Lagebericht Syrien 2019 des Auswärtigen Amts

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11 möglichen Rückzugsgebiete geschrumpft. :VS Nur fiir deR Dieastgebrauch für Oppositionelle, Aktivisten . geschwärzter ~~~~ung n\cht als VS eingestuft und Journalisten substantiell 1.2. Meinungs- und Pressefreiheit In Art. 38 der Verfassung wird die Gewährung der Meinungs- und Pressefreiheit durch den Zusatz ergänzt, dass jeder Bürger das Recht habe, "konstruktive Kritik zu üben in einer Art und Weise, die die Stabilität der inneren und nationalen Strukturen bewahrt und das sozialistische System stärkt". Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die "Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle" bzw. das "Verbreiten falscher Informationen" unter Strafe stellen). Die reichweitenstarke Medienlandschaft ist nahezu vollständig in der Hand des Regimes. Trotz eines im Sommer 2011 erlassenen liberalen Medien- gesetzes hat sich der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit in den letzten Jahren stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und so genannte Bürgerjournalisten, die über staatliche Repression, Korruption oder Kritik am oder Demonstrationen gegen das Regime zu berichten versuchen, werden bedroht, verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. In den vergangeneo Monaten waren auch als regimetreu geltende Journalisten zunehmend Repressionen ausgesetzt. Bereits vereinzelte Berichterstattungen zu Themen wie Korruption und Versorgungsengpässen, die als Kritik am Regime gewertet werden könnten, führten zu Verhaftungen. Auch bewaffnete Gruppen sind, bis hin zu Ermordungen, immer wieder gewaltsam gegen Medienvertreter und Bürgerjournalisten vorgegangen, die kritisch über sie berichtet haben. 1.3 Militärdienst In Syrien besteht für Männer eine allgemeine - und seit 2011 de facto unbefristete - Wehrpflicht. Freigestellt sind lediglich einzige Söhne sowie Studenten während ihres Studiums. Syrische Männer müssen sich gemäß Art. 40 der syrischen Verfassung im Alter von 18 Jahren für den Militärdienst registrieren lassen und sind bis zum Alter von 42 Jahren wehrpflichtig. Es gibt zahlreiche Berichte, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert, eingezogene Männer werden entweder Militär oder Polizei zugeteilt. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden auch an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie Grenzübergängen verschleppt und zwangsrekrutiert. Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch. Seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt. In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung, auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung entweder durch die syrischen Streitkräfte oder regimefreue Milizen. Zuletzt hat das syrische Regime eine Änderung des Militärgesetztes vorgenommen, die medizinisches Personal für zwei Jahre vom Wehrdienst befreit. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS 12 Nut fih den Biens~ehraHeh Fassung nicht als ~~_eingestuft der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt. Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Artikel 68 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht. Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. Am 15. September 2019 erließ das syrische Regime Präsidialdekret Nr. 20/2019, welches als "Generalamnestie" angekündigt wurde und u.a. die Amnestie für Desertion und Wehrdienstverweigerung vom 9. Oktober 2018 bestätigt. Bereits zuvor wurden ähnliche Gesetze verabschiedet, diese blieben in der Umsetzung allerdings bislang wirkungslos. Auch diese Amnestie hebt die allgemeine Wehrpflicht nicht auf und schließt trotz des Titels "Generalamnestie" - ähnlich wie die vorherige "Generalamnestie" von 2014- genau die Verbrechen explizit aus, die angeblich oppositionellen Syrern bei ihrer politischen Verfolgung in Syrien immer wieder vorgeworfen werden ("Aufrufe gegen den Staat"), darunter viele der Anti-Terror-Gesetzgebung von 2012. Angesichts des Missbrauchs der Anti-Terror-Gesetze zur politischen Repression ist davon auszugehen, dass sie auch bei zurückkehrenden Wehrpflichtigen zur Anwendung kommen. Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. In den kurdischen "Selbstverwaltungsgebieten" im Nordosten des Landes hat die dort herrschende PYD 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsieht, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 30 Jahren stellen muss, der für sechs Monate in der YPG dient. