Berufungsbegruendung_SemsrottBPraes_16012023

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RAe Beiler Karl Platzbecker & Partner, Palmaille 96, 22767 Hamburg Rechtsanwalt Sebastian Sudrow Per beA                                                                                                                         Palmaille 96 22767 Hamburg Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg                                                             Telefon +49 (0)40 18 18 98 0 -0 Hardenbergstr. 31                                                                                     Telefax +49 (0)40 18 18 98 099 E-Mail sudrow@bkp-kanzlei.de 10623 Berlin www.bkp-kanzlei.de HAMBURG 1 Harald Beiler Jan Clasen 2 Reinher Karl Arne Platzbecker 3 Steffen Sauter 5 Sebastian Sudrow BERLIN Jan Simon Heiko Wiese WISMAR Hamburg, 16.01.2022                                                                                                           Hendrik Prahl 5 Roland Kuhn Unser Zeichen: 22-21-0530 Az: OVG 6 B 18/22 (Az. 1. Instanz: VG 27 K 285/21) BERUFUNGSBEGRÜNDUNG in der Verwaltungsrechtssache Semsrott, Arne ./. Bundesrepublik Deutschland (Bundespräsidialamt) wird namens des Klägers und Berufungsklägers beantragt: 1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14.10.2022, Az. 27 K 285/21, dem Kläger und Berufungskläger zugestellt am 14.11.2022, wird geändert und die Be- klagte und Berufungsbeklagte verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen zu sämtlichen Begnadigungen durch den Bun- despräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021 durch Zurverfügungstellung einer Übersicht, aus der die Namen der begnadigten Person; das Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache (vgl. Art. 1 der Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadi- gungsrechts des Bundes), auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundeliegende Verfehlung (Straftatbe- stand etc.) sowie das Datum der Begnadigung hervorgeht. Bankverbindung: DKB | IBAN DE79 1203 0000 1005 0836 11 | SWIFT BIC: BYLADEM1001 Partnerschaftsgesellschaft | AG Hamburg | PR 596 Standorte: Palmaille 96, 22767 Hamburg | Kantstraße 150, 10623 Berlin | Schweriner Straße 5, 23970 Wismar Fachanwalt für: 1 Arbeitsrecht | 2 Urheber- und Medienrecht | 3 gewerblichen Rechtsschutz | 4 IT-Recht | 5 angestellter Rechtsanwalt
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-2- 2. Die Beklagte und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Begründung Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind presserechtliche Auskunftsansprüche, die der Kläger gegenüber dem Bundespräsidenten bzw. dem Bundespräsidialamt geltend macht. Na- mentlich geht es ihm um die Einsicht in eine Übersicht sämtlicher Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Bundespräsident im Hinblick auf Begnadigungsent- scheidungen als Behörde im presserechtlichen Sinne zu bewerten ist. Dies hat das VG Berlin in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht abgelehnt. A. SACHVERHALT Der Kläger ist als freier Journalist tätig, verfügt über einen Presseausweis (Anlage K7) und wurde für seine journalistische Arbeit bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet (u.a. Anlage K6). Er fungiert zudem als Projektleiter, Herausgeber und Chefredakteur des journalistischen Internetangebots FragDenStaat (www.fragdenstaat.de). FragDenStaat beschäftigt mehrere In- vestigativ-Journalist:innen. Diese recherchieren und veröffentlichen zusammen mit dem Kläger auf dem Portal und in diversen anderen Medien. FragDenStaat erscheint zudem in unregelmä- ßigem Turnus auch als Druckerzeugnis mit dem Titel „fragdenstaat DE“ (siehe Anlage K8). Der Kläger recherchierte und recherchiert nach wie vor zur Begnadigungspraxis deutscher Be- hörden. Die ersten Recherchen und Veröffentlichungen gehen auf eine Kooperation von Frag- DenStaat mit der Süddeutschen Zeitung zurück (vgl. Artikel zu Weihnachtsbegnadigungen auf FragDenStaat und in der Süddeutschen Zeitung, Anlage KK1). Der Kläger beabsichtigt seine Recherchen zu den Gnadenentscheidungen des Bundespräsidenten, für die die verfahrensge- genständlichen Auskünfte benötigt werden, ebenfalls journalistisch aufbereitet auf FragDen- Staat zu publizieren. Parallel zu dieser Internetveröffentlichung