Urteil-Gerichtsbescheid_14_10_22

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VG 27 K 285/21                beglaubigte Abschrift Verkündet am 14. Oktober 2022 Valentin/Justizbeschäftigte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL Im Namen des Volkes In der Verwaltungsstreitsache des Herrn Arne Semsrott, c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., Singerstraße 109, 10179 Berlin, Klägers, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Beiler Karl Platzbecker & Partner, Palmaille 96, 22767 Hamburg, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, 10557 Berlin, Beklagte, hat das Verwaltungsgericht Berlin, 27. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2022 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Amelsberg, den Richter am Verwaltungsgericht Hofmann, den Richter Dr. Hagemeyer-Witzleb, die ehrenamtliche Richterin Beuschel und den ehrenamtlichen Richter Hintz für Recht erkannt: Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit überein- stimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen -2-
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-2- Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstre- ckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicher- heit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Berufung wird zugelassen. Tatbestand Der Kläger begehrt Auskünfte über Begnadigungen durch den Bundespräsidenten. Nach seinen Angaben ist der Kläger freier Journalist und als Projektleiter der von der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebenen Plattform frag- denstaat.de tätig. Nachdem er im Rahmen einer früheren Anfrage unter anderem nach dem Informati- onsfreiheitsgesetz - IFG - bereits eine Statistik über die seit dem 1. Juli 1974 und bis zum Ende der Amtszeit des Bundespräsidenten Gauck entschiedenen Gnadenver- fahren (unterteilt nach dem Namen des jeweiligen Bundespräsidenten und der An- zahl von Entscheidungen in beamten- und soldatenrechtlichen Gnadenangelegenhei- ten bzw. Strafgnadenentscheidungen) erhalten hatte, verlangte der Kläger mit einer an die Pressestelle des Bundespräsidialamtes gerichteten E-Mail vom 4. Mai 2021 unter Verweis auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - GG - die Zusendung einer „Übersicht sämtlicher Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021“ mit den „Namen der begnadig- ten Personen“, dem „Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Strafsache, Disziplinarsache oder Ehrengerichtssache […], auf die sich die Begnadigung be- zieht“, der „der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundeliegende Ver- fehlung“ und dem „Datum der Begnadigung“. Das Bundespräsidialamt lehnte das Auskunftsersuchen mit Bescheid vom 11. Mai 2021 ab. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Ausübung des Begnadigungsrechts sei als Verwaltungstä- tigkeit zu werten. Die Übertragung einer Aufgabe im Verfassungstext führe nicht zwingend zu einer Qualifikation als Verfassungstätigkeit. Dies zeige sich beispiels- weise daran, dass Entscheidungen der Justiz Judikativ- und keine Verfassungsakte seien. Außerdem folge dies aus der in Art. 60 Abs. 3 GG normierten Übertragungs- -3-
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-3- möglichkeit „auf andere Behörden“, von der der Bundespräsident auch Gebrauch gemacht habe, indem er das Begnadigungsrecht durch Anordnung in diversen Fällen auf Bundesminister übertragen habe. Tätigkeiten eines Verfassungsorgans könnten indes nur von diesem selbst vorgenommen werden. Unzweifelhaft seien zudem presserechtliche Auskunftsansprüche gegen Bundesministerien gegeben, denen die Ausübung des Begnadigungsrechts übertragen wurde. Ein entsprechender, gegen den Bundespräsidenten gerichteter Anspruch müsse auch in Fällen fehlender Dele- gation gegeben sein, da andernfalls nicht der Charakter des Gnadenrechts selbst, sondern der Umfang seiner Delegierung die Reichweite des presserechtlichen Aus- kunftsanspruchs bestimme. Ferner handele es sich jedenfalls bei der der eigentli- chen Ausübung des Gnadenrechts nachgelagerten Ergebnisdokumentation, auf die sich der geltend gemachte Auskunftsanspruch einzig