Große Anfrage von Die Linke zu Eratzfreiheitsstrafen in Hamburg

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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode     Drucksache 22/7323 Für den Justizvollzug gilt, dass lediglich in Einzelfällen Staatsanwaltschaften anderer Bundesländer der Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit nicht zustimmen. Zum Teil gibt es bei den betroffe- nen Gefangenen einen Mangel an Bereitschaft, das Angebot an gemeinnütziger Arbeit in Anspruch zu nehmen. Weiterhin stehen psychische Belastungsfaktoren wie zum Beispiel Psychose, Alkohol- oder Drogensucht der Aufnahme einer Arbeit entgegen. 28. In wie vielen Fällen wurde die gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe seit dem 01.01.2018 abgebro- chen und in wie vielen Fällen erfolgte der Abbruch aufgrund der Tilgung der Strafe durch Zahlung? Jahr      Abbruch mit gleichzeitiger       Abbruch ohne Ratenzahlungsbeantragung         Ratenzahlungsbeantragung 2018                    67                              160 2019                    45                              97 2020                    49                              67 2021                    74                              72 Insgesamt wurden in der Justizvollzugsanstalt Glasmoor sowie der Sozialtherapeuti- schen Anstalt und der JVA Fuhlsbüttel seit dem 01.01.2018 in 35 Fällen gemeinnützi- ge Arbeitsmaßnahmen abgebrochen, hiervon 15 aufgrund von Zahlungen. Die JVA Billwerder erhebt hierüber keine Statistik. Die JVA Hahnöfersand meldete Fehlanzei- ge. 29. Was sind – neben der Tilgung durch Zahlung – die häufigsten Gründe dafür, dass eine Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abgebrochen wird? Klientinnen und Klienten brechen die Ableistung der gemeinnützigen Arbeit ab, wenn sie (wieder) eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen. Weiter kommt es im Rahmen neuer Verfahren zu einer Gesamtstrafenbildung, in denen die Geldstrafe einbezogen wird. Zudem erhalten zu Vermittelnde während der Ableistung der gemeinnützigen Arbeit eine Zusage zum Antritt einer Suchttherapie. Ein Kontaktabbruch beziehungsweise der Abbruch der gemeinnützigen Arbeit erfolgt aus sehr unterschiedlichen und individuellen Gründen. Akute Rückfälle in eine Sucht- erkrankung, Überforderung bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen des Alltags, psychische Belastungen und Wohnungsverlust oder eine prekäre Lebens- situation werden als mögliche Ursachen bewertet. Für den offenen Vollzug des Justizvollzugs Hamburg ist als häufigster Grund für einen Abbruch der gemeinnützigen Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatz- freiheitsstrafe neben der Zahlung der restlichen Geldstrafe die Feststellung der Nicht- eignung für die weitere Unterbringung im offenen Vollzug festzustellen, beispielsweise aufgrund der Nichtrückkehr aus Vollzugslockerungen, des Suchtmittelmissbrauchs oder des Verdachts der Begehung einer neuen Straftat. Im geschlossenen Vollzug sind weitere Gründe die Verlegung von Insassen aus dem geschlossenen Vollzug in den offenen Vollzug sowie der Strafausstand aus Gründen der Vollzugsorganisation (pandemiebedingte Aussetzung) gemäß § 455a StPO. Wei- terhin führen Widerrufe von Strafaussetzungen zur Änderung der Vollstreckungsrei- henfolge, woraufhin Gefangene eher in Betrieben gegen ein Entgelt arbeiten. 30. Welche Maßnahmen ergreift die Fachstelle für gemeinnützige Arbeit, wenn der Abbruch der gemeinnützigen Arbeit droht oder erfolgt ist? Die Fachstelle Gemeinnützige Arbeit betreut und begleitet die Klientinnen und Klien- ten bei Ableistung der gemeinnützigen Arbeit und hält regelhaft Kontakt zu den Ein- satzstellen, um bei möglichen Konflikten oder Krisensituationen Unterstützung anbie- ten zu können. Im Fall des Abbruchs der Arbeitsleistung nimmt die Fachstelle Gemeinnützige Arbeit unverzüglich Kontakt zu dem Klienten beziehungsweise der Klientin auf. Erneute Gespräche finden statt, um individuelle Hinderungsgründe für eine Ableistung zu thematisieren und um eine bestmögliche Unterstützung anbieten zu können. Hierzu zählen vermittelnde Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und den 11
