Medizinische (Zwangs-)Behandlungen bei Abschiebungen – Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags

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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 309/18 Seite 11 Reizstoffe (§ 31 Abs. 2 SächsPolG), nicht die Verabreichung von Medikamenten. Weiter heißt es: "Ob im Rahmen einer Vollzugsmaßnahme im Einzelfall aus medizinischen Gründen, insbe- sondere zur Lebensrettung, Medikamente verabreicht werden dürfen, obliegt der Entscheidung 31 der anwendenden Ärzte. " Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen hat 2004 durch Erlass einen Informations- und Kriterienkatalog einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer für verbindlich erklärt, der Fragen der ärztlichen Mitwirkung bei Rückfüh- rungen behandelt. Der Kriterienkatalog schließt die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen des oder der Betroffenen grundsätzlich aus. 33 32 5. Rechtsprechung zur medizinischen Behandlung von Abzuschiebenden In der Rechtsprechung wird die medizinische Behandlung von Abzuschiebenden vor allem in Bezug auf die Reisefahigkeit diskutiert. Rechtsprechung zu durchgeführten medizinischen Zwangsbehandlungen konnte nicht gefunden werden. 2009 stellte das OVG Bremen in einem Beschluss fest, dass die "Abschiebung eines psychisch erkrankten, suizidgefahrdeten Ausländer.s, die nur unter der Bedingung der Fesselung oder me- 34 dikamentösen Ruhigstellung durchgeführt werden kann,[ ... ] unverhältnismäßig sein" könne. Denn auch, wenn die konkrete Form der Abschiebung wesentlich dazu beitragen könne, eine etwaige Suizidgefahr zu beherrschen, würden Mittel wie Fasselungen oder eine medikamentöse Ruhigstellung rechtliche Bedenken wecken. Wenn sich eine Abschiebung danach nur dann durchführen ließe, wenn intensiv in die Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität eingegriffen werden würde, dränge es sich auf, dass die Abschiebung eine unverhältnismäßige Maßnahme sei. Auch das OVG Schleswig stellte 2018 fesf, dass "Gesundheitsgefahren, die mit einer drohenden Dekompensation und einer ärztlich bescheinigten Suizidalität während der Abschiebung einher- gehen,[ ... ] häufig durch eine ärztliche Begleitung während des Fluges sowie einer ärztlich veran- 35 lassten Medikation begegnet werden" könne. Im betreffenden Fall hatte jedoch das Verwaltungs- gericht in einem Eilverfahren erstmals verfügt, dass die Abschiebung durch einen Arzt begleitet werden müsse und bei sogenannten Impulsdurchbrüchen ein sedierendes Medikament wie Tavor 31 Sächsischer Landtag, Drs.-Nr. 6/6865, S. 2, abrufbar unter: https://s3.kleine-anfraEen.de/ka-prod/sn/6/6865.pdf (Stand: 5. September 2018) (Hervorhebung nur hier). 32 Erlass vom 16. Dezember 2004, 15.39.10.03-1-BÄK. 33 Informations- und Kriterienkatalog, in der von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer zu Fragen der ärztlichen Mitwirkung bei Rückführungsfragen erstellten Fassung, 22. November 2004, S. 9, abrufbar unter https://www.aekno.de/downloads/aekno/kriterienkata- log nrw.pdf (Stand: 5. September 2018). 34 OVG Bremen, Beschluss vom 21. April 2009, 1 B 144/09, juris Rn. 25 (Hervorhebung nur hier). 35 OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018, 4MB 24/18, juris Rn. 14.
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Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3- 3000- 309/18 Seite 12 zu verabreichen sei. Eine solche erstmalige und eher abstrakte Maßgabe im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren werde nicht dem gebotenen Schutz von Art. 2 Abs. 2 GG gerecht. Da.s OVG Lüneburg wies 2017 in einem Beschluss daraufhin, dass abzuschiebende Personen, die ihre Reiseunfähigkeit mit dem angeblichen Fehlen tauglicher medizinischer Begleitmaßnahmen begründeten, nicht zugleich eine mögliche und zurnutbare medikamentöse Sedierung (etwa in 36 Tabletten- oder Tropfenform) ablehnen dürften. Es stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben in Gestalt eines widersprüchlichen Verhaltens dar, wenn die betroffene Person eine solche Maß- nahme auch für den Fall ablehnte, dass sie während der Rückführung im Rahmen der ärztlichen Begleitung wider Erwarten erforderlich werden sollte, etwa um eine Dekompensation zu verhindern. Das OVG Münster ging in einem Beschluss 2008 davon aus, dass bei der Abschiebung suizidaler Personen ein Suizidversuch grundsätzlich durch das Eingreifen des Arztes oder anderen Begleit- personals verhindert werden könne, ohne dass dies mit der Verabreichung von Medikamenten 37 oder präventiven Zwangsmaßnahmen einhergehen müsse. Es wies dennoch darauf hin, dass die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen des Betroffenen in Nordrhein-Westfalen aufgrund des vom Innenministerium durch Erlass für verbindlich erklärten Informations- und Kriterienkatalogs einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer ausgeschlossen sei. *** 36 OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. Juni 2017, 13 ME 107/17, juris Rn. 11. 37 OVG Münster, Beschluss vom 15. August 2008, 18 B 538/08, juris Rn. 22.
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