beziehe, um eine Verwaltungs- aufgabe, was sich auch daran zeige, dass auch die Veröffentlichung bzw. Zugäng- lichmachung von Gerichtsentscheidungen keine rechtsprechende, sondern Verwal- tungstätigkeit sei. Die Information sei auch vorhanden. Bei der begehrten Übersicht handele es sich lediglich um eine Aufbereitung und Zusammenstellung verfügbarer Informationen. Dass das Bundespräsidialamt über eine Aktenführung in Gnadensa- chen - und damit über sämtliche begehrten Informationen - verfüge, ergebe sich auch aus Nr. 320 seines Aktenplans. Ein Auskunftsverweigerungsrecht bestehe nicht. Allenfalls könne das Ergebnis einer Einzelfallabwägung die Schwärzung ein- zelner Namen Betroffener rechtfertigen. Das in die Zuständigkeit des Bundespräsi- denten fallende Begnadigungsrecht betreffe nur Täter schwerster Straftaten und Bundesbeamte, die Dienstvergehen begangen hätten. Anders als bei „herkömmli- chen“ strafgerichtlichen Verurteilungen gehe es in diesen Fällen um prominente Strafverfahren oder ehemalige hochrangige Amtsträger bzw. vorrangig um Staats- schutzdelikte nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Es seien nur Eingriffe in die Sozialsphäre dieser Personen zu befürchten. Ihre eigene Prominenz oder die Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Taten verwehre es den Betroffenen, aufgrund von Zeitablauf „allein gelassen zu werden“. Die Öffentlichkeit habe auch Jahre nach der Tat ein überragendes Informationsinteresse, das durch das Fehlen einer gerichtli- chen Kontrolle und von Transparenz im Bereich des Begnadigungsrechts noch ver- stärkt werde. Berichte über das Begnadigungsgesuch stellten lediglich eine letzte Etappe der Berichterstattung über eine öffentlichkeitswirksame Tat dar. Betroffene müssten schon aufgrund der Gerichtsöffentlichkeit damit rechnen, dass die Öffent- lichkeit auch von einer Begnadigung Kenntnis erlange. Schließlich habe der Bundes- präsident selbst im Rahmen seiner Begnadigungspraxis bisweilen die Öffentlichkeit gesucht und mit Presseerklärungen bzw. -äußerungen über konkrete Begnadigungs- -4-
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-4- verfahren unter Nennung der Namen der Betroffenen berichtet. Ein Anspruch folge zudem aus Art. 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei- heiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -). Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich des in dem Termin zur mündli- chen Verhandlung aufgehobenen Bescheides vom 11. Mai 2021 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, beantragt der Kläger nunmehr, die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen zu sämtlichen Begnadi- gungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021 durch Zur- verfügungstellung einer Übersicht, aus der die Namen der begnadigten Perso- nen, das Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache (vgl. Art. 1 der Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes), auf die sich die Be- gnadigung bezieht, die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zug- rundliegende Verfehlung (Straftatbestand etc.) sowie das Datum der Begnadi- gung hervorgeht. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung besteht der geltend gemachte Anspruch nicht. Sie führt im Wesentlichen aus, das Bundespräsidialamt sei im Hinblick auf das klägerische Be- gehren keine auskunftspflichtige Stelle. Dieses Begehren beziehe sich auf die Aus- übung des Gnadenerweises und damit gerade nicht auf eine materielle Verwaltungs- tätigkeit, sondern auf die Wahrnehmung einer spezifischen verfassungsrechtlichen Funktion. Art. 60 Abs. 2 GG verleihe dem Träger oder der Trägerin des Gnaden- rechts eine Gestaltungsmacht besonderer Art, die - schon mangels Bindung an ge- setzliche Vorgaben und gerichtlicher Kontrolle - kein materielles Verwaltungshandeln darstellen könne. Der presserechtliche Auskunftsanspruch setze indes - wie der Auskunftsanspruch nach dem IFG - voraus, dass die begehrte Auskunft bzw. Infor- mation einer materiellen Verwaltungstätigkeit entspringe. Die auch hier heranzuzie- hende ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung zum IFG sowie dessen Geset- zesbegründung