Lagebericht Bosnien und Herzegowina 2021
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Aktueller Lagebericht zu Bosnien und Herzegowina“
Die Lageberichte des Auswärtigen Amts sind Grundlage für fast alle Asylverfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten. Sie sind nicht öffentlich zugänglich und als Verschlusssache eingestuft. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weist Anwält:innen sogar auf eine mögliche Strafbarkeit hin, sollten sie die Berichte weitergeben. Deswegen sorgen wir jetzt gemeinsam mit Pro Asyl selbst für Transparenz.
Diese Anfrage wurde als Teil der Kampagne „Lageberichte des Auswärtiges Amts“ gestellt.
VSNfürden-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft AUSWÄRTIGES AMT Gz: 508-516.80/3 BIH Berlin, 05.04.2021 VS-NIDD Bericht zur Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: Februar 2021) Grundsätzliche Anmerkungen: 1. Auftrag: Das Auswärtige Amt erstellt Lageberichte in Erfüllung seiner Pflicht zur Amtshilfe gegenüber Behörden und Rechts- und Gerichten des Bundes und der Länder 99 Abs. 1 VwGO). Insoweit wird auf die Entscheidung des BVerfG vom (Art. 35 Abs. 1 GG, $$ 14, zu sicheren Herkunftsstaaten besonders hingewiesen, in der es heißt: 14.05.1996 (BVerfGE 94, 115) Verfassung dem Gesetzgcber die "Angesichts der Tatsache, dass die Einschätzung von Auslandssachverhalten aufgibt..., fällt gerade den Auslandsvertretungen eine Verantwortung zu, die sie zu besonderer Sorgfalt bei der verpflichtet, da diese sowohl für den Gesetzgeber wie für die Abfassung einschlägigen Berichte ihrer wesentliche Exekutive eine schließlich in Entscheidungs-grundlage bilden." Das Auswärtige Amt erstellt daher Lageberichte aus- eigener Verantwortung. 2. Funktion: Lageberichte sollen vor allem dem Bundesamt für Verwaltungsgerichten als Migration und Flüchtlinge und den der bei ihrer Entscheidungshilfe in Asylverfahren, aber auch den Innenbehörden der Län- Entscheidung über die Abschiebung ausreisepflichtiger Personen dienen. In ihnen stellt das Auswärtige Amt asyl- und abschiebungsrelevante Tatsachen und rechtliche Schlussfolgerungen aus der tatsächlichen Ereignisse dar. Wertungen und richte selbst vorzunehmen. Lage haben die zuständigen Behörden und Ge- 3. Ergänzende Auskünfte: Uber wird das Auswärtige Amt Lageberichte hinausgehende Anfragen von Behörden und Gerichten beantworten, soweit die Anfragen einen konkreten tatsächlichcn Sachver halt zum Gegenstand haben. Die Beantwortung von Fragen, die bereits in der Fragestellung eine recht- liche Wertung enthalten (z. B. "Besteht für den Kläger das Risiko einer politischen Innenbehörden, nicht aber des Auswärtigen Verfolgung?"), in die Zuständigkeit der Gerichte bzw. fällt Amts. 4. Quellen: Die Auslandsvertretungen sind angewiesen, sämtliche vor Ort zur Verfügung stehenden Erkenntnisse auszuwerten. Dies gilt insbesondere für Erkenntnisse lokaler vor Ort vertretener Nichtregierungsorganisationen. Menschenrechtsgruppen und Weitere Erkenntnisquellen sind Oppositionskreise, Rechtsanwälte, Botschaften westlicher Partnerstaa- ten, internationale Organisationen wie z.B. UNHCR oder IKRK, Personen. Darüber hinaus tauscht das Auswärtige Amt Regierungskreise sowie abgeschobene regelmäßig mit Vertretern von Nichtregierungs- organisationen (NROs) und dem UNHCR Informationen über die Lage in einzelnen Herkunftsländern Dadurch sowie durch stets mögliche schriftliche aus. Stellungnahmen HCR die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse zu den in den erhalten die NROs und der UN- Lageberichten dargestellten Sachverhalten ein- zubringen. 