Urteil BVerwG 10 C 1.21

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Sitzungsprotokolle des Beirats des Bundesministeriums der Finanzen

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Sachgebiet:                                                         BVerwGE:        ja Übersetzung:    nein Informationsfreiheitsrecht, Umweltinformationsrecht und Recht der Weiterverwendung von Informationen öffentli- cher Stellen Rechtsquelle/n: GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 65 Satz 2 IFG § 1 Abs. 1, § 3 Nr. 1 Buchst. d, § 3 Nr. 3, § 3 Nr. 4 Var. 4, § 7 Abs. 1 Satz 1 Titelzeile: Informationszugang zu Sitzungsprotokollen eines Beirats bei einem Bundesministe- rium Leitsätze: 1. § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG ist auf den Fall einer Zuständigkeitskonkurrenz verschiedener Behörden zugeschnitten. Ist nur eine Behörde im Besitz der Akten, ist sie verfü- gungsberechtigt. 2. Es bedarf für alle Varianten des § 3 Nr. 4 IFG einer gesetzlichen Spezialvorschrift, die die Geheimhaltung gebietet. 3. Die Beratungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Fi- nanzen sind in der Regel keine Beratungen des Ministeriums im Sinne von § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG. Urteil des 10. Senats vom 5. Mai 2022 - BVerwG 10 C 1.21 I.      VG Berlin vom 4. Juli 2019 Az: 2 K 178.18 II.     OVG Berlin-Brandenburg vom 5. November 2020 Az: 12 B 11.19
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Abschrift IM NAMEN DES VOLKES URTEIL BVerwG 10 C 1.21 12 B 11.19 Verkündet am 5. Mai 2022 Hardtmann als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In der Verwaltungsstreitsache █████████████ ████████████████████ Klägers, Berufungsbeklagten und Revisionsbeklagten, - Prozessbevollmächtigte: Thomas Rechtsanwälte, Oranienburger Straße 23, 10178 Berlin - gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen, Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin, Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, ECLI:DE:BVerwG:2022:050522U10C1.21.0
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- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Redeker Sellner Dahs, Leipziger Platz 3, 10117 Berlin - hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2022 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther, Dr. Wöckel und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr für Recht erkannt: Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberver- waltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. November 2020 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte. Gründe: I 1 Der Kläger begehrt den Zugang zu Sitzungsprotokollen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. 2 Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozi- alforschung und befasst sich mit dem Einfluss externer Berater im Politikbe- trieb und im Hinblick darauf mit der Arbeit der Wissenschaftlichen Beiräte. Dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen gehören mehr als 30 Professoren an deutschen Universitäten an, die den Bundesfinanz- minister in allen Fragen der Finanzpolitik unabhängig beraten sollen. Zu diesem Zweck werden Gutachten erstellt, die grundsätzlich veröffentlicht werden. Über die zweitägigen Sitzungen des Beirats wird ein kurzes Verlaufsprotokoll angefer- tigt, das nach der Satzung des Beirats nicht veröffentlicht wird. Nach der Sat- zung des Beirats sind die Beratungen nicht öffentlich und die Zusammenarbeit beruht auf Vertraulichkeit. Seite 2 von 12