ergebe, dass Handlungen des Bundespräsidenten, die dieser in sei- ner verfassungsrechtlichen Funktion als Staatsoberhaupt wahrnehme, als präsidiale oder präsidentielle Akte keine Verwaltungstätigkeit darstellten. Eine Parallele zur Veröffentlichung bzw. Zugänglichmachung von Gerichtsentscheidungen sei nicht zu ziehen, schon weil die Tätigkeiten und Aufgaben des Bundespräsidialamts stets auf die Unterstützung des Bundespräsidenten bei der Wahrnehmung seiner verfas- sungsmäßigen Aufgaben beschränkt seien. Die von dem Kläger begehrte Übersicht sei keine vorhandene Information und müsse durch Untersuchung generiert werden. -5-
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-5- Zwar verfüge das Bundespräsidialamt über eine Aktenführung in Gnadensachen, diese umfasse aber nicht die begehrte Übersicht. Die Erstellung einer solchen Über- sicht gehe in qualitativer Hinsicht über eine bloße Zusammenstellung der einzelnen Gnadenvorgänge hinaus. Allein die Ermittlung der jeweils zu Grunde liegenden Ver- fehlung sei Gegenstand einer Untersuchung und Auswertung des einzelnen Gna- denvorgangs. Schließlich stünden der Auskunftserteilung schutzwürdige Interessen Dritter entgegen. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen sei Vorrang vor dem Informations- interesse der Presse zuzubilligen. Die Weitergabe der von dem Kläger begehrten Daten stelle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, da auch personenbezogene Daten der Privatsphäre betroffen seien. Die Betroffenen müssten - auch weil Dritte für sie ein Gnadengesuch stellen könnten - nicht damit rechnen, dass ihre Daten weitergegeben würden, da das Begnadigungsverfahren eine Teilnahme der Öffentlichkeit nicht vorsehe. In den von dem Kläger benannten Presseerklärungen bzw. -äußerungen über konkrete Begnadigungsverfahren seien die Gnadengesuche ohnehin der Öffentlichkeit bekannt gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitak- te und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Entscheidungsgründe Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wor- den ist, nämlich betreffend den Bescheid des Bundespräsidialamtes vom 11. Mai 2021, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichts- ordnung - VwGO - einzustellen. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg. I.      Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. Insbesondere handelt es sich um eine öffent- liche-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auch soweit der Kläger sein Auskunftsbegehren gegen den Bundes- präsidenten selbst richtet, ist der Streitgegenstand des hier geltend gemachten pres- serechtlichen Auskunftsanspruchs nicht das verfassungsrechtliche Handeln des -6-
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-6- Bundespräsidenten bei der Ausübung des Begnadigungsrechts nach Art. 60 Abs. 2 GG als solches, sondern die Frage, ob er hierüber zur Auskunft verpflichtet ist, und damit nicht materielles Verfassungsrecht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2016 - OVG 6 S 56.15 - juris Rn. 10; VG Berlin, Beschluss vom 24. November 2015 - VG 27 L 179.15 - amtl. Abdr., S. 7 f.). Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs ist eine allgemeine Leistungsklage statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2021 - 10 C 3.20 - juris Rn. 23) und auch im Übrigen zulässig. II.     Die Klage ist jedoch unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung der begehrten Auskünfte ergibt sich weder aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. Art. 10 EMRK (unten 1.) noch aus § 5 i.V.m. § 18 Abs. 2 und 4 des Staatsvertrags zur Modernisierung der Medienordnung in Deutsch- land - Medienstaatsvertrag - (unten 2.). 1.      