Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stange und Güngör (DIE LINKE)

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Thüringer Landtag                                                              Drucksache 7/     4897 7. Wahlperiode                                                             04.02.2022 Kleine Anfrage der Abgeordneten Stange und Güngör (DIE LINKE) und Antwort des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund des Erschleichens von Beförderungsleistungen in Thüringen In der Sendung "ZDF Magazin Royale" vom 3. Dezember 2021 wurde der Straftatbestand des § 265a "Er- schleichen von Leistungen" aus dem Strafgesetzbuch (StGB) ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. "Schwarz- fahren" beziehungsweise das "Erschleichen von Beförderungsleistungen" wird demnach mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Insbesondere sozial benachteiligte Menschen können sich einen Fahrschein für den öffentlichen Personennahverkehr oft nicht leisten, sind aber auf diesen angewie- sen, um beispielsweise zu Behörden, Sozialdiensten oder medizinischen Einrichtungen zu gelangen. Wer beim Fahren ohne Fahrschein erwischt wird und die 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt nicht zahlen kann, wird angezeigt. Auch wenn daraufhin in der Regel eine Geldstrafe erteilt wird, ist es insbesondere für Wohnungslose oder Suchtkranke oft nicht möglich, diese zu bezahlen oder abzuarbeiten. Letzten Endes müssen diese Menschen im Zweifel eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 7/2685 vom 9. Dezember 2021 namens der Landesregierung mit Schreiben vom 3. Februar 2022 beantwortet: 1. Wie viele Personen in Thüringen wurden in den Jahren 2018, 2019 und 2020 nach § 265a StGB verur- teilt? Antwort: Insoweit wird auf die Anlage verwiesen. 2. Wie viele dieser Personen aus Frage 1 wurden in den Jahren 2018, 2019 und 2020 wegen des Erschlei- chens von Beförderungsleistungen verurteilt? Antwort: Hierzu liegen keine statistischen Angaben vor. Die justiziellen Statistiken erfassen die Anzahl der Abge- urteilten und Verurteilten aufgrund von Vergehen des Erschleichens von Leistungen nach § 265a Straf- gesetzbuch lediglich in ihrer Gesamtheit. Dazu zählen neben der Beförderungserschleichung auch das Erschleichen von Leistungen eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommu- nikationsnetzes sowie des Zutritts zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung. 3. Wie viele der Verurteilungen des Erschleichens von Leistungen beziehungsweise des Erschleichens von Beförderungsleistungen lauteten auf Geldstrafe und wie viele Verurteilungen auf Freiheitsstrafe, gege- benenfalls ausgesetzt zur Bewährung? Wie hoch war jeweils oder - falls im Detail nicht belegbar - die durchschnittliche Höhe der Geldstrafe? Druck: Thüringer Landtag, 17. Februar 2022
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Drucksache 7/      4897                                        Thüringer Landtag - 7. Wahlperiode Antwort: Insoweit wird auf die Anlage verwiesen. 4. Wie viele Männer in Thüringen beziehungsweise Frauen aus Thüringen haben in den Jahren 2018, 2019 und 2020 eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen und wie viele dieser Fälle beziehen sich auf das Delikt "Erschleichen von Beförderungsleistungen" (bitte zwischen Frauen und Männern unterschieden sowie nach jeweiliger Justizvollzugsanstalt auflisten und die jeweilige oder - falls dies im Detail nicht möglich sein sollte - die durchschnittliche Haftdauer benennen)? Antwort: Folgende Anzahl an Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) wurden in den Jahren 2018 bis 2020 an Männern in Thüringen beziehungsweise Frauen aus Thüringen vollzogen: EFS               Frauen         Männer           Gesamt 2020                 15              880             895 2019                  8             1.460           1.468 2018                 15             1.472           1.487 Die folgende Übersicht betrifft die Anzahl Gefangener, die u. a. wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) verurteilt