5. Aktualität:Lageberichte berücksichtigen die dem Auswärtigen Amt bekannten Tatsachen und Er- eignisse bis zu dem jeweils angegebenen Datum der Erstellung. Die auch HinweisenderaufLageberichte erfolgt in regelmäßigen Zeitabständen. Dabei geht das Auswärtige AmtAktualisierung evtl. in den Lageberichten enthaltene inhaltliche Unrichtigkeiten nach. Bei einer gravierenden, plötzlich eintretenden Veränderung der Lage erstellt das Auswärtige Amt einen ad hoc-Bericht. Wenn dies nicht möglich ist, werden die Empfängerinnen hingewiesen, dass der betreffende Lagebericht nicht mehr der aktuellen und Empfänger darauf Lage entspricht. Bei Anhalts- punkten für eine Veränderung der Lage, die den Empfängerinnen und Empfängern bekannt geworden sind, steht das Auswärtige Amt darüber hinaus jederzeit für auch telefonische- Auskünfte zur Verfü- gung. 6. Einstufung: Lageberichte sind als "Verschlusssache Nur für den - Dienstgebrauch" eingestuft. Nur dieses restriktive Weitergabeverfahren stellt sicher, dass die Berichte ohne Rücksichtnahme auf au- Benpolitische Interessen formuliert werden können. Die Schutzbedürftigkeit ist auch aus Gründen des Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten

VSNur-für den-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS cingestuft Que lenschutzes und in Einzelfillen sogar im Interesse der persönlichen Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes geboten. Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass die Lageberichte nicht an Dritte, die selbst weder verfah- rensbeteiligt noch verfahrensbevollmächtigt in einem anhängigen Verfahren sind, weitergegeben wer den dürfen. Die unbefugte Weitergabe dieser Informationen durch verfahrensbevollmächtigte Rechts anwältinnen oder Rechtsanwälte stellt einen Verstoß gegen berufliches Standesrecht dar (§ 19 der an- waltlichen Berufsordnung) und kann entsprechend geahndet werden. Das Auswärtige Amt hat keine Einwände gegen die Einsichtnahme in diesen Lagebericht bei Verwal tungsgerichten durch Prozessbevollmächtigte, wenn die Bevollmächtigung in einem laufenden Verfah- ren nachgewiesen ist. Aus Gründen der Praktikabilität befürwortet das Auswärtige Amt, dass die Ein- Sichtnahme unabhängig von ötlicher und sachlicher Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, bei dem der/die Prozessbevollmächtigte im Einzelfall Einsicht nehmen möchte, möglich ist. 7. Besondere Hinweise zum Lagebericht Bosnien und Herzegowina: Der Bericht beruht vorrangig auf Erkenntnissen, die die Botschaft Sarajewo im Rahmen ihrer Kontakte und Recherchen gewonnen hat. Ausgewertet wurden Pressemitteilungen, Berichte, Communiqués und Meldungen in Bosnien und Herzegowina ansässiger internationaler Organisationen und Missionen (EU, Europarat, ICMP, 1OM, OHR, OSZE, UNDP, UNICEF, WHO u.a.), die Berichte des US Department of State sowie Mitteilun- gen und Berichte von Nachrichtenagenturen und NROs (Helsinki-Komitee, Amnesty International u.a.). Es sind insbesondere folgende Quellen verwendet worden: European Commission, Opinion on BIH's EU membership application and analytical report Mai 2019 European Commission, Bosnia and Herzegovina 2020 Report vom 6.10.2020 Human Rights Watch World Report 2020: Country Chapter Bosnia and Herzegovina Transparency International, Corruption Perceptions Index 2020 US State Department, Bosnia and Herzegovina 2019 Human Rights Report US State Department, Bosnia and Herzegovina 2019 International Religious Freedom Report US State Department, Bosnia and Herzegovina 2020 Trafficking in Persons Report Amnesty International, Report November 2019 BiH OHCHR: Committee against Torture. Concluding observations (2017) CAT/C/BIHICO/6 (Stand: Dezember 2017, URL: http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Down- load.aspx?symbolno=CAT/C/BIH/CO/6&Lang=En, letzter Zugriff: Februar 2021) OHCHR: Committee on the Rights of Persons with Disabilities. Concluding observations (2017) CRPD/C/BIH/CO/1 (Stand: Mai 2017, URL: http://tbinternet.ohchr.org/ layouts/treatybodyex- ternal/Download.aspx2svmbolno=CRPDIC/BIH/CO/1&Lang=En, letzterZugriff. Feb.2021) European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, CPT (2015) (Stand: März 2018, URL:https://www.coe.int/en/web/cpt/-/council of-europe-anti-torture-committee-publishes-response-of-the-authorities-of-bosnia-and-herze- govina, Letzter Zugriff Februar 2021) Föderales Statistikamt und Amt für Statistik der Republika Srpska. 