Rechtsgutachten zur rechtlichen Zulässigkeit der von Opel und Fiat eingesetzten Motorsteuerungen VO 715/2007

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Rechtsgutachten zu Tätigkeiten der Untersuchungskommission „Volkswagen“

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11 muss die Abgasrückführungs-Verträglichkeit des Brennverfahrens gegeben sein 4 . Deutlich wird dies zudem daran, dass bei Dieselmotoren eine physikalisch bedingte Drehzahlgrenze von ca. 5.500 Umdrehungen pro Minute bei einem 500 cm -Zylinder 3 5 besteht ; eine Umdrehungszahl von 2.400 Umdrehungen pro Minute unterschreitet die durchschnittliche Höchstdrehzahl bei Dieselmotoren mithin um deutlich mehr als die Hälfte. Festzuhalten ist daher, dass eine Drehzahl von 2.400 Umdrehungen/Minute dem Kri- terium der "normalen Betriebsbedingungen" i. S. von Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007 ent- spricht. Liegen solche normalen Betriebsbedingungen vor, müssen die Bauteile eines Fahrzeugs, die für das Emissionsverhalten von Bedeutung sind, den Vorgaben der VO 715/2007 entsprechen, mithin auch der Vorgabe, dass die Verwendung von Ab- schalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, un- zulässig ist. Dieses Erfordernis wird missachtet, wenn bereits ab einer Drehzahl von 2.400 Umdrehungen/Minute die Emissionskontrolle deaktiviert wird. c. Außenluftdruck von 915 mbar als unübliche Betriebsbedingungen? Festgestellt wurde des Weiteren, dass bei den in Rede stehenden Motoren der Firma Opel die Emissionskontrolle bei einem Außenluftdruck von unter 915 mbar verringert wird, und zwar in der Weise, dass die Abgasrückführung und die Nachbehandlungs- Maßnahmen ab diesem Außenluftdruck reduziert werden. Dabei entspricht der Au- ßenluftdruck von 915 mbar einer Höhe von ca. 850 Metern über NN. Unterhalb des Luftdrucks von 915 mbar, mithin oberhalb einer Höhe von 850 Metern über NN, fin- det lediglich eine reduzierte, sich mit abnehmendem Luftdruck immer weiter verrin- gernde Emissionskontrolle statt. Mit Blick hierauf ist zu konstatieren, dass Höhen von 850 Metern über NN und dar- über in Deutschland vielfach erreicht wird, namentlich in den zahlreichen Mittelgebir- . 4 G. Wachtmeister, Bewertung der in der Öffentlichkeit diskutierten Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen bei den Fahrzeugen Opel Zafira und Opel Astra sowie der zu diesem Thema vorliegenden Stellungnahme der Fa. Adam Opel AG vom 16. Mai 2016, S. 5 (im Folgenden zitiert als G. Wachtmeister, Gutachten). 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Dieselmotor, abgerufen am 19. September 2016.
