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Deutscher Bundestag                                                                         Drucksache     V/3119 5. Wahlperiode Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung                                                       Bonn, den 1. Juli 1968 Ia 1 - 0064/68 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Betr.: Zukunft der betrieblichen Altersversorgung Bezug: Kleine Anfrage der Fraktion der FDP - Drucksache V/2908           - Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen, dem Bundesminister der Justiz und dem Bundesminister für Wirtschaft wie folgt: 1. Im Sozialdemokratischen Pressedienst - Volkswirtschaft - Zei- chen W/XXIII/34 - 2. Mai 1968 - heißt es u, a. in einem Artikel „Um die Sicherheit der Rentenleistungen": „ ... Doch man sollte die erheblichen und normale Versiche- runsdeckung weit überschreitenden Kapitalrücklagen der be- trieblichen Altersfürsorge nicht außer Ansatz lassen. Schließ- lich sind diese von der gesamten Bevölkerung über zwangs- weisen Konsumverzicht aufgebracht worden. Sie stehen nun steuer- und zinsbegünstigt den Unternehmen als zusätzliche Betriebsmittel zur Verfügung. Sie gehören aber ihrem erklärten Charakter nach zur sozialen Sicherung und zwar in die gesetz- liche soziale Sicherung, die im Gegensatz zu diesem über- kapitalisierten Fonds leidend ist und vorläufig leidend bleibt. Wir können niemand für die notwendige soziale Sicherung zusätzliche Opfer zumuten, solange wir unter sozialem Vor- wand den Unternehmen solche Steuer- und Kapitalgeschenke machen; solche Art Sozialpolitik steht auch einem sozialen Rechtsstaat nicht an." Teilt die Bundesregierung diese Auffassungen zur betrieblichen Altersversorgung, insbesondere im Hinblick auf eine Inter- pretation, nach der die betreffenden Rücklagen a) als Folge eines zwangsweisen Konsumverzichts der gesam- ten Bevölkerung zu betrachten sind, b) dem erklärten Charakter nach zur sozialen Sicherung, und zwar in die gesetzliche Rentenversicherung gehören, c) Steuer- und Kapitalgeschenke unter sozialem Vorwand für die Unternehmen sind, und d) einem sozialen Rechtsstaat - u. a. wegen der finanziellen Schwierigkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung - nicht anstehen?
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Drucksache V/3119          Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode Die Punkte a) bis d) der Frage 1 werden des sachlichen Zu- sammenhangs wegen zusammenhängend beantwortet: Alle Bevölkerungsschichten messen einer ausreichenden Ver- sorgung im Alter eine große Bedeutung bei. Das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt derzeit nach 40 Versicherungsjahren 46 0/o des vergleichbaren Arbeitsent- gelts. Offensichtlich wird dieses Rentenniveau von vielen Ver- sicherten, aber auch von vielen Arbeitgebern, nicht als aus- reichend empfunden. Da die gesetzliche Rentenversicherung faktisch nur eine Grundsicherung für das Alter darstellt, be- grüßt die Bundesregierung, daß die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung für einen großen Teil der Bevölkerung durch Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung auf- gestockt werden. Folgende Formen der betrieblichen Altersversorgung werden angewandt: betriebliche Pensionsleistungen, Leistungen durch - selbständige betriebliche Pensionskassen, Leistungen durch selbständige betriebliche Unterstützungskassen und Leistungen aus Direktversicherungen zugunsten der Arbeitnehmer. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die betrieb- lichen Pensionsleistungen, weil sie am stärksten verbreitet und im wesentlichen wohl auch Gegenstand der Anfrage sind. Mit einigen Einschränkungen treffen die Ausführungen aber auch auf die anderen Formen der betrieblichen Altersversorgung zu. Die betrieblichen Pensionsleistungen, die Teil der gesamten Arbeitskosten des Betriebes sind, werden in der Regel im Wege des Anwartschaftsdeckungsverfahrens finanziert. Nach gelten- dem Steuerrecht (§ 6 a des Einkommensteuergesetzes) setzt dies voraus, daß das Unternehmen dem Arbeitnehmer eine rechts- verbindliche Pensionszusage gegeben hat. Der durch die Pen- sionsverpflichtung bedingte Gesamtaufwand kann in diesem Fall durch eine Rückstellung (Pensionsrückstellung) nach ver- sicherungsmathematischen Grundsätzen gleichmäßig auf den Zeitraum zwischen der Pensionszusage und dem vertraglich vorgesehenen Eintritt des Versorgungsfalles verteilt werden (Gleichverteilungsprinzip) . Soweit eine Rückstellung gebildet wird, mindert sich der Gewinn und damit auch das zu ver- steuernde Einkommen. Die auf diese Verminderung des zu ver- steuernden Einkommens entfallende Steuer bleibt bis zur Pensionszahlung gestundet und verbessert deshalb die Liqui- ditäts- und Kapitalverhältnisse des verpflichteten Unterneh- mens. Erst bei der späteren Pensionszahlung oder bei einem Wegfall der Pensionsverpflichtung vor Eintritt des Versor- gungsfalles ist die Pensionsrückstellung gewinnerhöhend aufzu- lösen. In welchem Verhältnis die Vorteile, die aufgrund der mit der Bildung von Pensionsrückstellungen verbundenen Steuer stundung erwirtschaftet werden können, zu den Belastungen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode                     Drucksache V/3119 durch die zu zahlenden Pensionsleistungen stehen, kann nicht generell beantwortet. werden. Die Bundesregierung wird prüfen, ob zu typischen Fällen Modellrechnungen angefertigt werden können. Diese auf die einzelne Pensionszusage abgestellte Betrachtungs- weise muß ergänzt werden. In der Praxis baut das Unter- nehmen für viele Beschäftigte Pensionsrückstellungen auf, und gleichzeitig werden für Rentner früher gebildete Rückstellungen aufgelöst. Bleibt der Bestand der Versorgungsanwärter nach Zahl und Altersgliederung langfristig unverändert und werden die Pensionszusagen nicht erhöht, so wird zumindest nach einer bestimmten Zeit die Nettozuweisung an die Pensionsrück- stellungen auf Null zurückgehen. Wirtschaftlich gesehen stellt die steuerliche Behandlung der bis dahin angefallenen Pen- sionsrückstellungen eine permanente Steuerstundung dar, die für das Unternehmen eine Steuerersparnis bedeutet. Charakteristisch für eine dynamische Wirtschaft sind aber           - wachsende Unternehmen reit in der Regel entsprechend der allgemeinen Einkommensentwicklung ebenso wachsenden Pensionszusagen. Insofern ist es durchaus wahrscheinlich, daß die Nettozuweisungen zu den Pensionsrückstellungen lang- fristig wachsen, womit auch der betriebswirtschaftliche Vorteil der Pensionsrückstellungen und die entsprechende Steuer- ersparnis des Unternehmens regelmäßig vergrößert werden. Nach privaten Schätzungen betrug das im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung angesammelte Kapital Ende des .Jahres 1965 über 34 Mrd. DM. Davon entfielen allein auf die betrieblichen Pensionsrückstellungen etwas über 20 Mrd. DM, wovon sicherlich ein Teil zusätzliche volkswirtschaftliche Ka- pitalbildung darstellt. Die Bundesregierung sieht in der betrieblichen Altersversor- gung bei entsprechender Ausgestaltung ein wertvolles und eigenständiges Glied der gesamten Altersversorgung, das soziale und ökonomische Zielsetzungen harmonisch in sich ver- einigen kann. Sie würde es begrüßen, wenn auch die kleineren und mittleren Betriebe mehr noch als bisher von den Finan- zierungsmöglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung Ge- brauch machten und noch mehr Arbeitnehmer in den Genuß der betrieblichen Altersversorgung kämen. Nach privaten Schätzun- gen haben zur Zeit etwa GO% der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Betriebsrente, die jedoch nach Voraussetzungen, Höhe und Art sehr unterschiedlich gestaltet ist. 2. Überschreiten diese Rücklagen die normale Versicherungs deckung erheblich, und sind sie im Hinblick auf die Finanzie- rung der eingegangenen betrieblichen Altersversorgungsver- pflichtungen gegenüber den Beschäftigten als überhöht zu be- trachten? Die Frage, ob die Deckungsmittel für die betriebliche Alters versorgung die normale Versicherungsdeckung erheblich über-
