Lrmmedizin.GAzumPFBVF2AnhangAII.pdf
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Lärmmedizinisches Gutachten Flughafen Hamburg“
Anhang A Funktion Testosteron Kortisol Cortikosteron Prostaglandin cAMP - Zellaktivität Mitose der Epidermis (Erwachsene) Kapitel 3: Chronobiologische Erkenntnisse 3.12.2. Funktionsveränderungen während der Arbeit Abfall des Blutflusses bei der Arbeit Sauerstoffabnahme Muskelkraft (Arme) Sportliche Leistungsfähigkeit (NASA) Kraft, Elastizität des Körpers (z.B. Geräteturnen) Aerobe Fähigkeiten (Ausdauer) Maximum Minimum 9.00 - 10.00 Uhr 17.00 - 20.00 Uhr 6.00 - 10.00 Uhr 21.00 - 2.00 Uhr frühabends (18.00 Uhr) ca. 6.00 Uhr ca. 18.00 Uhr 11.00 - 14.00 Uhr 24.00 Uhr 12.00 Uhr ca. 21.00 Uhr ca. 3.00 Uhr 8.00 - 9.00 Uhr ca. 24.00 Uhr ca. 9.00 Uhr ca. 3.00 Uhr 14.00 - 18.30 Uhr früher Nachmittag später Nachmittag bis früher Abend 3.12.3. Pathophysiologische Funktionen / Fehlverhalten Häufigkeit des Auftretens von Todesfällen Intensität kariesbedingter Zahnschmerzen Ausmaß der Herzkreislauflabilität Asthmaanfälle Herzattacken Herzinfarkt Größte Streßempfindlichkeit des Magens Höchster Effekt des Insulins bei Diabetikern Größte körperliche Belastungsempfindlichkeit des Herzkreislaufsystems Größte Streßempfindlichkeit des Herz- Kreislaufsystems Größte Allergieempfindlichkeit Größte Empfindlichkeit der Haut gegen Histamin Autounfälle Fehlerrate bei Leistungstests Ischämische Herzepisoden Plötzlicher Herztod 4.00 - 6.00 Uhr 20.00 - 24.00 Uhr 3.00 - 8.00 Uhr 15.00 - 17.00 Uhr 3.00 - 5.00 Uhr 23.00 - 24.00 uhr vorwiegend nachts frühe Morgenstunden frühe Morgenstunden 12.00 - 14.00 Uhr 5.00 - 6.00 Uhr frühe Morgenstunden frühe Morgenstunden 21.00 - 22.00 Uhr 21.00 - 22.00 Uhr 3.00 - 6.00 und 14.00 - 10.00 und 20.00 Uhr 16.00 Uhr 3.00 - 5.00 und 15.00 Uhr frühe Morgenstunden um Mitternacht frühe Morgenstunden um Mitternacht 44 von 69
Anhang A Funktion Fehler beim Ablesen von Strom- und Wasseruhren Fehler bei automatischer Bremsung 3.12.4. Therapie, Pharmaka Höchste Efektivität von Lokalanesthesie bei Zahnbehandlung (Novocain) Acetylcholin / bronchiale Reaktion Deltaschlafinduzierendes Peptid Substanz P (schlafinduzierend) intranasal intravenös größte Empfindlichkeit gegen Penezillin Wirkungen von Barbituraten Amphetamin Cortikosteroide bei Kindern mit Asthma Methylprednisolon Salicylate Betablockern Kalziumantagonisten Lichttherapie bei Winterdepressiven Körperkerntemp. vor Behandlg. Körperkerntemp. nach Behandilg. 3.12.5. Gynäkologie Spontaner Beginn einer Entbindung Häufigkeit Zeitpunkt der Spontanentbindungen Zeit der ärztlich eingeleiteten Entbindungen Totgeburten Fötus Herzfrequenz synchron zur Mutter Kapitel 3: Chronobiologische Erkenntnisse Maximum 3.00 Uhr 3,00 und 15.00 Uhr 15.00 - 16-00 Uhr ca. 14.00 uhr ca.17.00 Uhr (intravenös) morgens abends 21.00 - 22.00 Uhr 20.00 - 22.00 Uhr ca. 4.00 Uhr ca. 13.00 Uhr ca. 15.00 Uhr 7.00 Uhr 10.00 - 14.00 Uhr 8.00 - 10.00 24.00 Uhr 17.00 Uhr 1.30 - 2.30 Uhr 5.30 Uhr 10.30 - 15.30 Uhr ca. 12.00 Uhr 8.00 - 12.00 Uhr 45 von 69 Minimum 7.00 - 10.00 Uhr 20.00 - 22.00 Uhr 6.00 - 8.00 Uhr ca. 8.00 Uhr ca. 19.00 Uhr 19.00 Uhr 20.00 - 24.00 Uhr 15.00 - 16.00 Uhr 8.00 - 10.00 Uhr 5.00 Uhr ca. 12.00 Uhr nachmittags 2.00 - 6.00 Uhr a en