wurden. Statistische Angaben zu Gefangenen wegen Erschleichens von Beför- derungsleistungen liegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Angaben zur Haftdauer sind nicht möglich. Eine Verurteilung erfolgt häufig wegen mehrerer Delikte und die Strafzei- ten werden statistisch nur verurteilungsbezogen erfasst. Die in der Zeile "JVA Tonna" gelisteten Frauen befanden sich dort im offenen Vollzug. Die in der Zeile "JVA Suhl" gelisteten Frauen waren dort zwecks Verbringung in die JVA Chemnitz lediglich vorüberge- hend untergebracht. EFS           2018    Frauen Männer       2019   Frauen Männer 2020 Frauen Männer § 265a StGB JVA Tonna               78       1        77        85       0         85       70      2         68 JVA Suhl                92      22        70       117      21         96       41      1         40 JVA Untermaßfeld 18              0        18         8       0          8       10      0         10 JVA Arnstadt             4       0         4         3       0          3        4      0          4 JVA Hohenleuben         41       0        41        41       0         41       17      0         17 Gesamt                 233      23       210       254      21        233      142      3        139 5. Inwieweit gibt es eine Statistik darüber, wie viele Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe, insbesondere zum Delikt "Erschleichen von Leistungen" abgesessen haben, zu Wiederholungstäterinnen beziehungs- weise Widerholungstätern wurden beziehungsweise werden (wenn ja, bitte der Antwort beifügen)? 6. Falls es zu Frage 5 keine gesonderte Statistik gibt: Inwiefern gibt es für Thüringen aktuelle wissenschaft- liche Erkenntnisse zu den allgemeinen Rückfallquoten beziehungsweise zu Rückfallquoten bezogen auf Delikte gemäß § 265a StGB? Antwort zu den Fragen 5 und 6: Eine der Fragestellung entsprechende Rückfallstatistik wird in Thüringen nicht erhoben. In der Strafver- folgungsstatistik für Thüringen werden lediglich Vorstrafen der Verurteilten erfasst. Allerdings kann der Statistik weder entnommen werden, welche Tat der Vorstrafe zugrunde liegt, noch wann sie begangen wurde. Insoweit wird ebenfalls auf die Anlage verwiesen Auch die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zuletzt 2014 vorgelegte Rück- falluntersuchung geht auf Rückfälle von Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Erschleichens von Leistungen verbüßt haben, nicht ein. 2
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Thüringer Landtag - 7. Wahlperiode                                           Drucksache 7/     4897 7. Welche Gründe lassen sich für eine Täterschaft beziehungsweise eine Wiederholungstäterschaft nach § 265a StGB hauptsächlich benennen? Antwort: Es sind bislang keine sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse bekannt, aus denen sich belast- bare Aussagen zu den Gründen für die Begehung von Straftaten nach § 265a StGB ableiten lassen. Auch die Daten, die aus dem Vollzug von Freiheitsstrafen oder Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund Verurtei- lungen wegen § 265a StGB im Thüringer Justizvollzug vorliegen, geben für entsprechende Auswertun- gen nichts her. Bis zum Vorliegen derartiger Forschungsergebnisse bleiben allgemeine Aussagen über die Gründe und Faktoren, die die vorhandene Delinquenz nach § 265a StGB begünstigen, spekulativ. 8. In welcher Weise wird mit den Gefangenen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, während der Haft pä- dagogisch oder sozialtherapeutisch - vor allem mit Blick auf Vermeidung einer Wiederholungstäterschaft - gearbeitet? Wenn keine Resozialisierungsmaßnahmen stattfinden, warum nicht? Antwort: Nach Aufnahme der Gefangenen zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen liegt der Schwerpunkt in der Abwendung der weiteren Haftvollstreckung und des Hinwirkens auf eine baldige Entlassung. Dies kann sowohl durch (ratenweise) Tilgung der Geldforderung als auch durch freie Arbeit erreicht werden (verglei- che § 12 Abs. 7 ThürJVollzGB). Die dabei in Betracht kommenden Maßnahmen werden bereits im Rahmen