Lagebericht Afghanistan 2018

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VS _ - --1in geschwärzter �"'::,_- N111 fiir den Bienstgeb1 aoch.....,. Fassung nicht als VS eingestuft vor unterrepräsentiert . Sie gehören, anders als die übrigen ethnischen Gruppen Afghanistans; überwiegend der schiitischen Konfession an. Das hat zur Folge, dass Hazara zunehmend Op­ fer von Anschlägen des ISKP werden. Im Jahr 20 1 7 kam es mehrfach zu tödlichen Angriffen auf schiitische Moscheen und Kulturzentren in Kabul und anderen Städten des Landes. Arrt 9. März 20 1 8 wurde ein Selbstmordanschlag vor einer schiitischen Moschee in Kabul verübt, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Am 25. März 201 8 kam es in Herat ebenfalls zu ei­ nem Angriff auf eine schiitische Moschee, bei der ein Mensch getötet und 1 4 verletzt wurden. Am 22.04.20 1 8 wurde ein Anschlag vor einer afghaniseben Behörde verübt, welche für die Wahl notwendige Ausweispapiere ausgibt. Dabei starben mindestens 60 Menschen und 1 29 wurden verletzt. Der betroffene Stadtteil ist schiitisch geprägt. Der ISKP bekannte sich zu den Anschlägen. Die ca. 1 , 5 Millionen Nomaden (Kutschi ), die mehrheitlich Paschtunen sind, leiden in beson­ derem Maße unter den ungeklärten Boden- und Wasserrechten. Dies schließt die illegale Landnahme durch mächtige Personen ein - ein mangels funkt ionierenden Katasterwesens in Afghanistan häufiges und alle Volksgruppen betreffendes Problem. De facto kommt es immer wieder zu Diskriminierungen dieser Gruppe, da sie aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten. Nomaden werden öfter als andere Gruppen auf bloßen Verdacht hin einer Straftat bezichtigt und verhaftet, sind aber oft auch rasch wieder auf freiem Fuß. Ange­ hörige der Nomadenstämme sind aufgrund bürokratischer Hindernisse dem Risiko der (fakti­ schen) Staatenlosigkeit ausgesetzt. Die Verfassung sieht vor, da ss der Staat Maßnahmen fiir die Verbesserung der Lebensgrundlagen von Nomaden ergreift. Einzelne Kutschi sind als Parlamentsabgeordnete oder durch politische und administrative Ämter Teil der Führungselite Afghanistans. Zu den am stärksten marginalisierten Gruppen gehört die ethnische Minderheit der Jat, die die Gemeinschaften der Jogi, Chori Frosh und Gorbat umfasst. Die Jat sind wie die Kutschi eine nomadische Minderheit. Es gibt unbestätigte Berichte, wonach diese Gruppen keine Tazkiras (ldentitätsdokument) erhalten und damit nur beschränkten Zugang zu staatlichen Einrichtun­ gen haben. 1.4. Religionsfreiheit Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die Religionsfreiheit ist in der afghaniseben Verfassung verankert . Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Ver­ träge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Scharia-Vorbehalts (Art . 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, gilt daher de facto in Afghanistan nur eingeschränkt . Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind dem Auswärtigen Amt in jüngerer Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftli­ ehen Umfeld. Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert . So gilt die hanafitische Rechtsprechung (eine der Rechtsschulen des Sunnitischen Islams) fiir alle afghaniseben Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Nach offiziellen Schätzungen sind 80% der Bevölkerung sunnitische und 19% schiitische Muslime, einschließlich Ismailiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubens­ gemeinschaften w ie z.B. Sikhs, Hindus, Baha' i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 11
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..e/------t in geschwärzter '"lS- Not föt den Bienstgehraueh ' Fassung nicht als VS eingestuft 1.4.1. Schiiten Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten ver­ treten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zu­ sammenarbeit habe. Allerdings wurden seit Anfang 20 1 6 mehrere Anschläge gezielt gegen schiitische religiöse Einrichtungen wie bspw. Moscheen ausgeführt; der ISKP bekannte sich zum Großteil dieser Anschläge. Aus Angst vor derartigen Übergriffen beobachten Nichtregie­ rungsorganisationen (NRO) eine verstärkte Ausgrenzung von Schiiten im gesellschaftlichen Bereich. So würden immer weniger interreligiöse Ehen geschlossen, Beziehungen zu Anhä­ ngern der anderen Konfession von den jeweiligen Familien verurteilt. 1.4.2. Hindus und Sikhs Verlässliche Angaben über die Anzahl von Hindus und Sikhs in Afghanistan gibt es nicht. Gemäß der Organisation National Council of Hindus and Sikhs leben zurzeit ca. 900 Hindus und Sikhs in Afghanistan. Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätte der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand. Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus/ Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist. Hindus und Sikhs werden aber von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter wahr­ genommen. Viele Muslime lehnen insbesondere Feuerbestattungen ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellen. Die afghanisehe Regierung hat darauf reagiert, indem sie den Hindus einen dafür gewidmeten Ort zur Verfügung gestellt hat. 1.4.3. Christen Die Zahl afghanischer Christen kann nicht verlässlich angegeben werden. Sie beträgt aber wohl weit weniger als I% der Bevölkerung. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neberi der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholi­ schen Kapelle auf dem Gelände der Italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privat­ häusern von internationalen NROs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen. 1.4.4. Baha' i 1 966 entstand die erste Baha' i-Gemeinde in Kabul. Viele ihrer Anhänger wurden während der Taliban-Herrschaft verhaftet oder mussten das Land verlassen. Inzwischen sind einige von ihnen nach Afghanistan zurückgekehrt. Offizielle Zahlen gibt es nicht, inoffiziell wird von 400 Baha' i in Kabul und 4. 500 landesweit ausgegangen. Der Oberste Gerichtshof erklärte im Mai 2007, dass der Baha'i-Glaube sich vom Islam unterscheide und daher Blasphemie dar­ stelle. Eine Konversion sei eine Abkehr vom Islam und damit Apostasie. 1.5. Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politi­ scher Überzeugung diskriminiert, ist nicht erkennbar. Laut EASO kommt es insbesondere in paschtuniseben Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 12
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<E"'---�in geschwärzter 7t'S Nu1 fü1 den Bienstgeb1 aucl1 � Fassung nicht als VS eingestuft hin zu Blutfehden. Darüber hinaus sind Fälle von Sippenhaft durch die Taliban bekannt. Zur Verhängung von Sippenhaft durch andere regierungsfeindliche Organi sationen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntni sse vor. Verwaltung und Justiz sind nur eingeschränkt wirkmächtig. Hier zeigt sich auch der stete Drahtsei lakt zwischen Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierten Moralvorstellungen und ratifizierten internationalen Abkommen, deren Umsetzung ebenfalls in der Verfassung fest­ geschrieben i st. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt. Einflussnahme durch Verfahrensbetei ligte oder Unbeteiligte und Zahlung von Bestechungs­ geldern verhindem Entscheidungen nach rechtsstaatliehen Grundsätzen in weiten Tei len des Justizsystems. Personen i n Machtpositionen können sich oft der strafrechtlichen Verfolgung entziehen. Der Großtei l der Bevölkerung hat unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer be­ stimmten ethni schen, sozialen oder reli giösen Gruppe kein Vertrauen i n die afghani seben Si­ cherheitskräfte und die Justizorgane. Sie werden als korrupt und zum Tei l auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hi lfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird. 1.6. Militärdienst Das afghanisehe Recht sieht keine Wehrpflicht vor. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Rekrutierung beträgt 1 8 Jahre. Die Vereinten Nationen berichten (Report of the Secretary-General on Children and armed Conjlict, S/20 1 7/82 1 ) über die Rekrutierung von Minderjährigen durch staatliche afghani sehe Sicherheitskräfte (Polizei und Armee, elf Fälle im Jahr 20 1 6). Die Regi erung bestreitet dies jedoch und verweist dazu auf die Ergebni sse ei­ ner eigenen Untersuchung. Die Täti gkeit als Soldat oder Polizi st stellt für einen großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten dar, weshalb grundsätzli ch kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften besteht. Fahnenflucht kann gemäß Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bi s zu 1 5 Jahren Haft bestraft werden. Dem Auswärtigen Amt sind kei ne Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurtei lung oder di szipli nari schen Maßnahmen allein we­ gen Fahnenflucht gekommen i st. Ein gängiges Phänomen i st, dass Soldaten und Polizisten, die z. B. fern ihrer Heimat eingesetzt sind, das Militär bzw. den Polizeidienst vorübergehend verlassen, um zu ihren Fami lien zurückzukehren. Diese "Deserteure" werden schon aufgrund der sehr hohen Schwundquote (sog. "attrition rate) nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Fälle strafrechtlicher Verfolgungen sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. 