Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG (COM(2021)

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3.2. Harmonisierungsdichte: Eingriff in grundlegende Bestandteile des nationalen Strafrechts

Im Hinblick auf die Frage der Vereinbarkeit der Harmonisierungsdichte des Richtlinienvor-
schlags mit Art. 83 Abs. 2 AEUV sollen zunächst kurz die strafrechtlichen Regelungen des Richt-
linienvorschlags vorgestellt werden und dann der Frage nachgegangen werden, inwieweit diese —
vor dem Hintergrund der Regelung in Art. 67 AEUV - möglicherweise einen Eingriff in grundle-
gende Bestandteile des nationalen Strafrechts darstellen können.

In Art. 1 RL-Vorschlag wird zunächst der Gegenstand der Richtlinie - Mindestvorschriften für
die Definition von Straftatbeständen und Sanktionen zur Gewährleistung eines wirksameren Um-
weltschutzes - festgelegt. Es folgen Begriffsbestimmungen in Art. 2 RL-V orschlag. In Art. 3 RL-
Vorschlag sind die von der Richtlinie vorgesehenen Straftatbestände niedergelegt. Die aufgeführ-
ten Straftatbestände stammen zum Teil aus der bereits geltenden Richtlinie 2008/99/EG” bzw. es
handelt sich um weiterentwickelte Versionen bestehender Straftaten sowie neue Straftatbestände,
wie bspw. die Entnahme von Oberflächen- oder Grundwasser, die den ökologischen Zustand
oder das ökologische Potenzial von Oberflächengewässerkörpern oder den quantitativen Zustand
der Grundwasserkörper erheblich schädigt oder schädigen kann (Art. 3 Abs. 1 lit. k) RL-Vor-
schlag).

Der Richtlinienvorschlag trifft in Art. 4 ff. RL-Vorschlag zudem allgemeine strafrechtliche Vorga-
ben. Zunächst enthält Art. 4 RL-Vorschlag Vorgaben zur Anstiftung, Beihilfe und zum Versuch.
Art. 5 RL-Vorschlag bestimmt Sanktionen gegenüber natürlichen Personen. Davon umfasst sollen
nach Art. 5 Abs. 1 bis 4 RL-Vorschlag zunächst Mindestfreiheitsstrafen sein. Darüber hinaus sieht
Art. 5 Abs. 5 RL-Vorschlag weitere Sanktionsmechanismen wie bspw. die Verpflichtung, den vor-
herigen Zustand der Umwelt innerhalb einer bestimmten Frist wiederherzustellen (lit a), das vo-
rübergehende Verbot einer Kandidatur für gewählte oder öffentliche Ämter (lit. f} oder die natio-
nale oder unionsweite Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung über die Verurteilung
oder die angewandten Sanktionen oder Maßnahmen (lit. g) vor. Art. 6 RL-Vorschlag regelt die
Verantwortlichkeit juristischer Personen. Sanktionsmechanismen gegenüber juristischen Perso-
nen finden sich in Art. 7 RL-Vorschlag, wobei auch dieser Nebenstrafen, wie 2. B. die richterlich
angeordnete Eröffnung des Liquidationsverfahrens (Art. 7 Abs. 2 lit. h) RL-Vorschlag) oder die
Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung über die Verurteilung oder die angewandten
Sanktionen oder Maßnahmen (Art. 7 Abs. 2 lit. k) RL-Vorschlag), vorsieht.

Regelungen zu erschwerenden sowie mildernden Umständen sind in den Art. 8 und Art. 9 RL-
Vorschlag niedergelegt. Nach Art. 8 RL-Vorschlag haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass
die in Art. 8 lit. a) bis j) RL-Vorschlag genannten Umstände als erschwerende Umstände der in
den Art. 3 und Art. 4 RL-Vorschlag genannten Straftaten gelten, sofern diese Umstände nicht be-
reits ein Tatbestandsmerkmal der in den Art. 3 RL-Vorschlag genannten Straftaten sind. Ferner
sieht Art. 9 RL-Vorschlag vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die in Art. 9 lit. a) und
b) RL-Vorschlag genannten Umstände als mildernde Umstände gelten.

In Art. 11 RL-Vorschlag sind konkrete (Mindest-)Verjährungsregeln für die in Art. 3 und 4 RL-
Vorschlag aufgeführten Straftatbestände vorgesehen. Diese reichen von mindestens 10 Jahren für

 

47 RICHTLINIE 2008/99/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 19. November 2008 über
den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, ABl, EU 2008, 1. 328/28.
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Straftaten im Sinne der Art. 3 und Art. 4 RL-Vorschlag (Art. 11 Abs. 2 lit. a) RL-Vorschlag) bis zu
4 Jahren für Straftaten im Sinne der Art. 3 und 4 RL-Vorschlag (Art. 11 Abs. 2 lit. c) RL-Vor-
schlag). Art. 12 RL-Vorschlag trifft ferner Vorgaben zur gerichtlichen Zuständigkeit für Straftaten
gemäß Art. 3 und Art. 4 RL-Vorschlag. Auffällig ist insoweit die Anknüpfung an den gewöhnli-
chen Aufenthaltsort des Täters gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d) RL-Vorschlag.

Unter Berücksichtigung der Regelungen in Art. 67 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV stellt sich die Frage
der zulässigen Harmonisierungsdichte des Art. 83 Abs. 2 AEUV hinsichtlich der vorgenannten
strafrechtlichen Vorgaben des Richtlinienentwurfs.“* Im Hinblick auf die Harmonisierungsdichte
könnten Anhaltspunkte für (erhebliche) Eingriffe in die Grundstruktur der nationalen Strafrechts-
ordnungen erkennbar sein.“ Diese könnten sich bspw. aus den vorgenannten Nebenstrafen in
Art. 5 Abs. 5 lit. f) und lit. g) RL-Vorschlag bzw. Art. 7 Abs. 2 lit. h und lit. k) RL-Vorschlag bzw.
der Bestimmung des Gerichtsstands gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d) RL-Vorschlag ergeben.‘ Die dort
genannten Nebenstrafen bzw. die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Täters
sind dem deutschen Strafrecht im Grundsatz unbekannt.

In der Vergangenheit haben sich bspw. der Bayerische Landtag bzw. der Bundesrat insoweit zu
dem Richtlinienvorschlag geäußert. Nach Ansicht des Bayerischen Landtags greift der Richtli-
nienvorschlag aufgrund seiner Vorgaben zu konkreten Sanktionsformen, Maßnahmen neben der
eigentlichen Kriminalstrafe und zur Strafzumessung ohne Notwendigkeit tief in nationale Sankti-
onssysteme ein.’' In eine ähnliche Richtung argumentiert der Bundesrat in seinem Beschluss
vom 08.04.2022, der insbesondere in den Regelungen der Art. 5 und Art. 7 RL-Vorschlags erheb-
liche Eingriffe in die Sanktionssysteme der Mitgliedstaaten sieht.”

Eine abschließende Entscheidung zu den insoweit bestehenden Grenzen der Kompetenz aus
Art. 83 Abs. 2 AEUV obliegt nach Verabschiedung der Richtlinie dem EuGH.

— Fachbereich Europa -

 

48 Siehe dazu die Ausführungen oben unter Ziff. 2.3.

49 Siehe dazu oben unter Ziff. 2.3.

50 Siehe oben.

51 Beschluss des Bayerischen Landtags vom 23.02.2022, Drs. 18/21328. Seite 2.

52 Vgl. dazu auch die Einschätzung des Bundesrates im Beschluss vom 8.4.2022 (BR-Drs. 27/22 Beschluss),
Ziff. 14, Seite 7.
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