8. Karte von Bosnien und Herzegowina: https://www.un.org/Depts/Cartographic/map/profile/bosnia.pdf Das Auswärtige Amt übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit des Inhalts der Karte. Es ist beabsichtigt, den Bericht zweijährlich zu aktualisieren. Auswärtiges Amt 2021 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruek verboten 2

VS Nur-für den-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung (NEU). ************** 4 I. Allgemeine politische Lage... ************. ****see*ae********e****** *************.*. 0 1. Verfassung/Politisches System ... 2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen . 3. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs. ***********************'***** 8 II. Asylrelevante Tatsachen. 1. Staatliche Repressionen... ***** .. O 1.1. Politische Opposition . . . 9 ******°****°**** ****°***'*****"**************************°°****: 1.2. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit... * * * * * 9 1.3. Minderheiten. 10 1.4. Religionsfreiheit..************************************ ** * ********.****** 11 1.5. Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis.. 11 1.6. Militärdienst.. . . . 11 1.7. Handlungen gegen Kinder... ***** ******* *********************************** 12 1.8. Bedingungen für Menschen mit 1.9. Geschlechtsspezifische Verfolgung.. Behinderung. 1 2 **** . . 13 1.10 Exilpolitische Aktivitäten.. ********************************°*** ****** 14 2. Repressionen Dritter.. ******* . . 14 3. Ausweichmöglichkeiten.. ******°************ *********. . . 14 III. Menschenrechtslage.. ********°*******e***********************.* ***** . 14 1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung... ** **°**** 14 2. Folte... 15 3. Todesstrafe... **'* 16 ********" 4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen..**'******* *'****'*** ***. 6 5. Lage ausländischer Flüchtlinge.. **********'***************°**********'*******°* .. 17 IV. Rückkehrfragen... °°*°*°°****°°°* 1 8 1. Situation für Rückkehrer.. 1 8 1.1 Grundversorgung.. *************'** ****. **********. 18 1.2 Medizinische Versorgung.*************************************** 18 ****** 2. Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern... 20 . 3. Einreisekontrollen . . 21 * * * * ***. 4. Abschiebewege..... 21 **** ** *****"**** V. Sonstige Erkenntnisse über asyl- und abschieberechtlich relevante Vorgänge...21 1. Echtheit der Dokumente. *** * * * . 2 1 1.1. Echte Dokumente unwahren Inhalts...****** ****..... 2 21 1.2. Zugang zu gefälschten Dokumenten... ******. 22 2. Zustellungen... *************** ***.***********. 22 3. Feststellung der Staatsangehörigkeit.. ******* 22 4. Ausreisekontrollen und Ausreisewege. ************* 23 4.1. Ausreisekontrollen ... **** *****"**. 23 4.2.Ausreisewege.. ******. 23 O Auswärtiges Amt 2021 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten 3