1.7. Handlungen gegen Kinder Die Situation der Kinder hat sich in den vergangeneo Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerwei le rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban­ Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Mi llionen Schulkindem rund drei Mi llionen aus. Der Antei l der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bi ldungsstufe ab . Den geringsten Antei l fin­ det man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 1 8. Geburtstag. Die Zwangsverheiratung auch von Kindem unter dem gesetzlichen Mindestalter der Ehefähigkeit ( 1 8 Jahre für Männer, 1 6 für Frauen) i st ein weitverbreitetes Phänomen. Das Prob lem der Rekrutierung von Kindern durch regierungsfeindliche Gruppen oder af­ ghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort. Die Vereinten Nationen (Report of the Secre­ tary-General on Children and armed conjlict, S/20 1 7/82 1 vom 24. August 20 1 7) berichten über die Rekrutierung, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexuellen ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 13
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-E: ""':- - -----, -- in geschwärzter VS - Nut füt den Dienstgehra11eh ' Fassung nicht als VS eingestuft Missbrauch, von Minderjährigen durch bewaffnete Gruppen (Taliban, ISKP, Afghan Local Police (ALP), Milizen, Warlords oder kriminelle Banden). Human Rights Watch berichtete Anfang 20 1 6 von einer Zunahme der Rekrutierung von Kindem im Alter von 1 3 Jahren oder jünger durch die Taliban aus Madrassen in Kunduz, Takhar und Badakhshan. Diese würden u.a. für die Produktion und Verbringung von Sprengfallen eingesetzt. Map zur Um­ setzung des entsprechenden Aktionsplans von 20 1 1 vor. Mit Präsidialdekret vom 27. August 20 1 4, in Kraft getreten am 2. Februar 20 1 5, wurde die Rekrutierung Minderjähriger unter Strafe gestellt. und Wird unter dem Deckman- tel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft von armen Familien verkauft, von den Käufern sexuell missbraucht, weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung versto­ ßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. Das neue Strafgesetz, das am 14. Februar 20 1 8 in Kraft trat, behandelt die Praxis in einem Kapitel (Kapitel 5). Damit steht die Praxis erstmalig explizit unter Strafe. Afghanistan hat die VN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 20 1 4 laut der unabhängigen afghaniseben Menschenrechtskommission AIHRC (Children 's Situation Summmy Report vom 14. Dezem­ ber 20 1 4) 5 1 ,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umset­ zung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindem erlauben sol­ len, neben der Arbeit zumindest eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durch­ setzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 20 1 6 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorj ahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 20 1 7 um 1 0% (86 1 Todesfälle, 2.3 1 8 Verletzte). 20 1 7 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen ( 1 7%) und zurückgelassene Kampfmittel ( 1 6%). 1.8. Geschlechtsspezifische Verfolgung Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ver­ bessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghaniseben Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 14
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VS � _":.-. - ---1 in geschwärzter Nar fiir tlea Dieast�ehrttaeh ':" Fassung nicht als VS eingestuft Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich . Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personen­ standsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit. Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanisehe Verfassung Frauenquoten für das Zwei­ kammerparlament vor: Ein Drittel der 1 02 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Zurzeit sind 1 8 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Un­ terhaus ( Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mind. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die af­ ghanische Regierung hat derzeit zwei Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern). Die Regie­ rung veröffentlichte im Januar 20 1 8 ein Strategiepapier zu Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 20 1 8. Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterin­ nen nur etwa 1 5% der Richterschaft. Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen (derzeit 2%), allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wie­ der über Gewalt und Mobbing gegen Frauen berichtet. Polizistinnen sind massiven Belästi­ gungen und auch Gewalttaten, einschließlich Vergewaltigungen durch Arbeitskollegen oder im direkten privaten Umfeld, ausgesetzt. Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. EASO geht davon aus, dass 87% der Frauen Gewalt erfahren; 62% mehrfach. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Insbesondere durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das Eliminating Violence Against Women (EVA W) Gesetz, im Jahr 2009 wurde eine wichtige Grundlage geschaffen, Gewalt gegen Frauen - in­ klusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt - unter Strafe zu stellen. Das durch Präsidial­ dekret erlassene Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge sozia­ le Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt. Im Juni 20 1 5 hat die afghanisehe Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1 325 auf den Weg gebracht, allerdings fehlt es bisher am notwendigen Budget für die Umsetzung. ©Auswärtiges Amt 2018 - Nicht zur Veröf fentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 15
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- :.- -,i n ges chw ärzt - er / ..L. "iS No• fü1 den Bienstgehraueh=" Fassung nicht als VS eingestuft UNAMA dokumentierte 20 1 7 insgesamt 58 Fälle (36 Tote, 22 Verletzte), in denen Zivilistin­ nen Opfer gezielt gegen sie gerichteter Gewalt durch regierungsfeindliche Gruppen wurden. Hintergrund ist häufig die soziale Ablehnung von Frauen in Rollen außerhalb der traditionel­ len Normen. Berufstätige Frauen sind häufig Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männ­ lichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit und ist den Umfrageergebnissen der Asia Foundation 20 1 6 zufolge unter den Hazara am höchsten (84,6%), gefolgt von Usbeken (82,6%) und Tad­ schiken (75,6%), unter Paschtunen dagegen am niedrigsten (66,2%). Entsprechend tragen in der zentralen Hochlandregion laut Studie 46% der Frauen durch Erwerbsarbeit zum Haus­ haltseinkommen bei; in den östlichen, südwestlichen und nordöstlichen Regionen dagegen sind es nur zwischen 1 1 und 1 4%. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivil­ rechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus geschieht es, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen (wie z.B. ,,zina" - außerehelicher Geschlechtsverkehr - im Fall einer Vergewaltigung) verhaftet oder wegen "Von-zu-Hause-Weglaufens" (kein Straftatbe­ stand, aber oft als Versuch der ,,zina " gewertet) inhaftiert werden. Menschenrechtsorganisati­ onen kritisieren auch die im Zusammenhang mit "zina"-Anklagen oft einhergehenden, gesetz­ lich abgeschafften, aber in der Praxis weiterhin durchgeführten, erzwungenen "Jungfräulich­ keitstests". Auch Männer werden wegen ,,zina"-Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt. Zum Teil ergehen in diesen Fällen Morddrohungen der beiden Familien gegen beide Partner. Für nähere Einzelheiten hierzu wird auf den EASO-Bericht "EASO Country of Origin Information Report - Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms" von Dezember 20 1 7 verwiesen. Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in länd­ lichen und abgelegenen Regionen weiter. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 1 6 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Eine Erhebung des zuständigen Ministeriums von 2006 zeigt, dass über 50% der Mädchen unter 1 6 Jahren ver­ heiratet wurden und dass 60-80% aller Ehen in Afghanistan unter Zwang zustande kamen. Das Recht auf Familienplanung wird nur von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghaniseben Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so nutzen jedoch nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die ent­ sprechel)den Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter. In der Tradition des Paschtunwali (paschtunischer Ehrenkodex) werden Frauen als Objekt der Streitbeilegung ("baad'' und "ba 'adal") missbraucht. Die Familie des Schädigers bietet der Familie des Geschädigten ein Mädchen oder eine Frau zur Begleichung der Schuld an, womit die Frau zugleich indirekt zum Symbol der Tat wird, oder Familien tauschen Frauen aus. Dies ist nach afghanisehern Recht verboten und wird zum Teil auch verfolgt, jedoch ins­ besondere in traditionell paschtuniseben Gebieten im Süden und Osten Afghanistans, aber auch in den Provinzen Kabul, Parwan und Panjshir weiterhin praktiziert. Zeitungsberichten zufolge haben einzelne Stammesälteste in Balkh, Khost und Paktika die Tradition des "baad'' verboten. Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 16