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Drucksache 22/7323        Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode Einsatzstellen ebenso wie die Vermittlung in das Hilfesystem (Suchtberatung, Schuld- nerberatung). Darüber hinaus arbeitet die Fachstelle Gemeinnützige Arbeit im Rah- men von Kooperationsvereinbarungen unter anderem mit der hamburger arbeit GmbH zusammen, die personelle Ressourcen für ein psychosoziales Betreuungsangebot bereithält. 31. Mit Drs. 21/16525 wurde der Senat ersucht, ein Konzept der aufsuchen- den Sozialarbeit zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen zu entwi- ckeln. Mit Drs. 21/17837 ist der Senat dem nachgekommen und hat ein Konzept zur Reduzierung von Ersatzfreiheitsstrafen vorgelegt. Dieses sollte zunächst für zwei Jahre erprobt werden. Wie ist der Stand der Erprobung und gibt es Zwischen- beziehungsweise Abschlussberichte? Wenn ja, wo sind diese veröffentlicht? Wenn nein, warum nicht? Das vorgestellte Konzept konnte durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie, die daher erfolgten Haftaufschübe beziehungsweise -unterbrechungen sowie die gebote- ne Reduzierung persönlicher Kontakte bei den sozialen Diensten nur eingeschränkt umgesetzt werden. Es hat sich aber als insoweit Erfolg versprechend erwiesen, als im unmittelbaren Kontakt zum Beispiel Rest- und Ratenzahlungen vereinbart, auf die Möglichkeit zur Leistung gemeinnütziger Arbeit hingewiesen und vereinzelt auch Gna- denverfahren angeregt werden konnten. Das Konzept der aufsuchenden Sozialarbeit konnte hingegen nicht als erfolgreich bewertet werden, weil die Klientel trotz angebo- tener Hausbesuche in aller Regel nicht erreichbar war. Aufgrund der langen Laufzeit der Geldstrafenvollstreckung war zudem nicht feststellbar, in wie vielen Fällen die Verbüßung einer EFS endgültig vermieden werden konnte. Die zuständigen Behörden haben zu Ende 2020 einen Zwischenbericht erarbeitet, der aufgrund der nur einge- schränkt belastbaren Datenbasis und entsprechend begrenzter Aussagekraft nicht veröffentlicht wurde. Die positiven Ansätze wurden gleichwohl zum Anlass genom- men, die Umsetzung der Kann-Regelung des § 14 Absatz 2 HmbResOG, die sprachli- che Vereinfachung des Merkblatts über die Möglichkeit der Abwendung der Vollstre- ckung der EFS durch Leistung gemeinnütziger Arbeit, die Bereitstellung fremdspra- chiger Versionen des Merkblattes online und die Beifügung eines Flyers der Fachstel- le Gemeinnützige Arbeit bei Versendung der Ladung zum Strafantritt über die Ende September 2021 endende Projektlaufzeit hinaus zu verstetigen. 32. Aktuell ist die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund der Pan- demielage bis zum 31.04.2022 aufgeschoben. Durch diesen Aufschub entstehen auch neue (zeitliche) Möglichkeiten, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden. Sind Maßnahmen ergriffen worden, um die Zeitspanne für eine intensivere Bemühung um eine Vollstre- ckungsabwendung zu erreichen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Das Fachamt Straffälligen- und Gerichtshilfe beim Bezirksamt Eimsbüttel ist durch die zuständige Behörde auf den bis zum 30.04.2022 geltenden Vollstreckungsaufschub bei EFS und die hierdurch bestehende Möglichkeit, die verurteilte Person zum Bei- spiel intensiver in gemeinnützige Arbeit zu vermitteln, hingewiesen worden. Der Auf- schub der Vollstreckung von EFS führt dazu, dass der Fachstelle mehr Zeit für die Vermittlung in gemeinnützige Arbeit zur Verfügung steht. Dies beinhaltet die Suche und Auswahl einer möglichst passgenauen und wohnortnahen Einsatzstelle, den Abbau möglicher Vermittlungshemmnisse (Abklärung akuter Erkrankungen, Wohn- raumsicherung, Vermittlung an Beratungsangebote) sowie den Aufbau einer tragfähi- gen Arbeitsbeziehung zwischen den Fachkräften und den zu Vermittelnden. Im Übri- gen siehe Antwort zu 30. Die aktuellen Rahmenbedingungen der Pandemie erschwe- ren die Vermittlung in gemeinnützige Arbeit deutlich. Einsatzstellen nehmen derzeit nur eingeschränkt Klientinnen und Klienten auf, um (auch gemäß der Eindämmungs- verordnung) in ihren Einrichtungen persönliche Kontakte zu reduzieren. Erkrankun- gen, psychische Belastungen und andere soziale Notlagen werden derzeit in Bera- 12