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12 gen. Aber ClUCh in anderen Staaten Europas - und nicht nur solchen, die der Alpen- region zuzurechnen sind, wie etwa Österreich -gibt es zahlreiche Gebirgszüge, die diese Höhe aufweisen. Gebirgszüge mit einer Höhe von mehr als 850 Metern über NN -was einem Außenluftdruck von 915 mbar und darunter entspricht- stellen mit anderen Worten in Europa, dem rechtlichen Bezugsrahmen der VO 715/2007, keine seltenen Ausnahmen dar, sondern sind vielmehr Teil der europäischen Topographie. Daher müssen Fahrzeuge so ausgerüstet sein, dass sie auch in solchen, in Europa durchaus gängigen Höhen ohne das Emissionsverhalten beeinflussende Bauteile ·funktionsfähig sind. Diese Voraussetzung erfüllen die in Rede stehenden Opei- Fahrzeuge erkennbar nicht. 4. Die Emissionsreduzierung von Fiat im Lichte dieser Vorgaben Auch die Reduzierung der Abgasrückführungs-Rate auf Null bei Fahrzeugen der Fir- ma Fiat nach einer von vornherein definierten Zeit - genauer: nach Ablauf von 22 Minuten nach Start des Motors- bzw. nach Ablauf einer bestimmten Anzahl von sich am NEFZ ausrichtenden Zyklen und die Einstellung der Regeneration des NOx- Speicherkats nach einer bestimmten Anzahl von Zyklen bzw. nach einem bestimm- ten verstrichenen Zeitraum und einer verstrichenen Fahrstrecke wirft die Frage auf, ob diese Schaltung mit dem Erfordernis in Einklang steht, dass die betreffenden Fahrzeuge so ausgerüstet sein müssen, dass sie unter normalen Betriebsbedingun- gen den Vorgaben der VO 715/2007 entsprechen, mithin ohne Abschalteinrichtungen funktionieren. Diese Frage ist indes zu verneinen. Erkennbar geht die VO 715/2007 davon aus, dass sich das Tatbestandsmerkmale der "normalen Betriebsbedingungen" auf die realen Betriebsbedingungen bezieht, denen sich ein Fahrzeug in Europa ausgesetzt sieht. Dieses Tatbestandsmerkmal ist jedoch nicht so zu verstehen, dass ein Fahr- zeug lediglich im 1180 Sekunden umfassenden NEFZ-Prüfzyklus den Vorgaben der VO 715/2007 entsprechen muss, da diese Prüfstandsmessung in erster Linie darauf zielt, die Verbrauchswerte neuer Fahrzeuge zu ermitteln und vergleichen zu können. Das damit verbundene Anliegen, eine Vergleichbarkeit von Emissionswerten ver- schiedenen Fahrzeuge durch Testläufe auf einem Prüfstand zu ermöglichen, ist in- des nicht deckungsgleich mit der Vorgabe, dass Bauteile eines Fahrzeugs so gestal- tet sein müssen, dass das Fahrzeug unter "normalen Betriebsbedingungen" den '
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13 Vorgaben der VO 715/2007 entspricht 6 . Insbesondere berücksichtigt der NEFZ in seinem Prüfzyklus weder einzelne Betriebszustände, wie etwa eine Bergfahrt oder den Einsatz von Nebenaggregaten, noch äußere Umstände, wie etwa Luftdruck, Bo- denbelag oder Fahrtwind; er ist damit auch nicht in der Lage, normale Betriebsbedin- gungen und damit gewissermaßen den Alltag, in dem ein Fahrzeug benutzt wird, wi- derzuspiegeln. Nur ergänzend ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die Deaktivierung der Emis- sionskontrolle nach 22 Minuten nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden kann, dass die überwiegende Anzahl der Fahrten mit Fahrzeugen in Europa nicht länger als 22 Minuten dauert. Denn zum einen käme diese Sicht der Dinge einem faktischen Freifahrtschein für die Deaktivierung der Emissionskontrolle bei sämtlichen länger andauernden Fahrten gleich, was beispielsweise daran deutlich wird, dass, folgte man dieser Auffassung, bei einer drei Stunden umfassenden Fahrt die Emissions- kontrolle während zwei Stunden und 38 Minuten deaktiviert wäre. ln gleicher Weise würde dies für die ganz überwiegende Anzahl sämtlicher auf Autobahnen durchge- führter Fahrten gelten- woran besonders augenfällig erkennbar wird, dass eine sol- che Interpretation im Lichte einer teleologischen Auslegung nicht mit dem Anliegen der VO 715/2007 in Einklang zu bringen ist, die Emissionen von Kraftfahrzeugen dauerhaft zu senken. Zum anderen steht eine solche Interpretation aber auch nicht mit dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007 in Übereinstimmung. Denn das Tatbestandsmerkmal der normalen "Betriebs"bedingungen stellt erkennbar auf den technischen Betriebszu- stand ab, nicht hingegen auf die Dauer der Nutzung von Fahrzeugen. Hätte der eu- ropäische Gesetzgeber auf die Dauer von Fahrten abstellen wollen, hätte er dies eindeutig zum Ausdruck bringen müssen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die rigide Deaktivierung der Emissionskontrolle nach einer bestimmten Zeiteinheit, nach einer verstrichenen Fahrstrecke oder aber nach Ablauf einer bestimmten Anzahl von Zyklen nicht der Vorgabe gerecht wird, die in Rede stehenden Fahrzeuge so auszurüsten, dass die das Emissionsverhalten beein- 6 Vgl. hierzu ausführlich das vom Verfasser erstellte Rechtsgutachten zur Frage der Reichweite der VO 715/2007, 2016, S. 6 ff., insbes. S. 12 ff. (im Folgenden zitiert als M. Brenner, Rechtsgutachten).