des sozialpädagogischen Aufnahmegesprächs durch die jeweilige Justizvollzugseinrichtung veranlasst. Nach Diagnose der unerlässlichen Umstände für eine angemessene Vollzugsgestaltung und erforderliche Eingliederung (§ 13 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 ThürJVollzGB) werden dem Gefangenen ent- sprechend vorhandene und geeignete Maßnahmen angeboten. Vorwiegend haben Gefangene, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, gesundheitliche und finanzielle Probleme, leiden an einer Suchtmittelpro- blematik und können weder eine stabile Wohnsituation noch eine beständige Arbeitstätigkeit vorweisen. Entsprechend liegt der Fokus in der Eingliederungsvorbereitung (vergleiche § 15 Abs. 4 ThürJVollzGB). Unter Beachtung der in der Regel kurzen Haftzeit und mit Blick auf die der Verurteilung zugrundeliegen- de Tat beziehungsweise die zugrundeliegenden Taten kann eine Teilnahme der Gefangenen etwa an folgenden Behandlungsmaßnahmen möglich und sinnvoll sein: - schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen oder auch arbeitstherapeutische Maßnahmen - Suchtberatung - Sprechstunde Arbeitsagentur - Anbindung an das Projekt "PüMaS" (Professionelles Übergangsmanagement für Strafgefangene und Haftentlassene in Thüringen); hierunter fallen die Unterstützung bei einer Wohnraumsuche oder die Vermittlung in betreute Wohnformen, Hilfestellung bei Bewerbungsschreiben u. v. m. - psychologische Beratung zu einzelnen Problemstellungen sowie zur Krisenintervention Eine Empfehlung zur Teilnahme wird den betreffenden Gefangenen bei Erforderlichkeit entsprechend ihrem individuellen Bedarf sowie ihren Möglichkeiten, Neigungen und ihrer Motivation ausgesprochen. 9. Was passiert nach Kenntnis der Landesregierung mit den Personen, die nach Verbüßung einer Haft das erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen können? Bekommen sie von den Beförderungsunternehmen ein Ratenzahlungsangebot oder Unterstützung von Schuldnerberatungen? Antwort: Der Landesregierung liegen zum Umgang der Verkehrsunternehmen mit Personen im Sinne der Frage- stellung keine näheren eigenen Erkenntnisse vor. Nach Mitteilung der Fachverbände besteht insoweit keine allgemein gültige Festlegung. Der Umgang mit solchen Fällen stehe in der Verantwortung jedes einzelnen Verkehrsunternehmens. Es werde zu- dem eine überschaubare Anzahl solcher Fälle unterstellt, wobei auch die Art und Weise der Straftat zu berücksichtigen wäre. Weiterhin wird berichtet, dass die Verkehrsunternehmen eine Ratenzahlung eher akzeptieren, wenn der Betreffende sich frühzeitig an das Unternehmen wendet. Konkrete Zahlen dazu liegen den Fachverbänden nicht vor. 3
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Drucksache 7/        4897                                        Thüringer Landtag - 7. Wahlperiode Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse dazu vor, ob und in welchem Umfang Personen im Sin- ne der Fragestellung Unterstützung von Schuldnerberatungen erhalten. 10.Wie viel kostet für den Freistaat Thüringen ein durchschnittlicher Hafttag beim Vollzug einer Ersatzfrei- heitsstrafe? Antwort: Im Jahr 2021 kostete nach Berechnung der Ist-Ergebnisse des Haushaltsjahres 2020 ohne Berücksich- tigung der Baukosten ein Hafttag in den Thüringer Justizvollzugseinrichtungen für alle Haftarten (ein- schließlich Ersatzfreiheitsstrafen) 138,16 Euro. 11. Inwiefern werden in Thüringen statt Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen, insbesondere mit Blick auf Delikte nach § 265a StGB, auch Haftvermeidungsmaßnahmen wie zum Beispiel "Schwitzen statt Sit- zen" zur Anwendung gebracht? Antwort: Mit "Schwitzen statt Sitzen" werden die Möglichkeiten zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch Ableistung freier Arbeit, die unentgeltlich sein muss und erwerbswirtschaftlichen Zwecken nicht dienen darf, beschrieben. Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz fördert über die Sozialen Dienste des Thüringer Oberlandesgerichts insoweit freie, nicht staatlich organisierte Träger der Straffälligenhilfe zur Vermittlung von Verurteilten an Einsatzstellen, zur Bereitstellung von Arbeitsstel- len und zur sozialpädagogischen Betreuung bestimmter Verurteilter bei der Arbeitsleistung. Auch nach Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe kann die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung ge- meinnütziger Arbeit abgekürzt werden. Die Bandbreite der Tätigkeiten und Einsatzstellen ist groß, so kann gemeinnützige Arbeit bei gemeinnüt- zigen Verbänden und Vereinen sowie bei kommunalen oder kirchlichen Trägern z. B. durch Pflege von Außen- und Grünanlagen, Tätigkeiten in Bauhöfen oder Reparaturarbeiten geleistet werden. Vollzugsrechtlich sind die Justizvollzugsanstalten gehalten, bei Strafgefangenen, die eine Ersatzfreiheits- strafe verbüßen, die Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung durch freie Arbeit oder ratenweise Tilgung der Geldstrafe zu erörtern und zu fördern, um so auf eine möglichst baldige Entlassung hinzu- wirken (§ 12 Abs. 7 ThürJVollzGB). Die Anstalten sind daher aufgefordert, Strafgefangene bei der Ab- wendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu unterstützen, und ihre Bemühungen sollen aus- drücklich auch die Möglichkeit umfassen, im Vollzug oder aus dem Vollzug heraus, das heißt also ohne Beendigung der Vollstreckung, die Haftdauer durch Ableistung freier Arbeit zu verkürzen. Durch freie Arbeit konnte in den letzten drei Jahren in Thüringen folgende Anzahl an Hafttagen vermie- den werden: Jahr                   vermiedene Hafttage insgesamt         davon während des Vollzuges 2018               35.305                 5.060 2019               34.720                 4.359 2020               24.119                 2.034 Der Rückgang im Jahr 2020 ist pandemiebedingt. Eine Zuordnung der vermiedenen Ersatzfreiheitsstrafen zu bestimmten Straftatbeständen wie z. B. nach § 265a StGB ist mangels statistischer Erfassung nicht möglich. Auch das erwähnte Förderprogramm ist nicht auf die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund bestimmter Tatbestände wie z. B. nach § 265a StGB beschränkt. 4
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Thüringer Landtag - 7. Wahlperiode                                           Drucksache 7/     4897 12.Wie schätzt die Landesregierung den Reformbedarf beim Tatbestand des § 265a StGB ein? Antwort: Die Landesregierung setzt sich mit einer Bundesratsinitiative für die Herabstufung des unerlaubten Fah- rens ohne Fahrscheins von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit ein. Der Gesetzesantrag des Frei- staats Thüringen zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – "Fahren ohne Fahrschein" als Ordnungswidrigkeit – vom 10. September 2019 (BR-Drucksache 424/19), dem das Land Berlin als Mitantragsteller beigetreten ist, ist bislang im Bundesrat nicht mehrheitsfähig. Adams Minister Anlage zur Antwort auf die KA 2685 Auszug aus der Strafverfolgungsstatistik für Thüringen Verurteilte wegen Erschleichens von 2018           2019           2020 Leistungen (§ 265a StGB) insgesamt                                                        1.375         1.567           1.229 darunter mit Vorverurteilungen                            1.024           844             792 mit Geldstrafe                                                   1.243         1.025             950 darunter Anzahl der Tagessätze 5 bis15                                         198           148             121 16 bis 30                                       511           377             352 31 bis 90                                       486           441             430 91 bis 180                                       48            57              46 181 bis 360                                       0              2               1 361 und mehr                                      0              0               0 mit Freiheits- oder Jugendstrafe                                    81           127              88 darunter Strafaussetzung                                     57            96              60 5
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