Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG (COM(2021)

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Unveröffentlichte Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes

/ 12
PDF herunterladen
Anlage/f/,

 

Unterabteilung Europa Z N Deutscher Bundestag
Fachbereich Europa END
Ausarbeitung

 

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung
der Richtlinie 2008/99/EG (COM(2021) 851 final)

© 2022 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 027/22
1

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrecht-
lichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG (COM(2021) 851 final)

Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 027/22
Abschluss der Arbeit: 06.07.2022
Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa

Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe
oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und
Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstel-
lung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bun-
destages dar. Die Arbeiten können der Geheimschu tzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere
nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist
vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die da-
bei zu berücksichtigenden Fragen.

2
2

Unterabteilung Europa Ausarbeitung
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

Seite 3

 

Inhaltsverzeichnis

2.1.
2.2.

2.3.

3.1.

3.2.

Fragestellung

Reichweite der Kompetenz aus Art. 83 Abs. 2 AEUV
Bestehende Harmonisierungsmaßnahmen
„Unerlässlichkeit“ der Angleichung strafrechtlicher
Rechtsvorschriften

Harmonisierungsdichte: Festlegung von Straftaten und
Mindeststrafen

Art. 83 Abs. 2 AEUV als Kompetenzgrundlage des
Richtlinienvorschlags

Art. 83 Abs. 2 AEUV als Kompetenzgrundlage für die
strafrechtlichen Regelungen

Harmonisierungsdichte: Eingriffin grundlegende Bestandteile des
nationalen Strafrechts

11
3

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 4
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

 

1. _ Fragestellung

Der Fachbereich Europa wurde um Prüfung gebeten, ob der Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion (Kommission) für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den stral-
rechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG! (Richtlinienvor-
schlag oder RL-Vorschlag) von der Kompetenz nach Art. 83 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) umfasst ist.

Nachfolgend soll zunächst die Reichweite der Kompetenz aus Art. 83 Abs. 2 AEUV dargestellt
werden (Ziff, 2.), bevor auf die Frage eingegangen wird, inwieweit die Regelungen des Richtlini-
envorschlags auf Art. 83 Abs. 2 AEUV gestützt werden können (Ziff. 3.). Dabei konzentriert sich
die Ausarbeitung auf die Betrachtung der strafrechtlichen Vorschriften der Art. 1-12 RL-Vor-
schlag.

Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Richtlinienvorschlag um einen vorläufigen Ver-
fahrensstand handelt, der einer weiteren Befassung im Rat und im Europäischen Parlament und
daher fortlaufenden Veränderungen unterworfen ist.l Eine abschließende Bewertung dieser Frage
obliegt nach Verabschiedung der Richtlinie dem EuGH.

2. Reichweite der Kompetenz aus Art. 83 Abs. 2 AEUV

Der Richtlinienvorschlag stützt sich auf Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV. Gemäß

Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV können durch Richtlinien? Mindestvorschriften für die Festlegung
von Straftaten und Strafen auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind,
festgelegt werden, sofern sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mit-
gliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf dem be-
treffenden Gebiet erweist.‘ Diese Richtlinien werden unbeschadet des Art. 76 AEUV gemäß dem
gleichen ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren wie die betreffenden Harmoni-
sierungsmaßnahmen erlassen, Art. 83 Abs. 2 Satz 2 AEUV.

1 Europäische Kommission, Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RA-
TES über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG [SEC(2021) 428
final} - [SWD{2021) 465 final} - {SWD(2021) 466 final} vom 15.12.2021 (COM(2021) 851 final).

3 Vgl. Art. 288 UAbs. 3 AEUV: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich

des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der
Mittel.“

4 Nach Ansicht in der Literatur schließt Art. 83 Abs. 2 AEUV in seinem Anwendungsbereich eine Harmonisie-
rung nach Art. 352 AEUV aus, vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen
Union, 75. EL Januar 2022, Art, 83 AEUV, Rn. 76; Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV. 3. Auflage 2018,

Art. 83 AEUV, Rn. 29.
4

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 5
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

Anders als Art. 83 Abs. 1 AEUV setzt die Kompetenz nach Art. 83 Abs. 2 AEUV nach Ansicht in
der Literatur weder bestimmte Kriminalitätsbereiche bzw. eine Grenzüberschreitung der Krimi-
nalität voraus.’

2.1. Bestehende Harmonisierungsmaßnahmen

Zunächst fordert die Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV, dass im jeweiligen Regelungsbe-
reich bereits Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind.° Nach Ansicht in der Literatur ist es folg-
lich nicht möglich, dass Strafvorschriften in einem Rechtsakt gemeinsam mit außerstrafrechtli-
chen Regelungen erlassen werden.’ Stattdessen müssten die Strafvorschriften eine Reaktion auf
Erfahrungen mit vorangegangenen Harmonisierungsmaßnahmen darstellen.”

