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Anhang A
Funktion

Testosteron
Kortisol
Cortikosteron
Prostaglandin
cAMP

- Zellaktivität

Mitose der Epidermis (Erwachsene)

Kapitel 3: Chronobiologische Erkenntnisse

3.12.2. Funktionsveränderungen während der Arbeit

Abfall des Blutflusses bei der Arbeit
Sauerstoffabnahme

Muskelkraft (Arme)

Sportliche Leistungsfähigkeit (NASA)

Kraft, Elastizität des Körpers (z.B. Geräteturnen)
Aerobe Fähigkeiten (Ausdauer)

Maximum Minimum

9.00 - 10.00 Uhr 17.00 - 20.00 Uhr
6.00 - 10.00 Uhr 21.00 - 2.00 Uhr
frühabends (18.00 Uhr) ca. 6.00 Uhr

ca. 18.00 Uhr

11.00 - 14.00 Uhr

24.00 Uhr 12.00 Uhr

ca. 21.00 Uhr ca. 3.00 Uhr
8.00 - 9.00 Uhr ca. 24.00 Uhr
ca. 9.00 Uhr ca. 3.00 Uhr
14.00 - 18.30 Uhr

früher Nachmittag

später Nachmittag bis früher

Abend

3.12.3. Pathophysiologische Funktionen / Fehlverhalten

Häufigkeit des Auftretens von Todesfällen
Intensität kariesbedingter Zahnschmerzen
Ausmaß der Herzkreislauflabilität
Asthmaanfälle

Herzattacken

Herzinfarkt

Größte Streßempfindlichkeit des Magens
Höchster Effekt des Insulins bei Diabetikern

Größte körperliche Belastungsempfindlichkeit des
Herzkreislaufsystems

Größte Streßempfindlichkeit des Herz-
Kreislaufsystems

Größte Allergieempfindlichkeit
Größte Empfindlichkeit der Haut gegen Histamin

Autounfälle

Fehlerrate bei Leistungstests
Ischämische Herzepisoden

Plötzlicher Herztod

4.00 - 6.00 Uhr 20.00 - 24.00 Uhr
3.00 - 8.00 Uhr 15.00 - 17.00 Uhr
3.00 - 5.00 Uhr 23.00 - 24.00 uhr

vorwiegend nachts
frühe Morgenstunden
frühe Morgenstunden
12.00 - 14.00 Uhr
5.00 - 6.00 Uhr
frühe Morgenstunden

frühe Morgenstunden

21.00 - 22.00 Uhr
21.00 - 22.00 Uhr

3.00 - 6.00 und 14.00 - 10.00 und 20.00 Uhr

16.00 Uhr

3.00 - 5.00 und 15.00 Uhr

frühe Morgenstunden um Mitternacht
frühe Morgenstunden um Mitternacht

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Anhang A

Funktion

Fehler beim Ablesen von Strom- und
Wasseruhren

Fehler bei automatischer Bremsung

3.12.4. Therapie, Pharmaka

Höchste Efektivität von Lokalanesthesie bei
Zahnbehandlung (Novocain)

Acetylcholin / bronchiale Reaktion
Deltaschlafinduzierendes Peptid
Substanz P (schlafinduzierend)
intranasal
intravenös
größte Empfindlichkeit gegen Penezillin
Wirkungen von
Barbituraten
Amphetamin
Cortikosteroide bei Kindern mit Asthma
Methylprednisolon
Salicylate
Betablockern
Kalziumantagonisten
Lichttherapie bei Winterdepressiven
Körperkerntemp. vor Behandlg.
Körperkerntemp. nach Behandilg.

3.12.5. Gynäkologie

Spontaner Beginn einer Entbindung
Häufigkeit

Zeitpunkt der Spontanentbindungen

Zeit der ärztlich eingeleiteten Entbindungen
Totgeburten

Fötus Herzfrequenz synchron zur Mutter

Kapitel 3: Chronobiologische Erkenntnisse

Maximum

3.00 Uhr

3,00 und 15.00 Uhr

15.00 - 16-00 Uhr

ca. 14.00 uhr

ca.17.00 Uhr (intravenös)

morgens
abends
21.00 - 22.00 Uhr

20.00 - 22.00 Uhr
ca. 4.00 Uhr

ca. 13.00 Uhr

ca. 15.00 Uhr
7.00 Uhr

10.00 - 14.00 Uhr
8.00 - 10.00

24.00 Uhr
17.00 Uhr

1.30 - 2.30 Uhr
5.30 Uhr

10.30 - 15.30 Uhr
ca. 12.00 Uhr
8.00 - 12.00 Uhr

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Minimum
7.00 - 10.00 Uhr

20.00 - 22.00 Uhr

6.00 - 8.00 Uhr
ca. 8.00 Uhr
ca. 19.00 Uhr

19.00 Uhr
20.00 - 24.00 Uhr

15.00 - 16.00 Uhr

8.00 - 10.00 Uhr
5.00 Uhr

ca. 12.00 Uhr
nachmittags

2.00 - 6.00 Uhr

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4 Gesundheit und Lärmwirkungen

