Medizinische (Zwangs-)Behandlungen bei Abschiebungen – Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags

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Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Medizinische (Zwangs-)Behandlungen bei Abschiebungen. © 2018 Deutscher Bundestag WD 3 • 3000 • 309/18
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 3 - 3000- 309/18 Medizinische (Zwangs-)Behandlungen bei Abschiebungen Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: Fachbereich: WD 3 - 3000 - 309/18 6. September 2018 WD 3: Verfassung und Verwaltung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpun]ct der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 3 - 3000- 309/18 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Reisefähigkeit als Voraussetzung der Abschiebung 4 3. Praxis der ärztlichen Begleitung von Abschiebungen und der medizinischen Behandlung während der Abschiebung 5 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 5. Zulässigkeil einer medizinischen Zwangsbehandlung während der Abschiebung Unionsrechtliche Vorgaben Bundesrecht Landesrecht Spezielle Landesregelungen zur Untersuchung von Personen Unmittelbarer Zwang 10 Rechtsprechung zur medizinischen Behandlung von Abzuschiebenden 11 6 6 7· 9 9
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Wissenschaftliche Dienste 1. Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 309/18 Seite 4 Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der ärztlichen Begleitung von Abschiebungen und der Zulässig- keit medizinischer Zwangsbehandlungen im Rahmen von Abschiebungen nach Unionsrecht, Bundesrecht und Landesrecht. Zudem wird auch auf Rechtsprechung zur medizinischen Behand- lung von Abzuschiebenden eingegangen. 2. Reisefahigkeit als Voraussetzung der Abschiebung Die Abschiebung nach§ 58 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)l ist die zwangsweise Rückführung des 2 Ausländers in einen bestimmten Staat. Es handelt sich um eine Maßnahme der Verwaltungsvoll· 3 streckung in Form des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Ausreisepflicht Ein Abzuschiebender muss reisefcihig sein. Bei Reiseunfähigkeit liegt ein .Abschiebungshindernis in Form der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung vor, das zur vorübergehenden Aus- 4 setzung der Abschiebung führt (§ 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG). Grundsätzlich wird aber bei der Abschiebung die Reisefähigkeit vermutet (§ 60a Abs. 2c S. 1 AufenthG), sodass es dem Ausländer obliegt, eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen könnte, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen (§ 60a Abs. 2c S. 2 AufenthG). Eine Reiseunfähigkeit kann nur bestehen, wenn die Abschiebung unter Berücksichtigung aller 5 möglichen Hilfsmittel, wie etwa einer ärztlichen Begleitung, gesundheitlich ausgeschlossen ist. In einem ärztlichen Gutachten über die Feststellung der Reisefähigkeit kann daher veranlasst werden, dass die Abschiebung nur in Begleitung eines Arztes und mit medikamentöser Versorgung durchgeführt werden darf. 1 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBI. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). 2 Vgl. Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auf!. 2016, § 53 AufenthG Rn. 4. 3 Vgl. Masuch/Gordzielik, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, §58 AufenthG Rn. 2. 4 Vgl. Masuch/Gordzielik, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 16. 5 Vgl. Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auf!. 2016, § 60a AufenthG Rn. 13. 6
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000- 309/18 Seite 5 - 3. Praxis der ärztlichen Begleitung von Abschiebungen und der medizinischen Behandlung während der Abschiebung Fallzahlen zu Abschiebungen in Begleitung von Ärzten konnten nicht erlangt werden. Die Bundes- 8 regierung teilte 2018 auf eine Kleine Anfrage hin mit, dass hierzu keine Statistiken vorliegen. Es konnten daher auch keine statistischen Informationen zu durchgeführten medizinischen Behand- lungen im Zuge von Abschiebungen gewonnen werden. Das Sächsische Staatsministerium des Innern gab 2018 zu dieser Frage an: "Grundsätzlich unterliegen Ärzte der Schweigepflicht. Sie sind demnach auch nicht gegenüber eingesetzten Polizeibeamten auskunftsberechtigt Dementsprechend kann keine Aussage darüber getroffen werden, in welchem Umfang eine notwendige Behandlung erfolgt bzw. erforderlich ist. [... ]Eine statistische Erfassung einer etwaigen Medikamentengabe durch begleitende Ärzte 9 im Rahmen von Abschiebungen erfolgt nicht" • Ein Beispiel für eine medizinische Behandlung mit dem Beruhigungsmittel Diazepam während einer Abschiebung lässt sich der Antwort der Hassischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2015 entnehmen: "Die ärztliche Untersuchung erfolgte am 13. Juni 2014 in der GfA [Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige]. Die Reisefähigkeit wurde festgestellt. Weiterhin wurde die Charter- maßnahme durch eine Ärztin begleitet. Die ärztliche Begleitung spritzte einem der Passagiere 10 mg Diazepam-intramuskulär, weil er einen Krampfanfall hatte. Von einer diesbezüglichen Vorerkrankung des Patienten war nichts bekannt. Der Krampfanfall fand statt, als bereits die Reiseflughöhe erreicht worden war; eine umgehende medizinische Intervention war notwendig, 7 8 BT-Drs. 19/919, S. 4. 9 Sächsischer Landtag, Drs. 6/12808, S. 1 f., abrufbar unter https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/12808.pdf (Stand: 5. September 2018).
