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RAe Beiler Karl Platzbecker & Partner, Palmaille 96, 22767 Hamburg Rechtsanwalt Per beA                                                                                                                Sebastian Sudrow Palmaille 96 Verwaltungsgericht Berlin                                                                                                 22767 Hamburg Kirchstraße 7                                                                                         Telefon +49 (0)40 18 18 98 0-0 Telefax +49 (0)40 18 18 98 099 10557 Berlin                                                                                            E-Mail sudrow@bkp-kanzlei.de www.bkp-kanzlei.de HAMBURG 1 Harald Beiler Jan Clasen 2 Reinher Karl Arne Platzbecker 3 Steffen Sauter 45 Sebastian Sudrow BERLIN Jan Simon Heiko Wiese WISMAR Hendrik Prahl 5 Roland Kuhn Hamburg, 07.09.2021 Unser Zeichen: 22-21-0530 KLAGE des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singer- straße 109, 10179 Berlin - Kläger - Verfahrensbevollmächtigte:                                     Rechtsanwälte Beiler Karl Platzbecker & Partner, Palmaille 96, 22767 Hamburg, gegen den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Spreeweg 1, 10557 Berlin - Beklagte - wegen presserechtlicher Auskunft gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Vorläufiger Gegenstandswert: 5.000,00 € Namens und in Vollmacht des Klägers erheben wir Klage mit dem Antrag, 1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11.05.2021 (Az: Z 5 - 125 20-3-1/2021) zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen zu sämtlichen Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021 Bankverbindung: DKB | IBAN DE79 1203 0000 1005 0836 11 | SWIFT BIC: BYLADEM1001 Partnerschaftsgesellschaft | AG Hamburg | PR 596 Standorte: Palmaille 96, 22767 Hamburg | Kantstraße 150, 10623 Berlin | Schweriner Straße 5, 23970 Wismar Fachanwalt für: 1 Arbeitsrecht | 2 Urheber- und Medienrecht | 3 gewerblichen Rechtsschutz | 4 IT-Recht | 5 angestellter Rechtsanwalt
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-2- durch Zurverfügungstellung einer Übersicht, aus der die Namen der begna- digten Person; das Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache (vgl. Art. 1 der Anordnung des Bun- despräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes), auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehren- gerichtssache zugrundeliegende Verfehlung (Straftatbestand etc.) sowie das Datum der Begnadigung hervorgeht. 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Eine entsprechende Prozessvollmacht reichen wir in der Anlage zur Akte. Begründung Der Kläger macht gegen den Beklagten einen presserechtlichen Auskunftsanspruch geltend. Namentlich geht es ihm um die Einsicht in eine Übersicht sämtlicher Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021. A. SACHVERHALT Der Kläger ist als freier Journalist und als Projektleiter der von der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebenen Plattform fragdenstaat.de tätig. Im Rahmen dieser Aktivitäten setzt sich der Kläger für Transparenz bei öffentlichen Stellen ein, um eine öffentliche Debatte und Kontrolle staatlicher Stellen zu ermöglichen und zu fördern. Mit E-Mail vom 04.05.2021 wendete sich der Kläger an die Pressestelle des Beklagten. Er teilte mit, dass er derzeit zu Begnadigungen recherchiert und bat um die Zusendung einer Übersicht über sämtliche Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021. Er teilte mit, dass diese Übersicht zumindest die Namen der begnadigten Person; das Aktenzei- chen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache, auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundelie- gende Verfehlung (Straftatbestand etc.), sowie das Datum der Begnadigung enthalten solle. Beweis:         E-Mail des Klägers vom 04.05.2021, Anlage K1 Mit Bescheid vom 11.05.2021 lehnte der Beklagte den beantragten presserechtlichen Aus- kunftsanspruch ab. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass der verfassungsunmit- telbare, presserechtliche Auskunftsanspruch auf die Kontrolle von Behörden im funktionalen Sinne gerichtet sei. Da der Bundespräsident bei der Ausübung des Begnadigungsrechtes nicht als Verwaltungsbehörde, sondern gem. Art. 60 Abs. 2 GG als Verfassungsorgan tätig werde, handelt es sich um keine behördliche Angelegenheit mit der Folge, dass ein presserechtlicher Auskunftsanspruch hier nicht eröffnet sei. Darüber hinaus sei die begehrte Übersicht nicht ver- fügbar, da im Bundespräsidialamt keine entsprechende Zusammenstellung vorhanden sei. Der Auskunftsanspruch führe nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht des Beklagten. Schließlich stünden nach einer vorgenommenen Abwägung die Interessen der Betroffenen an dem Schutz ihrer personenbezogenen Daten einer Auskunft entgegen. Die begnadigten Perso- nen würden durch die Auskunft identifiziert, während ein aktuelles Berichterstattungsinteresse nicht vorliege. Dieses gelte zeitlich nicht unbeschränkt und verändere sich mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu dem die Berichterstattung auslösenden Ereignis. 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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-3- Beweis:         Bescheid der Beklagten vom 11.05.2021, Anlage K2 Da der presserechtliche Auskunftsanspruch durch den Beklagten bislang nicht erfüllt worden ist, war nunmehr die Einleitung des Klageverfahrens geboten. B. RECHTLICHE WÜRDIGUNG Die Klage ist zulässig und begründet. I. Zulässigkeit Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (VG Berlin, Urteil vom 13.11.2020 - VG 27 K 34.17; BVerwG, Urteil vom 18. September 2019 – 6 A 7.18 –, juris, Rn. 9, BVerwGE 166, 303). II. Begründetheit Die Klage ist auch begründet, da dem Kläger ein presserechtlicher Anspruch auf die begehrte Auskunft zusteht. 1. Anspruchsgrundlage Anspruchsgrundlage des klägerischen Begehrens ist unmittelbar das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Die Anspruchsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Insbesondere greifen die vom Beklagten angeführten Auskunftsverweigerungsgründe nicht ein. Das Grundrecht der Pressefreiheit verleiht einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Aus- kunft gegenüber Bundesbehörden in Ermangelung einer einfachgesetzlichen Regelung des Bundesgesetzgebers und wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz der Länder (OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 30.12.2016 – OVG 6 S 29.16; VG Berlin, Urteil vom 13.11.2020 – 27 K 34.17; BVerwG, Urteil vom 25.10.2018 - 7 C 6.17; BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 13 m.w.N.). Der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs wird maßgeblich durch die Funktion be- stimmt, die die Presse in der freiheitlichen Demokratie erfüllt. Ihr kommt neben einer Informa- tions- insbesondere eine Kontrollfunktion zu. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Infor- mationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wirksam wahrzunehmen. Sinn und Zweck der daraus prinzipiell folgenden Auskunfts- pflichten ist es, der Presse zu ermöglichen, umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten und dadurch in die Lage versetzt zu werden, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten. Auf diese Weise kön- nen die Bürgerinnen und Bürger zutreffende und umfassende Informationen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren erhalten, die ihnen sonst verborgen bleiben würden, aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für die Mei- nungsbildung essenziellen Fragen haben könnten (BVerfG NVwZ 2016,50 [51]). Die effektive funktionsgemäße Betätigung der Presse setzt demnach voraus, dass ihre Vertreter in hinreichendem Maße von staatlichen