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14 flussenden Bauteile des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen - mithin · unter realen Alltagsbedingungen - der VO 715/2007 entsprechen, mithin eine wirk- same Emissionskontrolle und -begrenzung ermöglichen. 5. Fazit Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007 enthält die an die Hersteller gerichtete Vorgabe, dass Fahrzeuge so auszurüsten sind, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten vo- raussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahr- zeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchfüh- rungsmaßnahmen entspricht. Die Hersteller sind mithin gehalten, emissionsrelevante Bauteile so in Verkehr zu bringen, dass das Fahrzeug in der Lage ist, unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen zu entsprechen - und damit insbesondere der Vorgabe des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007 gerecht zu werden, ohne Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verrin- gern, zu funktionieren. Indes werden die beiden in Rede stehenden Opei-Modelle dieser Vorgabe in mehr- facher Hinsicht nicht gerecht. Die Reduzierung bzw. Deaktivierung der Emissions- kontrolle bei Erreichen eines der drei darge~tellten Parameter, die in Europa als nor- male Betriebsbedingungen anzusehen sind, missachtet genau diese Vorgabe; die Ausgestaltung der Motoren ist daher nicht von der VO 715/2007 gedeckt. Gleiches gilt für Fahrzeuge der Firma Fiat. Die Deaktivierung der Emissionskontrolle aufgrund von vornherein fest definierten Zeit-, Entfernungs- oder Zyklenparametern mit der Begründung, dass die Abgasbehandlung lediglich während des 21-minütigen NEFZ funktionieren müsse, stellt eine sachlich nicht zu rechtfertigende Missachtung der Vorgabe dar, dass die für das Emissionsverhalten relevanten Bauteile eines Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der VO 715/2007 entsprechen müssen - und damit insbesondere der Maßgabe des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007 gerecht werden müssen, dass die Verwendung von Abschalteinrich- tungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist.
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15 111. Die Verwendung von Abschalteinrichtungen durch Opel und Fiat 1. Die Vorgaben der VO 715/2007 Im Folgenden sind die Bestimmungen über Abschalteinrichtungen für die vorliegend zu beurteilende Fragestellung in den Blick zu nehmen. Eine "Abschalteinrichtung" ist in Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 legaldefiniert als "ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingeleg- ten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter er- mittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu akti- vieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbe- trieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird". Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007 erklärt die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, für unzulässig. Mit dieser Vorgabe will die Verordnung verhindern, dass durch eine Abschalteinrichtung die Wirksamkeit eines Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird; dies bringt nicht nur Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007 deutlich zum Ausdruck, sondern erschließt sich auch aus Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007, der dem Hersteller aufgibt, das Fahrzeug so auszurüsten, dass es dieser Verordnung entspricht, mithin auch der Vorgabe von Art., 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007, wonach die Verwendung von Abschalteinrichtungen un- zulässig ist. Darüber hinaus hat die Kommission in Erwägungsgrund 5 der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20. April 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hin- sichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 7 6) nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass "Abschalteinrichtungen" im Sinne von Art. 3 Abs. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 zur Verringerung der Emissionsminde- rungsleistung verboten sind. Die jüngsten Ereignisse hätten deutlich gemacht, dass die Durchsetzung von Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht verstärkt werden müsse. Daher, so die Kommission in Erwägungsgrund 5 weiter, sei es angemessen, eine bessere Überwachung der vom Hersteller bei der Typgenehmigung angewandten 7 ABI EU Nr. L 109 vom 26. April 2016, S. 1.
