OVG 6 S 68/22

/ 6
PDF herunterladen
beglaubigte Abschrift




             OBERVERWALTUNGSGERICHT
               BERLIN-BRANDENBURG

                                BESCHLUSS
OVG 6 S 68/22
VG 27 L 250/22 Berlin

In der Verwaltungsstreitsache
des Herrn Arne Semsrott,
c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.,
Singerstraße 109, 10179 Berlin,
                                            Antragstellers und Beschwerdeführers,
bevollmächtigt:
Rechtsanwälte Beiler, Karl, Platzbecker & Partner,
Palmaille 96, 22767 Hamburg,


                                   gegen


die Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Büro Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder
zuletzt c/o Deutscher Bundestag,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
                                        Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
bevollmächtigt:
HLP. Heiermann Losch Rechtsanwälte,
Marienstraße 9-11, 30171 Hannover,




                                                                             -2-
1

-2-



hat der 6. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Buchheis-
ter, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Rudolph und den Richter am Ober-
verwaltungsgericht Panzer am 9. Februar 2023 beschlossen:


       Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwal-
       tungsgerichts Berlin vom 28. November 2022 wird zurückgewiesen.


       Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.


       Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.




                                     Gründe


Der Antragsteller ist freier Journalist und Projektleiter des Online-Portals „Frag-
DenStaat“. Mit seiner Beschwerde verfolgt er seinen erstinstanzlich gestellten An-
trag weiter, das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Auskunft zu folgenden Fragen zu
erteilen:


      1. Welche Gesprächstermine (Datum und Gesprächspartner) hat das Büro
      des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder für Herrn Schröder in den Jah-
      ren 2019, 2020, 2021 und 2022 vereinbart?


      2. Bei welchen der im Antrag zu 1) bezeichneten Termine ist das Thema des
      Termins bekannt?


      3. Welche der im Antrag zu 1) bezeichneten Termine standen oder stehen in
      einem Zusammenhang mit Energiepolitik oder den Unternehmen Gazprom,
      Nord Stream 2 oder Rosneft?


Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das gemäß
§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwal-
tungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des angefoch-
tenen Beschlusses.




                                                                              -3-
2

-3-



Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass ein Obsiegen des Antragstellers
im Hauptsacheverfahren nicht – wie für die begehrte Vorwegnahme der Hauptsa-
che erforderlich – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Der dem Antrag-
steller als Vertreter der Presse zur Seite stehende verfassungsunmittelbare Aus-
kunftsanspruch gehe gegenüber dem „Büro Bundeskanzler a.D. Gerhard
Schröder“ zurzeit ins Leere, weil diese Behörde wegen einer Unterbrechung ihrer
Tätigkeit für eine solche Auskunftserteilungsverpflichtung derzeit nicht zur Verfü-
gung stehe. Das nach dem Beschluss des erkennenden Senats vom 16. August
2022 – OVG 6 S 37/22 – (juris) dem Grunde nach als auskunftspflichte Stelle an-
zusehende Büro sei derzeit auf der Grundlage des Beschlusses des Haushalts-
ausschusses des Deutschen Bundestages vom 19. Mai 2022 ruhend gestellt.
Ausweislich der plausiblen Auskunft der Antragsgegnerseite stehe dort Personal
nicht mehr zur Verfügung und sei der Betrieb des Büros inzwischen eingestellt
worden. Die Ruhendstellung habe somit im Ergebnis zumindest eine Unterbre-
chung des Vorhandenseins dieses Büros – im rechtlichen Sinnen als einer organi-
satorischen Einheit von Personen und sächlichen Mitteln – und der tatsächlichen
Tätigkeit dieser Stelle zur Folge. Sei aber die im Grundsatz auskunftspflichtige
Behörde zurzeit nicht vorhanden, könne sie folglich auch nicht für eine Auskunfts-
verpflichtung in Anspruch genommen werden.


Die hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Soweit der Antragsteller
rügt, das Verwaltungsgericht habe sich über den Senatsbeschluss vom 16. August
2022 (OVG 6 S 37/22) hinweggesetzt, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Er-
folg. Anders als der Antragsteller meint, verhält sich der genannte Beschluss nicht
zu der Frage, ob die „Ruhendstellung“ des Büros des Bundeskanzlers a.D.
Gerhard Schröder einen möglichen presserechtlichen Auskunftsanspruch gegen-
über diesem Büro tangiert. In den Gründen des Beschlusses finden sich keinerlei
Feststellungen zu einer Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D.
Gerhard Schröder. Diese Frage war im Beschwerdeverfahren OVG 6 S 37/22
auch nicht entscheidungserheblich, denn es war allein darüber zu entscheiden, ob
das Verwaltungsgericht Berlin es im Ergebnis zu Recht abgelehnt hatte, das Bun-
deskanzleramt als auskunftspflichtige Stelle im Wege einstweiliger Anordnung zu
einer Erteilung von Auskünften zu verpflichten. Die Beschwerde wurde mit der
entscheidungstragenden Begründung zurückgewiesen, dass das Bundeskanzler-




                                                                              -4-
3

-4-



amt in Bezug auf das konkrete Auskunftsersuchen nicht passivlegitimiert sei; denn
bei dem Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder handele es sich nicht
um einen Teil des Bundeskanzleramts, sondern um eine eigenständige Behörde
im presserechtlichen Sinne, die in Bezug auf das streitgegenständliche Aus-
kunftsersuchen dem Grunde nach (selbst) auskunftspflichtig sei.