2.2. „Unerlässlichkeit“ der Angleichung strafrechtlicher Rechtsvorschriften

Neben den vorangegangenen Harmonisierungsmaßnahmen muss sich die Angleichung der straf-
rechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV als „uner-
lässlich“ für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf dem betreffenden Gebiet er-
weisen. Nach Ansicht in der Literatur ist der Begriff der Unerlässlichkeit strenger als der der Er-
forderlichkeit - insbesondere strenger als der Begriff der „Erforderlichkeit“ i. 5. d. Art. 29 EUV
a. F. - zu verstehen. ° In Teilen der Literatur wird zur Umschreibung des Merkmals der Unerläss-
lichkeit auf den Begriff der „ultima ratio“ verwiesen.' Ob es sich insoweit um ein normatives

 

5 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 95; Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015,
Art. 83 AEUV, Rn. 45.

6 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 30; Suhr. in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV,
6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 24; zur Qualität der vorangegangenen Harmonisierungsmaßnahme vgl. Vo-
gel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV,
Rn. 77 ff; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 26.

7 Salzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31.

8 Suhr, in: Callies/Ruflert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 25; VogeJ/Eisele. in: Grabitz/Hill/Net-
tesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 77; Hochmayr, in: Pech-
stein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 83, Rn. 34.

9 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31; Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hill/Nettes-
heim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 93 sowie Böse, in: Schwarz,
EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art, 83, Rn. 28; Hochmayr, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommen-
tar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 83, Rn. 34.

10 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 93 sowie Böse, in: Schwarz, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83, Rn. 28.
5

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 6
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

oder um ein empirisches Kriterium handelt, ist im Schrifttum umstritten." Ein normatives Krite-
rium wäre nach Ansicht in der Literatur bereits erfüllt, wenn Verstöße gegen das harmonisierte
Unionsrecht strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht in sich tragen, das straflos zu lassen
nicht mehr vertretbar wäre.'?

Für die Annahme eines empirischen Kriteriums hat sich dagegen das Bundesverfassungsgericht
im Rahmen seines Urteil zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vom 30.06.2009
(sog. „Lissabonurteil“) ausgesprochen.'” Das Bundesverfassungsgericht führt dort zunächst aus,
dass sich hinter der Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV eine gravierende Ausdehnung der
Zuständigkeit zur Strafrechtspflege im Vergleich zur bislang geltenden Rechtslage verberge. Über-
all dort, wo die Union Zuständigkeiten zur Rechtsharmonisierung besitzt, könne sie danach zur
„wirksamen Durchführung der Politik der Union“ Mindestvorschriften für die Festlegung von
Straftaten und Strafen durch Richtlinien erlassen.'* Vor dem Hintergrund der Gefahr einer „dro-
henden Uferlosigkeit“ der Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV sei mit Blick auf die Anfor-
derungen an die Vereinbarkeit mit dem Prinzip einer sachlich bestimmten und nur begrenzten
Übertragung von Hoheitsrechten sowie mit dem gebotenen Schutz des demokratisch an die
Mehrheitsentscheidung des Volkes besonders rückgebundenen nationalen Gesetzgebers die Kom-
petenz nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eng auszulegen."

Das Bundesverfassungsgericht fährt jedoch fort, dass Art. 83 AEUV hinreichende Anhaltspunkte
für eine verfassungskonforme Auslegung biete.'* Zum einen sei der zur Strafrechtsetzung ermäch-
tigende Tatbestand bereits vom Wortlaut eng gefasst.'” Danach müsse sich die Angleichung ent-
sprechender Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten „als unerlässlich für die wirksame Durchfüh-
rung der Politik der Union“ auf dem harmonisierten Rechtsgebiet erweisen (Art. 83 Abs. 2 Satz 1
AEUV). Damit dieser Ausnahmetatbestand erfüllt sei und die Ermächtigung zur Strafgesetzge-
bung im Annex als übertragen angenommen werden könne, müsse demnach nachweisbar festste-
hen, dass „ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht und nur durch Strafandrohung

 

11 Für ein empirisches Kriterium Satzger. in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31; Suhr, in:
Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV. Rn. 24; Hochmayr, in: Pechstein/Nowak/Häde.
Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 83, Rn. 34.; für ein normatives Verständnis Vo-
gel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV,
Rn. 93: Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 28; Hecker, Europäisches Straft-
recht, 5. Auflage 2015, Seite 293, Rn. 48; vermittelnd Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches
Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 83 AEUV, Rn. 59.

