Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union
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FrTage u) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa 3 MD Deutscher Bundestag Ausarbeitung Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union © 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 059/21

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 2 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 1 nn m Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 059/21 Abschluss der Arbeit: 1. November 2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages. eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder, Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.

Seite 3 Unterabteilung Europa Ausarbeitung Fachbereich Europa PIE 6 - 3000 - 059/21 —. .— . Inhalitsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Art. 5 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union 4 3. Bewertung des überarbeiteten Art. 5 Abs. 3 5 4. Zusammenfassung 8

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 4 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 „a . Einleitung Der Fachbereich Europa ist um die Beantwortung der Frage ersucht worden, ob die vom Auftraggeber mitgeteilte Fassung des Art. 5 Abs. 3 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union, die nach dessen Ansicht die Verwendung von verbindlichen Kriterien in Form von festen prozentualen Teilen am jeweiligen nationalen Median- oder Durchschnittslohn zur Beurteilung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne vorschreibt, mit Art. 153 Abs. 5 AEUV vereinbar wäre. DS . Art. 5 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 5 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 Il! 3. Bewertung des überarbeiteten Art. 5 Abs. 3 Um die Vereinbarkeit des überarbeiteten Art. 5. Abs. 3 mit Art. 153 Abs. 5 AEUV beurteilen zu können, bedarf es einer Gesamtschau des überarbeiteten Richtlinienentwurfs. u

Arne nenne men Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 6 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 a . . —.—.,. —.—.—.—. Regelung des AEUV Art. 153 AKUV ist die zentrale Kompetenzgrundlage für die Sozialpolitik der Union und insbesondere das Arbeitsrecht. Für die in Art. 153 Abs. 1lit. a bis i AEUV ausdrücklich genannten Bereiche besitzt die Union eine Richtlinienkompetenz (vgl. Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV) im Rahmen einer geteilten Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten (nach Art. 4 Abs. 2 lit. b) AEUV).? Dabei hat die Union das Subsidiaritätsprinzip und den Verhältnismäßigkeits- grundsatz (Art. 5 Abs. 3, 4 EUV) zu beachten. Art. 153 Abs. 1 lit. b AEUV benennt die Arbeitsbedingungen als Regelungsgegenstand mit dem die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt. Was an dieser Stelle unter diesem Begriff zu verstehen ist, ist nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht insoweit, dass jedenfalls der Inhalt und die Begründung von Arbeitsverhältnissen von ihm erfasst sind und in den Grenzen des Art. 153 Abs. 5 AEUV auch das Arbeitsentgelt dazu zählt.'° Der Generalanwalt führte dazu aus, dass das Arbeitsentgelt „eine wesentliche Arbeitsbedingung darlstellt], vielleicht sogar die wichtigste [...]“."' Art. 153 Abs. 5 AEUV ist mit dem EuGH’? als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und schließt lediglich die Festlegung der Höhe des Arbeitsentgeltes aus, nicht jedoch sämtliche Regelungen, die in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Arbeitsentgelt stehen.‘ Der EuCH führte zu Art. 153 Abs. 5 AEUV aus. „dass diese Ausnahme so zu verstehen ist, dass sie sich auf Maßnahmen wie eine Vereinheitlichung einzelner oder aller Bestandteile und/oder der Höhe der Löhne und Gehälter oder die Einführung eines Mindestlohns bezieht, mit denen das Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung der Arbeitsentgelte innerhalb der Union eingreifen würde. Sie lässt sich jedoch nicht auf alle mit dem Arbeitsentgelt in irgendeinem Zusammenhang stehenden Fragen erstrecken, ohne dass einige in Art. 153 Abs. 1 AEUV aufgeführte Bereiche eines großen Teils ihrer Substanz beraubt würden [...].“* Auch zur gleichlautenden Vorgänger- vorschrift urteilte er bereits, dass die Ausnahmevorschrift der Union „eine Gesetzgebungs- zuständigkeit für die Festlegung eines Mindestlohns auf Gemeinschaftsebene versage“, aber einer 8 Rebhahn/Reiner, in: Schwarze, EU-Kommenter, 4. Auflage 2019. Art. 153 AEUV, Rn. 1. Vgl. dazu auch Meyer, ZESAR 2020, 201 (205). Langer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 153 AEUV Rn. 20; Meyer, ZESAR 2020, 201 (205) und Maul-Sartori, in; Boecken/Düwel//Diller/Hanau. Gesarntes Ar- beitsrecht, 1. Auflage 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 23, subsumieren darüber hinaus das gesamte Arheitsver- tragsrecht unter die Arbeitsbedingungen im Sinne des Art. 153 Abs. 1 lit b AEUV. 11 > rn 2 . Schlussanträge des Generalanwalts in den verb. Rs. C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C 541/12, Rn. a8 EuGH, Urt. v. 19 .06.2014, verb. Rs. G-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-54 1/12 Rn. 33; EuGH. Urt V - 3 10.06.2010. verb. Rs, C-395 /08 und ut /0 ’ Rn. 3 5; KuGl v Urt. . 15.04.2008 Rs. C-268/06 Rn. 3 7, 95 G-3% 8 zu A V DNS 26 ‘ Meyer, ZESAR 2020, 201 (205); Maul-Sartori, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanan. Ges 1. Auflage 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 24. amtes Arbeitsrecht, 14 RUC r EuGH, Urt. v. 19.06.2014, verb. Rs. C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12 Rn. 33

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 7 Vachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 „Einbeziehung von Materien wie Arbeitsentgelt und Versorgungsbezüge in den Begriff ‚Arbeitsbedingungen' [...] nicht entgegenstehe“.' Die Regelung des Art. 153 Abs. 5 AEUV beschränkt aber jedenfalls dann die Richtlinienkom- petenz der Union, soweit es um die unmittelbare Festsetzung der Höhe eines Mindestlohns geht." Insoweit dürfte sie auch keine verbindlichen Kriterien vorgeben, etwa in Form eines festen prozentualen Teils am jeweiligen nationalen Median- oder Durchschnittsichn. u | Überarbeiteter Richtlinienentwurf - a EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Rn. 35. - = Kocher, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRV/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 153 AEUV Rn. 120; Gutachten des Juristischen Dienstes vom 9. März 2021. Rn. 60. 68. Ratsdoknr. 681 7124, VS-NfD u je Meyer, ZESAR 2020, 201 (205); Rebhahn/Reiner, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4, Auflage 2019, Art. 153 AEUV. Rn. 64; 2.A. wohl Botsch/Hochscheidt, Soziale Sicherheit 8-9/2020, 296 (297, 299).

Unterabteilung Europa Ausarbeitung Seite 8 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 059/21 - > Zusammenfassung Eine solche Regelung ist nach hiesiger Auffassung mit Art. 153 Abs. 5 AEUV vereinbar, da keine (relative) Festsetzung der Höhe des Arbeitsentgelts erfolgt. Die Mitgliedstaaten werden „ledig- lich“ zur Verwendung von Richtwerten — wobei beispielhaft 60% des Bruttomedianlohns bzw. 50% des Bruttodurchschnittslohns genannt werden - zur Beurteilung der Angemessenheit eines gesetzlichen Mindestlohns angehalten. - Fachbereich Europa -