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/ - �- "" ---1 i n geschwärzter " VS No• fü• de:n Dienstgebraaell Fassung nicht als VS eingestuft für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghaniseben Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst ein­ mal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Fami­ lienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. 1.8.1. Genitalverstümmelung Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich. Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Inter­ sexuelle (LGBTTI) 1.8.2. Die afghanisehe Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orien­ tierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Januar 201 4 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanisehe Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der brei­ ten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden. Laut Art. 247 des afghaniseben Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechts­ verkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislami­ schen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todes­ strafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund. Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe ist nicht nachweisbar, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Über die Durchführung von Strafver­ fahren gegen LGBTTI liegen dem Auswärtigen Amt deshalb keine Erkenntnisse vor. Es wird allerdings von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanisehe Polizei berichtet. Die Betroffenen haben keinen Zugang zum Gesund­ heitssystem und müssen bei "Entdeckung" den Verlust ihres Arbeitsplatzes und soziale Aus­ grenzung fürchten, können aber auch Opfer von Gewalt werden. Daneben kommt es - v .a. aufgrund der starken Geschlechtertrennung - zu freiwilligen und erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Zudem gibt es zahlreiche traditionelle Praktiken, die nicht offiziell anerkannt sind, aber teil­ weise im Stillen geduldet werden. So gibt es z. B. die so genannten "Bacha Push". Dies sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu kön­ nen, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen. ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 17
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� ...,� ___, in geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft _ _ VS Nar fär deR DieastgehNaeh � Dies ist in der Regel keine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Le­ bensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt habe. Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghaniseben Recht gibt es keine dem deutschen Trans­ sexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds etwa durch Kleidung an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen. 1.9. Exilpolitische Aktivitäten Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rück­ kehr aus dem Ausland ist nicht bekannt. Einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bin hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1 990er Jahren weitge­ hend im pakistanischen und OS-amerikanischen Exil. 2. Repressionen Dritter Ergänzend zu den folgenden Ausführungen wird auf den Bericht Country of Origin Informa­ tion Report, Afghanistan, Security Situation, Stand Dezember 20 1 7 des European Asylum Support Office (EASO) verwiesen, der die Sicherheitslage nach Provinzen aufgeschlüsselt darstellt. 2.1. Bedrohungslage für afghanisehe Sicherheitskräfte, Amtsträger und lokale Mitarbei­ ter internationaler Organisationen Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehe­ nen Angehörigen der afghaniseben Sicherheitskräfte und Vertreter der afghaniseben Regie­ rung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban­ Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 20 1 8 (25 . April 20 1 8) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 20 1 7, "Operation Mansouri'', lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstliehen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres hei­ mischen Söldnerapparats." Regierungsfeindliche, militante Kräfte, insbesondere die Taliban, zeigen v .a. in Süd- und Westafghanistan in den Provinzen Farah, Helmand, Kandahar und Uruzgan, in Nordafghanis­ tan in den Provinzen Faryab und Kunduz verstärkte Präsenz. Auch