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Drucksache V/3119           Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode schreiten, ist zu verneinen. Dies gilt offenbar nicht für die Dotierung betrieblicher Unterstützungskassen. Nach Auffassung des Bundesministers der Finanzen sind die Rückstellungen für betriebliche Pensionsleistungen unterdotiert. Die Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung sind mit den Pensionsrückstellungen und mit der normalen Versiche- rungsdeckung nicht vergleichbar, weil es sich um völlig ver- schiedene Finanzierungssysteme handelt. Im Gegensatz zur betrieblichen Altersversorgung, die in der Regel im Wege des Anwartschaftsdeckungsverfahrens finanziert wird, wendet die gesetzliche Rentenversicherung ein modifiziertes Umlagever- fahren an, das naturgemäß mit einer relativ niedrigen Kapital- reserve arbeiten kann. Nach privaten Berechnungen müßte die gesetzliche Rentenversicherung einen Deckungsstock von 520 Mrd. DM haben, wenn sie nach dem reinen Anwartschafts- deckungsverfahren arbeitete. Wenn man die Pensionsrückstellungen mit den Deckungsrück-   - stellungen der privaten Lebensversicherung vergleicht, so er- gibt sich folgendes: die Pensionsrückstellungen müssen mit einer Abzinsung von 5,5 v. H. errechnet werden, während die Versicherungsgesellschaften bei gleicher Verpflichtung steuer- rechtlich Deckungsrückstellungen passivieren dürfen, die unter Zugrundelegung einer Abzinsung von 3 v.H. errechnet werden. Insoweit liegen die Pensionsrückstellungen unter der normalen Versicherungsdeckung. Wenn man die Pensionsrückstellungen für sich betrachtet, be- dingen einige Faktoren höhere, andere dagegen niedrigere Rückstellungen. Ein erheblicher Teil der Pensionsleistungen ist nicht auf feste Beträge, sondern auf die Endbezüge abgestellt. Die Pensions- rückstellungen für diese Leistungen sind zu niedrig, weil nach geltendem Recht eine künftige Steigerung der Entgelte nicht von vornherein mit Wahrscheinlichkeitswerten unterstellt wer- den darf. Eine Steigerung der Entgelte, die zu einer Erhöhung der Pensionsleistungen führt, darf erst dann berücksichtigt werden, wenn die Steigerung der Entgelte tatsächlich eingetre- ten ist. Die Berücksichtigung folgender Faktoren würde vorwiegend zu niedrigeren Rückstellungen führen: Die Pensionsordnungen der Unternehmen sehen überwiegend eine Verfallbarkeit der Pensionsanwartschaften beim Arbeitsplatzwechsel vor. Ent- sprechende Korrekturen bei den Rückstellungen für die zu erwartende normale Mobilität der Arbeitnehmer sind jedoch ertragsteuerrechtlich nicht vorgeschrieben. Auch die Wahr- scheinlichkeit der Anwendung sog. Widerrufsvorbehalte nach den Einkommensteuer-Richtlinien Abschnitt 41 Abs. 3 ist ertrag steuerrechtlich nicht erfaßt. Weiterhin scheinen die bei der
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode                        Drucksache V/3119 Berechnung der Höhe der Pensionsrückstellungen unterstellten biologischen Wahrscheinlichkeiten, insbesondere die Invalidi- tätswahrscheinlichkeiten bei Angestellten, zum großen Teil auf überholtem Material zu beruhen. Neueres Material steht z. Z. nur unvollkommen zur Verfügung. Die Bundesregierung wird prüfen, von welchem Gewicht die genannten Faktoren sind und ob den Auswirkungen dieser Faktoren künftig besser Rechnung getragen werden kann. Diese Prüfung wird dadurch erschwert, daß aktuelle Werte über den Umfang und die Struktur der betrieblichen Alters- versorgung nicht vorliegen. Die letzten Schätzungen von priva- ter Seite basieren auf sekundärstatistischem Material und gehen auf das Jahr 1965 zurück. Die Bundesregierung bedauert diesen Mangel an statistischem Material und hält es für not- wendig, daß die Unternehmen und Unternehmensverbände mehr als bisher über Umfang und Struktur der betrieblichen Altersversorgung Erhebungen anstellen und berichten. 