VSNur-für den-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft Zusammenfassung Bosnien und Herzegowina hat sich zur EU-Perspektive bekannt und im Februar 2016 formal den EU-Beitritt beantragt. Die Mitgliedschaft in der EU ist gemeinsames Ziel aller politischen Akteure. Die Stellungnahme der EU-Kommission vom Mai 2019 identifiziert 14 Schwerpunkt bereiche, in denen substanzielle Fortschritte vor Eröffnung von Beitrittsverhandlungen erzielt werden müssen, darunter Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Der Staat Bosnien und Herzegowina ist in zwei relativ autonome Teile (,Entitäten") unterglie- dert: die Föderation Bosnien und Herzegowina und die Republika Srpska Gemäß der Verfassung stehen die Grundrechte allen Personen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit grundsätzlich in gleicher Weise zu. Die Verfassung legt allerdings auch einen ethnischen Proporz der drei konstituierenden Völker - Bosniaken, bosnische Serben und bosni- sche Kroaten fest (z. B. Staatspräsidentschaft als Dreierpräsidium), zudem ist das passive Wahlrecht von Bürgerinnen und Bürgern, die nicht einem der drei konstituierenden Völker an- gehören, beschränkt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies in mehreren Urteilen beanstandet. Die noch nicht erfolgte Umsetzung des wichtigsten Urteils (,Sejdic- Finci") ist ein zentrales Thema des EU-Annäherungsprozesses. Die persönliche Freiheit oder das Leben des Einzelnen sind durch staatliche Stellen nicht ge- fährdet. Es herrscht grundsätzlich Religions-, Vereins- und Versammlungsfreiheit. Eine Be- schränkung der Betätigungsmöglichkeiten für die politische Opposition durch den Staat und seine Organe erfolgt nicht. Es gibt keine Hinweise auf systematische Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure. Dennoch bleibt die Verbesserung der menschenrechtli- chen Lage in Bosnien und Herzegowina eine wichtige Voraussetzung für die EU-Annäherung des Landes. Die im Mai 2019 veröffentlichte Stellungnahme der EU-Kommission zum EU- Beitrittsantrag mit ihren 14 Prioritäten benennt u.a. den Schutz von Bürgerrechten, Recht auf Leben und Verbot von Folter, Garantien für Meinungs- und Medienfreiheit und den Schutz von Journalisten sowie besseren Schutz und Inklusion von vulnerablen Gruppen als notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der EU-Mitgliedschaftskriterien. Die Umsetzung der 14 Prio- ritätenerfolgt allerdings nurlangsam Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde von Bosnien und Herzegowina am 12. Juli 2002 ratifiziert. Laut Verfassung (Artikel 2) gilt sie mit ihren Zusatzprotokollen direkt und un- mittelbar. Sie hat Vorrang vor allen anderen Gesetzen. Bosnien und Herzegowina ist Signatar staat des Intermationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Die Todesstrafe ist ab Auswärtiges Amt 2021 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten 4

VSNur-für den-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft geschafft. Beide Entitäten haben die Todesstrafe aus ihren Strafgesetzbücherm gestrichen. Ar- tikel 11 der Verfassung der Entität Republika Srpska, welcher noch redaktionell die Todesstrafe für Kapitalverbrechen vorsah, wurde mit Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichts vom 04. November 2019 entfernt. Unter 180 Ländern des ,Corruption Perception Index" von Transparency International nimmt BIH den 111. Platz ein und gehörte 2020 zu den beiden Län- dern, in denen sich die Lage am stärksten verschlechtert hat. Es gibt ein Minderheitenschutzgesetz., nach dem das Europäische Rahmen- übereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten unmittelbar angewandt wird und das integraler Bestandteil des nationalen Rechtssystems ist. Anhaltspunkte für eine Praxis systema- tischer Verfolgung bestimmter Personengruppen sind nicht gegeben. Angehörige der Roma-Minderheit (zu der vor Ort im weiteren Sinne auch die Angehörigen anderer ethnischer Minoritäten gezählt werden) sind in vielen Belangen nach wie vor gesell- schaftlich benachteiligt und leben häufig in einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage. Ihr Zugang zu staatlichen Leistungen - etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich - ist teilweise eingeschränkt, da viele Roma über keinen registrierten Wohnsitz verfügen, der Vo- raussetzung für Krankenversicherungsschutz ist. Ein Antidiskriminierungsgesetz ist in Kraft. Bosnien und Herzegowina verfügt seit 2008 über cineumfassende Aufenthalts- und Asylgesetzgebung Des Weiteren gibt es die Institution des Ombudsmannes für Menschenrechtsverletzungen. Fomal sind die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurüickweisung nach der Genfer Fldchtlingskonvention sowie der Schutz vor Verfol- gung durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften gegeben. Im Falle der Rechtsverletzung steht der Rechtsweg offen. Der Grundsatz,Keine Strafe ohne Gesetz" wird grundsätzlich beachtet. Homosexuelle Handlungen sind in Bosnien und Herzegowina nicht strafbar Es hat vereinzelt auch An- griffe auf Angehörige der LGBTI-Gemeinde gegeben. Im September 2019 fand die erste Pride Parade Bosnien und Herzegowinas in Sarajewo statt. Die sicherheitspolitische Lage in Bosnien und Herzegowina ist stabil, auch wenn sie fortwäh- render Beobachtungbedarf. Unabhängige und nationale Beobachter erhalten weiterreichenden Zugang zu Haftanstalten, um sich ein Bild über die Haftbedingung zu machen. O Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur VerQffentlichung bestimmt Nachdruck verboten - 5

VS-Nur für den Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft I. Allgemeine politische Lage 1. Verfassung/Politisches System Der Gesamtstaat Bosnien und Hlerzegowina wurde im November/Dezember 1995 durch das Daytoner,Rahmenabkommen für den Friedent" geschaffen, dessen Annex 4 die gesamt staatliche Verfassung festschreibt. Laut Volkszählung 2013 hatte Bosnien und Herzegowina ca. 3,5 Mio. Einwohner, durch starke Abwanderung hat sich die Einwohnerzahl in den letzten Jah- ren reduziert und wird von einigen Quellen auf derzeit 2,7 Mio. Einwohner geschätzt, Tendenz weiter sinkend. Bosnien und Herzegowina besteht aus zwei flächenmäßig nahezu gleich gro- Sen, weitgehend autonomen, Entitäten genannten Gebietskörperschaften: Die überwiegend bosniakisch-kroatische Föderation Bosnien und Herzegowina (51 % des Territoriums, ca. 63 % der Gesamtbevölkerung) und die überwiegend serbische Republika Srpska (49 % des Territo riums, ca. 35% der Gesamtbevölkerung). Neben den beiden Entitäten gibt es den multiethni- schen Sonderdistrikt Brko. Die Föderation Bosnien und Herzegowina gliedert sich in zehn Kantone, die wiederum aus mehreren Gemeinden bestehen. Die Republika Srpska ist zentral organisiert und nur in Gemeinden gegliedert. In die Zuständigkeit des Gesamtstaats fallen gem. bosnisch-herzegowinischer Gesamtstaatsver- fassung Aulßen-, Außenhandels-, Zoll- und Währungspolitik, Migrationsfragen, internationale Strafverfolgung und Verteidigungsfragen. Alle Kompetenzen, die in der Verfassung nicht aus- drücklich dem Gesamtstaat zugewiesen werden, fallen in die Zuständigkeit der Entitäten und des Distrikts Brko. Die Verfassung definiert als sogenannte konstituierende Völker: Bosnia- ken (fast ausschließlich Muslime), Serben (fast ausschließlich Orthodoxe) und Kroaten (fast ausschließlich Katholiken), dancben benennt sie die Gruppe der ,,Anderen" (Roma, Juden etc.) Als kollektives Staatsoberhaupt des Gesamtstaats fungiert das Staatspräsidium, das in direkter Wahl für eine Amtszeit von vier Jahren bestimmt wird. Es besteht aus je einem Vertreter der drei konstituierenden Völker. Der Vorsitz rotiert alle acht Monate. es gibt insgesamt 14 Parla- mente (Staat, Entitäten, Brko, Kantone), das gesamtstaatliche und die Entitätsparlamente be stehen aus jeweils zwei Kammern. Der Zugang zum Staatspräsidium, dem Präsidium der Fö- deration und der Republika Srpska sowie zur Völkerkammer ist allein den Angehörigen der drei konstituierenden Volksgruppen vorbehalten, das passive Wahlrecht der Gruppe der ,,ande- ren" ist insoweit eingeschränkt. Ein Urteil des EGMR von 2009 (Sejdi -Finci-Urteil, siehe Ziff. II 1.3) sieht darin die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt und hat Bosnien und Herzegowina zur Änderung des Wahlrechts aufgefordert. Eine Umsetzung des Urteils ist bisher nicht erfolgt. O Auswärtiges Amt 2021- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten

VSNurftir- den Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft Die ODIHR-Beobachtungsmission stellte bei den allgemeinen Wahlen 2018 erneut Defizite und Versuche der Manipulation fest. Bei den Lokalwahlen im November 2020 wurden nur we nige Verstöße festgestellt, allerdings kam es wegen Manipulationen zu Wahlannullierungen in zwei Städten.In Mostar fanden nach 12 Jahren zum ersten Mal wicder Lokalwahlen statt In der zentralstaatlich organisierten Republika Srpska besteht ein Gerichtssystem mit Amtsgerichten, Distriktgerichten, Oberstem Gerichtshof und Verfassungsgericht. In der Föderation Bosnien und Herzegowina bestehen Amtsgerichte sowie Kantonsgerichte, das in Sarajewo ansässige Oberste Gericht und ein Verfassungsgericht. Im Bezirk Brko besteht ein zweigliedriges Ge- richtssystem. Der Gesamtstaat verfügt zudem über einen Staatsgerichtshof und ein Verfas sungsgericht. Insgesamt existieren damit über 70 Gerichte. Fälle sexualisierter Kriegsverbrechen wurden größtenteils nicht aufgearbeitet. 2020 verabschiedete das Parlament eine überarbeitete Strategie zum Um- gang mit Kriegsverbrechen (,Revised War Crimes Strategy"), die auch zur effizienteren Bear beitung des Rückstaus an offenen Fällen beitragen soll. Dic klassische rechtsstatliche Gewaltenteilung wird schließlich erganzt durch den im Daytoner Rahmenabkommen für den Frieden vorgeschenen Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft (HR) und die ihm unterstehende Behörde, dem ,Office of the High Representa- tive" (OHR). Der HR ist die höchste Instanz im Land für die Auslegung und Implementierung der zivilen Aspekte des Daytoner Friedensabkommens und steht damit rechtlich über den staat- lichen Stellen. Er besitzt vom Sicherheitsrat der VN gedeckte, sehr weitreichende Vollmachten G.Bonn Powers"), mit denen eru. a. politische Amtsträger entlassen und Gesetze suspendieren Seit 26.03.2009 ist der Ös- kann (auf die seit 2011 jedoch nicht mehr zurückgegriffen wurde). terreicher Valentin Inzko Amtsinhaber. 2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen Die Zivilgesellschaft in Bosnien und Herzegowina entwickelt sich langsam; die finanzielle Unterstützung durch Projekte der Internationalen Gemeinschaft ist von größter Bedeutung, Menschenrechtsorganisatio- nen können sich grundsätzlich frei betätigen. Aus politischen Ankündigungen von Politikern Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur Veröffentlichung bestimmt -Nachdruck verboten 7

VS Nur-fir den Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht als VS cingestuft der Republika Srpska ist allerdings die problematische Absicht ablesbar, Aktivitäten derZivil gesellschaft künftig stärker staatlich kontrollieren und einschränken zu wollen. Die Registrie rung eines Vereins auf Gesamtstaatsebene ist langwierig. 