seines bzw. seiner Textbeiträge ist eine Publikation in einer der folgenden Zeitungsausgaben des Druckerzeugnisses „fragden- staat DE“ geplant. Darüber hinaus behält sich der Kläger vor, seine Rechercheergebnisse zu dem hiesigen Thema auch in Kooperation mit bzw. zusätzlich in einem anderen Medium zu veröffentlichen, insbesondere einer Zeitung oder einem anderen Angebot der Online-Presse zu publizieren. Mit E-Mail vom 04.05.2021 wendete sich der Kläger an die Pressestelle der Beklagten. Er ver- wies auf seine Recherchen und bat um die Zusendung einer Übersicht über sämtliche Begna- digungen durch den Bundespräsidenten in den Jahren 2004 bis 2021. Er teilte mit, dass diese Übersicht zumindest die Namen der begnadigten Person; das Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache, auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundeliegende Verfehlung (Straftatbestand etc.), sowie das Datum der Begnadigung enthalten solle (E-Mail des Klägers vom 04.05.2021, Anlage K1) Mit Bescheid vom 11.05.2021 lehnte die Beklagte die beantragte presserechtliche Auskunft ab. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass der verfassungsunmittelbare, 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-3- presserechtliche Auskunftsanspruch auf die Kontrolle von Behörden im funktionalen Sinne ge- richtet sei. Da der Bundespräsident bei der Ausübung des Begnadigungsrechtes nicht als Ver- waltungsbehörde, sondern gem. Art. 60 Abs. 2 GG als Verfassungsorgan tätig werde, handelt es sich um keine behördliche Angelegenheit mit der Folge, dass ein presserechtlicher Aus- kunftsanspruch hier nicht eröffnet sei. Darüber hinaus sei die begehrte Übersicht nicht verfüg- bar, da im Bundespräsidialamt keine entsprechende Zusammenstellung vorhanden sei. Der Auskunftsanspruch führe nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht der Beklagten. Schließ- lich stünden nach einer vorgenommenen Abwägung die Interessen der Betroffenen an dem Schutz ihrer personenbezogenen Daten einer Auskunft entgegen. Die begnadigten Personen würden durch die Auskunft identifiziert, während ein aktuelles Berichterstattungsinteresse nicht vorliege. Dieses gelte zeitlich nicht unbeschränkt und verändere sich mit zunehmendem zeitli- chem Abstand zu dem die Berichterstattung auslösenden Ereignis (Bescheid der Beklagten vom 11.05.2021, Anlage K2) Da der presserechtliche Auskunftsanspruch durch die Beklagte nicht erfüllt worden ist, erhob der Kläger am 07.09.2021 Klage. Diese wurde nach mündlicher Verhandlung vom 14.10.2021 durch das VG Berlin – sofern sie nicht im Termin übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist – als unbegründet zurückgewiesen. Wir nehmen vollumfänglich Bezug auf unsere Ausführungen in der ersten Instanz, insbesondere auf die Klagschrift vom 07.09.2021, sowie auf unsere Schriftsätze vom 07.01.2022 und 12.08.2022 B. RECHTLICHE WÜRDIGUNG Das Urteil des VG Berlin ist rechtsfehlerhaft und damit zu ändern. Entgegen der Ansicht des VG Berlin ist die Klage begründet und dem klägerischen Begehren damit stattzugeben. Die An- spruchsvoraussetzungen – insbesondere des verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruchs sind vorliegend erfüllt (siehe unter B.I). Auch die von der Beklagten im Übrigen angeführten Auskunftsverweigerungsgründe greifen nicht ein (siehe unter B.II). I. Verfassungsunmittelbarer presserechtlicher Auskunftsanspruch, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Dem Kläger steht ein verfassungsunmittelbarer presserechtlicher Anspruch auf die begehrte Auskunft zu. Der Anspruch des Klägers folgt unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Das Grundrecht der Pressefreiheit verleiht einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden in Ermangelung einer einfachgesetzlichen Regelung des Bundes- gesetzgebers und wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz der Länder (OVG Berlin Bran- denburg, Beschluss vom 30.12.2016 – OVG 6 S 29.16; VG Berlin, Urteil vom 13.11.2020 – 27 K 34.17; BVerwG, Urteil vom 25.10.2018 - 7 C 6.17; BVerwG, Urteil vom 16.03.2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 13 m.w.N.). Der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs wird maßgeblich durch die Funktion be- stimmt, die die Presse in der freiheitlichen Demokratie erfüllt. Ihr kommt neben einer Informa- tions- insbesondere eine Kontrollfunktion zu. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Infor- mationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-4- Funktion wirksam wahrzunehmen. Sinn und Zweck der daraus prinzipiell folgenden Auskunfts- pflicht ist es, der Presse zu ermöglichen, umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten und dadurch in die Lage versetzt zu werden, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten. Auf diese Weise kön- nen die Bürgerinnen und Bürger zutreffende und umfassende Informationen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren erhalten, die ihnen sonst verborgen bleiben würden, aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für die Mei- nungsbildung essenziellen Fragen haben könnten (BVerfG NVwZ 2016,50 [51]). Die effektive funktionsgemäße Betätigung der Presse setzt demnach voraus, dass ihre Vertreter in hinreichendem Maße von staatlichen Stellen Auskunft über Angelegenheiten erhalten, die nach ihrem Dafürhalten von öffentlichem Interesse sind. Der verfassungsunmittelbare Aus- kunftsanspruch der Presse hat diesen Funktionen Rechnung zu tragen. Dies ist gewährleistet, wenn der verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsanspruch in einem materiellrecht- lichen Gehalt nicht hinter dem Inhalt der presserechtlichen Auskunftsansprüche zurückbleibt, die in den Landespressegesetze enthalten sind, er den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genügen und auf eine Abwägung zielt (BVerwG NVwZ 2016, 1020 [1021]; Ricker/Weber- ling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl. 2021, S. 158). Aufgrund dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Presseangehörige auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit der Anwendungsbe- reich des Auskunftsanspruchs eröffnet ist, die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertrau- lichkeit nicht entgegenstehen. 1. Anwendungsbereich eröffnet Im Kern wendet sich die Berufung gegen die rechtsfehlerhafte Ansicht des VG Berlins, dass der Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs vorliegend nicht eröffnet sei. a. Einordnung der Ausübung des Gnadenrechts Bei dem Bundespräsidenten würde es sich, jedenfalls soweit er das Begnadigungsrecht nach Art. 60 Abs. 2 GG ausübt, nicht um eine zur Auskunft verpflichtete Bundesbehörde handeln. Das Gericht vertritt insoweit die unzutreffende Rechtsauffassung, dass durch den Bezug zur Ausübung des grundrechtlich verankerten Begnadigungsrechts die begehrte Auskunft kein Ver- waltungshandeln des Bundespräsidenten betreffen würde. Dem Gericht ist noch insofern zuzustimmen, dass sich die Anspruchsverpflichtung nicht nach einem organisatorisch-verwaltungstechnischen, sondern einen funktionalen Behördenbegriff bemisst. Mit anderen Worten erstreckt sich der Anwendungsbereich des presserechtlichen Aus- kunftsanspruch nicht auf jedes staatliche Handeln. Bestimmte Angelegenheiten, wie beispiels- weise parlamentarische Immunitätsangelegenheiten, sollen nicht dem Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs unterfallen. Zutreffend stellt das VG Berlin fest, dass die Einordnung des Bundespräsidenten als Behörde im presserechtlichen Sinn nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich bei dem Bundespräsidenten um ein Verfassungsorgan handelt. Vielmehr sei maßgeblich, ob im Sinne des funktionellen Behördenbegriffs materiell-rechtlich eine Verwaltungstätigkeit vorliegt. Das VG Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Begnadigungsrecht um eine „Gestaltungsmacht besonderer Art“ handelt, die nicht den üblichen 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-5- Sicherungen, den Gewaltenverschränkungen und balancierungen unterliegt. Zwar mögen Gna- denentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Be- antwortung der Frage nach der Eröffnung presserechtlicher Auskunftsansprüche. Das VG Berlin hat kein stichhaltiges Argument vorgebracht, warum diese Entscheidungen des Bundespräsi- denten neben den Gerichten, gleichsam auch der Überprüfung durch die Öffentlichkeit entzogen sein sollten. Insbesondere hat das VG Berlin versäumt, zu erklären was eine „Gestaltungsmacht besondere Art“ sein und beinhalten soll. In der Urteilsbegründung des