4 Gesundheit und Lärmwirkungen 4.1 Vorbemerkungen Die Beurteilung der gesundheitsschädigenden Wirkungen des Lärms erfordert unbedingt die prinzipielle Beantwortung der Fragen: Was verstehen wir unter Gesundheit? Wie diagnostizieren wir Gesundheit? 4.2 Was ist Gesundheit? Die WHO-Definition [WHO 1986] besagt, daß Gesundheit nicht nur das Freisein von Krankheit darstellt, sondern durch soziales, psychisches und physisches Wohlbefinden gekennzeichnet ist. Dieses geistig-emotionale, soziale und körperliche Wohlbefinden schließt eine hohe Leistungsfähigkeit sowie eine gute Lebens- Erholungs- und Schlafqualität in sich ein. Verminderte geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, eingeschränktes körperliches und soziales Wohlbefinden, Einengung der sozialen Kommunikation und Kreativität sowie Störungen der verschiedenen psychophysiologischen Funktionen eines Organismus bedeuten gemäß der WHO-Definition nicht mehr gesund aber noch nicht krank sein. Diese Definition der Gesundheit macht es notwendig, neben der Pathogenese auch die Sanogenese [Hecht 1974, Pawlenko 1973] bzw. das Synonym Salutogenese [u.a. von Uexküll 1990] mit in die Denkweise des Mediziners einzubeziehen. Unter Sanogenese verstehen wir einen funktionellen Komplex von Schutz- und Anpassungsmechanismen, die in den dynamischen Organismus-Umwelt-Beziehungen in Abhängigkeit jeweils vorherrschender Reiz-Reaktions-Konstellationen mit dem Ziel mobilisiert werden, die Optimierung der Regulationsprozesse im Organismus aufrechzuerhalten oder bei Störungen wiederherzustellen. Sanogenetische und pathogenetische Prozesse stehen in einem Regulationsgleichgewicht miteinander. Überwiegt die Sanogenese, so liegt Gesundheit vor, überwiegt die Pathogenese, dann entsteht Krankheit über prämorbide und Frühstadien. nn nn nn 46 von 69
Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen En nn nn schwerkrank krank noch nicht krank noch gesund gesund kerngesund Abb. 4.1: Schema der Gesundheits-Krankheitsbeziehung (Quelle: Hecht und Baumann 1974) Die prämorbide Phase bedeutet "noch gesund sein", das Frühstadium "noch nicht krank sein". Der Übergang von Gesundheit zur Krankheit erfolgt also nicht abrupt, sondern kann durch die folgenden Stufen angenähert werden. - kerngesund - gesund - noch gesund - noch nicht krank - krank Gesundheitsveränderungen - schwerkrank Eine gesundheitliche Beeinträchtigung (funktionelle Störungen) liegt demnach schon bei der Stufe "noch gesund" vor. Diese Gesundheitsdiagnostik ist überhaupt erst in den letzten Jahrzehnten durch die Raumfahrtmedizin entwickelt und gefördert worden. [Grigorjew 1990] Sie schließt die Ganzheitsbetrachtung mit in sich ein und charakterisiert den Menschen als eine biopsychosoziale Einheit. Die klassische Medizin, deren Diagnostik auf der biologischen (organischen) Befunderhebung basiert, ist derzeitig kaum in der Lage, z.B. die prämorbide Phase (noch gesund sein) zu diagnostizieren. a 47 von 69
Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen Von Uexküll und Wesiack [1990] charakterisieren die heutige Situation der Medizin wie folgt: "Zu den Erfolgen der Verkürzung der Lebensphänomene im Körperbereich durch das Maschinenparadigma gehört die Unmöglichkeit, psychische und soziale Faktoren mit Körpervorgängen in Verbindung zu bringen. So entstand die absurde Aufspaltung der heutigen Medizin in Arzte und Kliniken für Körper ohne Seelen auf der einen Seite und in Therapeuten und Neurosekliniken für Seelen ohne Körper auf der anderen..." 