3. Rolle und Arbcitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs Auch im Bereich Sicherheit schlägt sich die komplexe bosnisch-herzegowinischen Verfassung nieder: Auf Gesamtstaatsebene existiert neben der dem deutschen BKA vergleichbaren Poli- zeibehörde SIPA (u. a. zuständig für Kriegsverbrechen, Organisierte Kriminalität und Korrup- tion) die Grenzpolizei sowie die Direktion zur Koordinierung der Polizeidienste, der u. a. In- terpol und der Objektschutz zugeordnet sind. Aufsicht über diese gesamtstaatlichen Polizeibe- hörden liegt beim Sicherheitsministerium. In der Föderation Bosnien und Herzegowina existiert eine Föderationspolizei mit Sitz in Sara- jewo, deren Zuständigkeit sich auf das Gebiet der Föderation erstreckt, die aber keinerlei Wei- sungsbefugnis gegenüber den auf Kantonsebene bestehenden Polizeibehörden hat. In der Re- publika Srpska übt die Gesamtpolizei hingegen auch Aufsicht iber die sechs regionalen Poli- zeibehörden der Entität aus. Die Polizei im Sonderdistrikt Brko ist unabhängig. Jede dieser Behörden verfügt wiederum über Spezialeinheiten. Daneben besteht ein gesamtstaatlicher, sowohl In- als auch Auslandsaktivitäten abdeckender Geheimdienst (OSA), der aus der Zusammenlegung der früher existierenden beiden Entitätsge heimdienste entstanden ist. Seit 2006 steht er formal unter parlamentarischer Kontrolle Teile des OSA cinschließlich des Leiters stehen der größten bosniakischen Partei SDA nahe. Das Militär befindet sich seit 2003 in einem Reformprozess (u. a. in Hinblick auf die NATO- Annäherung Bosnien und Herzegowinas). Mit Inkrafttreten des Verteidigungsgesetzes und des Wehrdienstgesetzes (beide 2005) wurde mit den bewaffneten Streitkräften (Oruzane Snage Bosne i Herzegowine -OSBIH) eine gesamtstaatliche Armee geschaffen. Die Armeen der En- titäten bzw. aus Kriegszeiten erhalten gebliebene Truppenteile der drei konstituierenden Volks- gruppen ab Brigadecbene aufwärts wurden abgeschafft, die Wehrpflicht ebenfalls. Alle Staats- bürger unter 40 Jahren, darunter auch Frauen, haben Zugang zu den Streitkräften. II. Asylrelevante Tatsachen 1. Staatliche Repressionen Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten 8

VSNurfür den-Dienstgebraeh In geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft 1.1. Politische Opposition Eine Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten für die politische Opposition durch den Staat und seine Organe erfolgt grundsätzlich nicht. Allerdings hat die Regierung der Republika welches alle Politiker Srpska mehrfach angekündigt, ein Gesetz in das Parlament einzubringen, einschlieBlich der Opposition unter strenger Strafandrohung verpflichten würde, in den bosni- der Regierung Re- sch-herzegowinischen Gesamtstaatsorganisationen ausschließlich die von publika Spska vorgegebene Linie zu vertreten. 1.2. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit Die Vereinigungsfreiheit wird durch die bosnisch-herzegowinische Verfassung sowie durch beide Entitätsverfassungen gewährleistet. Vereine und Stiftungen können auf Gesamtstaats- Entitäts- oder Kantonsebene registriert werden. | Die Regierung der Republika Srpska hat eine Gesetzesinitiative angekündigt, ausländischer finanzieller Unter- die NROs und politische Stiftungen einer Meldepflicht von dem Ausland finanzierten stützung auferlegen soll und dem Ziel der Uberwachung von aus Aktivitäten dient. Die Versammlungsfreiheit ist formal nicht eingeschränkt, jedoch entsprechen die einzelnen Versammlungsfreiheit in den Entitäten und Kantonen nicht vollumfänglich euro- Gesetze zur päischen Standards. als es insgesamt ein breit gefächertes Me- Die Informationsfreiheit ist insofern gewährleistet, Informations- einer Vielzahl von Medien eine umfassende dienangebot gibt, sodass bei Lektüre parteipolitischer Ein- unabhängig von gewinnung möglich ist. Es gibt jedoch kein Medium, das flussnahme ist. Unabhängige Beobachter wie sehen kritische Journalisten die OSZE, Human Rights Watch, der hiesige Presserat und die EU auch durch Politiker, Bedrohungen und Nötigung, neben wirtschaftlichem Druck vereinzelt Journalisten finanziell in Be- Diffamierungsprozesse werden häufig genutzt, um ausgesetzt. die Journalisten- zu bringen und so ihre Arbeit zu behindern. Im Jahr 2020 registrierte drängnis Journalisten sowie Ver vereinigung von Bosnien und Herzegowina 51 Fälle von Angriffen auf Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten 9