VG Berlin fällt insofern auf, dass es das Gnadenrecht nicht als Recht des Bundespräsidenten begreift. Vielmehr führt es aus, dass der Bundespräsident nicht im Sinne einer eigenen Rechtsinhaberschaft tätig wird (S. 12 des Urteils), sondern das Gna- denrecht dem Bund zusteht. Dies wertet das Gericht als Abkehr von der überkommenen Vor- stellung eines persönlichen Vergebungsrechts des Monarchen und scheint darin eine Aktuali- sierung des Rechtsinstituts der Begnadigung zu sehen. Nach dieser Vorstellung der Kammer steht es dem Bundespräsidenten wieder persönlich noch in seiner Organeigenschaft zu, son- dern wird von ihm für das Staatswesen ausgeübt (S. 9 f.). Dann kann es sich bei einer Begna- digung aber entsprechend nicht um einen präsidentiellen Akt handeln. Das VG Berlin hat damit noch größere Probleme, den rechtlichen Charakter des Gnadenrechts zu bestimmen. Mit der Berufung auf die „Gestaltungsmacht besondere Art“ verfestigt das Gericht einen Fremdkörper, anstatt hier eine mögliche verfassungsrechtliche Erdung vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist hier aus Sicht des Klägers, dass die vom Gericht in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 08.03.1962 - VIII C 185/60 - NJW 1962, 1410) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23.04.1969 - 2 BvR 552/63) schon gut 60 Jahre zurückliegen. In dieser langen Zeit haben sich sowohl die rechtliche Diskussion über das Begnadigungsrecht, als auch die gesellschaftlichen Verhältnisse weiterentwickelt. Das Gericht hätte daher die veränderten Kontexte berücksichti- gen müssen. Wie Waldhoff/Grefrath im Berliner Kommentar zum Grundgesetz zutreffend bemerken, passt die Begnadigung in dem oben genannten Verständnis schlicht nicht in die Architektur der Ver- fassung. In der Diskussion über die Gnade ist zu wenig berücksichtigt worden, dass im Laufe eines langen Prozesses die ganz überwiegenden Topoi aus dem Gnadendiskures inzwischen Eingang in die Rechtsordnung selbst gefunden haben. Es hat insofern eine Verrechtlichung der Gnade stattgefunden. Durch diese Verrechtlichung handelt es sich nach zutreffender Ansicht von Waldhoff/Grefrath heute nicht mehr um Gnade, sondern um Recht (Waldhoff/Grefrath in Friauf/Höfling Berliner Kommentar zum Grundgesetz, C Art. 60 Rn. 23.). So auch v. Arnauld im von Münch/ Kunig, der sich ausdrücklich zur „Gestaltungsmacht beson- derer Art“ äußert. In der Kommentierung heißt es: „Das BVerfG und ein Teil der Lehre sehen im Gnadenrecht eine außerrechtliche „Gestal- tungsmacht besonderer Art“ die mit Art. 60 Abs. 2 in ihrem „historisch überkommenen Sinn“ übernommen worden sei und als solche keine rechtlichen Bindungen unterliege. Dies über- zeugt nicht. Hier wird in eine Norm, die ihrem Inhalt nach primär Kompetenznorm ist, ein Wesen der Gnade hineingelesen, das veränderte Kontexte unberücksichtigt lässt. Eine 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-6- Gnade als „Vorrecht des Mächtigsten, besser noch, sein jenseits des Rechts“ darf es unter dem GG nicht geben. Art. 60 Abs. 2 regelt eine verfassungsbegründete Kompetenz, die nicht außerhalb der Verfassungsordnung stehen kann. Die verfassungsessentiellen Bin- dungen der Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 greifen auch hier. Eine solche konstitutionali- sierte Gnade kennt ein Ermessen, das wegen des Ausnahmecharakters und der Höchst- persönlichkeit der Entscheidung sehr weit ist, das aber verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt. (…) Eine solche Verrechtlichung im Ansatz nimmt der Gnade das wesenhaft Außeralltägliche und überführt sie in die Normalität des gewaltenteiligen Staatsaufbaus. (von Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar: GG, Bd. 1, Art. 60 Rn. 15-16). Die „Gestaltungsmacht besonderer Art“ – so muss man das Gericht hingegen lesen – ist eine Verfassungstätigkeit, die allem entzogen ist, sich jedenfalls nicht als profane Verwaltungstätig- keit verstehen lässt. Doch allein der Umstand, dass eine Aufgabe im Verfassungstext – hier Art. 60 Abs. 2 GG – übertragen wird, reicht nicht für eine Qualifikation als Verfassungstätigkeit aus. So sind etwa Entscheidungen der Justiz – obwohl unmittelbar von der Verfassung übertragen – nach einhelliger Auffassung Judikativ- und keine Verfassungsakte. So bleibt