4.1 Vorbemerkungen

Die Beurteilung der gesundheitsschädigenden Wirkungen des Lärms erfordert unbedingt die
prinzipielle Beantwortung der Fragen:

Was verstehen wir unter Gesundheit?

Wie diagnostizieren wir Gesundheit?

4.2 Was ist Gesundheit?

Die WHO-Definition [WHO 1986] besagt, daß Gesundheit nicht nur das Freisein von
Krankheit darstellt, sondern durch soziales, psychisches und physisches Wohlbefinden
gekennzeichnet ist. Dieses geistig-emotionale, soziale und körperliche Wohlbefinden schließt
eine hohe Leistungsfähigkeit sowie eine gute Lebens- Erholungs- und Schlafqualität in sich ein.
Verminderte geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, eingeschränktes körperliches und
soziales Wohlbefinden, Einengung der sozialen Kommunikation und Kreativität sowie
Störungen der verschiedenen psychophysiologischen Funktionen eines Organismus bedeuten
gemäß der WHO-Definition nicht mehr gesund aber noch nicht krank sein.

Diese Definition der Gesundheit macht es notwendig, neben der Pathogenese auch die
Sanogenese [Hecht 1974, Pawlenko 1973] bzw. das Synonym Salutogenese [u.a. von Uexküll
1990] mit in die Denkweise des Mediziners einzubeziehen.

Unter Sanogenese verstehen wir einen funktionellen Komplex von Schutz- und
Anpassungsmechanismen, die in den dynamischen Organismus-Umwelt-Beziehungen in
Abhängigkeit jeweils vorherrschender Reiz-Reaktions-Konstellationen mit dem Ziel mobilisiert
werden, die Optimierung der Regulationsprozesse im Organismus aufrechzuerhalten oder bei
Störungen wiederherzustellen. Sanogenetische und pathogenetische Prozesse stehen in einem
Regulationsgleichgewicht miteinander. Überwiegt die Sanogenese, so liegt Gesundheit vor,
überwiegt die Pathogenese, dann entsteht Krankheit über prämorbide und Frühstadien.

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Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen
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schwerkrank

krank

noch nicht krank

 

noch gesund

gesund

kerngesund

Abb. 4.1: Schema der Gesundheits-Krankheitsbeziehung (Quelle: Hecht und Baumann 1974)

Die prämorbide Phase bedeutet "noch gesund sein", das Frühstadium "noch nicht krank sein".
Der Übergang von Gesundheit zur Krankheit erfolgt also nicht abrupt, sondern kann durch die
folgenden Stufen angenähert werden.

- kerngesund

- gesund

- noch gesund

- noch nicht krank

- krank Gesundheitsveränderungen
- schwerkrank

Eine gesundheitliche Beeinträchtigung (funktionelle Störungen) liegt demnach schon bei der
Stufe "noch gesund" vor.

Diese Gesundheitsdiagnostik ist überhaupt erst in den letzten Jahrzehnten durch die
Raumfahrtmedizin entwickelt und gefördert worden. [Grigorjew 1990] Sie schließt die
Ganzheitsbetrachtung mit in sich ein und charakterisiert den Menschen als eine
biopsychosoziale Einheit. Die klassische Medizin, deren Diagnostik auf der biologischen
(organischen) Befunderhebung basiert, ist derzeitig kaum in der Lage, z.B. die prämorbide
Phase (noch gesund sein) zu diagnostizieren.

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Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen

Von Uexküll und Wesiack [1990] charakterisieren die heutige Situation der Medizin wie folgt:
"Zu den Erfolgen der Verkürzung der Lebensphänomene im Körperbereich durch das
Maschinenparadigma gehört die Unmöglichkeit, psychische und soziale Faktoren mit
Körpervorgängen in Verbindung zu bringen. So entstand die absurde Aufspaltung der heutigen
Medizin in Arzte und Kliniken für Körper ohne Seelen auf der einen Seite und in Therapeuten
und Neurosekliniken für Seelen ohne Körper auf der anderen..."