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3 Im Juni 2018 beantragte der Kläger beim Bundesministerium der Finanzen, ihm die Sitzungsprotokolle des Wissenschaftlichen Beirats zwischen 1998 und 2018 zu übersenden. Den Informationszugang lehnte das Bundesministerium ab. Das Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, dem Kläger Zugang zu den Sitzungsprotokollen, soweit nicht die Teilnehmerlisten betroffen sind, ohne personenbezogene Daten zu gewähren und den Antrag auf Zugang zu den Teil- nehmerlisten in den Protokollen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab. 4 Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit geändert, als es die Klage auch abgewiesen hat, soweit der Kläger Zugang zu den in den Protokollen als Anlagen enthaltenen Vorträgen und Gutachten begehrt hat. Außerdem hat das Berufungsgericht die Beklagte, soweit der Kläger Zugang zu dem in den Protokollen aufgeführten Ta- gesordnungspunkt "Mitteilungen des Vorsitzenden" begehrt, zur Neubeschei- dung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts verpflichtet. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Berufungs- gericht hat die Beklagte im Hinblick auf die Protokolle und deren Anlagen als verfügungsberechtigte Behörde angesehen. Die Protokolle unterlägen keiner Geheimhaltungspflicht; die Vorschriften der Beiratssatzung begründeten kein besonderes Amtsgeheimnis im Sinne von § 3 Nr. 4 IFG. Dies könne nur durch den Gesetz- und Verordnungsgeber geschaffen werden. Die Verschwiegenheits- pflichten aus der Beiratssatzung begründeten mit Blick auf die Wissenschafts- freiheit ebenfalls keine besondere Amtspflicht. 5 Dem Informationsbegehren stehe nicht der Schutz von Beratungen nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG entgegen. Bei den Beratungen des Wissenschaftlichen Bei- rats handele es sich nicht um Beratungen einer Behörde, weil der Beirat nicht Teil einer Behörde sei. Auch könne durch eine Veröffentlichung der Sitzungs- protokolle nicht die politische Entscheidungsfindung des Bundesministeriums der Finanzen im Sinne des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG beeinträchtigt werden. Zu- Seite 3 von 12
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dem könne das Bekanntwerden der Information keine nachteiligen Auswirkun- gen auf Kontroll- oder Aufsichtsaufgaben der Finanzbehörden im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG haben. 6 Die Beklagte hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und trägt vor: Dem Bundesministerium fehle die Verfügungsberechtigung über die Protokolle des Beirats und daher auch die Zuständigkeit für den klägerischen Antrag. Dass die begehrten Informationen Teil der Akten der auskunftspflichti- gen Behörde seien, genüge nicht. Ausschließlich verfügungsberechtigt sei viel- mehr der Urheber der Information, also vorliegend der Beirat. Als unselbststän- diges beratendes Bundesgremium könne er aber nicht Anspruchsgegner sein. Eine stillschweigende Übertragung der Berechtigung auf das Bundesministe- rium liege nicht vor. 7 Zu Unrecht seien die Sitzungsprotokolle nicht als besonderes Amtsgeheimnis anerkannt worden. Es bedürfe keiner vom parlamentarischen Gesetzgeber er- lassenen Geheimnisschutznorm. Eine Satzung, wie hier die des Beirats, könne ausreichend sein. Es reiche, wenn sich aus der Eigenart des Amts ergebe, dass mit seiner Ausübung ein besonderes Amtsgeheimnis verbunden sei. Hier ge- währe die Satzung dem Wissenschaftlichen Beirat erkennbar einen autonomen wissenschaftlichen Diskussionsraum. Zudem folge aus der Wissenschaftsfrei- heit, auf die sich die Beiratsmitglieder berufen könnten, ein Recht auf die Ent- scheidungsfreiheit über den Zugang zu ihrem wissenschaftlichen Wirken. 8 Zu Unrecht habe das Berufungsgericht den Schutz von Beratungen gemäß § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG nicht anerkannt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, müssten Beratungen des Beirats als nicht-informationspflichtige Stellen ge- schützt sein. 9 Die Beklagte beantragt, unter teilweiser Änderung des Urteils des Oberverwal- tungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. November 2020 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Juli 2019 die Klage insgesamt abzuweisen. Seite 4 von 12