ebenfalls offen, wie die „Gestaltungsmacht besonderer Art“ mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, sowie dem Gewaltenteilungsgrundsatz in Einklang zu bringen ist. Nach der Rechtsauffassung des Klägers gibt es bei staatlichem Handeln in einem Rechtsstaat keine frei- schwebenden Handlungsformen, die keiner der drei Gewalten Judikative, Exekutive oder Le- gislative zuzuordnen sind. Dementsprechend muss auch das Gnadenrecht einer dieser Gewal- ten zugeordnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend das Gnaden- recht ausdrücklich der Exekutive zugeschlagen: „Art. 60 Abs. 2 GG begründet demnach eine dem Amte des Trägers des Begnadigungsrechts eigene Befugnis, da helfend und korrigierend einzugreifen, wo die Möglichkeiten des Ge- richtsverfahrens nicht genügen. Das hat zur Folge, daß der Gnadenakt - wie immer man ihn rechtlich auch charakterisieren mag, etwa als Verzicht, Befehl oder Dispens - in jedem Fall einen Eingriff der Exekutive in die rechtsprechende Gewalt bedeutet, wie er sonst dem Grundsatz der Gewaltenteilung fremd ist. Das Grundgesetz hat jedoch dadurch, daß es das Begnadigungsrecht in dem geschichtlich überkommenen Sinn übernommen und auf ein Or- gan der Exekutive übertragen hat, die Gewaltenteilung modifiziert und im Bereich der Ein- zelbegnadigung dem Träger des Gnadenrechts eine Gestaltungsmacht besonderer Art ver- liehen.“ (BVerfG, Beschluss vom 23.04.1969 - 2 BvR 552/63, BVerfGE 25, 352) Der Bundespräsident ist zwar Verfassungsorgan. Im Rahmen von Gnadenentscheidungen wird er jedoch nicht als Verfassungsorgan tätig. Sein „Eingriff der Exekutive in die rechtsprechende Gewalt“ ist materiell-rechtliches Verwaltungshandeln. Die Ausübung des Begnadigungsrechts ist folglich nicht als Verfassungs-, sondern als Verwaltungstätigkeit zu werten Diese Ansicht wird von einem gewichtigen Teil der Kommentarliteratur inzwischen geteilt. So ausdrücklich Ramsauer/Tegethoff im Kopp/Ramsauer: „Die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen sowie die Ausübung des Gnadenrechts wird man heute entgegen der früheren hM zur Verwaltungstätigkeit iSd § 1 zu rechnen haben. Soweit man die in Frage stehenden Entscheidungen als VAe ansieht, ist es 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-7- folgerichtig auch die darauf gerichtete Tätigkeit als öffentlich-rechtliche Verwaltung anzu- sehen.“ (Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 23. Aufl. 2022, § 1 Rn. 19c) So auch Schmitz im Stelkens/Bonk/Sachs: Weder das historische Argument, es handele sich um die gerichtsfreie Kompetenz des Staatsoberhauptes, noch das Argument in BVerwGE 14, 73 = NJW 1962, 1410, der Mi- nisterpräsident handelte nicht als Verwaltungsbehörde, sondern als Verfassungsorgan, können überzeugend begründen, dass der Gnadenakt heute nicht zum Aufgabenbereich der Verwaltung gehört. Mit der Minderheitsmeinung in BVerfGE 25, 352 (363 ff.) = NJW 1969, 1895 muss die Maßnahme im Regelfall zum Aufgabenkreis der Verwaltung gezählt werden, wobei allerdings die Mehrzahl der Fälle dem Bereich der Justizverwaltung, die nicht dem VwVfG unterliegt (§ 2 Abs. 3 Nr. 1) zuzuzählen ist. (Schmitz, in: Stel- kens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 196) Für den informationsrechtlichen Bereich votiert Schoch in der aktuellen Ausgabe seines IFG- Kommentars für eine Charakterisierung der Begnadigung durch den Bundespräsidenten als Verwaltungshandeln. Dies hätte zur Folge, dass der Bundespräsident insoweit informations- pflichtig wäre: Nach Art. 60 Abs. 2 GG übt der Bundespräsident im Einzelfall für den Bund das Begna- digungsrecht aus. Umfasst hiervon sind Entscheidungen der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargerichtsbarkeit. Das Gesetzesrecht greift diese Vorgabe auf und formt sie aus. Mit der Ausübung des Begnadigungsrechts nimmt der Bundespräsident eine Verwal- tungsaufgabe wahr. Gegen diese Auffassung wird eingewandt, (Straf-)Gnadenentschei- dungen seien keine Verwaltungsakte, sondern hätten staatsleitenden und politischen Charakter; folglich handele es sich um nicht justiziable Hoheitsakte, eine Anwendung des IFG scheide aus. Im vorliegenden Zusammenhang geht es indessen um die Beantwor- tung der Frage, ob die Ausübung des Begnadigungsrechts eine spezifische verfassungs- rechtliche Aufgabe