4.3 Wie diagnostizieren wir Gesundheit?

Hierbei sollten wir uns einer Anregung von R. Virchow erinnern, der schreibt [Virchow 1922]:
"Die bekannte wunderbare Akkomodationsfähigkeit der Körper; sie gibt zugleich den Maßstab
an, wo die Grenze der Krankheit ist. Die Krankheit beginnt in dem Augenblick, wo die
regulatorische Einrichtung des Körpers nicht ausreicht, die Störungen zu beseitigen. Nicht das
Leben unter abnormen Bedingungen als solches erzeugt Krankheit, sondern die Krankheit
beginnt mit der Insuffizienz der regulatorischen Apparate."

Virchow verweist also auf die Beurteilung der Regulation für die Festlegung der "Grenze"
zwischen Gesundheit und Krankheit. Dieser Forderung entspricht Pawlow [Pawlow 1956],
der die Gesundheit als dynamisches Gleichgewicht zwischen Organismus und Umwelt
beschreibt. Krankheit ist demnach die Störung dieses Gleichgewichts. Um Gesundheit und
Krankheit oder gesundheitliche Schäden von Gesundheit zu differenzieren bedarf es nach den
angeführten Auffassungen von Virchow und Pawlow einer Regulationsdiagnostik. Eine solche
ist heute noch wenig entwickelt.

Nach Virchow und Pawlow drückt sich gesund sein im Gleichgewicht bzw. in der
Ausgeglichenheit der Regulation von sozialen, geistig-emotionellen und körperlich
funktionellen Prozessen im zeitlichen Verlauf aus. Da die Regulation durch rhythmische
Verläufe psychophysiologischer Prozesse reflektiert wird, erhalten wir durch sie den Zugriff
zum "regulatorischen Apparat" [Virchow 1922] und somit zu einer Differenzierung von
sanogenetischen und pathogenetischen Prozessen eines Menschen. Das Fehlen einer auf
regulationtheoretischen Erkenntnissen basierenden Gesundheitsdiagnostik erschwert es
gegenwärtig, Gesundheit zu diagnostizieren. Wir stellen deshalb das lärmmedizinische
Gutachten vor allem auf Störungen der biologischen Funktionsfähigkeit ab. Dabei sind zwei
weitere Aspekte zu beachten.

Während die Infektionskrankheiten unmittelbar nach Infektion merklich wirken und akut die
Gesundheit und Leistung beeinträchtigen, benötigt der Lärm Jahre oder sogar Jahrzehnte,
häufig für die Betroffenen unmerklich wirkend, um chronische Krankheiten zu verursachen.
Noch ein weiterer Faktor ist zu beachten.

Das Lärmerlebnis und die dabei ablaufenden veränderten Funktionen können wie bei anderen
streßinduzierten Krankheiten (Neurosen, psychosomatische Erkrankungen [Eysenck 1967,
Chananaschwili 1984]) über Konditionierungsmechanismen als Pathologien in das Gedächtnis
engrammiert werden. Gedächtnis und Emotionen haben beide ihre relevante Struktur im
limbischen System des Gehirns. Die Benachbarkeit beider Systeme fordert die Gedächtnis-
speicherung emotioneller Erlebnisse. Infolgedessen kann bei Verkehrslärmexponierten der
folgende Entwicklungsprozeß beobachtet werden:

1. Nicht einschlafen können oder Erwachen durch vorbeifahrende
Autos oder Landen und Starten von Flugzeugen;

 

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Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen

2. Erwartungseffekte (wann wird mich das nächste Auto stören?),
verbunden mit Streß und Angst;

3. Lärmärger oder Lärmangst, die sich aufschaukeln und die Spannung erhöhen;
4. Sensibilisierung, d.h. erhebliche Steigerung der Lärmempfindlichkeit und -angst;
5, Permanente Lärmaversion mit starken negativen Emotionen;

6. Konditionierung: unwillkürliches Einprägen der negativ-emotionell stimulierten
Veränderungen der psychophysiologischen Funktionen ins Gedächtnis.

