Verfassungsrechtliche Maßgaben für den Ausschluss parteinaher Stiftungen von der staatlichen Förderung

Ein Kurzgutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat

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PROF. DR. Christoph Möllers
PROF. DR. Christian Waldhoff




  Verfassungsrechtliche Maßgaben für den Ausschluss parteinaher Stiftungen von der
                                staatlichen Förderung
     Ein Kurzgutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat




Berlin, Juni 2023
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Inhalt


    1. Spannungsverhältnis Partei - Stiftung ............................................................................ 3

         a)      Rechtsfolge eines Partei- und eines Parteifinanzierungsverbots ........................... 4

         b)      Insbesondere: Verdachtsfall nach BVerfSchG ...................................................... 5

         c)      Gebot einer eigenständigen Bewertung der Stiftung ............................................. 6

    2. Erfordernis gleichwertiger Verfassungsgüter für einen Ausschluss .............................. 8

    3. Übertragbarkeit der Maßstäbe des NPD-Urteils oder eigener Maßstab? ....................... 8

         a)      Kriterien aus dem Parteiverbotsverfahren als Minimalmaßstab ............................ 9

         b)      Kriterien aus dem Vereinsverbotsverfahren ........................................................ 11

    4.        Verfassungsfreundlichkeit als positive Förderungsvoraussetzung .......................... 12

    5.        Missbrauchsverhinderung ........................................................................................ 13

    6.        Nachweispflicht ....................................................................................................... 14

    7.        Verfahren und Zuständigkeit für die Entscheidung ................................................. 15

         a)      Normative Vorüberlegung ................................................................................... 15

         b)      Zuständige Stelle .................................................................................................. 17

              aa) Administrative Lösung: Bescheid ...................................................................... 17

              bb) Judikative Lösung: gerichtliche Feststellungsentscheidung .............................. 18

         c)      Rechtsstaatliches Verfahren ................................................................................. 20

         d)      Ausschluss ohne Verfahren? ................................................................................ 21

    8.        Rechtsfolgen für verschiedene Förderarten ............................................................. 23

    Ergebnisse ........................................................................................................................ 23



Im Urteil vom 22. Februar 2023 verlangte das Bundesverfassungsgericht zur Regelung der
staatlichen Förderung parteinaher Stiftungen die Form eines eigenständigen (Sach-)Gesetzes
neben dem Haushaltsgesetz zur Ausgestaltung eines möglichen Ausschlusses einer ansonsten
einschlägigen Stiftung von der Förderung. In Bezug auf materiell-rechtliche Kriterien
beschränkte sich das Gericht auf den Hinweis, dass ein solcher Ausschluss dem Schutz



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„gleichwertiger Verfassungsgüter“ dienen müsse. Als einziges Beispiel für ein solches Gut
nannte das Gericht die freiheitliche demokratische Grundordnung:

         „Dabei kommt als gleichwertiges Verfassungsgut insbesondere der Schutz der
         freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Betracht. Welche Anforderungen
         und Konsequenzen sich daraus für die staatliche Stiftungsförderung ergeben, ist
         vorliegend nicht zu entscheiden.“ BVerfG, Urt. v. 22. 2. 2023 – 2 BvE 3/19, Rn.
         246.
Damit erwähnte das Gericht nicht zufällig den auch für die Beantwortung der Gutachtenfrage
relevanten Fall der Regelung verfassungsfeindlicher Aktivitäten, sei es der parteinahen
Stiftung, sei es der ihr nahestehenden Partei, sei es beider Institutionen.
Da die Stiftung eine selbstständige Institution mit selbstdefinierten Aktivitäten ist, stellt sich
die Frage nach den Zurechnungsverhältnissen zwischen Partei und Stiftung. Aus den
Aktivitäten der Partei ist jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Zulässigkeit eines
Ausschlusses der Stiftung von der staatlichen Förderung zu schließen (1.). In jedem Fall sind
für einen Ausschluss mit der Chancengleichheit der politischen Parteien gleichwertige
Verfassungsgüter erforderlich, deren Schutz gewährleistet werden soll (2.). Als inhaltlicher
Maßstab kommt im Minimum das Kriterium der Verfassungswidrigkeit aus dem NPD-Urteil
von 2017 in Frage, ergänzt um den Maßstab für Vereinsverbote (3.). Auch wenn keine
Ausschlussgründe vorliegen, setzt eine Förderung voraus, dass Aktivitäten im Sinne einer
Verfassungsfreundlichkeit nachweisbar entfaltet werden (4. und 6.). In keinem Fall darf eine
parteinahe Stiftung missbräuchlich nur aus dem Grund agieren, staatliche Mittel zu
akquirieren (5.). Als Instanz zur Feststellung des Entzugs der Förderung bietet sich das
Bundesverwaltungsgericht an; in jedem Fall muss ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren
beachtet werden, das die Interessen der betroffenen Stiftung berücksichtigt (7.).