ist oder nicht. Dazu gibt die Rechtsprechung des BVerfG zur gericht- lichen Überprüfbarkeit von Gnadenentscheidungen nichts her. Denn die richterliche Kon- trollperspektive ist kategorial etwas anderes als die Abgrenzung zwischen Verfassungs- recht und Verwaltungsrecht bei der Aufgabenqualifizierung. Das Gnadenrecht ist vom Bundespräsidenten gemäß Art. 60 Abs. 3 GG weitgehend delegiert worden. Dies zeigt, dass die Ausübung des Gnadenrechts keine staatsleitende Tätigkeit darstellt. Es ent- scheidet eben eine „andere Behörde“. Nimmt der Bundespräsident seine Befugnis gemäß Art. 60 Abs. 2 GG selbst wahr, erledigt er eine Verwaltungsaufgabe. Das IFG ist anwend- bar. (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 184) Nach Ansicht des VG Berlins wird hingegen die Verwaltung dadurch charakterisiert, dass sie idealtypisch mit der Aufgabe des Gesetzesvollzugs im Einzelfall betraut ist, während bei der Ausübung des Begnadigungsrechts dem Bundespräsidenten die Wahl offensteht, „dem Recht seinen Lauf zu lassen oder ihm Einhalt zu gebieten“ (S. 10 f. des angefochtenen Urteils). Diese persönliche Entscheidungsfreiheit würde die „Gestaltungsmacht besonderer Art“ ausmachen. Verwaltungshandeln und eine „Gestaltungsmacht besonderer Art“ können jedoch nicht anhand des Merkmals der Entscheidungsfreiheit unterschieden werden. So besteht auch bei Verwal- tungstätigkeiten mitunter ein Entschließungsermessen einer Behörde. Sie verfügt dann über 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-8- den Entscheidungsspielraum, ob sie – selbst beim Vorliegen tatbestandlicher Voraussetzungen eines Gesetzes – überhaupt einschreitet und handelt. Rechtsfehlerhaft meint das VG Berlin weiter, dass eine Einbeziehung des Gnadenrecht in den Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs faktisch einer Bindung und Be- schränkung zumindest nahekommen würde, deren Schaffung das Grundgesetz selbst dem Ge- setzgeber nicht ermöglicht. Dies ist ebenfalls fehlerhaft. Öffentliche Transparenz – wie sie der Kläger begehrt – würde in keiner Weise in die Ausübung des Gnadenrechts eingreifen. Sie be- wertet und kommentiert allein bereits getroffene Entscheidungen und ist nicht in der Lage, Be- gnadigung zu korrigieren. Transparenz schafft lediglich einen Raum öffentlicher Debatte und Kontrolle, ohne die Ausübung des Gnadenrechts selbst anzutasten. D.h. der Bundespräsident kann weiterhin ohne jegliche Bindungen und Beschränkungen begnadigen, könnte dies jedoch nicht mehr im Geheimen tun. b. Delegationsbefugnis gem. Art. 60 Abs. 3 GG Eine Qualifizierung der Gnadenentscheidungen als materiell-rechtliches Verwaltungshandeln folgt aus Sicht des Klägers insbesondere aus dem ebenfalls im Grundgesetz in Art. 60 Abs. 3 GG normierten Recht des Bundespräsidenten, die Befugnis zu Begnadigungen „auf andere Be- hörden“ zu übertragen. Bereits der Wortlaut („auf andere Behörden“) spricht gegen die Qualifi- kation des Begnadigungsverfahrens als Verfassungstätigkeit. Denn Tätigkeiten eines Verfas- sungsorgans kann nur ein Verfassungsorgan selbst vornehmen. Da das Grundgesetz die Mög- lichkeit aber vorsieht, das Begnadigungsrecht auf Behörden zu übertragen und von diesen Be- hörden selbständig ausüben zu lassen, lässt sich das Begnadigungsverfahren insgesamt als Verwaltungshandeln charakterisieren. Von der Delegationsbefugnis aus Art. 60 Abs. 3 GG hat der Bundespräsident mit der Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes (GnO) Gebrauch gemacht. Gem. Art. 2 GnO hat er das Begnadigungsrecht in diversen Fällen an Bundesminister übertragen. Ledig- lich in den in Art. 1 GnO aufgeführten Ausnahmefällen behält sich der Bundespräsident die Ausübung des Begnadigungsrechts vor. Presserechtliche Auskunftsansprüche bestehen aller- dings gegen die entsprechenden Bundesministerien im Hinblick auf die Ausübung des Gnaden- rechts. Dies muss im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auch gelten, wenn keine Delegation erfolgt ist und die Verwaltungstätigkeit der Begnadigungen durch den Bundespräsidenten selbst vorgenommen wird. Ansonsten würde nicht der genuine Charakter des Gnadenrechts, sondern lediglich die Reichweite der wahrgenommenen Delegierung nach Art. 60 Abs. 3 GG darüber entscheiden, ob Gnadenentscheidungen den Auskunftsansprüchen der Presse