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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode      Drucksache 22/7323 tungskontakten deutlicher und fordern mehr Zeit, um den Bedürfnissen und Lebensla- gen der Klientel gerecht zu werden. 33. Hamburg bietet die Möglichkeit, während der Vollstreckung der Ersatz- freiheitsstrafe die Vollstreckung durch Arbeit im Vollzug zu verkürzen (sogenanntes day-by-day). Wie viele Personen haben seit dem 01.01.2018 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und wie viele Hafttage wurden dadurch abgewendet? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Siehe Antworten zu 17. und 18. 34. Welche Arten und Tätigkeiten stehen zur Verkürzung der Ersatzfreiheits- strafe durch Arbeit im Vollzug zur Verfügung, wie viele Plätze stehen jeweils zur Verfügung und wie waren diese durchschnittlich ausgelastet? Siehe Antwort zu 19. Die durchschnittliche Auslastung wird seitens des Vollzugs nicht erhoben. Soziale Zusammensetzung der Betroffenen von Ersatzfreiheitsstrafen 35. Wie viele der Personen, gegen die seit 01.01.2018 eine Ersatzfreiheits- strafe vollstreckt wurde, waren vor der Vollstreckung wohnungslos? Bitte nach Jahren aufschlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. 36. Wie viele der Personen, gegen die seit dem 01.01.2018 eine Ersatzfrei- heitsstrafe vollstreckt wurde, waren vor der Vollstreckung erwerbslos? Bitte nach Jahren aufschlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. Stichtag      Anzahl             in Prozent  Anzahl           in Prozent   EFS wohnungsloser                  erwerbsloser                  gesamt Personen                       Personen 01.01.2018           41            37,6 %           95          87,2 %        109 01.04.2018           36            31,3 %           91          79,1 %        115 01.07.2018           42            35,6 %           97          82,2 %        118 01.10.2018           40            38,1 %           87          82,9 %        105 01.01.2019           44            52,4 %           70          83,3 %         84 01.04.2019           56            45,2 %           99          79,8 %        124 01.07.2019           51            50,5 %           80          79,2 %        101 01.10.2019           46            49,5 %           71          75,3 %         93 01.01.2020           59            57,8 %           60          58,8 %        102 01.04.2020           17            63,0 %           24          88,9 %         27 01.07.2020           23            54,8 %           35          83,3 %         42 01.10.2020           63            42,0 %          124          82,7 %        150 01.01.2021           34            56,7 %           54          90,0 %         60 01.04.2021           31            66,0 %           40          85,1 %         47 01.07.2021           37            66,1 %           51          91,1 %         56 01.10.2021           59            51,8 %           90          78,9 %        114 01.01.2022           61            45,5 %          107          79,9 %        134 Quelle: BASIS-Web, über Erweiterte Gefangenensuche Einzelauswertung im Personenkonto VG, Adressen. Die Daten basieren zum Teil auf Angaben der Gefangenen. 37. Wie viele der Personen, gegen die seit 01.01.2018 eine Ersatzfreiheits- strafe vollstreckt wurde, haben eine stoff- oder nicht stoffgebundene Suchterkrankung? Bitte nach Jahren und Art der Suchterkrankung auf- schlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. 38. Wie viele der Personen, gegen die seit dem 01.01.2018 eine Ersatzfrei- heitsstrafe vollstreckt wurde, haben – neben der eigentlichen Geldstrafe – Geldschulden? Bitte nach Jahren aufschlüsseln und in absoluten Zah- len sowie Prozent angeben. 13