Über Jahre einwirkender Lärm verursacht häufig in Kombination mit anderen Schadfaktoren
ein pathologisches Funktionsmuster, durch welches über die Dauer auch morphologische
Veränderungen auftreten können. Tierexperimente haben derartige pathologische
Entwicklungen überzeugend demonstriert. [Hecht 1971, Chananaschwili 1984]

4.4 Lärm und biologische Befunderhebung als Kriterium für
Lärmschäden

4.4.1 Untersuchungen am Menschen

Untersuchungen in Form einer Langzeitstudie von Christel Graff et al. [Graff 1968] haben zu
grundlegenden Erkenntnissen über die Lärmwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System geführt.
Die Wissenschaftler aus dem Institut für Kortikoviszerale Pathologie und Therapie in Berlin-
Buch untersuchten 117 Mitarbeiter einer Kesselschmiede eines metallverarbeitenden Betriebes
(Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh). Der durchschnittliche Lärmpegel betrug 95 dB(A),
wobei Spitzenwerte bis zu 120 dB(A) gemessen wurden.

Die erhobenen Daten wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen. Diese Gruppe setzte sich
aus gleichaltrigen Transportarbeitern zusammen, die im Durchschnitt mit 50-60 dB(A)
beschallt wurden (n=78).Die Untersuchungen wurden mittels einer komplexen
Herzkreislaufdiagnostik vorgenommen mit Akzentuierung der arteriellen Hypertonie. Bei
Arbeitsaufnahme waren die Untersuchten 20-25 Jahre alt. Ihnen wurde durch eine
betriebsärztliche Einstellungsuntersuchung "Kardio-vaskuläre Gesundheit" bestätigt.

Durch Graff und Mitarbeiter wurden die Arbeiter nach 6 Jahren Betriebszugehörigkeit und
nach 131/2 Jahren Betriebszugehörigkeit (immer in der Kesselschmiede beschäftigt)
untersucht. Nach 6 Jahren wurde bei 31% der Arbeiter der Kesselschmiede klinisch eine
Bluthoch-druckkrankheit mit dem Schweregrad 1 nachgewiesen. Bei den Transportarbeitern
hatten 6% eine arterielle Hypertonie des Schweregrades 1.Bei dem Rest der Arbeiter (69%
bzw. 94%) waren keine kardiovaskulären Befunde nachzuweisen.Nach 13 1/2 Jahren
Betriebszugehörigkeit dieser Arbeiter der Kesselschmiede, zeigten 38% eine arterielle
Hypertonie des Schweregrad 2 und 3 . Weitere 43 % hatten eine arterielle Hypertonie des
Schweregrad 1 . Die Befunde beider Hypotoniker-Gruppen wiesen noch weitere Symptome
kardiovaskulärer Krankheiten auf. Nur 19% waren frei von kardiovaskulären Befunden.In der
Gruppe der Transportarbeiter hatten 16% der Arbeiter zu diesem Zeitpunkt pathologisch
kardiovaskuläre Symptome aufzuweisen. 84% waren ohne Befund.

Bei beiden untersuchten Gruppen zeigte sich folgende Entwicklung der Erkrankungen:

 

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Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen

 

    

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Tab. 4.1: Entwicklung der Erkrankungen von Arbeitern einer Kesselschmiede

 
  
     

Untersuchungen zur aktuellen Reaktionslage des Nervensystems (psychophysiologische und
EEG-Untersuchungen) wiesen bei den bluthochdruckkranken Arbeitern ein Dominieren von
Erregegungsprozessen aus.

4.4.2 Tierexperimentelle Modelluntersuchungen

Nitschkoff und Kriwizkaja [Nitschkoff 1968] nahmen an Ratten Modellexperimente vor, die
analog den Untersuchungen von Graff [Graff 1968] waren. In einem Stufenprogramm wurden
adulte Ratten 3 Wochen, 3 Monate und 7 Monate lang einer Beschallung von 95 dB(A) täglich
für die Dauer von 15 Minuten ausgesetzt. Entsprechend der Dauer der Beschallung nahmen die
pathologischen Veränderungen von Hirnzellen, des Blutdrucks, der Elektrolyte, der
Blutzusammensetzung und verschiedener Verhaltensweisen zu. In der Hirnrinde wurden im
erhöhtem Maße Zerstörungen der Nervenzellen, besonders der Synapsen, nachgewiesen.