entzogen sind. Dem entgegnet das VG Berlin in dem angegriffenen Urteil (S. 12), dass Behörden an welche die Wahrnehmung des Begnadigungsrechts delegiert wird, ihrerseits nach dem funktionalen Behördenbegriff keine Behörden seien. D.h. Bundesministerien die nach der Gnadenordnung das Gnadenrecht ausüben wären nach dem VG Berlin aufgrund des Gnadenrechts als „Gestal- tungsmacht besonderer Art“ selbst nicht auskunftspflichtig. Auch dies ist nicht haltbar. Das VG Berlin versagt hinsichtlich der Gnadenentscheidungen nicht nur presserechtliche Auskunftsan- sprüche gegenüber dem Bundespräsidenten, sondern schafft neue auskunftsfreie Bereiche selbst gegenüber anderen Behörden im organisatorisch-verwaltungstechnischen Sinne. Das heißt, nicht nur das Bundespräsidialamt, sondern auch Bundesministerien sollen nach der Les- art des VG Berlin an der Qualifizierung bestimmter Aufgaben des Bundespräsidenten als Ver- fassungstätigkeiten partizipieren. 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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-9- c. Parallele zu Auskunftsansprüchen bzgl. Gerichtsentscheidungen Ferner ist zu beachten, dass der Kläger keine Informationen in Bezug auf laufende Gnadenver- fahren begehrt, sondern ausschließlich Informationen über abgeschlossene Gnadenverfahren im Sinne einer Übersicht. Informationen über den abschließenden Inhalt einer Gnadenentschei- dung sind aber unabhängig von der rechtlichen Charakterisierung des Tätigwerdens des Bun- despräsidenten in Gnadenverfahren vom presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasst. Inso- fern kann eine Parallele zu Gerichtsentscheidungen gezogen werden. Diese sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Presse in anonymisierter Fassung – sogar wenn sie noch nicht rechtskräftig sind – zugänglich zu machen (BVerfG, NJW 2015, 3708). Die Veröffentlichung bzw. Zugänglichmachung der Gerichtsentscheidungen ist dann keine Rechtsprechungstätigkeit mehr, sondern eine Tätigkeit der Verwaltung (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 212, wonach das individuelle Begehren nach Gerichtsentscheidungen ein typischer Anwendungsfall des § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG ist). Selbst wenn man in der Ausübung des Gnadenrechts also eine Verfassungstätigkeit des Bundespräsidenten sehen wollte, so ist die anschließende Ergebnisdokumentation eine Verwaltungsaufgabe. Mit diesem Argument setzt sich das VG Berlin nicht auseinander. Es verweist lediglich auf das Bundespräsidialamt, das den Bundespräsidenten bei dessen Aufgabenerledigung unterstützt und dass nach der ständigen Rechtsprechung dann keine materielle Verwaltungstätigkeit aus- übt, wenn die unterstützte Tätigkeit des Bundespräsidenten selbst als präsidentieller Akt zu qualifizieren ist. Dies verkennt, dass aus Sicht des Klägers zeitlich zwei Phasen zu differenzie- ren sind. Die Unterstützung des Bundespräsidenten durch das Bundespräsidialamt in einem laufenden Gnadenverfahren, von der Antragstellung bis zu einer Entscheidung betrifft das Gna- denrecht selbst. Wenn man dies – wie es des VG Berlin tut – nicht als Verwaltungstätigkeit ansieht, würde das auch für die entsprechenden Hilfsarbeiten des Bundespräsidialamts gelten. Die zweite Phase ist jedoch analog zu den erwähnten Gerichtsentscheidungen einem abge- schlossenen (Gnaden)verfahren nachgelagert. Jedenfalls dies ist dann keine Verfassungstätig- keit mehr, sondern stellt als Ergebnisdokumentation eine Tätigkeit der Verwaltung dar. d. „Gestaltungsmacht besonderer Art“ sperrt Auskunftsansprüche nicht Mit der, vom VG Berlin vorgenommenen Charakterisierung des Gnadenrechts als „Gestaltungs- macht besonderer Art“ und in der Folge der Ablehnung einer materiellen Verwaltungstätigkeit, verneint die Kammer in einem rechtsfehlerhaften Automatismus auch einen verfassungsunmit- telbaren presserechtlichen Auskunftsanspruch. Dieses Ergebnis ist selbst wenn man dem VG bis hierhin folgen möchte, weder zwingend noch nachvollziehbar. Denn die Rechtsprechung hat zwar einen presserechtlichen Auskunftsanspruch direkt aus Art. 5 Abs. 2 GG im Hinblick auf materielle Verwaltungstätigkeit von Bundesbehörden entwickelt, aber bislang keine Aussage darüber getroffen, ob auch sui-generis Tätigkeiten einem solchen Anspruch