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000- 309/18 Seite 6 um den Anfall zu unterbrechen. Der Gesundheitszustand des Patienten wurde von der ärztlichen Begleitung für den Rest des Fluges besonders kontrolliert: war jedoch ohne pathologischen Befund. Der Patient konnte wie die beiden anderen Ausländer in unauffälligem gesundheitlichem 10 Zustand den dortigen Behörden übergeben werden" • 4. Zulässigkeil einer medizinischen Zwangsbehandlung während der Abschiebung Das Sächsische Staatsministerium des Innern äußerte sich 2018 zur Möglichkeit der Verabreichung von Medikamenten während einer Abschiebung wie folgt: "Ob im Rahmen einer Vollzugsmaßnahme im Einzelfall aus medizinischen Gründen, insbeson- dere zur Lebensrettung, Medikamente verabreicht werden dürfen, obliegt der Entscheidung der anwendenden Ärzte" 1 t. Eine medizinische Behandlung mit Einwilligung des Abzuschiebenden kann unproblematisch erfolgen. Im Falle einer nicht bestehenden Einwilligungsfähigkeit kann in Notfällen, in denen ein weiteres Abwarten das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen gefährden würde, von einer 12 mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden. Eine medizinische Behandlung gegen den Willen des Betroffenen greift hingegen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das diesbezügliche Selbstbestimmungerecht gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) einY Fraglich ist daher, ob eine medizinische Zwangsbehandlung im Rahmen einer Abschiebung zulässig ist. 4.1. Unionsrechtliche Vorgaben 14 Gemäß Art. 8 Abs. 5 der EU-Rückführungsrichtlinie haben die Mitgliedsstaaten bei der Durch- führung von Abschiebungen auf dem Luftw-eg den Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvor- 15 schriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg Rechnung zu tragen. Diese enthalten 10 Hessischer Landtag, Drs. 19/1729, S. 1, abrufbar unter http://starweb.hessen.de/cache/DRS/19/9/01729.pdf (Stand: 5. September 2018). 11 Sächsischer Landtag, Drs. 6/12808, S. 2, abrufbar unter https:/ /s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/12808.pdf (Stand: 5. September 2018). 12 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum 8GB, 7. Aufl. 2016, § 630d 8GB Rn. 50 f. 13 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grund- gesetz-Kommentar, 82. EL Januar 2018, Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 GG Rn. 69. 14 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABI. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98. 15 Gemeinsame Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg, ABI. L 261 vom 6. August 2004, S. 31 (Hervorhebung nur hier). ·
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 3 - 3000 - 309/18 folgende Bestimmung 3.2. zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen an Bord des zur Abschiebung verwendeten Flugzeugs: "Für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gilt Folgendes: a) Bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen werden die Rechte des Einzelnen gebührend geachtet. b) Zwangsmaßnahmen können bei rückkehrunwilligen oder Widerstand leistenden Personen angewandt werden. Die Zwangsmaßnahmen müssen angemessen sein und dürfen nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Die Würde und körperliche Unversehrtheil der rückzuführenden Person müssen gewahrt werden. Im Zweifelsfall ist die Rückführung, einschließlich der Anwendung rechtmäßiger Zwangsmaßnahmen, die durch den Wider- stand und