Ebenfalls an Ratten untersuchten Artychina et al. [Artychina 1980] den Einfluß von Lärm auf
Ultrastrukturen des Gehirns und Ljovshina et al. [Ljovshina 1980] auf den Blutdruck, auf das
Verhalten und auf die Minutenrhythmen von Zeitreihendaten zentralnervöser und motorischer
Reaktionszeiten. Der Lärm wurde 21 Tage lang täglich von 16.00-8.00 Uhr, d.h. in der
Aktivitätsphase der Tiere, dargeboten. Verwendet wurde weißes Rauschen mit einer
Frequenzbreite von 250-350 Hz, der Lärmpegel betrug 90-95 dB(A). Das Signal wurde
intermittierend in einem Verhältnis Lärm zu Pause von 2:1 appliziert. Nach 21 Tagen
Lärmexposition ergaben sich gegenüber Kontrollen folgende als gesundheitsschädigend zu
interpretierende Veränderungen:

- Chronische Hypertonie, Anstieg des systolischer Blutdrucks von
115 +/- 28 mmHg auf 162 +/- 34 mmHg

- Veränderungen im Leistungsspektrum des EEG in
Richtung übermäßiger Erregung

- Einschränkung des Lernens und Gedächtnisses um
ca. 40% der Ausgangsleistung

- Zerstörung des Minutenrhythmus zentralnervöser und
motorischer Reaktionszeiten

Morphologische Untersuchungen (Elektronenmikroskopie) in Ultrastrukturen des
vakuslischen Neokortex ergaben:

 

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Anhang A Kapitel 4: Gesundheit und Lärmwirkungen
A Kapılel . Lresundheit und Larmwirkungen

- Ödeme an den perikapillaren Astrzytenfortsätzen der Kapillaren und
der perikapillaren Glia. Diese Befunden sind zur arteriellen Hypertonie
in Beziehung zu bringen.

- Erhöhung der Lysosomemzahl in den Gehirnzellen, Bildung von
Pigmentkörperchen (Lipofuszin) innerhalb der Lysomen und Ausbildung von
Vakuolen (Lipofuszin- anreicherungen sind charakteristisch für pathologische
Veränderungen der Nervenzellen im Alterungsprozeß.)

- In den Gliazellen zeigten sich ähnliche Erscheinungen

- unterschiedlich ausgeprägte Chromatolyse und Verminderung der
Ribosomen und Polysomen.

Destruktionen der Lysosomen werden mit einer zellulären Hypoxie verbunden, die von einem
perikapillaren Ödem und von Veränderungen der Mitochondrien begleitet werden. [Bogolenov
1979] Diese Befunden von Artychina et al. [Artychina 1980] und von Ljovshina et al.
[Ljovshina 1980] fundieren die von Christel Graff et al. [Graff 1968] an Arbeitern
nachgewiesenen extraauralen gesundheitlichen Schäden durch chronischen Lärmeinfluß.

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5 Adaptation und Habituation (Gewöhnung)
an Lärm

5.1 Einleitung

Bezüglich der Lärmwirkungen wird immer wieder die Frage gestellt, inwieweit sich der Mensch
an Lärm adaptieren und habituieren kann. Einerseits wird diese Frage bejaht (z.B. [Jansen
1995]), andererseits wird sie verneint (z.B. [Maschke 1995]). Das Konzept des Allgemeinen
Adaptationssyndroms von Selye bietet eine gewisse Grundlage zur Beantwortung dieser
Frage.

Zunächst ist aber zu klären, was wir unter diesen beiden Begriffen verstehen.

5.2 Adaptation

Unter Adaption wird die Fähigkeit des Organismus verstanden, als offenes Regulationssystem
seine Stabilität und Existenz gegenüber zeitweiligen (akuten) und permanenten (chronischen)
Veränderungen oder Reizwirkungen seiner natürlichen sozialen und technisch-baulichen
Umwelt, durch Inbetriebnahme adäquater psychobiologischer Selbstregulationsmechanismen
zu bewahren [Hecht 1975, Chananaschwili 1984]. Die Adaptation eines Menschen stellt eine
Form der Belastungs-Beanspruchungsregulation dar, die alle psychobiologischen Prozesse, von
der molekularen bis zur Ganzheitregulationsebene, in sich einschließen. Die Einheit von
Adaptations- und Regulationsfähigkeit ermöglicht erst ein gesundes Leben.

Die Adaptation ist als ein Prozeß zu betrachten. Sie ist dadurch gekennzeichnet,

- daß sie oftmals mit großen Anstrengungen verbunden ist und eine hohe
Widerstandskraft der psychobiologischen Regulationssysteme bedarf,

- daß sie verschiedene Phasen durchlaufen kann, und
- daß sie von der Stabilität der Regulation des Organismus abhängt.