4.3 Wie diagnostizieren wir Gesundheit? Hierbei sollten wir uns einer Anregung von R. Virchow erinnern, der schreibt [Virchow 1922]: "Die bekannte wunderbare Akkomodationsfähigkeit der Körper; sie gibt zugleich den Maßstab an, wo die Grenze der Krankheit ist. Die Krankheit beginnt in dem Augenblick, wo die regulatorische Einrichtung des Körpers nicht ausreicht, die Störungen zu beseitigen. Nicht das Leben unter abnormen Bedingungen als solches erzeugt Krankheit, sondern die Krankheit beginnt mit der Insuffizienz der regulatorischen Apparate." Virchow verweist also auf die Beurteilung der Regulation für die Festlegung der "Grenze" zwischen Gesundheit und Krankheit. Dieser Forderung entspricht Pawlow [Pawlow 1956], der die Gesundheit als dynamisches Gleichgewicht zwischen Organismus und Umwelt beschreibt. Krankheit ist demnach die Störung dieses Gleichgewichts. Um Gesundheit und Krankheit oder gesundheitliche Schäden von Gesundheit zu differenzieren bedarf es nach den angeführten Auffassungen von Virchow und Pawlow einer Regulationsdiagnostik. Eine solche ist heute noch wenig entwickelt. Nach Virchow und Pawlow drückt sich gesund sein im Gleichgewicht bzw. in der Ausgeglichenheit der Regulation von sozialen, geistig-emotionellen und körperlich funktionellen Prozessen im zeitlichen Verlauf aus. Da die Regulation durch rhythmische Verläufe psychophysiologischer Prozesse reflektiert wird, erhalten wir durch sie den Zugriff zum "regulatorischen Apparat" [Virchow 1922] und somit zu einer Differenzierung von sanogenetischen und pathogenetischen Prozessen eines Menschen. Das Fehlen einer auf regulationtheoretischen Erkenntnissen basierenden Gesundheitsdiagnostik erschwert es gegenwärtig, Gesundheit zu diagnostizieren. Wir stellen deshalb das lärmmedizinische Gutachten vor allem auf Störungen der biologischen Funktionsfähigkeit ab. Dabei sind zwei weitere Aspekte zu beachten. Während die Infektionskrankheiten unmittelbar nach Infektion merklich wirken und akut die Gesundheit und Leistung beeinträchtigen, benötigt der Lärm Jahre oder sogar Jahrzehnte, häufig für die Betroffenen unmerklich wirkend, um chronische Krankheiten zu verursachen. Noch ein weiterer Faktor ist zu beachten. Das Lärmerlebnis und die dabei ablaufenden veränderten Funktionen können wie bei anderen streßinduzierten Krankheiten (Neurosen, psychosomatische Erkrankungen [Eysenck 1967, Chananaschwili 1984]) über Konditionierungsmechanismen als Pathologien in das Gedächtnis engrammiert werden. Gedächtnis und Emotionen haben beide ihre relevante Struktur im limbischen System des Gehirns. Die Benachbarkeit beider Systeme fordert die Gedächtnis- speicherung emotioneller Erlebnisse. Infolgedessen kann bei Verkehrslärmexponierten der folgende Entwicklungsprozeß beobachtet werden: 1. Nicht einschlafen können oder Erwachen durch vorbeifahrende Autos oder Landen und Starten von Flugzeugen; 48 von 69
Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen 2. Erwartungseffekte (wann wird mich das nächste Auto stören?), verbunden mit Streß und Angst; 3. Lärmärger oder Lärmangst, die sich aufschaukeln und die Spannung erhöhen; 4. Sensibilisierung, d.h. erhebliche Steigerung der Lärmempfindlichkeit und -angst; 5, Permanente Lärmaversion mit starken negativen Emotionen; 6. Konditionierung: unwillkürliches Einprägen der negativ-emotionell stimulierten Veränderungen der psychophysiologischen Funktionen ins Gedächtnis. Über Jahre einwirkender Lärm verursacht häufig in Kombination mit anderen Schadfaktoren ein pathologisches Funktionsmuster, durch welches über die Dauer auch morphologische Veränderungen auftreten können. Tierexperimente haben derartige pathologische Entwicklungen überzeugend demonstriert. [Hecht 1971, Chananaschwili 1984] 4.4 Lärm und biologische Befunderhebung als Kriterium für Lärmschäden 4.4.1 Untersuchungen am Menschen Untersuchungen in Form einer Langzeitstudie von Christel Graff et al. [Graff 1968] haben zu grundlegenden Erkenntnissen über die Lärmwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System