inwieweit den Gefan- genenpersonalakten diesbezüglich immer vollständige und eindeutig zuordnungsfä- hige Angaben entnommen werden konnten. 26 Vgl. Anhangstabelle A12: Danach hatten 23,3 % der Gefangenen mindestens einmal Ausgang, jeder fünfte war im Freigang oder in Außenbeschäftigung. 27 Siehe dazu auch die weiteren Angaben in der Anhangstabelle A13. 28 Bei ihrer Entlassung stand den Gefangenen ein Überbrückungsgeld in durchschnittlicher Höhe von etwa 80 Euro aus einem Gesamtguthaben von 111 Euro zu, von dem wiederum 105 Euro bar ausgezahlt wurden. Zu beachten ist, dass die Höhe des Guthabens und des Überbrückungsgeldes bei Gefangenen, die zumindest zeitweise im offenen Vollzug untergebracht waren, annähernd doppelt so hoch ist, wie bei Gefangenen, die ihre Haft ausschließlich im geschlossenen Vollzug verbüßen mussten (vgl. dazu Anhangstabelle A 14). Lobitz & Wirth                                 KrimD NRW 2018                                   Seite 20 von 39
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