12 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022.
Art. 83 AEUV, Rn. 93.

13 : Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08).

14 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 361.
15 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senals vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 361.
16 Bundesverlassungsgericht. Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08). Rn. 362.

17 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 362.
6

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 7
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

 

beseitigt werden kann“. Diese Voraussetzungen gelten nach Ansicht des Bundesverfassungsge-
richts auch für die von der europäischen Gerichtsbarkeit bereits angenommenen Existenz einer
strafrechtlichen Annexzuständigkeit.'’

Die Annahme einer empirischen Voraussetzung durch das Vorliegen eines „gravierendes Voll-
zugsdefizits“ des Bundesverfassungsgerichts wird von Teilen der Literatur als kritisch angese-
hen.?° Insoweit wird vertreten, dass der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Nachweis, dass
nur Strafrecht ein bestehendes Vollzugsdefizit beseitigen könne, letztlich nur erbracht werden
könne, „wenn feststünde, dass Unionsrecht in einem oder mehreren Mitgliedstaaten in einem be-
sorgniserregenden Ausmaß missachtet würde und in den betreffenden Mitgliedstaaten keine oder
nur unzureichende einschlägige strafrechtliche Vorschriften bestünden, während in anderen Mit-
gliedstaaten solche Vorschriften existierten und das Unionsrecht ausreichend beachtet würde;
ein Beweisanzeichen könnte auch sein, dass Normadressaten unionsrechtswidrige Verhaltens-
weisen in Mitgliedstaaten verlagern, die Zuwiderhandlungen nicht oder nicht ausreichend mit
Strafe bedrohen.“*' Stattdessen müsse dem U nionsgesetzgeber nach dieser nicht unumstrittenen
Ansicht insoweit ein eigener Beurteilungsspielraum zukommen.??

Eine abschließende Entscheidung dieser Frage obliegt dem EuGH.
2.3. Harmonisierungsdichte: Festlegung von Straftaten und Mindeststrafen

Die Kompetenz nach Art. 83 Abs. 2 AEUV ermöglicht - wie die Kompetenz nach

Art. 83 Abs. 1 AEUV - den Erlass von Vorschriften in Bezug auf Straftaten wie auch auf (Min-
dest-)Strafen.? Die Festlegung von Strafen bedürfe nach Ansicht in der Literatur einer besonde-
ren Rechtfertigung, da die Kriminalisierung einer Verhaltensweise im Rahmen eines Straftatbe-
standes zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts regelmäßig ausreiche,

18 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 362.
19 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 362.

20 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 93; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 28; a. A. Satzger,
in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31.

21 Vogel/Eisele. in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75, EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 93: ebenso Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 28.

22 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nellesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 93; ebenso Böse, in: Schwarze, BU-Kommentar. 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 28;
Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 83 AEUV, Rn. 55;
Hecker, Europäisches Straftrecht, 5. Auflage 2015, Seite 293, Rn. 48; a. A. Satzger, in: Stweinz, EUV/AEUV,
3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31; Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV,
Rn. 24; Hochmayı, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017.
Art. 83, Rn. !

23 Böse, in: Schwarze. EU-Kommentar, 4. Auflage 2019. Art. 83 AEUV, Rn. 29; Suhr. in: Callies/Ruffert,
EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 24; Satzger, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018,
Art. 83 AEUV, Rn. 41.
7

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 8
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

 

wohingegen die Festlegung bestimmter Strafen geeignet sei, die Kohärenz der nationalen Straf-
rechtsordnung zu beeinträchtigen.”

Für die insoweit bestehende Frage der Harmonisierungsdichte im Bereich des Strafrechts sind
die Regelungen in Art. 67 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV zu beachten, die die Union einerseits zur
Wahrung der Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mit-
gliedstaaten verpflichtet sowie anderseits eine Harmonisierung strafrechtlicher Regelungen unter
den Vorbehalt der Erforderlichkeit stellen.”® In Teilen der Literatur wird daher vertreten, dass be-
sonders grundlegende Bestandteile des nationalen Strafrechts, wie z. B. Fragen zur Bewertung
subjektiver Schuld oder die Zuordnung von Täterschaft und Teilnahme zwar harmonisiert wer-
den können, aber einer strengeren Prüfung von Subsidiarität bzw. Verhältnismäßigkeit”* unter-
worfen seien.” Weitere Stimmen im Schrifttum sehen dagegen vor dem Hintergrund bisheriger
Rechtsakte, in denen ergänzende Vorschriften zur „schonenden Harmonisierung“ allgemeiner
Regelungen getroffen wurden, einen Handlungsspielraum.”* Eine Harmonisierung dürfe jedoch
auch nach dieser Ansicht nicht mit der nationalen Grundstruktur des Strafrechts in Konflikt gera-
ten.?° Das Bundesverfassungsgericht sähe in der Folge bspw. die Aufgabe des strafrechtlichen
Schuldprinzips als verfassungswidrig an.”