die Gefährlichkeit der rückzuführenden Person gerechtfertigt sind, nach dem Grundsatz ,keine Rückführung um jeden Preis' abzubrechen. [ ... ] e) Der organisierende Mitgliedstaat und alle teilnehmenden Mitgliedstaaten einigen sich vor der Rückführung auf eine Liste erlaubter Zwangsmaßnahmen. Die Verabreichung von Beruhigungsmitteln, mit denen die Rückführung erleichtert werden soll, ist unbeschadet etwaiger Notmaßnahmen zur Gewährleistung der Flugsicherheit verboten." An Bord des für die Abschiebung verwendeten Flugzeugs darf demnach eine Zwangsmedikation mit Beruhigungsmitteln nur zur Sicherung der Flugsicherheit erfolgen, nicht etwa zum Vollzug der Rückführung. Gemäß Nr. 3.3 der Leitlinien darf zudem nur ein begleitender Arzt nach einer genauen ärztlichen Diagnose Medikamente verabreichen. 4.2. Bundesrecht Die Rückführung eines Ausländers über die deutsche Grenze hinaus bis zum Zielort ist Aufgabe der Bundespolizei(§ 71 Abs. 3 Nr. 1d AufenthG). Die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen richtet sich folglich in diesem Stadium der Abschiebung nach Bundesrecht
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000- 309/18 Seite 8 Zu den Aufgaben der Bundes- 6 polizei gehört jedoch auch gemäß § 4a Bundespolizeigesetz (BPolG)1 die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit oder Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge. Die Bundespolizeibeamten können nach§ 14 Abs. 1 und 2 BPolG die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung abzuwenden. Es stellt sich daher die Frage, ob eine medikamentöse Behandlung als Zwangsmaßnahme zur Abwendung einer drohenden Gefahr für Sicherheit oder Ordnung möglich ist. Dazu müsste die Zwangsbehandlung eine zulässige Maßnahme nach dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) sein. Unmittelbarer Zwang ist nach § 2 Abs. 1 UZwG die Einwirkung auf Personen durch körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch. Fraglich ist, ob Arzneimittel vom Begriff der Hilfsmittel der körperlichen Gewalt umfasst sind. Nach § 2 Abs. 3 UZwG sind Hilfsmittel der körperlichen Gewalt "insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde und Dienstfahrzeuge". Die Aufzählung ist nicht abschließend. Damit kommen weitere, nicht ausdrücklich geregelte Anwendungsfälle in Betracht. Diese müssen aber im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität mit den ausdrücklich genannten Hilfsmitteln vergleichbar sein oder unterhalb der entsprechenden Schwelle liegenY Nach der Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts handelt es sich jedoch bei medizinischen Zwangshandlungen um schwerwie- gende Eingriffe in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit, die strengen Anforderungen 18 unterliegen. Es ist daher von einer sehr hohen Eingriffsintensität solcher Maßnahmen auszugehen. Stellt eine abzuschiebende Person eine Gefahr für sich selbst oder andere dar, dürfte etwa das Fesseln der Person eine geringere Eingriffsintensität aufweisen als etwa die Gabe von Beruhigungs- mitteln. 16 Bundespolizeigesetz vom 19. Oktober 1994 (BGBI. I S. 2978, 2979), zuletzt geändert durch Artikel1 des Gesetzes vom 5. Mai 2017 (BGBI. I S. 1066). 17 Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens (Hrsg.), Bundespolizeigesetz, 5. Auf!. 2012, § 2 UZwG Rn. 10. 18 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011,2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282; Beschluss vom 19. Juli 2017, 2 BvR 2003/14, BVerfGE 146, 294.