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen. Am 29. Juni 2019 unterzeichneten die SDF einen Aktionsplan gegen die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten mit dem Büro der VN-Sondergesandten für Kinder in bewaffneten Konflikten. Für Frauen gibt es keinen gesetzlichen Wehrdienst in Syrien. Sie können in den kurdischen "Selbstverwaltungsgebieten" freiwillig Militärdienst leisten. Zugleich gibt es hier jedoch auch Berichte von Zwangsrekrutierungen. 2. Repressionen Dritter Übergriffe durch nicht-staatliche Akteure haben weiter stark zugenommen. Dabei handelte es sich zunächst vor allem um Übergriffe regimetreuer Milizen, bei denen der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend ist. Nach der Eroberung von Teilen Syriens durch regimefeindliche bewaffnete Gruppen wurde aus den von diesen eroberten Gebieten auch von Übergriffen seitens dieser Gruppen berichtet. Auch für humanitäre Helfer ist Syrien gefährlich, nach Angaben der Hilfsorganisation Care sei Syrien seit mehreren Jahren das gefährlichste Land weltweit. Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten ist Idlib zum Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler Milizen geworden. Der HTS ist es gelungen, dort neben der militärischen Kontrolle Teile des Territoriums und auch der Lokalverwaltungs-Strukturen unter dem Namen "Errettungs-Regierung" (Hakumet Al Inkas Al Suriye) unter ihre Kontrolle zu bringen. Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen diese Einflüsse zu wehren, werden zum Teil brutal nieder- geschlagen. Laut der internationalen unabhängigen Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien (Coi) kommt es in Idlib immer wieder zu Verhaftungen und Entführungen durch HTS, auch unter Anwendung von Folter gegen Kritiker und politische Gegner. So berichtet Human Rights Watch, dass HTS im Jahr 2017 Protestierende erschossen und verletzt ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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-vs 13 No• fü1 den Bienst~ehrtltteh in geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft habe. Auch humanitäre Hilfslieferungen werden behindert. HTS zielt außerdem auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der Col im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet und 120 verletzt wurden. 111. Menschenrechtslage Der VN-Menschenrechtsrat hat im August 2011 eine internationale unabhängige Untersuchungs- kommission zur Menschenrechtslage in Syrien (Col) eingerichtet und dieses Mandat seitdem jedes Jahr verlängert. Zuletzt wurde das Coi-Mandat am 22. März 2019 um ein weiteres Jahr verlängert. Bis heute hat das syrische Regime der Col den Zugang nach Syrien verweigert. Die Col hat in mehreren Berichten vor dem VN-Menschenrechtsrat festgestellt, dass Kräfte des syrischen Regimes, das heißt Militär, Sicherheitsdienste und in den "National Defense Forces" (NDF) organisierte Milizen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Sie berichtete zudem, dass auch bewaffuete Oppositionsgruppen Verantwortung für Men- schenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen tragen. Der jüngste, die Gesamtsituation Syriens betreffende Bericht der Col wurde am 15. August 2019 veröffentlicht. Der Schwerpunkt dieses Berichts liegt auf völkerrechtswidrigen Vertreibungen von Zivilisten in Folge von Kampfhandlungen, der massiven Zerstörung ziviler Infrastruktur sowie Repressionen in Regimegebieten. Wie auch vorherige Berichte prangerte er zudem erneut völkerrechtswidrige Angriffe auf die syrische Zivilbevölkerung an, die laut Col ein Kriegsverbrechen darstellen. Die VN-Generalversammlung hat seit 2011 acht Resolutionen zur Menschrechtslage in Syrien verabschiedet, zuletzt am 16. November 2018. Bereits 2012 hat die damalige VN- Hochkommissarin für Menschenrechte Navi Pillay wiederholt die Befassung des IStGH mit der Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Syrien befürwortet. Die Col fordert dies ebenfalls seit langem. Ein entsprechender Beschluss des VNSR ist jedoch bislang am Widerstand Russlands gescheitert. · Am 21. Dezember 20 16 schuf die VN -Generalversammlung daher den "International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Persons Responsihle for the Most Serious Crimes under International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011" (IIIM), um der "Kultur der Straflosigkeit" in Syrien entgegenzuwirken. Die Hauptauf- gabe des IIIM ist die Sammlung, Sicherung, Analyse und das Aufbereiten von Beweismitteln für zukünftige Strafverfahren, sowie die Unterstützung nationaler Strafverfolgungsbehörden von Dritt- staaten bei der Untersuchung der schwersten Verbrechen. 