Anders als der Antragsteller meint, ist das Verwaltungsgericht auch nicht unter
Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft von
einer Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder aus-
gegangen. Das Verwaltungsgericht hat sich auf das vom Antragsteller vorgelegte
Schreiben des Bundeskanzleramts an den Leiter des Büros des Bundeskanzlers
a.D. Gerhard Schröder vom 10. Juni 2022 sowie auf die schlüssigen Angaben der
Antragsgegnerseite gestützt, dass in dem Büro Personal nicht mehr zur Verfü-
gung stehe und der Betrieb des Büros mittlerweile eingestellt sei. Damit ist der
Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), die im Eilrechtsschutzverfahren in
einem Spannungsverhältnis mit der Pflicht zur Gewährung effektiven Rechts-
schutzes steht, genügt. Auf die vom Antragsteller angeführten Bedenken an der
rechtlichen Zulässigkeit, das Büro eines ehemaligen Bundeskanzlers durch eine
Entscheidung des Haushaltsausschusses ruhend zu stellen, kommt es für Richtig-
keit der vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellung nicht an.


Soweit der Antragsteller meint, dass die Ruhendstellung des Büros des Bundes-
kanzlers a.D. Gerhard Schröder jedenfalls nicht die Erfüllung presserechtlicher
Auskunftsansprüche hindern könne, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht
zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass der im Presse-
recht zu Grunde zu legende funktionelle Behördenbegriff unter anderem eine „or-
ganisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ voraussetze (vgl.
Senatsbeschluss vom 16. August 2022 – OVG 6 S 37/22 – juris Rn. 13), die mit
der Ruhendstellung des Büros des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder nicht
mehr gegeben sei, so dass zumindest von einer Unterbrechung des Vorhandens-
eins der Behörde im presserechtlichen Sinne ausgegangen werden müsse. Der
Einwand des Antragstellers, dass eine Ruhendstellung keine Auflösung sei, son-
dern lediglich ein Pausieren des aktuellen Betriebs der Behörde, wodurch die ggf.
spätere Erfüllung von Auskunftspflichten nicht tangiert werde, führt nicht weiter.
Dass keine Auflösung des Büros erfolgt sein mag, belegt für sich genommen




                                                                              -5-
4

-5-



nicht, dass das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder als Behörde im
oben beschriebenen funktionellen Sinne fortbestehen würde. Entsprechendes gilt
für den Hinweis des Antragstellers, dass er auf eine an das Büro gerichtete E-Mail
vom 17. August 2022 eine automatische Antwort erhalten habe und an das Büro
gesandte Post an eine von Gerhard Schröder bereitgestellte Anschrift in Hannover
weitergeleitet worden sei.


Ohne Erfolg macht der Antragsteller schließlich unter Bezugnahme auf das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2016 – 7 C 2.15 – (juris Rn. 44)
geltend, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass
die Ruhendstellung vor der Erfüllung seiner Presseanfrage, die über zwei Monate
vor der Entscheidung über die Ruhendstellung bei dem Büro des Bundeskanzlers
a.D. Gerhard Schröder eingegangen sei, nicht vollzogen werden könne. Das vom
Antragsteller angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betraf einen An-
spruch auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz, in dem das
Vorhandensein einer Behörde – auch wenn diese sich in Abwicklung befand und
nur noch über 1,5 Mitarbeiter verfügte – nicht in Frage stand. Im vorliegenden
Verfahren ist aber im nach der Senatsrechtsprechung maßgeblichen Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung (vgl. Urteil vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris
Rn. 33; Beschluss vom 30. Dezember 2016 – OVG 6 S 29.16 – juris Rn. 27) keine
Stelle vorhanden, die für eine Auskunftsverpflichtung in Anspruch genommen
werden könnte. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Pflicht zur Abfrage
„präsenten dienstlichen Wissens“ bei Gerhard Schröder aus. Zwar gewährleistet
der    verfassungsunmittelbare      presserechtliche    Auskunftsanspruch       aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Zugang zu allen bei einer Bundesbehörde tatsächlich
vorhandenen Informationen, wozu auch auf dienstliche Vorgänge und Wahrneh-
mungen bezogene Informationen gehören, die zwar nicht verschriftlicht bzw. nicht
aktenkundig gemacht wurden, aber in Form präsenten dienstlichen Wissens der
Beschäftigten der auskunftspflichtigen Stelle bei dieser Stelle vorliegen und ggf.
abzufragen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris Rn.
47). Eine Pflicht der auskunftspflichtigen Stelle zur Abfrage präsenten dienstlichen
Wissens bei ihren Beschäftigten setzt jedoch voraus, dass im maßgeblichen Zeit-
punkt der gerichtlichen Entscheidung eine potenziell auskunftspflichtige (Bundes-)
Behörde existiert. Daran fehlt es hier. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Auf-
gaben an anderer Stelle fortgeführt werden im Sinne einer Funktionsnachfolge




                                                                               -6-
5

-6-



oder eine Abwicklung durch eine Stelle stattfindet, gegen die sich Auskunftsan-
sprüche richten könnten.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat we-
gen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Auf-
fangwertes absieht.


Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m.
§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).




Buchheister                         Panzer                          Rudolph
6