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16 Emissionsminderungstrategie zu verlangen, gemäß den Grundsätzen, die nach der Verordnung (EG) Nr. 595/2009 und ihren Durchführungsbestimmungen bereits für schwere Nutzfahrzeuge gelten (Euro 6). Diese Erwägungen der Kommission machen jedenfalls eindrucksvoll deutlich, dass auch in der Vergangenheit der Wille der Kommission stets dahin ging, dass Fahrzeu- ge grundsätzlich nur ohne Abschalteinrichtungen für den Verkehr zugelassen werden sollten. Auch wenn die VO 715/2007 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassen wurde, so sind die Erwägungen der Kommission gleichwohl von grundlegender Bedeutung, kommen diesen doch aufgrund des der Kommission zustehenden Vorschlagsrechts eine die Entscheidung von Parlament und Rat wesentlich determinierende Bedeutung zu. 2. Ausnahmen Indes lässt Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007 drei Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen zu. So kann eine Abschalteinrich- tung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, dann zur Anwen- dung gebracht werden, wenn a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist; c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind. Bei Vorliegen einer dieser drei Ausnahmen soll mithin die Verwendung einer Ab- schalteinrichtung nach dem Willen des Unionsgesetzgebers rechtlich zulässig sein - wobei im vorliegenden Kontext ausschließlich Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO 715/2007 in den Blick zu nehmen ist. 3. Die Begründungspflicht Jedoch ist bei der Auslegung dieser Ausnahmebestimmung zum einen die Maßgabe zu berücksichtigen, dass Ausnahmen von einem Grundsatz regelmäßig eng zu inter-
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17 pretieren sind; dies gilt auch für den Fall, dass die Ausnahmetatbestände mehr oder weniger weit formuliert sind und daher auch eine weite Interpretation ermöglichen. Darüber hinaus ist insoweit von Bedeutung, dass für den Fall, dass eine in ein Fahr- zeug eingebaute Abschalteinrichtung unter bestimmten Bedingungen aktiviert wird, dieses Vorgehen einer nachvollziehbaren und belastbaren Begründung seitens des Herstellers bedarf. Vom Hersteller muss mithin in nachvollziehbarer und nachprüfba- rer Weise dargelegt und begründet werden können, unter welchen Voraussetzungen die Abschalteinrichtung tätig wird; denn in diesem Fall wird von der verbindlichen Vorgabe des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007 abgewichen wird, wonach die Verwen- dung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen 8 verringern, unzulässig ist . Damit wird dem überkommenen Rechtsgedanken Rech- nung getragen, dass das Abweichen von einer Regel stets einer besonderen Be- gründung und Rechtfertigung bedarf. Auch gilt insoweit der allgemeine Rechtsgrund- satz, dass derjenige, der sich auf eine ihn begünstigende Regelung beruft, die Grün- de hierfür dartun muss. 4. Der Einsatz von Abschalteinrichtungen: Sachlich gerechtfertigt aus Gründen des Motorschutzes? Die von Opel und Fiat vorgenommenen Eingriffe in die Emissionskontrolle sind im Folgenden daraufhin zu untersuchen, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen dar- stellen oder aber ob ihr Einsatz durch den Aspekt des Motorschutzes gerechtfertigt ist. a. Die Abschalteinrichtungen der Firma Opel aa. Die Abschaltung der Emissionskontrolle ab einer Fahrzeuggeschwindigkeit von 140kmlh (1) Die Begründung von Ope/ für die Deaktivierung ln den fraglichen Fahrzeugen der Fa. Opel werden bei den Euro 6-Fahrzeugen sog. SCR-Katalysatoren (Selective Catalytic Reduction) verwendet. Ab einer Geschwin- digkeit von 140 km/ findet ein Eingriff in die Emissionskontrolle bei diesen Fahrzeu- 8 Näher zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Herstellers M. Brenner, Rechtsgutachten, S. 34 ff.