1. Einsatz chemischer Waffen Seit d.er im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des "Joint Investigative Mechanism" (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der CW-Angriffe im Rahmen eines hierfür neu gebildeten "lnvestigation and Identification Team" (IIT) in Syrien zu ermitteln. Dies gilt auch :für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Ein erster Bericht des IIT wird Ende 20 19 erwartet. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen davon unabhängig weiter Meldungen zu mutmaßlichen ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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~ 14 NuF füF deR Dians,gebFau.:ll in geschw!· Fassun .arzter Vs . g n•cht als emgestutt Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1. März 2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7. April 2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden ("reasonable grounds "). Auch eine Untersuchungskommission des VN- Menschenrechtsrats kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19. Mai 2019 erneut Chlorgas in Kabana/Jabai al-Akrad in der Provinz Latakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu zuletzt erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98% der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus. 2. Willkürliche Verhaftungen und Folter Seit 2012 geht das Regime in einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen Oppositionelle und seine Kritiker und Gegner vor. Dem Syrian Network for Human Rights zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und verschwundenen Menschen mit Stand August 2019 aufmehr als 144.000. Ca. 90 Prozent der Fälle werden dem Regime zugeschrieben. Diese Verhaftungswelle hält an und gefährdet potentiell auch rückkehrwillige Syrer außerhalb des Landes. Im März 2018 erschien auf einer oppositionsnahen Nachrichtenseite eine Datenbank mit 1,5 Mio. Namen, die vom syrischen Regime mit Haftbefehl gesucht werden sollen und die nach eigener Darstellung auf zugespielten vertraulichen Dokumenten der syrischen Sicherheitsbehörden basieren. Medienberichten zufolge haben sich auch viele syrische Flüchtlinge darauf mit korrekten Angaben wiedergefunden, darunter Namen, Geburtsdaten bis hin zu den Namen der Großeltern. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine Abstimmung und Zentralisierung statt. Daher kann es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen kommen. In wenigen Fällen erfolgt nach einiger Zeit die Überstellung der Festgenommenen von den Geheimdiensten an eine reguläre Haftanstalt und die Justiz. Ab diesem Zeitpunkt haben Familienangehörige und Anwälte in der Regel Zugang zu den betroffenen Personen. In vielen anderen Fällen bleiben die Personen jedoch verschwunden. Untersuchungen über die Todesumstände erfolgen in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt zu Stillschweigen verpflichtet. Das syrische Regime verweigert gegenüber den VN und IKRK bislang jede Forderung nach Freilassungen, Zugang zu den Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste sowie Transparenz über den Verbleib der Verschwundenen. Regime und bewaffnete Oppositionsgruppen fiihrten innerhalb des vergangeneo Jahres im Rahmen einer ständigen Arbeitsgruppe des VN-Sondergesandten fiir Syrien, Geir Pedersen, des IKRK und der Staaten des Astana-Formats, vier Gefangenenaustausche durch, die jedoch auf eine niedrige zweistellige Anzahl Gefangener begrenzt waren und im Verhältnis eins zu eins erfolgten. Der VN-Sondergesandte, weite Teile der internationalen Gemeinschaft und die syrische Opposition fordern einseitige Freilassungen durch das Regime, welche Damaskus bisher verweigert. Im Rahmen dieses begrenzten Dialogs hat das Regime 2019 erstmals verlauten lassen, selbst eine höhere Anzahl Soldaten und weitere Angehörige zu vermissen und bezifferte die Anzahl zuletzt auf 17.000. Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be- handlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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15 • VS Nur für den DienstgeiJFauell in geschwärzter Fassung nicht als vs eingestuft und vor allem Sicherheits- und Geheimdienste systematisch Folterpraktiken an, insbesondere ge- genüber Oppositionellen oder Menschen, die vom Regime als oppositionell eingestuft werden. Die Coi hat Folter in syrischen Haftanstalten seit Konfliktbeginn wiederholt als Kriegsverbrechen verurteilt und die Veröffentlichung von Sterberegistern mit Eintragungen zu vorher willkürlich verhafteten und verschwundenen Menschen in ihrem Bericht von August 2018 kritisiert sowie eine Untersuchung angekündigt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Folter und Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt und in VN-Berichten dokumentiert. Laut Syrian Network for Human Rights liegt die Anzahl bestätigter Todesfälle nach Folter seit 2011 bei über 14.000. Laut Amnesty International sollen bislang über 17.000 Menschen zu Tode gefoltert beziehungsweise gezielt hingerichtet worden sein. Nach Berichten der Coi ist eine hohe Anzahl der Todesfälle auch auf die erbärmlichen Haftbedingungen wie Überbelegung der Zellen, ungenügende Nahrungsrationen, unzureichende Sanitäranlagen und fehlende medizinische Versorgung zurückzuführen. Das Assad-Regime selbst macht in der Regel keine Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten, sondern benennt zumeist unspezifische Todesursachen wie Herzversagen, Schlaganfall und ähnliches. Im Sommer und Herbst 2018 wurden Sterberegister veröffentlicht, mit denen die Regimebehörden gemäß dem Violations Documentations Center erstmals offiziell den Tod von 7.953 Menschen in ihrem Gewahrsam bestätigten. Die Coi bezeichnet die systematische Anwendung von Folter in Haftanstalten der syrischen Sicherheitsbehörden als eine "staatliche Politik von Misshandlung und Folter", die in zahlreichen Einrichtungen mit massiver Gewalt angewendet wird. Obwohl Verschwindenlassen und willkürliche Verhaftungen besonders zu Beginn des Konflikts weit verbreitet waren, hat die Praxis zuletzt wieder zugenommen: 2018 soll es Berichten zufolge zu bis zu 25 Prozent mehr willkürlichen Verhaftungen gekommen sein als noch 2017. Diese werden teilweise gezielt als Vergeltungsmaßnahme und zur Unterdrückung von Kritik gegen das Regime eingesetzt. Das Regime macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr.19/2012). Erkenntnisse der Coi zeigen, dass die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung, inklusive sexueller Gewalt, in den Verhöreinrichtungen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, besonders hoch ist. Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren, unterliegen einem hohen Folterrisiko. Der bei weitem größte Teil dokumentierter Anwendung von Folter wurde in Einrichtungen des Regimes begangen. Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden: Zehn nahe Damaskus, jeweils vier nahe Horns, Latakia und Idlib, drei nahe Daraa und zwei nahe Aleppo. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen unter Regimekontrolle verübt wird. Fälle von Folter wurden aber auch in Gebieten unter der Kontrolle von nicht-staatlichen Gruppen bekannt. Es bestehen keine realistischen Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 gab es glaubhafte Hinweise darauf, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt bzw. wiederholt selbst Opfer solcher Praktiken zu werden. Gegenwärtig kann sich der einzelne Bürger in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Bis zur Vorführung vor einen Richter können nach Inhaftierung mehrere Monate vergehen, in dieser Zeit besteht in der Regel keinerlei Kontakt zu Familienangehörigen oder Anwälten. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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- VS 16 Nur für dea DieastgehF&uelt in geschw~irzter Fassung nicht als VS ei_ngestuft Zudem sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen einzelne Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, fl.ir vom Regime als feindlich angesehene Aktivitäten anderer Familienmitglieder inhaftiert und gefoltert werden. Solche Sippenhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. Laut der Coi berichteten zuletzt zahlreiche Personen in Regimegebieten von Festnahmen, die lediglich auf der Kommunikation mit Familienangehörigen im Norden des Landes oder im Ausland beruhten. Ferner sind Fälle bekannt, bei denen diese Sippenhaft bereits bei bloßem Verdacht auf mögliche Annäherung an die Opposition angewandt wird. Das Regime hat bereits die Belieferung von Gebieten unter Kontrolle der Opposition mit humanitären Gütern oder medizinische Behandlung von Oppositionellen