3.  Art.83 Abs. 2 AEUV als Kompetenzgrundlage des Richtlinienvorschlags
3.1. Art. 83 Abs. 2 AEUV als Kompetenzgrundlage für die strafrechtlichen Regelungen

Die Vereinbarkeit der strafrechtlichen Vorschriften des Richtlinienentwurfs mit

Art. 83 Abs. 2 AEUV setzt zunächst voraus, dass diese an bestehende Harmonisierungsmaßnah-
men anschließen. Der Richtlinienvorschlag ist eine Weiterentwicklung der bereits bestehenden
Richtlinie 2008/99/EG.?"

24 Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 29; Satzger, in Streinz, EUV/AEUV,
3, Auflage 2018, Art, 83 AEUV, Rn. 41.

25 Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 83 AEUV, Rn. 34;
Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 45.

26 Vgl. zu Subsidiarität bzw. Verhältnismäßigkeit die Ausführungen von Vogel/Eisele, in; Grabitz/Hilf/Nettesheim,
Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 45.

27 Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht. 7. Auflage 2015, Art. 83 AEUV, Rn. 34.

28 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 42; Hecker, Europäisches Strafrecht,
5. Auflage 2015. Seite 375, Rn. 6.

29 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 42; Hecker, Europäisches Strafrecht,
5. Auflage 2015, Seite 375, Rn. 6.

30 Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 364.

31 Siehe oben Fn. 1: Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar
2022, Art. 83 AEUV, Rn. 90; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 83 AEUV, Rn. 27.
8

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 9
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

 

Ferner stellt Art. 83 Abs. 2 AEUV das Kriterium der „Unerlässlichkeit“ der Angleichung der straf-
rechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die wirksame Durchführung der Politik
der Union auf dem betreffenden Gebiet auf. Im Rahmen der Begründung ihres Richtlinienvor-
schlags führt die Kommission ausführlich zur Notwendigkeit strafrechtlicher Sanktionen in den
im Richtlinienvorschlag geregelten Bereichen aus.””

Zunächst verweist die Kommission auf den Umstand, dass kriminelle Handlungen im Zusam-
menhang mit der Umwelt häufig eine grenzüberschreitende Dimension aufwiesen und sich auf
mehrere Länder auswirkten.’ Insoweit stützt sich die Kommission auf den „Report on Eurojust’s
Casework on Environmental Crime“.* Im Hinblick auf die Notwendigkeit der mit dem Richtli-
nienvorschlag präzisierten bzw. neu eingeführten Straftaten verweist die Kommission auf die Er-
kenntnisse der Schlussfolgerungen des Rates zur Festlegung der EU-Prioritäten für die Bekämp-
fung der organisierten und schweren internationalen Kriminalität im EMPACT-Zyklus 2022-
2025.°° Als konkrete Beispiele führt die Kommission insoweit die Abfallkriminalität’® sowie wei-
tere Kriminalitätsbereiche wie schwerwiegende Verstöße gegen das EU-Chemikalienrecht oder
illegales Schiffsrecycling an.”

In der Folge verweist die Kommission auf das potenziell hohe Risiko für die menschliche Ge-
sundheit und die Umwelt der aufgeführten Straftatbestände sowie auf die fehlende Effektivität
bisheriger verwaltungsrechtlicher Sanktionen. Zur Begründung verweist die Kommission am
Beispiel der EU-Holzverordnung®® auf den fehlenden Gleichlauf von Sanktionen innerhalb der
einzelnen Mitgliedstaaten, ein in vielen Fällen zu niedriges Strafniveau sowie einer ungleichen
Durchsetzung in der EU.* Ein weiteres Beispiel der Kommission bezieht sich auf die illegale
Wasserentnahme, zu dessen Begründung sich die Kommission auf den Sonderbericht 2021 des
Europäischen Rechnungshofs mit dem Titel „Nachhaltige Wassernutzung in der Landwirtschaft:

32 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag, Seite 3 ff.