Stellen Auskunft über Angelegenheiten erhalten, die nach ihrem Dafürhalten von öffentlichem Interesse sind. Der verfassungsunmittelbare Aus- kunftsanspruch der Presse hat diesen Funktionen Rechnung zu tragen. Dies ist gewährleistet, 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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-4- wenn er in einem materiellrechtlichen Gehalt nicht hinter dem Inhalt der presserechtlichen Aus- kunftsansprüche zurückbleibt, die in den Landespressegesetze enthalten sind, den Anforderun- gen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genügen und auf eine Abwägung zielen. (BVerwG NVwZ 2016, 1020 [1021]; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl. 2021,S. 158). Aufgrund dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Presseangehörige auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit der Anwendungsbe- reich des Auskunftsanspruchs eröffnet ist, die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertrau- lichkeit nicht entgegenstehen. 2. Anwendungsbereich eröffnet Der Beklagte vertritt die Auffassung, der Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunfts- anspruchs sei vorliegend nicht eröffnet und beruft sich dabei auf einer Entscheidung des Bun- desverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 25.10.2018- 7. C 6/17), wonach die Auskunft nur gegenüber Behörden im funktionalen Sinne, die materielle Verwaltungstätigkeiten ausüben, gel- tend gemacht werden kann. Die Schlussfolgerung des Beklagten für das vorliegende Verfahren ist indes unzutreffend. Richtigerweise ist der Bundespräsident zwar Verfassungsorgan. Im Rahmen von Gnadenent- scheidungen wird er jedoch nicht als Verfassungsorgan tätig. Allein die Tatsache, dass eine Aufgabe im Verfassungstext – hier Art. 60 Abs. 2 GG – übertragen wird, reicht nicht für eine Qualifikation als Verfassungstätigkeit aus. So sind etwa Entscheidungen der Justiz – obwohl unmittelbar von der Verfassung übertragen – nach einhelliger Auffassung Judikativ- und keine Verfassungsakte. Die Ausübung des Begnadigungsrechts ist nicht als Verfassungs-, sondern als Verwaltungstätigkeit zu werten (im Ergebnis ebenso: Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 184; Kopp/Ramsauer, VwVfG § 1 Rn. 19c; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 196). Dies folgt insbesondere aus dem ebenfalls im Grundgesetz in Art. 30 Abs. 3 GG normierten Recht des Bundespräsidenten, die Befugnis zu Begnadigungen „auf andere Behörden“ zu über- tragen. Bereits der Wortlaut („auf andere Behörden“) spricht gegen die Qualifikation des Begna- digungsverfahrens als Verfassungstätigkeit. Denn Tätigkeiten eines Verfassungsorgans kann nur ein Verfassungsorgan selbst vornehmen. Da das Grundgesetz die Möglichkeit aber vorsieht, das Begnadigungsrecht auf Behörden zu übertragen und von diesen Behörden selbständig aus- üben zu lassen, lässt sich das Begnadigungsverfahren insgesamt als Verwaltungshandeln cha- rakterisieren. Von der Delegationsbefugnis aus Art. 60 Abs. 3 GG hat der Bundespräsident mit der Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes (GnO) Gebrauch gemacht. Gem. Art. 2 hat er das Begnadigungsrecht in diversen Fällen an Bundesminister übertragen. Lediglich in den in Art. 1 aufgeführten Ausnahmefällen behält sich der Bundespräsident die Ausübung des Begnadigungsrechts vor. Unzweifelhaft bestehen presserechtliche Auskunftsansprüche gegen die entsprechenden Bundesministerien im Hinblick auf die Ausübung des Gnadenrechts. Dies muss im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auch gelten, wenn keine Delegation erfolgt ist und die Verwaltungstätigkeit der Begnadigungen durch den Bundespräsidenten selbst vorge- nommen wird. Ansonsten würde nicht der Charakter des Gnadenrechts selbst, sondern lediglich 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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-5- die Reichweite