als Aktivität deklariert, auf die von Gesetzes wegen die Todesstrafe steht. Ferner überlagern sich die Verhaftungskampagnen des Regimes mit Schutzgelderpressungen und anderen Formen der Kriegsökonomie. Allein in Südwestsyrien wird seit der Übernahme des Gebiets durch das syrische Regime im Juli 2018 von 767 Fällen willkürlicher Verhaftung (520 Zivilisten, 47 Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, 175 Mitglieder bewaffueter Oppositionsgruppen) berichtet. In neun Fällen sei es zu Folter mit Todesfolge gekommen. Darüber hinaus habe es 191 gezielte Tötungen durch die unterschiedlichen Konfliktgruppen und 192 Angriffe auf Einrichtungen des Regimes gegeben. 3. Politisch beeinflusste JustizNerwaltung Bereits vor dem Aufstand war die Unabhängigkeit der syrischen Justiz mangelhaft. Mittlerweile, sind syrische Gerichte, ganz gleich ob der Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichtbarkeit, korrupt, nicht unabhängig, und werden ftir politische Zwecke missbraucht. Eine effektive Verteidigung vor Strafgerichten ist nicht möglich. Immer wieder werden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungen seitens der Gerichte erpresst. Die Menschenrechtsorganisation Violations Documentation Center berichtete, dass im April2016, zweieinhalb Jahre nach Einrichtung der Anti- Terrorismus-Gerichte, bereits mehr als 80.000 Fälle an diese überwiesen worden seien. Vor diesen Gerichten ist Angeklagten in Verfahren, die oftmals nur wenige Minuten dauern, ein Rechtsbei- stand verwehrt; sie werden nach glaubhaften Aussagen ehemaliger Häftlinge oftmals gezwungen, Geständnisse ohne Kenntnis des Textes blind zu unterschreiben. Das Syrian Network for Human Rights berichtete, dass die Mehrzahl der von diesen Gerichten Verurteilten Haftstrafen von ftinf bis 20 Jahren erhält. Die Verwaltung in Gebieten, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, arbeitet hingegen in Routineangelegenheiten weiterhin mit einer gewissen Zuverlässigkeit. Das gilt nach den Erfahrungen des Auswärtigen Amts insbesondere ftir das Personenstandswesen. In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und Verwaltung jedoch von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen verschieden. In Idlib übernehmen quasi-staatliche Strukturen der sogenannten "Errettungs-Regierung" der HTS Verwaltungsaufgaben. In Afrin werden diese Dienstleistungen zum größten Teil von der Türkei eingesetzten Behörden übernommen. In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien übernimmt die Selbstverwaltung quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen. Für ganz Syrien gilt allerdings, dass nicht gewährleistet werden kann, dass diese Dienstleistungen allen Bewohnern in gleichem Umfang und ohne Diskriminierung zugutekommen. Darüber hinaus sprechen in manchen Gebieten säkulare Gerichte nach dem syrischen Strafgesetz Recht, in anderen ist die Scharia maßgeblich. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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YS 4. Todesstrafe 17 Nut fit den Dienstgebt aueb 1~1 g-:3~3 :~:i-::1~;~1~?·~·..:\r Fassung ~f~ht-;Js \YS eingestuft Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat, und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Vor allem die unterschiedslose Diffamierung von politi- schen Gegnern, bewaffneten Rebellen und selbst den syrischen "Weißhelmen" als "Terroristen" durch das Regime oder die sehr weite Fassung des Begriffs Hochverrat bis hin zu politischer Dissi- denz ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken. Urteile wegen Mitglied- schaft in der Muslimbruderschaft, auf die ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Im Jahr 2010 wurden siebzehn Hinrichtungen bekannt. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts liegen keine offiziellen Zahlen vor. Im Rahmen der Kampfhandlungen seit 2011 kam es zu einer Vielzahl von außergerichtlichen Tötungen und Hinrichtungen, über die keine belastbaren Zahlen vorliegen. Nach Aussagen von frei- gelassenen Häftlingen gegenüber Amnesty International finden Exekutionen in Gefängnissen regel- mäßig statt. Die Coi berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regimekontrolle. Seit Ende 2018 gibt es wiederholt Berichte von zunehmenden Massenexekutionen in Regimegefängnissen. Die "Generalamnestie" vom 15. September 2019 (Dekret 20/2019, s. II 1.3.) verringert die Todesstrafe bei einer Vielzahl von Vergehen auf lebenslange harte Strafarbeit, bei anderen Vergehen, z.B. im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes von 2012, besteht die Todesstrafe fort. Zur Umsetzung des Dekrets kann noch keine Aussage getroffen werden. Im Laufe des bewaffneten Konflikts kam es ebenfalls zu Hinrichtungen von gefangengenommenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch zumeist radikalislamische Oppositionsgruppen. Auch diese Vorfälle wurden von der Coi dokumentiert. 