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10 Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. 11 Er verteidigt das angefochtene Urteil. II 12 Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auf keinem Verstoß gegen revisibles Recht. 13 1. Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegan- gen, dass Anspruchsgrundlage für den Auskunftsanspruch § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist. Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Das Beru- fungsgericht hat im Ergebnis auch zu Recht das Bundesministerium der Finan- zen als nach § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG zuständige Behörde für die Bescheidung des Auskunftsantrags angesehen. 14 Nach der als Zuständigkeitsbestimmung ausgestalteten Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG entscheidet diejenige Behörde über den Informationszugang, der die Verfügungsberechtigung zusteht. Mit diesem Kriterium macht das Gesetz deut- lich, dass die lediglich faktische Verfügungsmöglichkeit nicht ausreicht. Die Ver- fügungsberechtigung liegt aber auch nicht bereits dann vor, wenn die Informa- tion nach formalen Kriterien ordnungsgemäß Teil der Akten der grundsätzlich informationspflichtigen Behörde ist. Die ordnungsmäßige Zugehörigkeit zu den Akten ist nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Verfü- gungsberechtigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 4.11 - Buchholz 400 IFG Nr. 7 Rn. 27). 15 Verfügungsberechtigt über eine Information ist grundsätzlich diejenige Be- hörde, die die Information im Rahmen der Erfüllung der ihr obliegenden Aufga- ben erhoben oder selbst geschaffen hat (siehe BT-Drucks. 15/4493 S. 14). Ihr ist Seite 5 von 12
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sie auch zur weiteren Verwendung zugewiesen. Das umfasst auch die Entschei- dung, welchem Personenkreis sie zugänglich gemacht werden soll. Wird die In- formation im weiteren Verlauf anderen Behörden übermittelt und ist sie dem- nach an mehreren Stellen verfügbar, soll mit dem Merkmal der Verfügungsbe- rechtigung eine sachangemessene Entscheidungszuständigkeit ermöglicht wer- den, die sowohl der Aufgabenverteilung auf Seiten der Behörden als auch dem Interesse des Informationsberechtigten an einer aus seiner Sicht nachvollzieh- baren Bestimmung der auskunftspflichtigen Stelle Rechnung trägt. Insbeson- dere angesichts der umfangreichen Abstimmungspraxis unter den Behörden, aufgrund deren diese in großem Umfang als Teil der bei ihnen geführten Akten über Informationen verfügen, die nicht von ihnen erhoben worden sind, sollen die Verfahren auf Informationszugang bei der Behörde konzentriert werden, der die größte Sachnähe zum Verfahren zukommt bzw. die die Verfahrensführung innehat (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 4.11 - Buchholz 400 IFG Nr. 7 Rn. 28). § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG ist daher auf den Fall einer Zuständig- keitskonkurrenz verschiedener Behörden zugeschnitten. Ist nur eine Behörde zulässigerweise im Besitz der Akten, ist sie verfügungsberechtigt. Sie hat zu prü- fen, ob Ausschlussgründe vorliegen. 16 Danach ist hier das Bundesministerium der Finanzen über die begehrte Aus- kunft verfügungsberechtigt. Nur das Bundesministerium der Finanzen ist Be- hörde im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG, so dass sich die Frage der Konkurrenz von Zuständigkeiten zwischen mehreren Behörden nicht stellt. Dem Wissen- schaftlichen Beirat kommt dagegen nicht die Eigenschaft einer Behörde zu. Der Behördenbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist funktioneller Natur. Eine Behörde ist jede Stelle im Sinne einer eigenständigen Organisationseinheit, die öffent- lich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt (BVerwG, Urteil vom 15. No- vember 2012 - 7 C 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 22). Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes bezieht sich daher allein auf die materielle Ver- waltungstätigkeit der Behörden und der sonstigen Stellen des Bundes (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15). Ob Letzteres der Fall ist, bestimmt sich nach materiellen Kriterien in negativer Ab- grenzung zu den anderen Staatsfunktionen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Novem- ber 2011 - 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 13). Danach erfüllt der Wissenschaft- liche Beirat den Behördenbegriff nicht. Seite 6 von 12