die Hauptstadt Kabul ist immer wieder Ziel von Anschlägen. Die Aktivitäten des sog. Islamischen Staats in der Pro­ vinz Khorasan (lslamic State in Khorasan Province, ISKP) konzentrieren sich auf den Osten Afghanistans, insbesondere die Provinzen Kunar und Nangarhar. Einzelne militante Gruppen, die sich zum ISKP bekannt haben, konnten im Distrikt Darzab in der Provinz Jowzjan an Ein­ fluss gewinnen und werden dort sowohl von den Taliban als auch den ANDSF bekämpft. Ge­ gen Polizei- und Militärfahrzeuge werden insbesondere in Kabul Anschläge mit sogenannten magnetischen improvisierten Sprengvorrichtungen (magnetic improvised explosive device, MIED) verübt. Zudem werden besonders medienwirksame, größere Ziele der Sicherheitskräf­ te angegriffen. Landesweit sind insbesondere Einrichtungen der Sicherheitskräfte sowie poli­ zeiliche Kontrollpunkte Ziele von Angriffen. Am 2 1 . Oktober 20 1 7 wurden bei zwei Angrif­ fen auf polizeiliche Kontrollpunkte in den Provinzen Kunar und Ghasni rund 20 Polizisten getötet. Am 27. Januar 20 1 8 verübten die Taliban an einem Kontrollposten in Kabul einen ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 18
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--\t!lif---Nt!riiiMmrDiiemltft��:ft-"E�--� in geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft Selbstmordanschlag. Hierdurch kamen 1 03 Menschen ums Leben, mindestens 235 weitere wurden verletzt. Am 29. Januar 20 1 8 griffen Angehörige des ISKP den Komplex der im Wes­ ten Kabuls gelegenen Marschall Fahim National Defence University (MFNDU) an. Am 2. März 20 1 8 wurde in Kabul eine Kolonne der australischen Botschaft angegriffen. Bei dem Anschlag starb eine afghanisehe Zivilperson. Außerhalb Kabuls kam es am 2 1 . April 20 1 7 zu einem komplexen Angriff gegen das 209. Korps der Afghan National Army im Camp Shaheen in Mazar-e Scharif. Rund 1 40 Soldaten starben bei dem Angriff, weitere 60 wurden verletzt. Am 22. Juni 20 1 7 griffen vermutlich Taliban in Lashkar Gab (Helmand) mittels einer Autobombe eine Bankfiliale an, in der af­ ghanische Sicherheitskräfte ihren Sold abholten. 34 Personen wurden getötet und mindestens 50 weitere verletzt. Bei einem Überfall durch die Taliban in Farah kamen am 24. Februar 20 1 8 25 Mitglieder der ANDSF zu Tode. Diese Vorfälle sind besonders opferreiche Beispiele einer Vielzahl von Anschlägen auf afghanisehe Sicherheitskräfte. Afghanische Regierungsmitarbeiter und sonstige Amtsträger stehen ebenfalls im Fokus der Aufständischen und sonstiger krimineller Organisationen. Dabei kommt es den Angreifern nicht darauf an, ausschließlich hochrangige Regierungsmitarbeiter zu treffen. So zündete am 1 0. Januar 20 1 7 ein Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz in unmittelbarer Nähe zu einem Arbeitsgebäude des afghaniseben Parlaments in Kabul und tötete 24 Personen, 70 weitere wurden verletzt. Ferner kam es am 7. Februar 20 1 7 zu einem Selbstmordanschlag vor dem Obersten Gerichtshof in Kabul, bei dem rund 20 Personen getötet und weitere 40 verletzt wurden. Bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe der Verwaltungsbüros des Präsidentenpa­ lasts in Kabul am 12. April 201 7 starben fünf Mitarbeiter; zehn weitere wurden verwundet. Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind eben­ falls Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen. Am 24. Januar 201 8 wurde in Jala­ labad ein Büro von Save the Children überfallen, wobei es zu elf Verletzten kam. Zur Situati­ on des Internationalen Roten Kreuzes wird auf Ziff. IV. 1 .3 verwiesen. Auch Angriffe durch Milizen politischer Gegner stellen eine Bedrohung dar. Am 1 0. April 20 1 7 wurden zwei Mitarbeiter der zur Anti-Korruptionsbehörde Anti Corruption Justice Cen­ ter (ACJC) gehörenden Major Crimes Task Force in Kabul auf offener Straße von Unbekann­ ten erschossen, nachdem sie mehrfach über Drohungen berichtet hatten. Das ACJC verfolgt Korruptionsvorwürfe gegen besonders hochrangige Beamte oder über besonders hohe Beträge. 2.2. Bedrohungslage für afghanisehe Zivilisten Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Blindgängern und Muni­ tionsrückständen, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen 1 auf staatliche Einrichtun­ gen aus. UNAMA veröffentlicht seit 2008 eigene Berichte zum "Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt", die Schätzungen von zivilen Opfern der Auseinandersetzungen enthal­ ten. UNAMA nimmt ausschließlich Fälle in die Statistik auf, über die von mindestens drei voneinander unabhängigen Quellen berichtet wurde. Für Vorfälle in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten ist daher von einer nicht mit eingerechneten Dunkelziffer aus­ zugehen. 20 1 7 gab es in Afghanistan nach UNAMA-Angaben I 0.453 zivile Opfer (-9% im Vergleich zu 20 1 6), davon 7.0 1 5 (-1 1% im Vergleich zu 20 1 6) Verletzte und 3 .438 Tote (-2% 1 Als komplexe Angriffe werden Anschläge bezeichnet, die von einer Gruppe von Tätern mit mindestens zwei verschiedenen Waffentypen (z.B. improvisierte Sprengkörper und Schusswaffen) verübt werden. ©Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 19