geführt. Die Wissenschaftler aus dem Institut für Kortikoviszerale Pathologie und Therapie in Berlin- Buch untersuchten 117 Mitarbeiter einer Kesselschmiede eines metallverarbeitenden Betriebes (Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh). Der durchschnittliche Lärmpegel betrug 95 dB(A), wobei Spitzenwerte bis zu 120 dB(A) gemessen wurden. Die erhobenen Daten wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen. Diese Gruppe setzte sich aus gleichaltrigen Transportarbeitern zusammen, die im Durchschnitt mit 50-60 dB(A) beschallt wurden (n=78).Die Untersuchungen wurden mittels einer komplexen Herzkreislaufdiagnostik vorgenommen mit Akzentuierung der arteriellen Hypertonie. Bei Arbeitsaufnahme waren die Untersuchten 20-25 Jahre alt. Ihnen wurde durch eine betriebsärztliche Einstellungsuntersuchung "Kardio-vaskuläre Gesundheit" bestätigt. Durch Graff und Mitarbeiter wurden die Arbeiter nach 6 Jahren Betriebszugehörigkeit und nach 131/2 Jahren Betriebszugehörigkeit (immer in der Kesselschmiede beschäftigt) untersucht. Nach 6 Jahren wurde bei 31% der Arbeiter der Kesselschmiede klinisch eine Bluthoch-druckkrankheit mit dem Schweregrad 1 nachgewiesen. Bei den Transportarbeitern hatten 6% eine arterielle Hypertonie des Schweregrades 1.Bei dem Rest der Arbeiter (69% bzw. 94%) waren keine kardiovaskulären Befunde nachzuweisen.Nach 13 1/2 Jahren Betriebszugehörigkeit dieser Arbeiter der Kesselschmiede, zeigten 38% eine arterielle Hypertonie des Schweregrad 2 und 3 . Weitere 43 % hatten eine arterielle Hypertonie des Schweregrad 1 . Die Befunde beider Hypotoniker-Gruppen wiesen noch weitere Symptome kardiovaskulärer Krankheiten auf. Nur 19% waren frei von kardiovaskulären Befunden.In der Gruppe der Transportarbeiter hatten 16% der Arbeiter zu diesem Zeitpunkt pathologisch kardiovaskuläre Symptome aufzuweisen. 84% waren ohne Befund. Bei beiden untersuchten Gruppen zeigte sich folgende Entwicklung der Erkrankungen: 49 von 69
Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen Einmmane De nach 6 Jahren sach 1812 Kart Lärm Jahren Lärm Lärmarbeiter EEE EEE Transportarbeiter ErIEREEEE Tab. 4.1: Entwicklung der Erkrankungen von Arbeitern einer Kesselschmiede Untersuchungen zur aktuellen Reaktionslage des Nervensystems (psychophysiologische und EEG-Untersuchungen) wiesen bei den bluthochdruckkranken Arbeitern ein Dominieren von Erregegungsprozessen aus. 4.4.2 Tierexperimentelle Modelluntersuchungen Nitschkoff und Kriwizkaja [Nitschkoff 1968] nahmen an Ratten Modellexperimente vor, die analog den Untersuchungen von Graff [Graff 1968] waren. In einem Stufenprogramm wurden adulte Ratten 3 Wochen, 3 Monate und 7 Monate lang einer Beschallung von 95 dB(A) täglich für die Dauer von 15 Minuten ausgesetzt. Entsprechend der Dauer der Beschallung nahmen die pathologischen Veränderungen von Hirnzellen, des Blutdrucks, der Elektrolyte, der Blutzusammensetzung und verschiedener Verhaltensweisen zu. In der Hirnrinde wurden im erhöhtem Maße Zerstörungen der Nervenzellen, besonders der Synapsen, nachgewiesen. Ebenfalls an Ratten untersuchten Artychina et al. [Artychina 1980] den Einfluß von Lärm auf Ultrastrukturen des Gehirns und Ljovshina et al. [Ljovshina 1980] auf den Blutdruck, auf das Verhalten und auf die Minutenrhythmen von Zeitreihendaten zentralnervöser und motorischer Reaktionszeiten. Der Lärm wurde 21 Tage lang täglich von 16.00-8.00 Uhr, d.h. in der Aktivitätsphase der Tiere, dargeboten. Verwendet wurde weißes Rauschen mit einer Frequenzbreite von 250-350 Hz, der Lärmpegel betrug 90-95 dB(A). Das Signal wurde