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000- 309/18 Seite 9 Die Bundesregierung ging dementsprechend bereits 1996 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage davon aus, dass die Verabreichung von sedierenden bzw. psychopharmakalogischen Medikamenten 19 im UZwG nicht geregelt sei. 4.3. Landesrecht Zuständig für die Durchführung der Abschiebung bis zur Grenze sind neben den Ausländerbehörden die Polizeien der Länder (§ 71 Abs. 5 AufenthG). Findet die Abschiebung in diesem Stadium unter 20 landespolizeilicher Begleitung statt, sind insoweit die Landespolizeigesetze maßgeblich. 4.3.1. Spezielle Landesregelungen zur Untersuchung von Personen Die Polizeigesetze einiger Länder enthalten Vorschriften zur Untersuchung von Personen zu Zwecken der Gefahrenabwehr. So besagt etwa§ 36 Abs. 5 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)2 2 : 21 "Zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben können Personen körperlich untersucht sowie Blutproben entnommen und andere körperliche Eingriffe, die aus ärztlicher Sicht erforderlich sind und keine Nachteile für die Gesundheit der betroffenen Person befürchten lassen, vorge- nommen werden. Maßnahmen nach Satz 1 bedürfen außer bei Gefahr im Verzug der richterlichen Anordnung. [ ... ]Bei Gefahr im Verzug darf die Anordnung auch durch die Polizeibehörden erfolgen. Maßnahmen nach Satz 1 dürfen nur von Ärztinnen oder Ärzten durchgeführt werden." Die jeweiligen Vorschriften beziehen sich sowohl auf Gefahren für Dritte, als auch für den Be- troffenen selbst und umfassen auch die Behandlung mit Medikamenten. 23 • In denjenigen Bundesländern, deren Polizeigesetz keine ausdrückliche Regelung zur Untersuchung von Personen enthält, ist ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel zu diesem Zweck 19 BT-Drs. 13/4267, S. 6. 20 Dies ist üblicherweise der Fall, vgl. https:/ /www.bundesrel!:ieruni:.de/Content/DE/Lexikon/FAO-Fluechtlinl!:s- Asylpoli tik/1-was-muss-ich-ueber- fl uech tlinl!:e-wissen/4 75-wie-funktioniert -a bschiebuni:.h tml (Stand: 5. September 2018). 21 Soweit ersichtlich handelt es sich um Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen- Anhalt, Rheinland-Pfalzund das Saarland, vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auf!. 2018, Kapitel ERn. 577 und 579. 22 In der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I. 14), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. Juni 2018 (GVBI. 2018, 302). 23 Vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auf!. 2018, Kapitel ERn. 577 und 579.
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000- 309/18 Seite 10 24 ausgeschlossen. Dies wird unter anderem mit dem in der Generalklausel fehlenden Richtervor- behalt begründet. Zum Teil wird aber eine analoge Anwendung der Untersuchungsvorschriften 25 26 aus den§§ 81a, 81c Strafprozessordnung (StP0) vorgeschlagen. 4.3.2. Unmittelbarer Zwang Die Durchführung der Abschiebung bis zur deutschen Grenze richtet sich nach den landesrechtliehen 27 Vorschriften über die Durchsetzung unmittelbaren Zwangs. Daher gelten die oben angeführten Überlegungen, ob Arzneimittel vom Begriff des Hilfsmittels der körperlichen Gewalt umfasst sind, auch an dieser Stelle. Nachfolgend wird darüber hinaus auf einige landesrechtliche Beispiele eingegangen. Gemäߧ 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin (UZwG Bln) 28 gehören zu den Hilfs- mitteln der körperlichen Gewalt auch Betäubungsstoffe. Fraglich ist, ob Beruhigungsmittel unter diesen Begriff fallen und daher eine Behandlung mit derartigen Arzneimitteln von der allgemeinen Vorschrift zur Anwendung unmittelbaren Zwangs nach§ 2 Abs. 1 UZwG Bin umfasst wäre. Dagegen könnte sprechen, dass es mit§ 22 UZwG Bln eine Spezialvorschrift für medizinische Zwangsbe- handlungen gibt. Diese sind nur bei Gefangenen möglich. Gefangene im Sinne der Norm sind 29 Personen, denen die Freiheit entzogen wurde. Die Durchführung der Abschiebung durch un- 30 mittelbaren Zwang stellt dagegen grundsätzlich keine Freiheitsentziehung dar. Die Tatsache, dass die medizinische Behandlung für eine bestimmte Personengruppe speziell geregelt ist, dürfte systematisch dafür sprechen, dass hinsichtlich anderer Personengruppen ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des§ 2 Abs. 1 UZwG Bln ausgeschlossen sein soll. Das UZwG Bln enthält somit abgesehen von den Regelungen für Gefangene keine Rechtsgrundlage für medizinische Zwangsbehandlungen. Nach sächsischem Landesrecht sind gemäß der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage "im Rahmen des unmittelbaren Zwangs[ ... ] zulässige Wirkstoffe auf den Körper nur 24 Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kapitel ERn. 246, 578 und 581. 25 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April1987 (BGBI. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBI. I S. 3618). 26 So Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kapitel ERn. 578 und 581. 27 Bundesministerium des Innern, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009, Nr. 58.0.1. 28 Vom 22. Juni'1970 (GVBI. 1970, 921), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 05. Juli 2018 (GVBI. 2018, 462). 29 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Austührungsvorschriften für Vollzugsdienstkräfte der Polizeibe-. hörde zum UZwG Bin (AV Pol UZwG Bin) vom 20. Juni 2016, Nr. 81. 30 BVerwG, NJW 1982, 537; Schott, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, 2. Aufl. 2010, Abschiebung, Nr. 2.
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