Die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des Presserechts für den vom Kläger geltend gemachten Auskunftsanspruch ist wegen fehlender Gesetz- gebungskompetenz der Länder und Untätigkeit des zuständigen Bundesgesetzge- bers unmittelbar das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. a)      Der in § 4 Abs. 1 des Berliner Pressegesetzes - PresseG BE - landesrechtlich normierte Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Behörden ist vorliegend nicht anwendbar. Die grundgesetzlichen Regelungen über das Amt des Bundespräsiden- ten (Art. 54 ff. GG) schließen als Annex die Befugnis des Bundes zur Regelung be- hördlicher Auskunftspflichten gegenüber der Presse zur Amtstätigkeit des Bundes- präsidenten ein. Die Befugnis zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesprä- sidenten ist integraler Bestandteil seiner geschriebenen und ungeschriebenen Ver- fassungskompetenzen und Grundfunktionen seines Amtes (vgl. im Einzelnen: But- zer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, 15. Aufl. 2022, Art. 54 Rn. 9 f., 17 ff.). Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung dieser Kompeten- zen und Grundfunktionen ist der Bundespräsident auf Grundlage seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgabe (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09 - juris Rn. 94) berechtigt, öffentlich aufzutreten und sich öffentlich zu äu- ßern (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 - juris Rn. 21 ff.). Diese Bundeskompetenz schließt wiederum als Annex die Befugnis zur Regelung von Auskunftspflichten gegenüber der Presse ein, die eben diese Presse- und Öf- -7-
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-7- fentlichkeitsarbeit des Bundespräsidenten betreffen. Da der Bund von seiner Rege- lungsbefugnis bisher keinen Gebrauch gemacht hat, greift der unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG herzuleitende Auskunftsanspruch. Aufgrund dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressean- gehörige auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdi- ge Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entge- genstehen. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse gegenüber den Bundesbehörden darf dabei nicht hinter dem Gehalt der - untereinander im We- sentlichen inhaltsgleichen, auf eine Abwägung zielenden - Auskunftsansprüche der Landespressegesetze zurückbleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2015 - 1 BvR 1452/13 - juris Rn. 12). Er fordert eine Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall. Dabei kommt eine Bewertung des Informationsinteresses der Presse grundsätzlich nicht in Betracht. Entscheidend ist, dass dem Informationsinteresse der Presse keine schutzwürdigen Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, die den Anspruch auf Auskunft ausschließen. Aus Art. 10 EMRK ergibt sich insoweit nichts anderes (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2021 - 10 C 3/20 - juris Rn. 25; Beschluss vom 23. März 2021 - 6 VR 1/21 - juris Rn. 17; Urteile vom 30. Januar 2020 - 10 C 18.19 - juris Rn. 28 ff. und vom 18. September 2019 - 6 A 7.18 - juris Rn. 13; Beschlüsse vom 20. März 2018 - 6 VR 3/17 - juris Rn. 16 und vom 26. Oktober 2017 - 6 VR 1.17 - juris Rn. 17 f.; Urteile vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - juris, Rn. 16 f. und vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - juris Rn. 29; s.a. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2015 - 1 BvR 1452/13 - juris Rn. 12). b)      Diese Voraussetzungen für den verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Aus- kunft sind nicht erfüllt. Schon der Anwendungsbereich des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs ist nicht eröffnet. Bei dem Bundespräsidenten der Bundesre- publik Deutschland handelt es sich, jedenfalls insoweit er das Begnadigungsrecht nach Art. 60 Abs. 2 GG ausübt, nicht um eine zur Auskunft verpflichtete Bundesbe- hörde. Durch ihren Bezug zu der Ausübung des Begnadigungsrechts betrifft die be- gehrte Auskunft kein Verwaltungshandeln des Bundespräsidenten. Der Auskunftsanspruch richtet sich gegen Bundesbehörden. Dabei ist von einem eigenständigen presserechtlichen Behördenbegriff auszugehen (vgl. VGH Bayern, Urteil vom 7. August 2006 - 7 BV 05.2582 - juris Rn. 35 [zum PresseG BY]; VG Ber- lin, Beschluss vom 24. November 2015 - VG 27 L 179.15 - amtl. Abdr., S. 9). Für das -8-