1. Spannungsverhältnis Partei - Stiftung

Die eigentümliche Dialektik des Verhältnisses zwischen Partei und parteinaher Stiftung –
einerseits organisatorische Trennung, andererseits programmatische Verbindung – ist auch
beim Ausschluss aus der Stiftungsförderung zu beachten. Ausschluss- oder
Entziehungsgründe können in der parteinahen Stiftung selbst – ihrer Programmatik, ihres
Personals, ihrer Projekte –, sie können aber auch in der politischen Partei liegen, der die
Stiftung nahesteht. Beide Konstellationen sind aber voneinander zu unterscheiden,

         nicht hinreichend klar insoweit Christofer Lenz/Maximilian Stützel,
         Verfassungsrechtliche Eckpunkte für ein Gesetz über die staatliche Förderung
         parteinaher Stiftungen, NVwZ 2013, 738 (739 f.), die auf die „hinter“ der Stiftung

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stehende politische Partei auch jenseits des Vorliegens von Verbots- oder
         Finanzausschlusstatbeständen zurückgreifen; ähnlich Markus Ogorek,
         Urteilsanmerkung, NJW 2023, 845; verfehlte Gleichsetzung bei Hendrik
         Cremer/Deutsches Institut für Menschenrechte, Staatliche Gelder für rassistische
         und rechtsextreme Bildungsarbeit?, 2022, S. 20.


a) Rechtsfolge eines Partei- und eines Parteifinanzierungsverbots
Wird die hinter der Stiftung stehende Partei verboten oder ihre staatliche (Teil-)Finanzierung
beendet, schließt diese Entscheidung auch die Förderfähigkeit der Stiftung aus. Diese Folge
ist gesetzlich zu verankern. Vor einer solchen Entscheidung kann an die vermeintliche
Verfassungsfeindlichkeit der Partei nicht angeknüpft werden, um die Förderung
auszuschließen.
Aus dem Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 und 3 GG folgt, dass im Rahmen eines
Verfahrens zum Ausschluss einer parteinahen Stiftung aus der staatlichen Förderung die
Verfassungswidrigkeit der zugehörigen Partei nicht einfach behauptet oder gar festgestellt
werden kann. Diese Feststellung bleibt für die Zwecke des Parteiverbots bzw. des
Ausschlusses aus der staatlichen Parteienfinanzierung dem Bundesverfassungsgericht
vorbehalten. Insofern besteht – wie auch Art. 21 Abs. 4 GG zum Ausdruck bringt – ein
Entscheidungsmonopol des Gerichts,

         allgemein Rudolf Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7.
         Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 215.
Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei ist jede
Schlechterstellung durch die Verwaltung oder den Gesetzgeber untersagt,

         BVerfGE 40, 287 (291); 47, 198 (227); Annika Klafki, in: von Münch/Kunig
         (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 21 Rn. 98.
Das ist eine bewusste Privilegierung politischer Parteien gegenüber sonstigen Vereinigungen,
wie die Verbotsmöglichkeit in Art. 9 Abs. 2 GG zeigt,

         BVerfGE 144, 20 (228 f. Rn. 595).
Wird in den dafür vorgesehenen Verfahren eine politische Partei durch das
Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich bewertet – angesichts des neu
eingeführten Kriteriums der „Potenzialität“ und des neuen Art. 21 Abs. 3 GG – mit oder ohne
der Folge eines Verbots, müssen die Fördervoraussetzungen der parteinahen Stiftung
entfallen. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen und entsprechender
Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ist die Partei ipso iure verfassungswidrig.
Das Durchschlagen auf die staatliche Stiftungsfinanzierung muss dann auch für den Fall