der wahrgenommenen Delegierung nach Art. 60 Abs. 3 GG darüber entschei- den, ob Gnadenentscheidungen den Auskunftsansprüchen der Presse entzogen sind. Ferner ist zu beachten, dass der Kläger keine Informationen in Bezug auf laufende Gnadenver- fahren begehrt, sondern ausschließlich Informationen über abgeschlossene Gnadenverfahren im Sinne einer Übersicht. Informationen über den abschließenden Inhalt einer Gnadenentschei- dung sind aber unabhängig von der rechtlichen Charakterisierung des Tätigwerdens des Bun- despräsidenten in Gnadenverfahren vom presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasst. Inso- fern kann eine Parallele zu Gerichtsentscheidungen gezogen werden. Diese sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Presse in anonymisierter Fassung – sogar wenn sie noch nicht rechtskräftig sind – zugänglich zu machen (BVerfG, NJW 2015, 3708). Die Veröffentlichung bzw. Zugänglichmachung der Gerichtsentscheidungen ist dann keine Rechtsprechungstätigkeit mehr, sondern eine Tätigkeit der Verwaltung (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 212, wonach das individuelle Begehren nach Gerichtsentscheidungen ein typischer Anwendungsfall des § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG ist). Selbst wenn man in der Ausübung des Gnadenrechts also eine Tätigkeit des Bundespräsidenten als Verfassungsorgan sehen wollte, so ist die anschließende Ergebnisdokumentation eine Verwaltungsaufgabe. Der Anspruch des Klägers ergibt sich ferner aus Art. 10 EMRK. Insofern wird auf die Rechtspre- chung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verwiesen, wonach sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 EMRK ein Recht auf Informationszugang ergeben kann (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer Nr. 18030/11 vom 8. November 2016; auszugsweise in dt. Übersetzung in NLMR 2016, 536 Rn. 155 f., 158 ff.). Das von dem Kläger in seiner Rolle als Journalist und somit in seiner Funktion als „public watchdog“ geltend gemachte Auskunftsbegehren ist von der Garantie des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst. 3. Informationen verfügbar Der Beklagte kann vorliegend auch nicht die Auskunft mit der Behauptung verweigern, ihm läge die vom Kläger begehrte Übersicht nicht vor. Dieser Auskunftsverweigerungsgrund ist nicht ein- schlägig. Zwar mag es sein, dass der Beklagte aktuell keine Übersicht führt, auf der für die Begnadigungen aus den Jahren 2014-2021 die Namen der begnadigten Person; das Aktenzei- chen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache, auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundelie- gende Verfehlung (Straftatbestand etc.), sowie das Datum der Begnadigung vermerkt sind. Die Übersicht stellt jedoch nur eine Aufbereitung und Zusammenstellung verfügbarer Informati- onen dar. Auch der Beklagte behauptet nicht, dass ihm sämtliche Informationen, die der Kläger erbittet, nicht vorliegen würden. Die Informationen sind mit anderen Worten bei dem Beklagten vorhanden. Sie müssen nicht generiert, sondern lediglich zusammengestellt werden. Der Be- klagte kann eine presserechtliche Auskunft aber nicht verweigern, weil die Zusammenstellung der gewünschten Informationen etwas Arbeit macht. Dass der Beklagte über eine Aktenführung auch in Gnadensachen verfügt und folglich alle be- gehrten Informationen bei ihm vorliegen, ergibt sich auch aus der Nr. 320 des Aktenplans des Bundespräsialamtes. Beweis:        Aktenplan Bundespräsidialamt, Anlage K3 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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-6- 4. Schutzwürdige Interessen Ein Auskunftsverweigerungsrecht – zumal der Verweigerung sämtlicher Auskünfte – folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Nennung der Namen der begnadigten Personen begehrt. Die pauschale Weigerung und eine grundsätzliche Abwägung zu Ungunsten des Klägers, wie sie im Bescheid