als VS eingestuft VSNur-für den-Dienstgebraueh In geschwärzter Fassung nicht u. a. durch kör- letzungen der Freiheit der Meinungsäußerung und Integrität von den Medien, Straftaten wurde un- perliche Angriffe und Morddrohungen. Nur ein Bruchteil der begangenen tersucht und gerichtlich verhandelt. Bisher gab es keine Verurteilungen. 1.3. Minderheiten Gemäß der Verfassung stehen die Grundrechte allen Personen unabhängig von ihrer ethnischen In Bosnien und Herzegowina werden 17 nationale Min- Zugehörigkeit in gleicher Weise zu. derheiten anerkannt. Laut der Volkszählung von 2013 bezeichnen sich 3,7% der Bevölkerung nicht als Bosniaken, Serben oder Kroaten. In Bosnien und Herzegowina gibt es folgende Min- derheiten: Albaner, Deutsche, Italiener, Juden, Mazedonier, Montenegriner, Polen, Roma, Ru- Zu mänen, Rusinen, Russen, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Türken, Ukrainer und Ungarn. auf Grund der einigen staatlichen Amtern haben Angehörige nationaler Minderheiten jedoch Verfassung keinen Zugang oder werden in anderer Weise schlechter gestellt als die Angehöri- gen der drei konstitutiven Volksgruppen. Die Präsidentschaft des Gesamtstaates setzt sich aus je einem Mitglied der drei konstituierenden Volksgruppen zusammen. Angehörige Minderheiten (Roma, Sinti, aber auch Bosnier, die von sich nicht als Angehörige einer der drei Volksgruppen definieren) sind insoweit in ihrem pas- siven Wahlrecht eingeschränkt. Der gegen diese Regel gerichteten Klage der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde und der Roma-Vereinigung von Bosnien und Herzegowina beim BGMR wurde am 22.12.2009 von der großen Kammer des EGMR stattgegeben (EGMR-Urteil zu,,Se- Die Umsetzung dieses Urteils steht jedoch bis heute aus, sie wird jdi-Finci"). im weiteren EU- Annäherungsprozess eine wichtige Rolle spielen. Es gibt ein Minderheitenschutzgesetz. Demnach wird das Europäische Rahmenüberein-kom- men zum Schutz der nationalen Minderheiten unmittelbar angewandt. Die grölßte Minderheit sind die Roma, wobei die Gesamtzahl je nach Quelle stark variiert Roma können - auch im Vergleich zu Angehörigen anderer Minderheiten inverschiedener Bereichen nicht auf ausreichende Unterstütaung staatlicher Stellen hoffen. Ursache der Benach teiligung ist u. a., dass Roma-Kinder häufig nach der Geburt nicht in die öffentlichen Register eingetragen werden; nach Schätzungen leben heute ungefähr 2.000 nicht registrierte Kinder in Bosnien und Herzegowina. Lediglich ein Drittel der Roma verfügt über cine Krankenversicherung. Roma haben größere Schwierigkeiten als andere Bevölkerungsgruppen, einen Arbeitsplatz zu finden. Da ein Groß teil der Roma im informellen Sektor arbeitct, sind sie überproportional von Corona-bedingten Verdienstausfällen betroffen. Besonders problematisch sind Fragen der Ansiedlung und Un terkunft. Als Rückkehrer leben Roma häufig in provisorischen Siedlungen mit unzureichenden Versorgungsverhältnissen und mangclnder Hygiene. Insbesondere der Zugang zu Bildung stellt ein Problem dar: So besuchen nur zwei Drittel (69 %) der schulpflichtigen Roma-Kinder eine Grundschule. Durch die Schulschlicbung im Zuge der Corona-Pandemie verschlechterte sich der Zugang zu Bildung maßgeblich, da der Untericht digital statfindet und Roma-Kindern oftmals die technische Ausrüstung fehlt. Bei der OSZE in Bosnien und Herzegowina gibt es das Amt des Roma-Referenten, ferner einen Roma-Projektbeauftragten und einen Roma-Beobachter. Beim Ministerrat von Bosnien und Auswärtiges Amt 2021 Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten 10