5. Haftbedingungen Berichten von Menschenrechtsorganisationen und der Coi zufolge sind die Haftbedingungen in Syrien katastrophal und haben sich seit Ausbruch des Konflikts aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich ver- schlechtert. Gefangene werden auf engstem Raum zusammengepfercht, Leichen mitunter erst nach Tagen weggeräumt, medizinische Versorgung besteht kaum, und hygienische Zustände sind furcht- bar (s. auch Angaben unter 111. I. Willkürliche Verhaftungen und Folter). Besondere Bedürfnisse von Frauen werden kaum oder gar nicht berücksichtigt. Berichten zufolge müssen Frauen in Ge- fängnissen ohne jegliche Unterstützung entbinden und für ihre Kinder sorgen. Eine Versorgung mit Milch oder Hygieneartikeln erfolgt allenfalls durch Besucher, sofern sie in der entsprechenden Haftanstalt erlaubt sind. Nach glaubhaften Berichten Entlassener verschwinden auch immer wieder Häftlinge, die zur medizinischen Versorgung in die Krankenhaus-Abteilungen der Vollzuganstalten überstellt werden. Seit Mitte 2018 hat das IKRK Zugang zu allen dem syrischen Innenministerium unterstehenden Gefängnissen. Das IKRK bemüht sich weiterhin um Fortsetzung bzw. Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten, erhält jedoch nach wie vor keinen Zugang zu Gefängnissen der Sicherheitsdienste, in denen nicht nur Oppositionskämpfer, sondern auch ein Großteil der politischen Gefangenen inhaftiert sind. geht nicht davon aus, dass das syrische Regime dem IKRK absehbar den Zugang zu Haftanstalten der Sicherheitsdienste gewähren wird. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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'fS 18 Nut füt den Dienstgebt aaeh in gcschvvärzter Fassung nicht als YS ei~estu,=t Im Mai 2017 äußerte die französische Regierung aufgrund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse öffentlich die Vermutung, dass syrische Behörden im Zentralgefängnis von Saydnaya, in dem besonders viele politische Gefangene festgehalten werden und wo laut zahlreichen Berichten jeden Freitag eine zwei- bis dreisteilige Anzahl Häftlinge hingerichtet wird, ein Krematorium angelegt haben, um die Leichen von Gefangenen ohne Spuren zu beseitigen. Recherchen der Washington Post und New York Times aus 2018 und 2019 unterstützen diese Aussage in Form von Satellitenbildem. Korruption unter dem Gefängnispersonal ist glaubhaften Berichten syrischer Menschenrechtsverteidiger sowie Familienangehöriger von Häftlingen zufolge weit verbreitet. Grundlegende Versorgungsleistungen werden häufig nur gegen Bezahlung gewährt. 6. Geschlechtsspezifische Verfolgung Die Untersuchungskommission des VN-Menschenrechtrats hat in ihren Berichten festgestellt, dass alle Konfliktparteien in Syrien sexuelle Gewalt anwenden. Obwohl sowohl Frauen als auch Männer Opfer sexueller Gewalt wurden, sind Frauen in unverhältnismäßig hohem Maße betroffen. So doku- mentiert die Coi Vergewaltigungen, Folter und systematische Gewalt gegen Frauen von Seiten des syrischen Militärs und affiliierter Gruppen unter anderem an Grenzübergängen, militärischen Kon- trollstellen und in Haftanstalten. Einige betroffene Frauen, so berichten Menschenrechtler, werden nach ihrer Freilassung von ihren Familien aus Gründen des Ehrverständnisses verstoßen bzw. im Stich gelassen. Menschenrechtsvertreter berichten, dass es bisher in mindestens 20 Haftanstalten in Syrien zu Ver- gewaltigungen und sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen gekommen sei. Erfahrungen mit Misshandlung und sexueller Gewalt auch im Kontext von Razzien und Vertreibung werden von vielen syrischen Flüchtlingen berichtet, wie z.B. Human Rights Watch und das International Rescue Committee (IRC} dokumentieren. Der aktuelle Bericht der Coi beschreibt zudem, dass geschlechtsspezifische Gewalt, erschwert durch die fragile Wirtschaftslage, fehlende Rechtsstaatlichkeit sowie anhaltende Kampfhandlungen, zugenommen hat. Sexueller Missbrauch und Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Kinderehen und Staatenlosigkeit von Kindem sind weiterhin weit verbreitet. Bei "Ehrverbrechen" in der Familie, meist gegen Frauen, die in ländlichen Gegenden bei fast allen Glaubensgemeinschaften vorkommen, besteht kein effektiver staatlicher Schutz. 