33 Europäische Kommission. Begründung zum Richtlinienvorschlag, Seite 3.

34 Report on Eurojust’s Casework on Environmental Crime (January 2021), Seite 8.

35 Schlussfolgerungen des Rates zur Festlegung der EU-Prioritäten für die Bekämpfung der organisierten und

schweren internationalen Kriminalität im EMPACT-Zyklus 2022-2025 vom 12.05.2021 (8665/21): Europäische
Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag, Seite 4 f.

36 Die Kommission verweist insoweit auf European Union Serious and Organised Crime Threat Assessment
(SOCTA), A corrupting influence: the infiltration and undermining of Europe‘ s economy and society by organi-
sed crime, Europol 2021, Seite 54, Seite 55 f.

37 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag, Seite 5 f.
38 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag, Seite 6.

39 VERORDNUNG (EU) Nr. 995/2010 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20, Oktober
2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen,
Abl. EU 2010, L 295/23.

40 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag (Fn. 1), Seite 6 f.
9

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 10
Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 027/22

 

„GAP-Mittel fördern eher eine stärkere als eine effizientere Wassernutzung“®' bezieht. Nach An-
sicht der Kommission ermöglichen einheitliche Mindeststrafvorschriften für die Definition von
Umweltstraftaten und Sanktionen zudem wirksamere Ermittlungsmethoden und eine bessere Zu-
sammenarbeit in und zwischen den Mitgliedstaaten.” Ferner verweist die Kommission auf die
abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen für die schwerwiegendsten Umweltvergehen
und die Erforderlichkeit der Berücksichtigung fahrlässigen Verhaltens,®

Zur Begründung der Erforderlichkeit der Angleichung strafrechtlicher Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten für die wirksame Durchführung des Umweltrechts hat die Kommission sowohl
normative als auch empirische Belege anführt. In dem dem Richtlinienvorschlag beigefügten Fi-
nanzbogen hat sich die Kommission ferner der Bedeutung des Begriffs der „Unerlässlichkeit“ ge-
widmet, wenn sie ausführt, dass es „als anerkannt [gilt], dass das Strafrecht das letzte Mittel ist,
wenn andere Maßnahmen nicht hinreichend waren, um die Einhaltung der Vorschriften sicher-
zustellen, was sich in diesem Fall für die Durchsetzung des Umweltrechts der Union als unerläss-
lich erweist.“*

Nach einer Ansicht in der Literatur kommt dem Europäischen Gesetzgeber insoweit ein eigener
Beurteilungsspielraum bei der Bewertung zu.* Soweit man dagegen, wie das Bundesverfassungs-
gericht, einen empirischen Nachweis über ein „gravierendes Vollzugsdefizit“ von Unionsrecht
fordert, erscheint dessen Vorliegen anhand der in der Begründung von der Kommission angege-
benen Quellen zumindest nicht ausgeschlossen. ®

Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Richtlinie dem EuGH.

 

41 Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 2021 mit dem Titel „Nachhaltige Wassernutzung in der Landwirt-
schaft: GAP-Mittel fördern eher eine stärkere als eine effizientere Wassernutzung“, siehe dort Ziffer 32, 62 £.;
Europäische Kominission, Begründung zum Richtlinienvorschlag {Fn. 1), Seite 7.

42 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag (Fn. 1), Seite 8.
43 Europäische Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag (Fn. 1), Seite 8.
44 Europäische Kommission, Finanzbogen zum Richtlinienvorschlag (Fn. 1), Seite 55, dort Ziff. 1.4.3,

45 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022,
Art. 83 AEUV, Rn. 93: ebenso Böse, in: Schwarze, EU-Kommenlar, 4, Auflage 2019, Art. 83 AEU'V, Rn. 28;
Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 83 AEUV, Rn. 55:
a. A. Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 31; Suhr, in: Callies/Ruffert,
EUV/AEDV, 6. Auflage 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 24; Hochmayr, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kom-
mentar, EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, Art, 83, Rn. 34.

46 Im Hinblick auf die quantitative Wirksamkeit des Richtlinienvorschlags führt die Kommission aus „Die Richtli-
nie trägt dazu bei, die Wirksamkeit der nationalen Durchsetzungs- und Sanktionssysteme im Hinblick auf Um-
weltkriminalität zu verbessern und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. Wenngleich es nicht möglich
ist, die erwarteten Ergebnisse der Richtlinie über den Umweltschutz insgesamt quantitativ zu erfassen, ist es
doch möglich, die Auswirkungen eines verbesserten Umweltschutzes, zu dem die überarbeitete Richtlinie bei-
trägt, qualitativ zu bewerten.“, Europäische Kommission, Finanzbogen zum Richtlinienvorschlag (Fn. 1),

Seite 55, Ziff, 1.4.3.
10

Zur nächsten Seite