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17 Zwar ist der Beirat teilweise organisatorisch selbstständig. Dies zeigt sich insbe- sondere darin, dass seine Mitglieder auf Vorschlag des Beirats vom Bundesmi- nister der Finanzen berufen und abberufen werden (§ 3 Satz 1 der Satzung des Wissenschaftlichen Beirats – im Folgenden: Satzung). Auch bestimmt der Bei- rat seinen Vorsitzenden selbst (§ 5 der Satzung). Die Mitglieder des Beirats sind zudem gegenüber dem Ministerium nicht weisungsgebunden (§ 1 der Satzung). Der Beirat leitet seine Existenz aber aus der Berufung gemäß der Ressorthoheit des Ministers nach Art. 65 Satz 2 GG und den vom Minister erlassenen und als Satzung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen bezeichneten Regelungen ab. Nach § 1 der Satzung soll der Beirat den Bundes- minister der Finanzen in voller Unabhängigkeit und ehrenamtlich in allen Fra- gen der Finanzpolitik beraten. Dem Beirat sind damit keine Aufgaben öffentli- cher Verwaltung und entsprechende Zuständigkeiten zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts zugewiesen. Die Gutachten des Beirats sind zwar gemäß § 8 der Satzung grundsätzlich zu veröffentlichen. Allerdings ist dies Aufgabe des Bundesministers (§ 8 Satz 5 der Satzung). Der Beirat teilt die Ergebnisse der Beratungen dem Bundesminister lediglich durch gutachterliche Äußerungen mit (§ 8 Satz 1 der Satzung). Daher fehlt es im Sinne des funktionellen Behördenbegriffs des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG an einer nach außen gerichteten Tätigkeit des Beirats in eigener Zuständigkeit und im eigenen Namen. Insoweit unterscheidet sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen von der Deutschen Lebensmittelbuch- Kommission, die zwar auch ein "beim" zuständigen Ministerium gebildetes in erster Linie beratendes Gremium ist, das aber aufgrund des § 15 Abs. 2 LFGB befugt ist, außenwirksam zu handeln (vgl. OVG Münster, Urteil vom 2. Novem- ber 2011 - 8 A 475/10 - ZLR 2011, 113 <123>). 18 2. Versagungsgründe stehen dem Anspruch auf Zugang zu den streitigen Unter- lagen nicht entgegen. 19 a) Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Berufungsgericht entschieden, dass sich die Beklagte nicht auf ein besonderes Amtsgeheimnis im Sinne von § 3 Nr. 4 Var. 4 IFG berufen kann. Seite 7 von 12
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20 aa) § 3 Nr. 4 IFG überlässt als Rezeptionsnorm den besonderen Geheimnis- schutz den in Bezug genommenen Spezialvorschriften (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Mai 2011 - 7 C 6.10 - Buchholz 400 IFG Nr. 4 Rn. 14 f., vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 11 und vom 29. Juni 2017 - 7 C 22.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 24 Rn. 12). Es bedarf daher einer Spezialvor- schrift, die die Geheimhaltung gebietet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 7 C 21.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 2 Rn. 21 und 25). 21 Eine solche Spezialvorschrift ist auch im Falle des "besonderen Amtsgeheimnis- ses" im Sinne von § 3 Nr. 4 Var. 4 IFG erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 7 C 22.