Maladaptation ist nach [Baumann 1974] "nicht zweckdienliche Hyper- bzw. Hyporeaktion
auf Streß auf reale oder scheinbare Bedrohung, die in keinem Verhältnis zum Anlaß steht. Sie
ist von den Bestrebungen des Organismus streng zu trennen, unphysiologisch in ihrer
Quantität, Qualität und Zeitdauer und zeigt pathologische Effizienz, die zur Krankheit führen
kann",

Die Adaptations- Maladaptationsprozesse sind anhand von Regulationsparametern zu
bewerten.

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Anhang A Kapitel 5: Adaptation und Habituation
I 00000000 Kapitel 5: Adaptation und Habituation

5.3 Gewöhnung

Als Gewöhnung oder Habituation wird eine kontinuierliche Verminderung einer
neurophysiologischen oder verhältnismäßig ausgeprägten Antwort als Folge wiederholter, sich
für das Individuum als indifferent oder als bedeutungslos erweisender Reizeinfluß bezeichnet
[Chananaschwili und Hecht 1994]. An monotone Geräusche kann man sich in der Weise
gewöhnen, daß man sie nicht mehr bewußt wahrnimmt, oder daß eine Überlastungshemmung
auftritt. [Pawlow 1953]

Nach Klix [1971, 1981] vollzieht sich bei der Habituation eines Menschen eine Reduzierung
der Bindungswahrscheinlichkeit von Reizwirkung und Reaktionsweise, wodurch die kognitive
Gedächtnisstruktur verändert wird und eine Umbewertung der Situationsmerkmale erfolgt.
Damit vollziehen sich Veränderungen im Gedächtnis, welche auch Änderungen des Verhaltens
bedingen. Die psychobiologische Aufgabe der Habituation besteht darin, daß durch sie die
Reiz-Reaktionsbeziehung (im Sinne einer Regelkreisfunktion) präzisiert wird. Das heißt, durch
die Habituation ist das individuum befähigt, Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen
(bezogen auf die eigene Individualität). Unter bestimmten Umständen kann die Habituation zur
Fehlregulation führen. Das ist z.B. bei der Gewöhnung an Arzneimittel, Alkohol oder Drogen
der Fall. Infolgedessen wird das Bedürfnis geweckt, eine höhere Dosis zu beanspruchen, um
die Wirkung gewünschte zu erreichen.

5.4 Lärmwirkung, Gewöhnung und Adaptation

Ähnlich scheint es sich bei Lärmwirkungen bzw. beim Einfluß von Geräuschen zu verhalten.

M. Schulzke [Schulzke 1995] beschreibt bezüglich der Lärmgewöhnung Verhaltensweisen von
Jugendlichen in Diskotheken.

Dort bitten die Jugendlichen etwa stündlich um Erhöhung des Lärmpegels, "weil die Musik zu
leise geworden ist". Dabei werden am Ende einer solchen Veranstaltung 100 - 115 dB
gemessen. Diese „Lärmsucht“ könnte durch freigesetzte Endorphine bedingt sein [Hollmann
1996].

Diese Berichte zeigen, daß sich der Mensch an einen hohen Schallpegel unter bestimmten
Bedingungen gewöhnen kann. Diese Gewöhnung ist aber nur subjektiv, also psychisch, aber
nicht in den biologischen Prozessen nachweisbar. Das belegt Richter [Richter 1969,1971]
durch seine Untersuchungen im Schlaflabor. Richter hat an Probanden in einem mitten in Basel
gelegenen Schlaflabor festgestelt, daß bei einer Vorbeifahrt von Autos, Motorrädern oder
Straßenbahnen K-Komplexe mehrmals innerhalb einer Minute auftraten. Dabei wurde bei
geschlossenen Fenstern 40-50 dB gemessen. Mit diesen K-Komplexen vollzog sich immer eine
Abflachung der Schlafstruktur in Richtung Wachsein.

Den Untersuchten wurde dieses physiologisch objektive "Wachwerden" nicht bewußt. Richter
schlußfolgerte daraus, daß zwar eine psychische Gewöhnung an Umweltreize möglicherweise
erfolgen kann (durch Ausbleiben des bewußten Erwachens), daß aber objektiv EEG-Befunde
und vegetative Reaktionen ein kurzfristiges physiologisches Wachsein signalisieren.

Die oben angeführten Berichte und die Befunde von Richter widersprechen der Behauptung
von Jansen, Linnemeier und Nitzschke, daß beim gegenwärtigen Stand der Erkenntnis die
Schallschutzmaßnahmen weiterhin auf die bewußte Aufwachreaktion abgestellt werden
müssen. Hierbei wird weder die Erlebniskomponente noch die unbewußten, durch
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