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gelten, dass die Stiftungen keine Teil- oder Unterorganisationen sondern
„Nebenorganisationen“ „ihrer“ Partei darstellen. Die „scharfen Schwerter“ des Art. 21 Abs. 2
und 3 GG als Ausfluss der Konzeption der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes würden
einerseits ins Leere zeigen, wenn zwar die politische Partei, nicht hingegen „ihre“ parteinahe
Stiftung aus der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden würde. Diese Folge ist aber
in dem zu schaffenden Gesetz klarzustellen. So wie einfachrechtlich Konturierungen des
Entscheidungsfolgenausspruchs im Verbotsverfahren möglich sind (vgl. § 46 BVerfGG) wäre
in einem Gesetz zur Regelung der Förderung parteinaher Stiftungen bzw. alternativ auch im
BVerfGG eine solche Rechtsfolge von Verfassungs wegen grundsätzlich möglich.


b) Insbesondere: Verdachtsfall nach BVerfSchG
In der Diskussion wurde auch der Vorschlag ventiliert, ein Ausschluss einer Stiftung von der
Förderung sei dann möglich, wenn die ihr nahestehende Partei vom Bundesamt für
Verfassungsschutz als sogenannter Verdachtsfall geführt würde,

         Christofer Lenz/Maximilian Stützel, Verfassungsrechtliche Eckpunkte für ein
         Gesetz über die staatliche Förderung parteinaher Stiftungen, NVwZ 2023, 738
         (740); zum Begriff des Verdachtsfalls nach BVerfSchG siehe BVerwGE 137, 275.
Diese Annahme hätte unmittelbare Konsequenzen, ist dieser Fall doch mit Blick auf die AfD
eingetreten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die AfD in dieser Kategorie, diese
Entscheidung wurde auch bereits erstinstanzlich als rechtmäßig beurteilt,

         VG Köln, Urt. v. 8. 3. 2022 – 13 K 326/21, 13 K 207/20.
Unter diesen Bedingungen wäre es gerechtfertigt, die Stiftung der AfD, die Desiderius-
Erasmus-Stiftung (DES), schon jetzt ohne weiteres von der Förderung auszuschließen.


Diese Sicht begegnet jedoch auf mehreren Ebenen Bedenken und erscheint
verfassungsrechtlich ausgeschlossen:


Zum Ersten können mit der Entscheidung des Bundesamts für die jeweilige Partei keine
weiteren, über die Überwachung hinausgehenden Nachteile verbunden werden, ohne das
Parteienprivileg zu verletzen. Auch wenn Eingriffe in die Stiftung von Eingriffen in die Partei
zu unterscheiden sind, stellen doch Eingriffe in die Stiftung verfassungsrechtlich relevante
Nachteile auch für die Partei dar. Sie berühren die Chancengleichheit der Parteien, die durch
die Stiftungen intellektuelle Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Nur unter dieser
Bedingung Grund hat das Bundesverfassungsgericht überhaupt einen Gesetzesvorbehalt

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angenommen. Damit aber verstößt eine solche Anknüpfung an den
verfassungsschutzrechtlichen Verdachtsfall gegen das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 3, 4
GG.


Zum Zweiten hat das Bundesamt für Verfassungsschutz keine über das Sammeln von
Information hinausgehende Befugnisse. Die Einordnung als Verdachtsfall funktioniert als
eine Art Gefahrerforschungseingriff, in dem Tatsachen die Befugnis rechtfertigen, mehr
Informationen über eine Partei zu sammeln, um zu sehen, ob sich dieser Verdacht bestätigt.
Es darf jenseits dessen keine Freiheiten beschränken, eben dieser Umstand rechtfertigt auch
seine Erforschungsbefugnisse,