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-"'-./::.------, in geschwärzter � Fassung nicht als VS - Nu1 fü1 den Dienstgebraaeh VS eingestuft im Vergleich zu 20 1 6) bei einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Millionen (andere Schätzungen gehen von 32 Millionen Einwohnern aus). 20 1 7 wa­ ren mehr als 43% der zivilen Opfer Frauen (359 Tote; 865 Verletzte) und Kinder (86 1 Tote; 2.3 1 8 Verletzte). 498). Der Rückgang der Opferzahlen wird darauf zurückgefiihrt, dass 20 1 7 weniger Zivilisten von Kampfhandlungen am Boden betroffen waren. Allerdings stieg die Zahl von zivilen Opfern bei komplexen Angriffen und Anschlägen um 1 7% gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Quartal 20 1 8 gab es 2.258 zivile Opfer (763 Tote, 1 .495 Verletzte). Dies entspricht den Opferzahlen im gleichen Zeitraum 20 1 7. Während die Zahl der Opfer durch Kämpfe am Boden weiter zurückging (- 1 5%), hat sich die Zahl der zivilen Opfer von komplexen Angrif­ fen und Selbstmordattentaten gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vmjahr verdoppelt. Während die Regierungsgegner laut UNAMA weiterhin mit 65% fiir die meisten zivilen Op­ fer verantwortlich waren (42% zu Lasten der Taliban; 1 0% zu Lasten des ISKP, 1 3% zu Las­ ten anderer regierungsfeindlicher Gruppen), wurden 1 6% den Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF), 2% internationalen Kräften, sowie 2% weiteren regierungsfreund­ lichen Gruppen zugeordnet. Im Vergleich zum Vorjahr ist damit deren Anteil um 23% gesun­ ken. 1 1 % fielen nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zwischen den verschiedenen Gruppen zum Opfer. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Taliban zivile Opfer in Stellungnahmen zwar ableh­ nen, sie aber zumindest billigend in Kauf nehmen. Anschläge des ISKP richten sich immer wieder auch direkt gegen Zivilisten. Einer erhöhten Gefährdung sind zudem diejenigen ausge­ setzt, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen, wie zum Beispiel Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen Ideologie abweichen, wie zum Beispiel Konvertiten, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen. Kampfhandlungen am Boden finden vor allem im paschtunisch besiedelten Süden Afghanis­ tans (vor allem Helmand, Kandahar, Uruzgan) und Osten des Landes (Nangarhar, Laghman, Kunar) statt. Entsprechend sind die von UNAMA dokumentierten Zahlen ziviler Opfer in diesen Regionen vergleichsweise hoch: Helmand, Kandahar, Nangarhar und Uruzgan gehör­ ten 20 1 7 zu den Provinzen mit den höchsten Opferzahlen. Das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Afghanen bestätigt die regional unterschiedliche Bedrohungslage, wie eine Umfrage der Asia Foundation (,,Afghanistan in 201 7 - A Survey of the Afghan People") zeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Befragte bei der Frage nach den zwei größten lokalen Problemen auch gie Sicherheitslage, Anschläge oder Gewalt nannten, war in den Provinzen Uruzgan (62,9%), Faryab (55,5%) und Farah (52,6%) am höchsten, in den Provinzen Panj shir (3,2%), Bamyan ( 1 ,4 %) und Daikundi (4,3%) am niedrigsten. In fast allen Regionen wurde Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzufUhren sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entfiihrungen Bedrohungen dar. Dies gilt besonders für die Stadt Ka­ bul, wo sich der Hauptsitz der Zentralregierung, ihrer Repräsentanten und zahlreicher staatli­ cher Einrichtungen und damit klassische und medienwirksame Ziele der Taliban befinden. Die Provinz Kabul wies in 20 1 7 die höchste absolute Opferzahl unter den afghaniseben Pro­ vinzen auf; mit 4,4 Millionen Einwohnern hat Kabul allerdings auch die höchste Einwohner­ zahl. Die Bedrohungslage fiir Zivilisten in Kabul lag mit vier zivilen Opfern auf 1 0.000 Ein- © Auswärtiges Amt 2018- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten 20
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