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-8- Verständnis des presserechtlichen Behördenbegriffs maßgeblich ist der Sinn und Zweck des presserechtlichen Auskunftsanspruchs (vgl. Burkhardt, in: Löffler, Presse- recht, 6. Aufl. 2015, § 4 LPG Rn. 55 m.w.N.). Die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthält nicht nur ein subjektives Ab- wehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern garantiert nach ihrem objektiv-recht- lichen Gehalt auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse. Neben der Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen schützt die Pressefreiheit auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokra- tie eröffnete Rolle bei der demokratischen Meinungs- und Willensbildung wirksam wahrzunehmen. Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, die Rechtsordnung in einer Weise auszugestalten, die der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Presse gerecht wird und ihr eine funktionsgemäße Betätigung erlaubt. Dazu gehört auch die Schaffung behördlicher Auskunftspflichten, die es der Presse ermöglichen oder erleichtern, umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten, und dadurch in die Lage versetzt zu werden, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten. Auf diese Weise können die Bürgerinnen und Bürger zutreffende und umfassende Informatio- nen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Ge- fahren erhalten, die ihnen sonst verborgen bleiben würden, aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für die Meinungsbildung essenziellen Fragen haben könnten. Erst diese für eine möglichst unverfälschte Erkenntnis notwendige Über- sicht über Tatsachen und Meinungen, Absichten und Erklärungen ermöglicht eine eigene Willensbildung und damit die Teilnahme am demokratischen Entscheidungs- prozess überhaupt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2019 - 7 C 26/17 - juris Rn. 22 m.zahlr.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist der Behördenbegriff des Presserechts nicht organisato- risch-verwaltungstechnisch, sondern im funktionalen Sinne zu begreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 7 C 6/17 - juris Rn. 15; BGH, Urteile vom 16. März 2017 - I ZR 13/16 - juris Rn. 18 [zum PresseG NW] und vom 10. Februar 2005 - III ZR 294/04 - juris Rn. 12 [zum PresseG NI]; OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2022 - OVG 6 S 37/22 - amtl. Abdr., S. 5). Dieses funktionelle Verständnis des Behördenbegriffs stellt maßgeblich auf die Rechtsnatur der Verwaltungstätigkeit ab; ausschlaggebendes Kriterium ist die Erfül- lung einer öffentlichen Aufgabe bzw. einer Verwaltungsangelegenheit (vgl. BVerwG, -9-
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-9- Urteile vom 25. Oktober 2018 - 7 C 6/17 - juris Rn. 17 und vom 8. März 1962 - VIII C 185/60 - NJW 1962, 1410; OVG Bremen, Urteil vom 7. April 2011 - 1 A 200/09 - juris Rn. 5). Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunfts- anspruchs sich nicht auf jedes staatsgewaltliche Handeln erstreckt. Vielmehr fallen bestimmte Angelegenheiten - wie beispielsweise parlamentarische Immunitätsange- legenheiten - von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs, der auf Verwaltungshandeln beschränkt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 7 C 6/17 - juris Rn. 14 ff.; s.a. OVG Berlin-Brandenburg, Be- schluss vom 7. Juli 2020 - OVG 6 N 43/20 - juris Rn. 10 f.). Verfassungsorgane sind demnach nicht als Behörden im Sinne des presserechtlichen Auskunftsanspruchs anzusehen, wenn und soweit sie im konkreten Fall aufgrund einer ausschließlich verfassungsrechtlich determinierten Funktion tätig werden (vgl. erg. Knauff, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 2. EL 2022, § 35 VwVfG, Rn. 72 [zu § 1 Abs. 4 VwVfG]). Nach diesen Maßstäben ist die Einordnung des Bundespräsidenten als Behörde im presserechtlichen Sinn nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er ein oberstes Bundes- und damit Verfassungsorgan ist (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes; Nierhaus/Brinktrine, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 54 Rn. 2). Denn auch als Verfassungsorgan gehört er im Grundsatz zu der gegenüber der Presse verpflichteten Staatlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. De- zember 1984 - 7 C 139/81 - juris Rn. 28). Zugleich ist aus