3. Beabsichtigt die Bundesregierung in die bereits bestehenden Rücklagen für die betriebliche Altersversorgung zur Finanzie- rung von Defiziten in der gesetzlichen Rentenversicherung — und wenn ja, in welcher Form — einzugreifen? Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in die bereits bestehen- den „Rücklagen" für die betriebliche Altersversorgung zur Finanzierung von Defiziten in der gesetzlichen Rentenversiche- rung einzugreifen. 4. Sind unabhängig davon Pläne vorhanden, durch gesetzliche Maßnahmen — und wenn ja, durch welche — die betriebliche Altersversorgung in der Zukunft auszuhöhlen? 5. Welche wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen würden sich für die Arbeiter und Angestellten der direkt und indirekt betroffenen Betriebe bei Eingriffen in die geltenden Regelungen einmal im Hinblick auf deren zusätzliche Altersversorgung und zum anderen aus der Beeinträchtigung der Investitions- fähigkeit und Investitionsbereitschaft beim Entzug der ent- sprechenden Mittel ergeben Die Fragen 4 und 5 werden des Sachzusammenhangs wegen gemeinsam beantwortet: Die Bundesregierung verfolgt keine Pläne, durch gesetzliche Maßnahmen die betriebliche Altersversorgung auszuhöhlen. Sie untersucht hingegen, wie das augenblicklich praktizierte System der betrieblichen Altersversorgung wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch zweckmäßiger gestaltet werden kann. Dabei ist auch in Zukunft davon auszugehen, daß die Freiheit der Unternehmen, Pensionszusagen zu geben, uneingeschränkt bestehen bleiben soll. Die Untersuchungen beschäftigen sich vor allem mit dem Problem der Verfallbarkeit der betrieblichen Pensionsansprüche beim Arbeitsplatzwechsel. Sowohl die Sozialenquête als auch das Jahresgutachten 1966/67 des Sachverständigenrates zur
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Drucksache V/ 3119             Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben auf die mobilitätshemmende Wirkung einer solchen Verfallbar- keit der Pensionsansprüche aufmerksam gemacht. Auch die Bundesregierung hat sich zu dieser Frage im vorigen Jahr in den „Grundsätzen der sektoralen Strukturpolitik" (Drucksache V/2469) wie folgt geäußert: „Im Bereich der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik sollte untersucht werden, ob und wieweit Systeme der betrieb- lichen Altersvorsorge (Pensionskassen, Pensionsrückstel- lungen) oder tarifvertragliche Vereinbarungen, bei denen der Arbeitnehmer im Falle eines Wechsels seine Anwart- schaft verliert, im Interesse einer größeren Mobilität der Arbeitskräfte geändert werden sollten." Die Bundesregierung hält eine flexiblere und mobilitätsgerech- tere Gestaltung der betrieblichen Altersversorgung, die auch bisher nicht ausgeschlossene soziale Härten beseitigt, für mög- lich. Ähnliche Bemühungen sind in großen westlichen Industrie- ländern zu beobachten, insbesondere in Schweden, den USA und Großbritannien. Dabei wird die Bundesregierung u. a. auch prüfen, wie die Zahlung der erworbenen Pensionsansprüche sichergestellt werden kann, wenn das pensionszusagende Unternehmen in Finanzierungsschwierigkeiten gerät. Zur weiteren Klärung des Umfangs sowie zur Erörterung der Möglichkeiten zur Verbesserung des Systems wird die Bundes- regierung sobald wie möglich Gespräche mit den Spitzenorgani- sationen der deutschen Wirtschaft aufnehmen. Die Bundesregierung erwartet vom Ergebnis dieser Prüfungen und von den sich daraus ergebenden Folgerungen keine Beein- trächtigung der Investitionsbereitschaft und der Investitions- fähigkeit der Unternehmen. Alle Überlegungen, die auf die Verbesserung und den weiteren Ausbau der betrieblichen Altersversorgung abzielen, müssen von der Beibehaltung des gegenwärtigen Systems der gesetz- lichen Rentenversicherung ausgehen. Auf der Basis der solidari- schen Grundsicherung muß die betriebliche Altersversorgung aufbauen. Gesetzliche Rentenversicherungen und betriebliche Altersversorgung sind vom Bedürfnis der Alterssicherung her als Ergänzung und nicht als Alternativen zu sehen. In Vertretung Kattenstroth
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