unterfallen. Das VG Berlin hat vielmehr eine Chance verpasst, mit den Gnadenrecht eine monarchistische Hinterlassenschaft in einer modernen Demokratie verfassungsrechtlich neu einzusortieren bzw. verfassungskonform auszulegen. Die Sonderstellung des Gnadenrechts wäre vielmehr aus Sicht des Klägers kein Argument gegen, sondern für eine Auskunftspflicht. In der Begnadi- gungspraxis gibt es bislang keinerlei Vorgaben und Entscheidungsleitlinien. Das Gnadenrecht kann durch den Bundespräsidenten willkürlich und missbräuchlich ausgeübt werden und des- sen Entscheidungen sind nicht einmal justiziabel. Damit wäre die Medien-Öffentlichkeit die letzte demokratische Kontrollinstanz. Transparenz und kritische Begleitung durch die Presse sind 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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- 10 - in einer rechtsstaatlichen Demokratie im Bereich der Begnadigungen umso mehr geboten, wenn es ansonsten gänzlich an rechtsstaatlicher Kontrolle fehlt. Die Bejahung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs aufgrund der Qualifizierung der Gnadenentscheidung als materielle Verwaltungstätigkeit oder dessen Ausweitung auf Tätigkei- ten mit einer „Gestaltungsmacht besonderer Art“ wäre rechtlich nicht zu beanstanden. 2. Informationen verfügbar Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass die Beklagte vorliegend auch nicht die Auskunft mit der Behauptung verweigern kann, ihr läge die vom Kläger begehrte Übersicht nicht vor. Dieser Aus- kunftsverweigerungsgrund ist nicht einschlägig. Zwar mag es sein, dass die Beklagte aktuell keine Übersicht führt, auf der für die Begnadigungen aus den Jahren 2014-2021 die Namen der begnadigten Person; das Aktenzeichen der rechtskräftig abgeschlossenen Straf-, Diszipli- nar- oder Ehrengerichtssache, auf die sich die Begnadigung bezieht; die der Straf-, Disziplinar- oder Ehrengerichtssache zugrundeliegende Verfehlung (Straftatbestand etc.), sowie das Datum der Begnadigung vermerkt sind. Die Übersicht stellt jedoch nur eine Aufbereitung und Zusammenstellung verfügbarer Informati- onen dar. Auch die Beklagte behauptet nicht, dass ihr sämtliche Informationen, die der Kläger erbittet, nicht vorliegen würden. Die Informationen sind mit anderen Worten bei der Beklagten vorhanden. Sie müssen nicht generiert, sondern lediglich zusammengestellt werden. Die Be- klagte kann eine presserechtliche Auskunft aber nicht verweigern, weil die Zusammenstellung der gewünschten Informationen etwas Arbeit macht. Dass die Beklagte über eine Aktenführung auch in Gnadensachen verfügt und folglich alle be- gehrten Informationen bei ihr vorliegen, ergibt sich auch aus der Nr. 320 des Aktenplans des Bundespräsidialamtes (Aktenplan Bundespräsidialamt, Anlage K3) 3. Schutzwürdige Interessen Schließlich folgt ein Auskunftsverweigerungsrecht – zumal der Verweigerung sämtlicher Aus- künfte – auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Nennung der Namen der begnadig- ten Personen begehrt. Die pauschale Weigerung und eine grundsätzliche Abwägung zu Ungunsten des Klägers, wie sie im Bescheid der Beklagten zu finden ist, überzeugt nicht. Hier müsste mindestens eine Ab- wägung im Einzelfall vorgenommen und ggf. die Namen einzelner Betroffener geschwärzt wer- den. Im Hinblick auf das überwiegende Informationsinteresse der Presse und damit letztlich auch der Öffentlichkeit ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass dem Bundespräsidenten nur ein Begna- digungsrecht im Hinblick auf schwerste Straftaten und Verfehlungen von Bundesbeamten zu- steht. Denn Art. 60 Abs. 2 überträgt dem Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht nur „für den Bund“. Damit kann der Bundespräsident keine Begnadigungen gegenüber Strafaussprü- chen der Landesgerichte aussprechen. Die überwiegende Zahl gnadenfähiger Entscheidungen fällt nicht in die Zuständigkeit des Bundespräsidenten, sondern in die Zuständigkeit der Länder. Dies betrifft vor allem „herkömmliche“ strafgerichtliche Verurteilungen (z.B. wegen Diebstahls, sexueller Nötigung, Raub, Mord). Strafgerichtlich zuständig sind für diese Straftaten die Ge- richte der Länder. Die Zuständigkeit wechselt auch nicht auf den Bund, wenn der 16.01.23.12 BKP-KANZLEI
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