intermittierend in einem Verhältnis Lärm zu Pause von 2:1 appliziert. Nach 21 Tagen Lärmexposition ergaben sich gegenüber Kontrollen folgende als gesundheitsschädigend zu interpretierende Veränderungen: - Chronische Hypertonie, Anstieg des systolischer Blutdrucks von 115 +/- 28 mmHg auf 162 +/- 34 mmHg - Veränderungen im Leistungsspektrum des EEG in Richtung übermäßiger Erregung - Einschränkung des Lernens und Gedächtnisses um ca. 40% der Ausgangsleistung - Zerstörung des Minutenrhythmus zentralnervöser und motorischer Reaktionszeiten Morphologische Untersuchungen (Elektronenmikroskopie) in Ultrastrukturen des vakuslischen Neokortex ergaben: 50 von 69
Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen A Kapılel . Lresundheit und Larmwirkungen - Ödeme an den perikapillaren Astrzytenfortsätzen der Kapillaren und der perikapillaren Glia. Diese Befunden sind zur arteriellen Hypertonie in Beziehung zu bringen. - Erhöhung der Lysosomemzahl in den Gehirnzellen, Bildung von Pigmentkörperchen (Lipofuszin) innerhalb der Lysomen und Ausbildung von Vakuolen (Lipofuszin- anreicherungen sind charakteristisch für pathologische Veränderungen der Nervenzellen im Alterungsprozeß.) - In den Gliazellen zeigten sich ähnliche Erscheinungen - unterschiedlich ausgeprägte Chromatolyse und Verminderung der Ribosomen und Polysomen. Destruktionen der Lysosomen werden mit einer zellulären Hypoxie verbunden, die von einem perikapillaren Ödem und von Veränderungen der Mitochondrien begleitet werden. [Bogolenov 1979] Diese Befunden von Artychina et al. [Artychina 1980] und von Ljovshina et al. [Ljovshina 1980] fundieren die von Christel Graff et al. [Graff 1968] an Arbeitern nachgewiesenen extraauralen gesundheitlichen Schäden durch chronischen Lärmeinfluß. 5] von 69
5 Adaptation und Habituation (Gewöhnung) an Lärm 5.1 Einleitung Bezüglich der Lärmwirkungen wird immer wieder die Frage gestellt, inwieweit sich der Mensch an Lärm adaptieren und habituieren kann. Einerseits wird diese Frage bejaht (z.B. [Jansen 1995]), andererseits wird sie verneint (z.B. [Maschke 1995]). Das Konzept des Allgemeinen Adaptationssyndroms von Selye bietet eine gewisse Grundlage zur Beantwortung dieser Frage. Zunächst ist aber zu klären, was wir unter diesen beiden Begriffen verstehen. 5.2 Adaptation Unter Adaption wird die Fähigkeit des Organismus verstanden, als offenes Regulationssystem seine Stabilität und Existenz gegenüber zeitweiligen (akuten) und permanenten (chronischen) Veränderungen oder Reizwirkungen seiner natürlichen sozialen und technisch-baulichen Umwelt, durch Inbetriebnahme adäquater psychobiologischer Selbstregulationsmechanismen zu bewahren [Hecht 1975, Chananaschwili 1984]. Die Adaptation eines Menschen stellt eine Form der Belastungs-Beanspruchungsregulation dar, die alle psychobiologischen Prozesse, von der molekularen bis zur Ganzheitregulationsebene, in sich einschließen. Die Einheit von Adaptations- und Regulationsfähigkeit ermöglicht erst ein gesundes Leben. Die Adaptation ist als ein Prozeß zu betrachten. Sie ist dadurch gekennzeichnet, - daß sie oftmals mit großen Anstrengungen verbunden ist und eine hohe Widerstandskraft der psychobiologischen Regulationssysteme bedarf, - daß sie verschiedene Phasen durchlaufen kann, und - daß sie von der Stabilität der Regulation des Organismus abhängt. Maladaptation ist nach [Baumann 1974] "nicht zweckdienliche Hyper- bzw. Hyporeaktion auf Streß auf reale oder scheinbare Bedrohung, die in keinem Verhältnis zum Anlaß steht. Sie ist von den Bestrebungen des Organismus streng zu trennen, unphysiologisch in ihrer Quantität, Qualität und Zeitdauer und zeigt pathologische Effizienz, die zur Krankheit führen kann", Die Adaptations- Maladaptationsprozesse sind anhand von Regulationsparametern zu bewerten. 52 von 69