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 24 Rn. 11 ff.). Zwar legt der Wortlaut des § 3 Nr. 4 IFG nahe, dass eine Rechtsvorschrift nur für die erste Va- riante geboten ist. Die systematische Auslegung des § 3 IFG zeigt aber, dass es für sämtliche Tatbestandsvarianten des § 3 Nr. 4 IFG einer formalgesetzlichen Grundlage bedarf. In § 3 Nr. 1 bis 8 IFG werden amtliche Informationen vor ei- nem Zugang durch die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG Berechtigten durch ein kom- plexes System von Ausnahmegründen geschützt (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 1 und 8). Gemeinsam ist ihnen, dass sie dem Schutz "besonderer öffentli- cher Belange" dienen. Dagegen sind die einzelnen Tatbestände der Nummern 1 bis 8 sowohl hinsichtlich der umfassten Schutzgüter als auch des Prognosemaß- stabes unterschiedlich ausgestaltet (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 9). Auch in rechtstechnischer Hinsicht weisen die verschiedenen Nummern signifikante Unterschiede auf, wie sich an der singulären Bereichsausnahme des § 3 Nr. 8, aber auch und gerade an § 3 Nr. 4 IFG zeigt, der als einziger Ausschlussgrund als Rezeptionsnorm ausgestaltet ist und damit den spezialgesetzlichen Geheim- haltungsvorschriften den Vorrang einräumt. Dieses auf einer gesetzgeberischen Entscheidung beruhende differenzierte System von Ausschlussgründen würde in Frage gestellt und weitgehend entwertet, hätte es die Exekutive in der Hand, unabhängig hiervon über den Inhalt und die Reichweite eines Amtsgeheimnis- ses ohne gesetzliche Grundlage selbst zu entscheiden. 22 Bedarf es daher für die Bejahung eines Amtsgeheimnisses einer Rechtsvor- schrift, so genügt auch insoweit eine untergesetzliche Rechtsvorschrift in Gestalt einer Rechtsverordnung (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 11 ff.). Seite 8 von 12
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23 Solch eine Vorschrift besteht im Hinblick auf das hier in Rede stehende beson- dere Amtsgeheimnis nicht. Mit Recht führt das Berufungsgericht aus, dass we- der § 6 Satz 3 noch § 9 der Satzung ein besonderes Amtsgeheimnis begründende Spezialvorschriften seien, weil es sich um reines Binnenrecht dieses Gremiums handelt, das nur die innere Organisation eines Organs und den Ablauf seiner Meinungs- und Willensbildung regelt. Ebenso wie bei einer Verwaltungsvor- schrift fehlt es einer Geschäftsordnung an der Außenwirkung, die für eine Rechtsvorschrift charakteristisch ist (vgl. - zu § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO - BVerwG, Beschluss vom 15. September 1987 - 7 N 1.87 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 17 S. 3 f.; Urteile vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 16 und vom 13. Dezember 2018 - 7 C 19.17 - Buchholz 404 IFG Nr. 29 Rn. 30). 24 Zu Recht weist das Berufungsgericht außerdem darauf hin, dass zwar das Res- sortrecht des Art. 65 Satz 2 GG als solches nicht dem Zugriff des Gesetzgebers unterliegt, das Recht der Minister im Rahmen gesetzlicher und haushaltsrechtli- cher Vorgaben, Organisation und Verfahren im Ressort zu bestimmen, gesetzli- che Regelungen aber nicht ausschließt und daher auch spezielle Ausschlusstat- bestände ohne Weiteres denkbar sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 13. Dezem- ber 2018 - 7 C 19.17 - Buchholz 404 IFG Nr. 29 Rn. 32). Dem Ressortprinzip ist insbesondere keine spezifische, den Ausschluss eines Informationszugangs nach dem Informationsfreiheitsgesetz rechtfertigende Ermächtigung für weiterge- henden Geheimnisschutz zu entnehmen. Art. 65 Satz 2 GG ermächtigt den Mi- nister nur dazu, sein Ressort und dessen Organisation durch Binnenrecht aus- zugestalten. 25 bb) Aus der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kann die Revi- sion ebenfalls kein besonderes Amtsgeheimnis herleiten. Dem steht entgegen, dass die Wissenschaftsfreiheit unmittelbar kein Recht auf Vertraulichkeit von Äußerungen vermittelt bzw. es dem Gesetzgeber vorbehalten ist, ein solches Recht oder einen dem Informationszugangsrecht entgegenstehenden Versa- gungsgrund zu schaffen. Schranken können sich zwar aus kollidierenden Grundrechten und damit aus der Verfassung selbst ergeben. Ihre Konkretisie- rung unterliegt aber grundsätzlich dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. BVerfG, Be- schluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <142> und Seite 9 von 12
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