00_25082022_AntragEA_Semsrott_BRD

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- 11 - schlimmstenfalls für einen persönlichen-wirtschaftlichen oder sogar politisch motivierten Lobby- ismus für russische Staatskonzerne gehandelt zu haben. II. Auch der gemäß § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Anordnungsgrund ist gegeben. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dürfen in presserechtlichen Auskunfts- verfahren mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie das von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasste Selbstbestimmungsrecht der Presse hinsichtlich der The- menauswahl und der Entscheidung, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll, keine über- zogenen Anforderungen gestellt werden. Erforderlich und zugleich ausreichend ist es, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen. Dies kann nicht deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte, wie etwa die Aufdeckung von schweren Rechtsbrüchen zielt und sie auch später möglich bleibt. Denn dies ist angesichts der Fähigkeit der Presse, selbst Themen zu setzen, immer denkbar. Die Presse kann ihre Kon- troll- und Vermittlungsfunktion vielmehr nur wahrnehmen, wenn an den Eilrechtsschutz in Aus- kunftsverfahren auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anfor- derungen gestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 –1 BvR 23/14 –m juris Rn. 30; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.12.2016 – OVG 6 S 29/16 –, juris Rn. 20; VG Berlin, Beschluss vom 14.09.2021 - VG 2 L 216/21). Das gesteigerte öffentliche Interesse ergibt sich hier zum einen aus der exponierten gesell- schaftlichen Stellung des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder. Dieser steht für seine Freundschaft zum autokratischen russischen Präsidenten Wladimir Putin und für Lobbytätigkei- ten unter anderem für den Interessenverbandes BVUK („Betriebliche Versorgungswerke für Un- ternehmen und Kommunen e.V.“), sowie für die Betreiberfirma der, nunmehr auf Eis gelegten Gaspipeline Nord Stream 2 in der öffentlichen Kritik. Gerade angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine ist aktuell von gesteigertem öffentlichem Interesse, inwieweit sich ein ehemaliger deutscher Regierungschef über ein, von der Antragsgegnerin finanziertes Büro für wirtschaftliche und politische Interessen eines autokratischen Machthabers, der einen völ- kerrechtswidrigen Krieg vom Zaun gebrochen hat, eingesetzt und u.a. zu diesem Zweck Ter- mine mit aktuellen Entscheidungsträger:innen vereinbart hat. Ein starker Gegenwartsbezug be- steht darüber hinaus aufgrund der erfolgten „Ruhendstellung“ des Büros, der vor wenigen Wo- chen dagegen erhobenen Klage Schröders sowie der anhaltenden Diskussion über Sinn und Legitimation der Büros für ehemalige Bundeskanzler:innen. Dem Vorliegen eines Anordnungsgrund kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die ursprüngliche Presseanfrage des Antragstellers an das Büro des ehemaligen Kanzlers bereits vom März dieses Jahres datiert. Der Antragsteller hat noch im März einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht und durfte davon ausgehen, dass die Rechtsfragen hinsichtlich des Bestehens einer Auskunftspflicht in diesem Verfahren umfassend geklärt wer- den. Soweit das OVG Berlin-Brandenburg den Antrag mit Beschluss vom 16. August 2022 unter Verweis auf die fehlende Passivlegitimation des Bundeskanzleramts abgelehnt und damit trotz Geltung des Rechtsträgerprinzips auf eine Passivlegitimation der vertretenden Behörde und nicht auf die Passivlegitimation des Rechtsträgers abgestellt hat, war dies für den Antragsteller 25.08.22.13 BKP-KANZLEI
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- 12 - nicht vorhersehbar (vgl. zum Rechtsträgerprinzip bzgl. presserechtlichen Auskunftsansprüchen OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.10.2017 – 10 ME 204/17 -, juris Rn. 26). Vor einer ablehnenden Entscheidung aufgrund vermeintlich fehlender Passivlegitimation hätte es jedenfalls zwingend eines gerichtlichen Hinweises bedurft (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, § 78 Rn. 37). Ein Hinweis ist nicht bereits dann entbehrlich, wenn Fragen von den Beteiligten schrift- sätzlich thematisiert werden, sondern nur in dem Fall, dass ein Beteiligtenwechsel nicht sinnvoll ist, weil der Antrag schon aus anderen Gründen abgewiesen werden müsste (vgl. Sodan/Zie- kow, ebd.). Dies ist hier nicht ersichtlich. Der Antragssteller hat sich darüber hinaus unmittelbar nach dem Beschluss des OVG erneut an das Büro gewandt. III. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist gerechtfertigt Die Vorwegnahme der Hauptsache ist in diesem Fall von höchster Aktualität, Dynamik und po- litischer Brisanz und der damit einhergehenden Notwendigkeit für die Presse, die betreffenden Informationen gegebenenfalls schnell in die Berichterstattung und den öffentlichen Diskurs ein- bringen zu können, gerechtfertigt. Soweit die Vorwegnahme der Hauptsache nur bei Vorliegen eines schweren Nachteils zulässig ist, muss dabei auch die Bedeutung der Auskunftsansprüche für eine effektive Presseberichter- stattung hinreichend beachtet werden (BVerfG, Beschluss vom 8.9.2014 – 1 BvR 23/14, NJW 2014, 3711 Rn. 26). Der Verweis auf das Hauptsacheverfahren darf nicht dazu führen, dass eine begehrte Auskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und allen- falls noch von historischem Interesse ist (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – 6 VR 1/17, Rn. 13). Es würde einen schweren unzumutbaren Nachteil für den Antragsteller begründen, würde er auf das Abwarten der Hauptsache verwiesen, da der Aktualitätsbezug der Berichterstattung ein tragender Bestandteil der Pressetätigkeit darstellt. Die Kernaufgabe der Pressefreiheit würde damit beeinträchtigt, sodass mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme geboten erscheint. Die Beschaffung der betreffenden Informationen könnte zudem durch Zeitablauf vereitelt werden. Die Zukunft des Büros ist unklar. Aktuell ist es ruhend gestellt. Ob es im Zeitpunkt einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren überhaupt noch existiert, er- scheint fraglich. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist dementsprechend gerechtfertigt. C. Ergebnis Dem Antragsteller steht gegen die Antragsgegnerin ein verfassungsunmittelbarer Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG auf Auskunft durch Beantwortung seiner Fragen zu den Terminen zu, die für den ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in den Jahren 2019-2022 von seinem Büro vereinbart wurden, insbesondere solche, die in einem Zusammenhang mit Energiepolitik oder den Unternehmen Gazprom, Nord Stream 2 oder Rosneft standen. Die Sache ist auch eilbedürftig. Dem Antragsteller kann ein Abwarten bis zur endgültigen Ent- scheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht zugemutet werden. 25.08.22.13 BKP-KANZLEI
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- 13 - Wir ersuchen daher höflich um rasche und antragsgemäße Entscheidung. Sebastian Sudrow RECHTSANWALT FACHANWALT FÜR IT-RECHT 25.08.22.13 BKP-KANZLEI
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