Anhang A Kapitel 5: Adaptation und Habituation I 00000000 Kapitel 5: Adaptation und Habituation 5.3 Gewöhnung Als Gewöhnung oder Habituation wird eine kontinuierliche Verminderung einer neurophysiologischen oder verhältnismäßig ausgeprägten Antwort als Folge wiederholter, sich für das Individuum als indifferent oder als bedeutungslos erweisender Reizeinfluß bezeichnet [Chananaschwili und Hecht 1994]. An monotone Geräusche kann man sich in der Weise gewöhnen, daß man sie nicht mehr bewußt wahrnimmt, oder daß eine Überlastungshemmung auftritt. [Pawlow 1953] Nach Klix [1971, 1981] vollzieht sich bei der Habituation eines Menschen eine Reduzierung der Bindungswahrscheinlichkeit von Reizwirkung und Reaktionsweise, wodurch die kognitive Gedächtnisstruktur verändert wird und eine Umbewertung der Situationsmerkmale erfolgt. Damit vollziehen sich Veränderungen im Gedächtnis, welche auch Änderungen des Verhaltens bedingen. Die psychobiologische Aufgabe der Habituation besteht darin, daß durch sie die Reiz-Reaktionsbeziehung (im Sinne einer Regelkreisfunktion) präzisiert wird. Das heißt, durch die Habituation ist das individuum befähigt, Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen (bezogen auf die eigene Individualität). Unter bestimmten Umständen kann die Habituation zur Fehlregulation führen. Das ist z.B. bei der Gewöhnung an Arzneimittel, Alkohol oder Drogen der Fall. Infolgedessen wird das Bedürfnis geweckt, eine höhere Dosis zu beanspruchen, um die Wirkung gewünschte zu erreichen. 5.4 Lärmwirkung, Gewöhnung und Adaptation Ähnlich scheint es sich bei Lärmwirkungen bzw. beim Einfluß von Geräuschen zu verhalten. M. Schulzke [Schulzke 1995] beschreibt bezüglich der Lärmgewöhnung Verhaltensweisen von Jugendlichen in Diskotheken. Dort bitten die Jugendlichen etwa stündlich um Erhöhung des Lärmpegels, "weil die Musik zu leise geworden ist". Dabei werden am Ende einer solchen Veranstaltung 100 - 115 dB gemessen. Diese „Lärmsucht“ könnte durch freigesetzte Endorphine bedingt sein [Hollmann 1996]. Diese Berichte zeigen, daß sich der Mensch an einen hohen Schallpegel unter bestimmten Bedingungen gewöhnen kann. Diese Gewöhnung ist aber nur subjektiv, also psychisch, aber nicht in den biologischen Prozessen nachweisbar. Das belegt Richter [Richter 1969,1971] durch seine Untersuchungen im Schlaflabor. Richter hat an Probanden in einem mitten in Basel gelegenen Schlaflabor festgestelt, daß bei einer Vorbeifahrt von Autos, Motorrädern oder Straßenbahnen K-Komplexe mehrmals innerhalb einer Minute auftraten. Dabei wurde bei geschlossenen Fenstern 40-50 dB gemessen. Mit diesen K-Komplexen vollzog sich immer eine Abflachung der Schlafstruktur in Richtung Wachsein. Den Untersuchten wurde dieses physiologisch objektive "Wachwerden" nicht bewußt. Richter schlußfolgerte daraus, daß zwar eine psychische Gewöhnung an Umweltreize möglicherweise erfolgen kann (durch Ausbleiben des bewußten Erwachens), daß aber objektiv EEG-Befunde und vegetative Reaktionen ein kurzfristiges physiologisches Wachsein signalisieren. Die oben angeführten Berichte und die Befunde von Richter widersprechen der Behauptung von Jansen, Linnemeier und Nitzschke, daß beim gegenwärtigen Stand der Erkenntnis die Schallschutzmaßnahmen weiterhin auf die bewußte Aufwachreaktion abgestellt werden müssen. Hierbei wird weder die Erlebniskomponente noch die unbewußten, durch nn ng 53 von 69