         zu diesem Zusammenhang von Informationserhebungsbefugnissen und fehlenden
         operativen Anschlussbefugnissen BVerfG, Urt. v. 26. 4. 2022 – 1 BvR 1619/17 –
         Bayerisches Verfassungsschutzgesetz, Rn. 153 ff.
Mit einer nahtlosen Anknüpfung hätte das Amt faktisch die Befugnis zur Schließung einer
parteinahen Stiftung. Einer Sicherheitsbehörde würde die Befugnis übertragen werden, in den
politischen Wettbewerb mit seiner Entscheidung einzugreifen. Diese Verantwortung ist nicht
im Interesse der Behörde, sie bringt auch die Arbeitsteilung zwischen den Behörden aus der
Balance. Das bedeutet, dass auch eine auf die Stiftung bezogene Entscheidung eigenständig
von einem anderen Entscheidungsträger getroffen werden sollte.


Zum Dritten würde eine solche Anknüpfung das Handeln der Stiftung gar nicht eigenständig
in Betracht ziehen, sondern allein auf das Handeln der Partei abstellen. Das erscheint
einerseits rechtsstaatlich bedenklich, weil der Eingriff gegen einen Rechtsträger mit
Handlungen eines anderen Rechtsträgers begründet wird; außerdem dürfte es aus den oben
entwickelten Gründen den Ausschluss einer Stiftung eben erschweren, weil das
Parteienprivileg immer mitzudenken ist.


c) Gebot einer eigenständigen Bewertung der Stiftung
Soweit der Ausschluss der Stiftung nicht Nebenfolge eines Parteiverbots oder eines
Parteifinanzierungsverbots ist, muss dieser mit eigenständigen, auf die Stiftung bezogenen
Gründen gerechtfertigt werden.
Dabei nimmt die parteinahe Stiftung nicht am Parteienprivileg teil, da sie keine
Teilorganisation einer Partei ist,

         BVerfGE 2, 1 (13, 78); 12, 296 (304); Jörn Ipsen, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl.
         2021, Art. 21 Rn. 153; Volker Beck, Eckpunkte-Papier für ein Wehrhafte-
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Demokratie-Gesetz, 2021, S. 43; Christoph Kannengießer, in: Schmidt-
         Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 15. Aufl. 2022, Art. 9 Rn. 17.
Das bedeutet institutionell, dass Bewertungen hinsichtlich der Verfassungstreue der
parteinahen Stiftung nicht unter das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts
fallen. Die Ausschlussgründe in Bezug auf die Stiftung können in deren Programmatik, in
deren Personal oder in konkreten Aktivitäten oder Veranstaltungen begründet liegen, soweit
eine Zurechnung zur Stiftung möglich ist. Bei der Entwicklung von Zurechnungsgründen
kann dann aber wiederum auf die Zurechnungskriterien, die der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts im NPD-Urteil von 2017 entwickelt hat, zurückgegriffen werden:

         „Die Ziele einer Partei sind der Inbegriff dessen, was eine Partei politisch anstrebt,
         unabhängig davon, ob es sich um Zwischen- oder Endziele, Nah- oder Fernziele,
         Haupt- oder Nebenziele handelt […] Sie ergeben sich in der Regel aus dem
         Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der
         von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der
         Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei
         verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr
         herausgegebenen und beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften […] Entscheidend
         sind die wirklichen Ziele der Partei, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht
         erforderlich, dass eine Partei sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielen
         bekennt […]“ BVerfGE 144, 20 (214 f. Rn. 558 f.).
Personal, insbesondere Führungspersonal in den Stiftungen ist entsprechend der
Führungsebene politischer Parteien zu behandeln.
Parteinahe Stiftungen haben i.d.R. anders als politische Parteien keine „Anhänger“ im Sinne
der Rechtsprechung zum Parteiverbot. Ihre Veranstaltungen werden jedoch häufig von
externen Dozenten und Referenten durchgeführt; die Veranstaltungen haben Teilnehmer.
Dass hier eine Strategie eines sich Versteckens der Stiftung hinter solchen Personen und ihren
Aktivitäten möglich, ja naheliegend ist, leuchtet bei realistischer Betrachtung ein. Auch
insofern kann mit der gebotenen Vorsicht auf die Zurechnungserwägungen aus der
Parteiverbotsentscheidung zurückgegriffen werden:

         „Neben ihrer Programmatik können sich die Absichten der Partei im Verhalten
         ihrer Anhänger spiegeln […] Allerdings kann nicht jegliches Verhalten von
         Anhängern einer Partei zugerechnet werden. Eine Zurechnung ist insbesondere
         problematisch, wenn die Partei keinerlei Möglichkeit hat, das Verhalten zu
         beeinflussen. Entscheidend ist daher, dass in dem Verhalten des jeweiligen
         Anhängers der politische Wille der betroffenen Partei erkennbar zum Ausdruck
         kommt. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn das Verhalten eine in der Partei
         vorhandene Grundtendenz widerspiegelt oder die Partei sich das Verhalten
         ausdrücklich zu eigen macht. Folglich ist eine differenzierte Betrachtung geboten.

         aa) Zuzurechnen ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe,
         besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre […] Auch die Tätigkeit von
         Publikationsorganen […] können ihr ohne weiteres zugerechnet werden.


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bb) Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung
         nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie
         gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem
         Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt
         eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei
         unterbleibt. […]

         cc) Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine – wie
         auch immer geartete – Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die
         Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit […]“ BVerfGE 144, 20 (215
         f. Rn. 560 ff.).
Damit muss der Ausschlusstatbestand ein vergleichbares differenziertes Zurechnungsregime
unterstellen, das aber nicht in allen Einzelheiten einer gesetzlichen Fixierung bedarf.



2. Erfordernis gleichwertiger Verfassungsgüter für einen Ausschluss

Auch wenn der Zweite Senat allenfalls ansatzweise Hinweise für Ausschlussgründe im
Hinblick auf die staatliche Förderung gibt, führt der Grundsatz der Chancengleichheit der
politischen Parteien doch zu zwingenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an die
Positivierung solcher Tatbestände. Der Grundsatz der Chancengleichheit stelle kein absolutes
Differenzierungsverbot dar. Zu ihrer Rechtfertigung erforderten Eingriffe jedoch besondere
Gründe, die als zwingend bezeichnet wurden:

         „Gründe, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen und einem Staatsorgan eine
         Befugnis zum Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien verleihen, müssen
         durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sein, das dem Grundsatz
         der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann […] Dabei ist jedenfalls
         den Grundsätzen der Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Erreichung der
         verfassungsrechtlich legitimierten Zwecke Rechnung zu tragen […]“ BVerfG, Urt.
         v. 22. 2. 2023 – 2 BvE 3/19, Rn. 180.



3. Übertragbarkeit der Maßstäbe des NPD-Urteils oder eigener Maßstab?

Das Grundgesetz kennt zwei Regelungen, die Anhaltspunkte für einen Ausschlussmaßstab
bieten können: Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ ist eines der beiden
Schutzgüter im Parteiverbotsverfahren. Art. 9 Abs. 2 GG nennt für Vereinsverbote drei
Gründe, von denen zwei hier relevant sein können: Betätigungen gegen die
„verfassungsmäßige Ordnung“ oder „den Gedanken der Völkerverständigung“. Insofern
laufen Art. 21 Abs. 2 GG und Art. 9 Abs. 2 GG parallel, denn beide gehören zu den
Instrumentarien des „präventiven Verfassungsschutzes“ im Konzept der wehrhaften
Demokratie,


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BVerfGE 149, 160 (194 Rn. 101); Wolfram Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9.
        Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 43.
Das Schutzgut „Bestand der Bundesrepublik Deutschland“ in Art. 21 Abs. 2 GG sowie
strafrechtliche Verstöße als Verbotsgrund in Art. 9 Abs. 2 GG können in unserem
Zusammenhang vernachlässigt werden.


a) Kriterien aus dem Parteiverbotsverfahren als Minimalmaßstab
Als negativer Ausschlussgrund für die Förderung parteinaher Stiftungen bietet sich zunächst
die Übertragung des Maßstabs für die Verfassungswidrigkeit politischer Parteien aus dem
NPD-Urteil an,

       Volker Beck, Eckpunkte-Papier für ein Wehrhafte-Demokratie-Gesetz, 2021, S. 17 ff.; verfehlt
       Arne Semsrott/Matthias Jakubowski, Desiderius-Erasmus-Stiftung. Politische Bildung von
       Rechtsaußen, 2021, S. 52 f.