des Beklagten zu finden ist, überzeugt nicht. Hier müsste mindestens eine Ab- wägung im Einzelfall vorgenommen und ggf. die Namen einzelner Betroffener geschwärzt wer- den. Im Hinblick auf das überwiegende Informationsinteresse der Presse und damit letztlich auch der Öffentlichkeit ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass dem Bundespräsidenten nur ein Begna- digungsrecht im Hinblick auf schwerste Straftaten und Verfehlungen von Bundesbeamten zu- steht. Denn Art. 60 Abs. 2 überträgt dem Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht nur „für den Bund“. Damit kann der Bundespräsident keine Begnadigungen gegenüber Strafaussprü- chen der Landesgerichte aussprechen. Die überwiegende Zahl gnadenfähiger Entscheidungen fällt nicht in die Zuständigkeit des Bundespräsidenten, sondern in die Zuständigkeit der Länder. Dies betrifft vor allem „herkömmliche“ strafgerichtliche Verurteilungen (z.B. wegen Diebstahls, sexueller Nötigung, Raub, Mord). Strafgerichtlich zuständig sind für diese Straftaten die Ge- richte der Länder. Die Zuständigkeit wechselt auch nicht auf den Bund, wenn der Bundesge- richtshof als Revisionsinstanz eingeschaltet wird. Hinsichtlich des Disziplinargnadenrechts ist der Bundespräsident lediglich für die Bundesbeamten zuständig (Bundeswehrsoldaten, Bun- desrichter) (BeckOK GG/Pieper, 47. Ed. 15.5.2021, GG Art. 60 Rn. 6). Bei Begnadigungen von Tätern, die schwerste Straftaten und von Bundesbeamten, die Dienst- vergehen gegangen haben, nimmt – entgegen der Annahme des Beklagten – das Recht des Betroffenen allein gelassen zu werden nicht per se im Laufe der Zeit an Bedeutung zu und setzt dem Informationsinteresse Grenzen. Denn gerade weil es hier um prominente Strafverfahren oder ehemalige hochrangige Amtsträ- ger geht, hat die Öffentlichkeit auch Jahre nach der Tat ein überragendes Informationsinteresse zu wissen, ob ein Begnadigungsverfahren geführt und ob es positiv entschieden worden ist. Nur über solche Transparenz lässt sich im Übrigen kontrollieren, inwieweit der Bundespräsident das Begnadigungsrecht im zulässigen Rahmen ausübt oder ob ggf. ihm nahestehende ehemalige, disziplinarrechtlich belangte Spitzenbeamte oder strafrechtlich verurteilte Freunde und Wegge- fährten in den Genuss einer Begnadigung gekommen sind. Auch wenn das in Deutschland ak- tuell abwegig erscheint, zeigt doch die Ausübung des Gnadenrechts durch den ehemaligen US- Präsidenten Donald Trump, dass eine öffentliche Kontrolle über Transparenz auch in diesem Bereich dringend angezeigt ist. Schließlich weisen wir darauf hin, dass der Bundespräsident in seiner bisherigen Begnadi- gungspraxis selbst bisweilen die Öffentlichkeit gesucht und in einigen Fällen mit Presseerklä- rungen bzw. -äußerungen über konkrete Begnadigungsverfahren unter Nennung der Betroffe- nen berichtet hat. Dies war in der Vergangenheit etwa im Jahr 2002 bei dem verurteilten RAF- Mitglied Adelheid Schulz, 2003 bei dem verurteilten RAF-Mitglied Rolf Clemens Wagner jeweils durch den Bundespräsidenten Johannes Rau, bei den verurteilten RAF-Mitgliedern Christian Klar und Birgit Hogefeld im Jahr 2007 durch Bundespräsident Horst Köhler der Fall. 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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-7- Beweis:         Screenshots und Presseartikel, Anlage K4 Mit dieser Namensnennung und Berichterstattung durch den Beklagten in Begnadigungsverfah- ren räumt dieser nicht nur ein, dass in vielen Fällen ein öffentliches Informationsinteresse be- steht, sondern auch dass eine Nennung der Namen der von Begnadigungen Betroffenen nicht generell zu unterbleiben hat. Es obliegt jedoch nicht dem Bundespräsidenten, zu entscheiden über welche Begnadigungsverfahren berichtet werden kann und darf. C. ERGEBNIS Der Klage ist stattzugeben. Sebastian Sudrow Rechtsanwalt 07.09.21.7 BKP-KANZLEI
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