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18 gen in der Weise statt, dass die Urea-Dosierung reduziert wird. Bei Erreichen der Geschwindigkeit von 145 km/h wird die Urea-Dosierung, mithin die AdBiue- Zudosierung, deaktiviert und auf diese Weise die Emissionskontrolle abgeschaltet. Die Adßlue-Zudosierung erfolgt dann wieder ab dem Erreichen der Geschwindigkeit von 130 km/h bei abfallendem Geschwindigkeitsgradienten. Aus technischer Sicht begründet Opel die partielle und dann auch vollständige Deak- tivierung der Emissionskontrolle ab einer bestimmten Geschwindigkeit- 140 km/h bzw. 145 km/h - damit, dass oberhalb dieser Geschwindigkeiten physikalisch uner- wünschte Reaktionen auftreten würden. So nimmt nach Aussage von Opel die Am- moniakspeicherfähigkeit bei SCR-Katalysatoren bei Temperaturen über 400 Grad Celsil!S langsam ab, d. h. der SCR-Katalysator verliert oberhalb bestimmter Ge- schwindigkeiten seine Fähigkeit, Ammoniak zu speichern. Dabei entspricht die Ge- schwindigkeit von 140 km/h einer kritischen Kombination aus Abgasmassenstrom und Abgastemperatur von ungefähr 350° C, die Geschwindigkeit von 145 km/h einer Kombination aus Abgasmassenstrom und Abgastemperatur von ungefähr 400° C. Anders formuliert: Der Zafira 1.6 I Diesel nutzt die Geschwindigkeit von 145 km/h zur Erkennung der Schwelle von 400° C und 60 g/s Abgasmassenstrom. Opel macht vor diesem Hintergrund geltend, dass oberhalb der Geschwindigkeit von 145 km/h als Folge der Tatsache, dass der SCR-Katalysator seine Fähigkeit verliert, Ammoniak zu speichern, Ammoniak in N20 (Distickstoffmonoxid) und NO (Stick- stoffmonoxid) oxidiert. Ammoniak würde dann, würde der SCR-Katalysator nicht de- aktiviert werden, über den Auspuff in die Umgebung entweichen. Es ist mit anderen Worten diese Oxidation von Ammoniak bei Temperaturen oberhalb von 400° C, die zu dem sog. Ammoniakschlupf aus dem Auspuff führen kann. Und um diesen Effekt zu verhindern, wird laut Opel bei Temperaturen oberhalb von 400° C die Adßlue- Zudosierung reduziert bzw. ganz eingestellt, um den Ammoniakschlupf und dessen Freisetzung in die Umwelt zu vermeiden 9 . Die Freisetzung von Ammoniak wäre nicht nur geruchsbelästigend, sondern sogar giftig. 9 Vgl. hierzu Folie 4 der Darlegungen von Opel in der Sitzung der Deutschen Untersuchungskommis- sion am 18. Mai 2016.