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Drucksache 22/7323         Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode Die Beantwortung ist durch eine Auswertung in BASIS-Web nicht möglich. Hier müss- ten insgesamt über 6.000 Gefangenenpersonalakten händisch ausgewertet werden, was im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfü- gung stehenden Zeit nicht möglich ist. Nach Einschätzung der zuständigen Behörde haben jedoch Gefangene, die wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft sind, oft auch weitere Schulden. Eine Ursache hier- für ist, dass strafrechtliche Verurteilungen mit Kosten verbunden sind und wenn Zah- lungen für diese Forderungen erfolgen, diese Gelder in der gesetzlich normierten Rei- henfolge angerechnet werden (erst Geldstrafe, dann Nebenfolgen und zum Schluss Verfahrenskosten). Gefangene, die wegen einer Geldstrafe in Haft sind, haben daher regelhaft noch die Nebenfolgen und die Verfahrenskosten als Schulden. Neben den Verfahrenskosten existieren zudem noch in den meisten Fällen weitere diverse andere offene Forderungen. Ob eine Person vor der Vollstreckung einer EFS suchterkrankt war oder Geldschulden hatte, wird in MESTA (siehe zu Frage 2.) nicht erfasst. Eine Beiziehung und händi- sche Einzelauswertung der Verfahren, in denen eine EFS vollstreckt wurde, ist im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 39. Wie viele der Personen, gegen die seit dem 01.01.2018 eine Ersatzfrei- heitsstrafe vollstreckt wurde, waren weiblich? Bitte nach Jahren auf- schlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. Eine programmgestützte MESTA-Auswertung (siehe zu Frage 2.) der Daten, für die in MESTA rechtskräftige Geld- oder Gesamtgeldstrafen sowie ein Beginn für die Voll- streckung einer EFS notiert sind, hat folgendes Ergebnis erbracht (Stand 18.02.2022): Jahr*     Weibliche Verurteilte 2018                63 2019                60 2020                52 2021                54 *   Die Zuordnung erfolgte zum Jahr, das in MESTA als Strafbeginn erfasst ist. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 40. Wie viele der Personen, gegen die seit dem 01.01.2018 eine Ersatzfrei- heitsstrafe vollstreckt wurde, hatten keine deutsche Staatsangehörig- keit? Bitte nach Jahren aufschlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. Eine programmgestützte MESTA-Auswertung (siehe zu Frage 2.) der Daten, für die in MESTA rechtskräftige Geld- oder Gesamtgeldstrafen sowie ein Beginn für die Voll- streckung einer EFS notiert sind, hat folgendes Ergebnis erbracht (Stand 21.02.2022): Jahr*     Anzahl der Beschuldigten, für die in MESTA Einträge zur Staatsangehörigkeit vorhanden sind, bei denen es sich nicht zumindest auch um die deutsche Staatsangehörig- keit handelt 2018                                   413 2019                                   332 2020                                   342 2021                                   361 2022                                    59 *   Die Zuordnung erfolgte zum Jahr, das in MESTA als Strafbeginn erfasst ist. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 41. Wie viele der Personen, gegen die seit dem 01.01.2018 eine Ersatzfrei- heitsstrafe vollstreckt wurde, gehörten welcher Altersgruppe an (in Zehn- jahresschritten oder ähnlich)? Bitte nach Jahren aufschlüsseln und in absoluten Zahlen sowie Prozent angeben. 14
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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode         Drucksache 22/7323 Eine programmgestützte MESTA-Auswertung der Daten, für die in MESTA rechtskräf- tige Geld- oder Gesamtgeldstrafen sowie ein Beginn für die Vollstreckung einer EFS notiert sind, hat folgendes Ergebnis erbracht, wobei auf das Alter der verurteilten Per- son im Jahr des Beginns der Vollstreckung abgestellt wurde (Stand 21.02.2022): Altersgruppe*      2018        2019          2020          2021           2022 20 – 29            214         168           160           154            21 30 – 39            265         229           241           225            48 40 – 49            169         148           129           147            29 50 – 59            83          81            66            79             14 60 – 69            13          27            27            18             1 70 – 79            1           5             1             4              0 80 – 89            0           0             0             1              0 *   Die Zuordnung erfolgte zum Jahr, das in MESTA als Strafbeginn erfasst ist. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 15
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