dem Umstand, dass der Bundespräsident in Abgrenzung von den anderen Staatsfunktionen bzw. -gewalten (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG) funktional (am nächsten) der Exekutive zuzuordnen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09 - juris Rn. 94; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. August 2022 - OVG 12 B 25/20 - juris Rn. 22 [zum IFG]; VG Berlin, Beschlüsse vom 24. November 2015 - VG 27 L 179.15 - amtl. Abdr., S. 9 und vom 22. September 2020 - VG 27 L 242/20 - amtl. Abdr., S. 4 f.), nicht zu folgern, dass sein Handeln stets als Verwaltungshandeln zu qualifizieren ist (zu der sog. Subtrak- tionsmethode vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 3/11 - juris Rn. 13 [zum IFG]; s.a. Urteil vom 18. Oktober 2005 - 7 C 5/04 - juris Rn. 20 f. [zum Umwel- tinformationsgesetz]). Denn wie der Wortlaut der Vorschrift des Art. 60 Abs. 2 GG - in der Tradition republikanischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 25; Art. 49 Abs. 1 der Verfassung des Deut- schen Reichs vom 11. August 1919 [RGBl. 1383]) - zum Ausdruck bringt, steht das Begnadigungsrecht dem Bundespräsidenten weder persönlich noch in seiner Or- - 10 -
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- 10 - ganeigenschaft zu, sondern wird von ihm für das Staatswesen ausgeübt (vgl. Schätzler, Hdb. des Gnadenrechts, 2. Aufl. 1992, S. 18; Waldhoff, in: ders., Gnade vor Recht - Gnade durch Recht?, 2014, S. 131, 136; s.a. § 452 Satz 1 der Strafpro- zessordnung). Aus diesem Grund führt die organisationsrechtliche bzw. kompetenzi- elle Zuweisung der Ausübungsbefugnis des Begnadigungsrechts an den Bundesprä- sidenten - und damit auch die Frage nach seiner Stellung innerhalb des Gewalten- trias - für die Qualifikation der Begnadigung als Verwaltungshandeln nicht weiter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 34; Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, 1996, S. 38 f.). Ihrer - hier allein maßgeblichen - Rechtsnatur nach handelt es sich bei der Ausübung des Begnadigungsrechts nicht um eine Verwaltungstätigkeit. Soweit der Bundesprä- sident seine Befugnisse aus Art. 60 Abs. 2 GG ausübt, handelt er nicht als Verwal- tungsbehörde, sondern als Verfassungsorgan (so bereits BVerwG, Urteil vom 8. März 1962 - VIII C 185/60 - NJW 1962, 1410 [zu Art. 59 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen]). Nach Art. 60 Abs. 2 GG übt der Bundespräsident im Einzelfalle für den Bund das Begnadigungsrecht aus. Das Begnadigungsrecht be- steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Befugnis, im Einzelfall eine rechtskräftig erkannte Strafe ganz oder teilweise zu erlassen, sie um- zuwandeln oder ihre Vollstreckung auszusetzen; es eröffnet die Möglichkeit, eine im Rechtsweg zustande gekommene und nicht mehr zu ändernde Entscheidung auf einem „anderen“, „besonderen“ Weg zu korrigieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 27). Mit dem Begnadigungsrecht übt der Bundespräsident eine Gestaltungsmacht besonderer Art aus, welche nicht den Si- cherungen, den Gewaltenverschränkungen und -balancierungen unterliegt, die ge- währleisten sollen, dass Übergriffe der Exekutive durch Anrufung der Gerichte ab- gewehrt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 34). Das Gnadenrecht ist nicht als materielle Verwaltungstätigkeit zu quali- fizieren. Entscheidend für diese Einordnung des Begnadigungsrechts sind seine ver- fassungsrechtliche Grundlage und Wirkungen. Letztere bestehen unter anderem da- rin, dass Gnadenakte Entscheidungen der Judikative außer Kraft zu setzen vermö- gen, indem von straf- oder disziplinarrechtlichen Rechtsfolgen dispensiert wird (vgl. Schätzler, a.a.O., S. 121 ), freilich ohne diese zu kassieren (vgl. Reimer, in: Kahl/ Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 216. Lfg. August 2022 Art. 60 Rn. 88). Anders als die Verwaltung, die idealtypisch mit der Aufgabe des Gesetzesvollzugs im Einzelfall betraut ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 2 BvR 1282/11 - juris Rn. 126), besteht bei der (durch die rechtskräftige Entscheidung der Judikative - 11 -
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