7. Handlungen gegen Kinder Schwere Verletzungen der Rechte von Kindem sind in Syrien weit verbreitet. Der vom VN- Generalsekretär am 20. Juni 2019 veröffentlichte Jahresbericht zu Kindem und bewaffneten Konflikten verurteilte die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten, Inhaftierung und Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Verweigerung humanitärer Hilfsleistungen sowie Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser in Syrien als schwere Verstöße (sog. "six grave violations") gegen die Rechte von Kindern. Der VN-Generalsekretär berichtete der Generalversammlung über die höchste Zahl verifizierter Verstöße gegen die Rechte von Kindern, die jemals in Syrien registriert worden waren. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2018 zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Kinder zählten im erhöhten Maß zu den Opfern des Konflikts, insbesondere durch Angriffe des syrischen Regimes und seiner Verbündeten. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS 19 Nur fiir den Bienstgebntueh Die Zwangsrekrutierung von Kindem in Syrien ist laut Bericht der VN-Sondergesandten ftir Kinder und bewaffnete Konflikte seit 2014 stetig angestiegen. Dies wird neben der oppositionellen FSA sowie IS und anderen dschihadistischen Gruppen auch dem syrischen Militär und regime-nahen Milizen zugeschrieben. Zudem gibt es laut Bericht weiterhin Rekrutierungen Minderjähriger durch die kurdische YPGNPJ; bei 40 Prozent soll es sich um Mädchen handeln. Die Umsetzung des im Juni 2019 zwischen dem Büro der VN-Sondergesandten ftir Kinder in bewaffneten Konflikten und SDF unterzeichneten Aktionsplans gegen die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten soll diese Praxis innerhalb der SDF beenden. 8. Kurden und Situation in Gebieten mit kurdischer Bevölkerung Die Kurden (und somit auch die dieser Volksgruppe angehörigen Jesiden) in Syrien wurden im Jahre 1963 mit der Machtübernahme der Baath-Partei Ziel weitgehender und repressiver Maßnahmen. Bereits infolge einer im Jahr 1962 in der Provinz Hassakeh stattfindenden Volkszählung wurden sie in Syrien zu Ausländern erklärt, ihnen wurde die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Es entstanden zwei Gruppen: die als staatenlose "Ausländer" registrierten Adschanib (Ausländer- Stand 2011: ca. 350.000 Personen), und die nicht-registrierten Maktumin ("versteckt" - Stand 2011: ca. 170.000 Personen). Adschanib erhalten standesamtliche Identitätsdokumente, Maktumin nur in Ausnahmefällen. Maktumin konnten bisher keine Pässe beantragen, ihre Kinder nicht registrieren und einschulen lassen und nicht legal heiraten. Außerdem ist ihnen der Zugang zu Wahlen und staatlichen Arbeitsplätzen verwehrt. Zu Beginn der Aufstände in Syrien hat das Assad-Regime im April 2011 bekannt gegeben (Dekret Nr. 49 vom 7. April2011), dass in Syrien lebende staatenlose Kurden die syrische Staatsangehörig- keit erhalten sollten. Bis Mai 2018 sollen Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge ca. 320.000 Adschanib und ca. 50.000 Maktumin die syrische Staatsangehörigkeit erhalten haben. Betroffenen, die sich nicht mehr in Syrien aufhalten, ist diese Möglichkeit der Erlangung der syrischen Staatsangehörigkeit jedoch verwehrt. Weitergehende Urkunden kann dieser Personenkreis nicht erlangen. Nur eine ausfUhrliehe Befragung und Einholung von Indizien kann überhaupt einen Hinweis darauf geben, ob es sich tatsächlich um nicht registrierte Kurden handelt, die zuvor in Syrien lebten. Mit Machtübernahme der kurdischen PYD in Nord- und Nordostsyrien hat sich diese bis dahin bestehende staatliche Diskriminierung von Kurden faktisch entspannt. Zugleich wird weiterhin von Menschenrechtsverletzungen der PYD und ihrem bewaffneten Arm, YPG, in den kurdischen "Selbstverwaltungsgebieten" der sog. "Föderalen Administration" berichtet. Amnesty International warnte vor willkürlichen Festnahmen und unfairen Gerichtsverfahren. Auch Syrians for Truth and Justice berichtete über die Festnahmen mehrerer zivilgesellschaftlicher Aktivisten in Raqqa im August 2019. Human Rights Watch berichtet wiederholt- zuletzt 2018- über Missbrauch von Gefangenen und menschenunwürdige Haftbedingungen durch die PYD-nahe Selbstverwaltung. Einrichtungen von Oppositionsparteien würden geschlossen, deren Vertreter willkürlich monatelang festgehalten. Es gibt zudem Berichte über Zwangsevakuierungen von Siedlungen arabisch- stämmiger Bevölkerungsgruppen. Auch staatenlose Kurden müssen, wenn sie in den kurdischen "Selbstverwaltungsgebieten" leben, Wehrdienst leisten und werden von der PYDNPG eingezogen. In der Gesamtbetrachtung stellt sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten jedoch als insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis dschihadistischer Gruppen befinden. Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze wirkt sich destabilisierend auf die in den vergangeneo Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS 20 Nar fiir tle& Die&sigeiJFaaell gos:hvr~5n.:ter Fassung n:ct~t a:s in '-VS eingestuft aus. Sich zuletzt häufende Angriffe durch IS in Nordostsyrien verschlimmern diese Instabilität zusätzlich. Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar. Medienberichte über Gewaltexzesse wie die mutmaßlichen Hinrichtungen von gefangenen kurdischen Kämpfern sowie einer kurdischer Politikerin durch türkische Hilfstruppen im Verlauf der aktuellen Militäroffensive könnten gravierende Verletzungen internationaler Völker- und Menschenrechte darstellen und die angespannte Situation zwischen Kurden und Arabern in Nordostsyrien weiter verschärfen. Bewohner der kurdisch kontrollierten Gebiete, insbesondere Araber, demonstrieren laut der Coi regelmäßig gegen Korruption, Erpressung, Amtsmissbrauch und mangelnde Grundversorgung durch die SDF. In diesem Jahr haben insbesondere andauernde Brände von Feldern und Nutzflächen zu erhöhten Spannungen zwischen der arabischen und kurdischen Bevölkerung geführt. Hinzu kommen vermehrt Demonstrationen in Siedlungen in Deir er Zor gegen den dortigen schleichenden Einfluss des Regimes. Am 18. März 2018 nahm die Türkei im Rahmen der Militäroperation "Olivenzweig" das bis dahin von der kurdischen PYDNPG kontrollierte Afrin in Nordsyrien ein. Zahlreiche Kurden und auch einige Jesiden, die sich dem Verdacht einer Kooperation mit PYDNPG ausgesetzt sahen, flohen aus Angst vor Repressionsmaßnahmen durch türkische Sicherheitskräfte und arabische Hilfs- truppen. Zivilisten berichteten, dass die kurdischen Behörden sie bis kurz vor Beginn des türkischen Angriffs an der Flucht aus Afrin hinderten. Inzwischen ist ein Teil der Geflohenen nach Afrin zu- rückgekehrt. Mit Stand September 2019 harren circa 80.000 Menschen noch in der westlich von Afrin gelegenen, und unter Kontrolle von Sicherheitskräften des Regimes und von Russland stehenden Kleinstadt Tell Rifaat sowie Nachbargemeinden aus. Bewohner Afrins meldeten außerdem, dass Mitglieder bewaffneter Milizen Rückkehr nur nach Zahlung eines Bestechungsgeldes erlaubten und äußerten Sicherheitsbedenken als größtes Rückkehrhindernis. Zudem gab es Berichte von Vertriebenen, vor allem von Kurden, dass ihre Häuser und Wohnungen nach ihrer Flucht von Mitgliedern von Milizen geplündert und/oder besetzt worden seien. Andere Besitztümer sollen nur gegen sehr hohe Geldzahlungen rücküberlassen worden sein. Anderen sei bei ihrer Rückkehr der Zugang zu ihrem Besitz aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher Nähe zur YPG verweigert worden. Der VN-Hochkommissar für Menschenrechte (OHCHR) berichtete im Juni 2018, dass die Sicherheitslage in den von der Türkei kontrollierten Gebieten im Norden des Landes volatil und desolat bleibe; in Afrin und im Norden des Gouvernement Aleppo komme es immer wieder zu Kämpfen zwischen verschiedenen Milizengruppen. Hinzu kämen Entführungen, Plünderungen, Erpressungen, Verhaftungen, Verschwindenlassen, Morde, Folter und andere Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung. Die CoI erklärte in ihrem im August 2019 veröffentlichten Bericht, dass es hinreichende Anhaltspunkte für die andauernde Praxis dieser Übergriffe durch bewaffnete Gruppen in Afrin gibt. IV. Rückkehrfragen Auch wenn die humanitäre Lage in Syrien weiterhin sehr schlecht ist (s. 2.), gibt e~ Gebiete in Syrien, in denen keine Kampfhandlungen (mehr) stattfinden und in denen die Teilnahme am öffentlichen Leben möglich ist. Diese territoriale Betrachtungsweise ermöglicht in Syrien derzeit jedoch keine ausreichend belastbaren Aussagen zu Rückkehrfragen: Die Sicherheit und Situation einer Rückkehreein oder ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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