20200506-anwendungshinweisebmiduldungen

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „interne Weisungen, Erfassung und Auswertung geleisteter Arbeit, Dienstaufsichtsbeschwerden

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- 14 - Selbstgefährdung. Allerdings liegt selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschlie- ßenden Suizidgefahr nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshinder- nis vor; vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann ggf.so zu gestal- ten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann, z.B. durch ärztliche Be- gleitung auf dem Abschiebungsflug (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23.08.2016, Az. 10 CE 15.2784, Rn. 16). SI FHB In den Fällen, in denen durch ein qualifiziertes ärztliches Attest eine psychisch be- dingte Reiseunfähigkeit bescheinigt wird, ist ebenso wie bei fachärztlichen Gutachten einer psychiatrischen Klinik eine Begutachtung durch das Gesundheitsamt in der Regel nicht erforderlich. Bei nicht qualifizierter oder verspäteter ärztlicher Bescheinigung soll eine Begutachtung durch das Gesundheitsamt erfolgen, wenn eine psychisch bedingte Reiseunfähigkeit nachvollziehbar mit Hinweis auf eine Suizidalität geltend gemacht wird oder anderwei- tige Hinweise auf eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vorliegen. Dem Ausreisepflichtigen gegenüber ist die Untersuchung anzuordnen (§ 82 Absatz 4 Satz 1 AufenthG). Er ist auf diese Verpflichtung und auf die Rechtsfolgen einer Verlet- zung dieser Verpflichtung (§ 60a Abs. 2d AufenthG) hinzuweisen. Soweit der Anord- nung ohne zureichenden Grund nicht Folge geleistet wird, so ist die Ausländerbehörde berechtigt, die geltend gemachte Erkrankung nicht zu berücksichtigen, § 60a Abs. 2d AufenthG. 4. Verfahrensfragen § 60a Absatz 2d AufenthG beinhaltet Pflichten und Folgen einer Pflichtverletzung der Betroffenen sowie Belehrungspflichten der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Glaubhaftmachung eines gesundheitlichen Abschiebungshindernisses. Es wird geregelt, dass die Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen ist. Bei mehr als zwei Wochen ist regelmäßig nicht mehr von einer unverzüglichen Vorlage auszugehen. Dies gilt auch für Bescheinigungen minderjähriger Familienangehöriger. Dadurch soll das Einholen von Attesten „auf Vorrat“ und die Vorlage unmittelbar vor der Abschiebung verhindert werden. Behörden dürfen einen verspäteten Vortrag grundsätzlich nicht berücksichtigen. Be- achtlich kann ein verspätetes Vorbringen nur sein, wenn kein Verschulden vorliegt oder bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwie- gende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Kommen die Betroffenen bei behördlicherseits bestehenden Zweifeln an der Erkran- kung einer aus diesem Grund angeordneten ärztlichen Untersuchung ohne zureichen- den Grund nicht nach, ist die Behörde berechtigt, die Erkrankung unberücksichtigt zu lassen, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlech- tern würde, vorliegen. Die Behörde muss ihren Belehrungspflichten nachkommen, da andernfalls die Präklusionswirkung nicht greift. Die Belehrung erfolgt üblicherweise im Rahmen der Abschiebungsandrohung.
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- 15 - Teil VIII      Dokumentation im AZR Das AZR bietet für die Erfassung von Duldungen nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG (tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung) den Ausländerbehörden vier Speichersachverhalte an, unter denen diese eine erteilte Duldung registrieren kön- nen. Neben fehlender Reisedokumente, medizinischen Gründen sowie familiären Bin- dungen wird den Anwendern - gewissermaßen als Auffangtatbestand - die Möglichkeit eingeräumt, „sonstige Gründe“ als Duldungsgrund im AZR anzugeben. In der auslän- derbehördlichen Praxis werden die meisten Duldungen nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG unter „sonstige Gründe“ eingespeichert. So waren mit Datenbestand 31. März 2017 59% der erfassten Duldungen als „sonstige Gründe“ nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG im AZR eingetragen. Die Gründe für diese Praxis sind vielschichtig. Aus gesamtstaatlicher Sicht sowie unter dem Aspekt des staatlicherseits bestehenden Steuerungsanspruchs ist dieser Um- stand jedoch unbefriedigend: Der Staat kann nur zielgerichtet handeln, wenn er die Tatsachen in Form der jeweiligen Duldungsgründe kennt. Das BMI wird daher gemein- sam mit den Ländern zeitnah eine Überprüfung und ggf. Anpassung der aktuell vorhan- denen Speichersachverhalte unter Berücksichtigung des ausländerbehördlichen Be- darfs vornehmen. Darin wird auch die Überlegung mit einzubeziehen sein, ob ein neuer Speichersachverhalt zur „Ausbildungsduldung“ eingeführt werden soll bzw. Duldungs- gründe wie „mangelnde Mitwirkung an der Beseitigung von Ausreisehindernissen“ oder „missbräuchliche Hinauszögerung der Ausreise“ hinzuzufügen sind. In Fällen, in denen Aufenthaltsbeendigungen durch kurzfristiges Untertauchen oder andere taktische Maß- nahmen verzögert oder behindert werden, wäre zu überlegen, daraus resultierende Duldungen mit dem Grund „missbräuchliche Hinauszögerung der Ausreise“ zu verse- hen. Ist im konkreten Einzelfall eine Duldung gleich aus mehreren Gründen gerechtfertigt (überlappende Duldungsgründe), kann gleichwohl nur ein Duldungsgrund ins AZR ein- getragen werden. Dabei ist derjenige Duldungsgrund zu wählen, der voraussichtlich am längsten eine Duldung gewährt. Dies gilt auch, wenn zu einem bereits eingetrage- nen Duldungsgrund später ein weiterer Duldungsgrund hinzutritt. Überlappende Dul- dungsgründe sind jedoch kein Fall der o.g. „sonstigen Gründe“. Bis zum Abschluss der Überarbeitung der Speichersachverhalte und dem Inkrafttreten der hierzu erforderlichen Änderungsverordnung zur AZRG-DV werden die Ausländer- behörden gebeten, bei der Einspeicherung der Duldungsgründe nach 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG (tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung) die Speichersachverhalte „fehlende Reisedokumente“, „medizinische Gründe“ bzw. „famili- äre Bindungen“ auszuschöpfen. Zudem wird eine Überprüfung der bereits unter „sons- tige Gründe“ eingespeicherten Duldungen angeregt, für die auch der „Leitfaden zur Verbesserung der Datenqualität im Ausländerzentralregister“ des Beauftragten für Flüchtlingsmanagement vom 31. März 2017 Hinweise gibt.
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