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19 (2) Das Vorliegen einer Abschaffeinrichtung Keiner näheren Ausführungen bedarf es, dass es sich bei der Reduzierung und Ab- schaltung der AdBiue-Zudosierung um eine Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007 handelt. Dies folgt daraus, dass die Motorsteuerungssoftware in den fraglichen Fahrzeugen verschiedene Parameter ermittelt, um die Funktion des Emis- sionskontrollsystems in einer Art und Weise zu beeinflussen, dass dessen Wirksam- keit unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu er- warten sind, verringert wird. Werden bestimmte Parameter erfüllt- Erreichen einer bestimmten Geschwindigkeit, Erreichen einer bestimmten Motordrehzahl oder Errei- chen eines bestimmten Außenluftdrucks -, so reduziert die Systemsoftware die Urea- Dosierung bzw. die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit der Emissionskon- trolle. (3) Keine Kompensation für den Einbau minderwertiger Technik möglich Daher stellt sich aus juristischer Sicht im Lichte dieser technischen Details die Frage, ob die Reduzierung bzw. Abschaltung der AdBiue-Zudosierung ab einer Geschwin- digkeit von 140 km/h bzw. 145 km/h eine durch den Aspekt des Motorschutzes ge- rechtfertigte Abschalteinrichtung darstellt. Für die Beantwortung dieser Frage ist von wesentlicher Bedeutung, ob die Abschalt- einrichtung aus zwingenden technischen Gründen aktiviert wird, mithin aufgrund von Hindernissen, die technisch nicht überwunden werden können, oder ob die Abschalt- einrichtung wegen konstruktivistischer Unzulänglichkeiten des Herstellers aktiviert wird bzw. aktiviert werden muss - mithin aus Gründen, die andere Hersteller ohne Probleme in den Griff bekommen haben, weil diese Probleme technisch ohne Weite- res lösbar sind. Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007 will den Herstellern jedenfalls keine Handhabe 1iefern, durch den Einbau von technisch unzulänglichen o~er minderwerti- gen Emissionskontrollsystemen die Aktivierung von Abschalteinrichtungen rechtferti- gen zu könneri. Daher wird man in einem solchen Fall dem Hersteller vorhalten kön- nen und müssen, dass er nicht das Erforderliche und insbesondere nicht das tech- nisch Mögliche und Zurnutbare unternommen hat, um die Emissionskontrolle des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen sicherzustellen. Eine teleologische Auslegung der Bestimmung - mithin eine an Sinn und Zweck einer Gesetzesbestim-
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20 mung ausgerichtete Auslegung - lässt eine andere Interpretation nicht zu, da an- sonsten die Vorgabe von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen unzulässig ist, von jedem Hersteller nach Belieben ausgehöhlt und unterlaufen werden könnte. Die in der VO 715/2007 vorgesehene Ausnahmemöglichkeit dient jedenfalls nicht dazu, dem betreffenden Hersteller eine Handreichung zu geben, um Mängel in der Konstruktion des Motors oder anderer technischer Bestandteile auszugleichen, die durch vermehrte Anstrengungen oder aber durch den Einbau qualitativ hochwertige- rer Bauteile zu verhindern gewesen wären. Der europäische Gesetzgeber will ver- hindern, dass ein Hersteller durch einen zu geringen (Investitions- und Forschungs- )Aufwand, durch Verwendung minderwertiger Materialien oder auch durch unterdi- mensionierte technische Einheiten die Vorgabe, dass Abschalteinrichtungen unzu- lässig sind, unterläuft und sich unter Berufung auf den Motorschutz nicht nur Wett- bewerbsverteile verschafft, sondern zugleich gegen die Vorgabe der VO 715/2007 verstößt, wonach das Fahrzeug den Vorgaben der Verordnung unter normalen Be- . triebsbedingungen genügen muss, mithin im normalen Betrieb mit aktivierter Emissi- onskontrolle betrieben werden muss. Ergänzend ist in diesen Kontext schließlich darauf hinzuweisen, dass der europäi- sche Gesetzgeber mit der Festlegung von Emissionsgrenzwerten deren grundsätzli- che Realisierbarkeit und damit letztlich technische Machbarkeit festgeschrieben und auf diese Weise einen bestimmten technischen Standard formuliert hat. Und dieser Standard soll - sieht man von den Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007 ab - ohne die Verwendung von Abschalteinrichtungen eingehalten werden, so die Maxime von Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007. (4) Die Opei-Fahrzeuge im Lichte dieser Vorgaben Mit Blick auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation ist zunächst festzuhalten, dass es aus technischer Sicht zutreffend ist, dass die Ammoniakspeicherfähigkeit eines SCR-Katalysators bei Temperaturen über 400° C langsam abnimmt. Ungeach- tet dessen liegt der optimale Betriebsbereich eines SCR-Katalysators aber gerade zwischen 350° C und 450° C. Bei Lkw's treten sogar noch deutlich höhere Abgas- temperaturen auf; bei diesen Fahrzeugen wird AdBiue selbst in noch höheren Tem-
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