Dort wird aktuell konkretisiert, was unter dem Topos des Schutzgutes der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung zu verstehen ist. In der Sache wird damit konturiert, was in
der Verfassungsordnung des Grundgesetzes politisch sagbar ist und was nicht. Da die
politischen Parteien nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes den höchsten Schutz im
Bereich von Vereinigungen im politischen Bereich besitzen, wäre ein strengerer Maßstab für
parteinahe Stiftungen nicht möglich.
Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat in der Karlsruher Judikatur
eine Entwicklung durchlaufen, die als Präzisierung im NPD-Urteil von 2017 kulminiert,

        Darstellung der Rechtsprechungslinie in BVerfGE 144, 20 (202 ff. Rn. 529 ff.).
Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss insbesondere enger als der
in Art. 79 Abs. 3 GG umrissene Bereich sein, der unzulässige Verfassungsänderungen
kennzeichnet, denn zu den grundgesetzlichen Staatsstrukturprinzipien der Republik und der
Bundesstaatlichkeit gibt es legitime und funktionierende Alternativen, die in gleichem Maße
Verfassungsstaatlichkeit zu gewährleisten in der Lage sind, wie das Grundgesetz,

        BVerfGE 144, 20 (202 ff. Rn. 529, 537).
Damit ist als aktuelle Konkretisierung an Folgendes anzuknüpfen:

        „Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der
        Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). […] Die Garantie der Menschenwürde
        umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und
        Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit […] Dem liegt eine Vorstellung
        vom Menschen zugrunde, die diesen als Person begreift, die in Freiheit über sich
        selbst bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann […] Mit

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der Subjektqualität des Menschen ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch
            verbunden, der es verbietet, den Menschen zum ‚bloßen Objekt‘ staatlichen
            Handelns zu degradieren […] Menschenwürde ist egalitär; sie gründet
            ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von
            Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht […] Antisemitische
            oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar
            und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ BVerfGE
            144, 20 (206 ff. Rn. 538 ff.).
Von diesem Ausgangspunkt werden dann die Staatsfundamentalentscheidungen für die
Demokratie sowie für die Rechtsstaatlichkeit entwickelt und darauf rückbezogen:

            „Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen
            demokratischen Grundordnung. Demokratie ist die Herrschaftsform der Freien und
            Gleichen. Sie beruht auf der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger […]“
            BVerfGE 144, 20 (208 Rn. 542).
Das impliziert wiederum die gleichberechtigte Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am
Prozess der politischen Willensbildung, die sich vom Volk hin zu den Staatsorganen
vollziehen muss. Im Sinne des Konzepts von Volkssouveränität muss alles Staatshandeln auf
das Legitimationssubjekt rückbezogen sein. In der Ausformung als parlamentarische
Demokratie kommt daher Parlamentswahlen eine zentrale Stellung zu:

            „Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt
            demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf
            welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen
            und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden
            kann.“ BVerfGE 144, 20 (210 Rn. 546).
Als rechtsstaatliche Gehalte, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterfallen
und die auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller
Freiheit zielen, werden im NPD-Urteil zwei Teilgehalte aufgeführt:
   -   Die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt und die Kontrolle dieser Bindung durch
       unabhängige Gerichte;
   -   das staatliche Gewaltmonopol.


Ein solcher Maßstab bedeutet, dass innerhalb dieses Rahmens die parteinahe Stiftung etwa
auch Veranstaltungen durchführen darf, die auf Verfassungsänderungen zielen. Auch Kritik
an der Europäischen Integration, an der Migrationspolitik o.ä. ist damit ohne weiteres
zulässig.
Im Ergebnis stellt die Anknüpfung an den Parteiverbotstatbestand ein sicheres materielles
Minimalkriterium dar. Weil die Stiftung nicht vom Parteienprivileg profitiert, kann der
Gesetzgeber aber auch weniger anspruchsvolle Kriterien heranziehen.


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