Rechtsgutachten_Prof-Bayreuther_Umsetzung-CCOO-Urteil.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Gutachten von Frank Bayreuther zur Arbeitszeiterfassung

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Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu führen. Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung eine einheitliche Form für das Verzeichnis vorschreiben. Einige Bundesländer gehen darüber hinaus. Beispiel: § 8 LöffG Mecklenburg- Vorpommern. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, zusätzlich die Beschäftigungsdauer an Werktagen aufzuzeichnen, soweit die Beschäftigten nach 20.00 Uhr tätig werden. 19 b) Verkehrsrecht iwS Vor allem verkehrsrechtliche Gesetze enthalten Vorschriften über die Aufzeichnung von Arbeits-, Lenk-, Flug- und Ruhezeiten, namentlich § 4.2. DV LuftBO sowie Art. 6 Abs. 5 VO (EG) 561/2006, § 8 Abs. 1 EFPV und §§ 3.08, 3.09 sowie 3.13 RheinSchPersV. Im weitesten Sinn gesellt sich hierzu noch § 13 Abs. 1 Nr. 3 HeimG, mit dem indes nur sichergestellt werden soll, dass die Personaldecke eines Heimes ausreicht, um eine ausreichende Versorgung der Bewohner sicher zu stellen. Von einer Darstellung der Einzelheiten soll hier abgesehen werden. Zum einen dienen die einschlägigen Regelungen vorwiegend oder zumindest auch dem Schutz der Verkehrssicherheit (o.ä.). Zum anderen knüpfen sie nicht alleine an die Arbeitszeit an, sondern machen sich an bestimmten Tätigkeiten fest. Diese werden zwar während der Arbeitszeit erbracht; indes ist es alles andere als ausgeschlossen, dass der Beschäftigte auch darüber hinaus noch Arbeitsleistungen erbringt (etwa: Be- und Entladen eines LKW). Schließlich weisen diese Vorschriften keine Regelungsmechaniken auf, die sich so nicht schon im „allgemeinen“ Arbeitszeitrecht selbst finden würden. Sie bieten daher keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. c) Regelungsdefizit im Vergleich zu CCOO Zwar finden sich im Arbeitszeitrecht (iwS) neben § 16 ArbZG zahlreiche Regelungen, die dem Arbeitgeber in bestimmten Konstellationen aufgeben, die Arbeitszeiten seiner Beschäftigten vollständig zu erfassen. Diese knüpfen indes allesamt an besondere Tatbestände an. Sie sind weder verallgemeinerungsfähig, noch decken sie das Arbeitsleben auch nur einigermaßen umfassend ab. Überblickshaft lässt sich sagen, dass sich die einschlägigen Normen auf Arbeitsverhältnisse beziehen, in denen die Einhaltung der Arbeitszeit besonders schwer zu kontrollieren ist oder in besonderem Maß Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht zu 19 Überblick über die einzelnen Länderregelungen bei BeckOK-ArbR/Kock, 52. Edition, § 16 ArbZG Rn. 5.1. 11
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besorgen sind, es umgekehrt aber, nicht zuletzt im Hinblick auf Interessen der Allgemeinheit, wichtig erscheint, dass Höchstarbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden (Beispiel: Schifffahrt, Straßenverkehr). 3. Anweisung der Aufsichtsbehörden nach § 17 ArbZG a) Anordnungsbefugnis Nach § 17 Abs. 2 ArbZG kann die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus dem ArbZG ergebenden Pflichten zu treffen hat. Absatz 4 ermächtigt die Aufsichtsbehörde, vom Arbeitgeber die für die Durchführung des Gesetzes erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Danach kann die zuständige Aufsichtsbehörde Arbeitgeber anweisen, die gesamte tägliche Arbeitszeit der Beschäftigten einschließlich der Ruhepausenzeiten aufzuzeichnen. b) Regelungsdefizit im Vergleich zu CCOO Da das ArbZG aber keine allgemeine Aufzeichnungspflicht anordnet, ist eine entsprechende Anordnung der Behörde nur möglich, wenn dafür ein Anlass besteht. Daher sind einschlägige Anordnungen (nur) dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitgeber gegen die Vorgaben des Arbeitszeitrechts verstößt, weil er Mehrarbeit in einem unzulässigen Umfang anordnet, Ruhezeiten nicht eingehalten, Ausgleichszeiten nicht gewährt hat oder sich seine bisherigen Aufzeichnungen nach § 16 Abs. 2 ArbZG als unzureichend erweisen. 20 Darüber hinaus wird in der Literatur vertreten, dass – sollte das ArbZG das Unionsrecht nicht richtig umgesetzt haben – die Behörde es in ihr Entschließungs- und Auswahlermessen 21 einzustellen hat. Selbst wenn man sich dem anschließen wollte, ließe sich alleine auf diesem Wege aber noch lange keine grundständige Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers begründen. 20 BayVGH 26.10.2011 - 22 CS 11.1989, BeckRS 2011, 32737 Rn. 15. Die fragliche Entscheidung erging indes lediglich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und auf Basis einer summarischen Prüfung; die entscheidende Aussage bleibt letztlich begründungslos. 21 Buschmann/Ulber, Fn. 3, § 16 Rn 18 u § 17 Rn. 4; HK/Ernst/Bartl, Fn. 2, § 16 ArbZG Rn. 11. 12
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Danach lässt sich das im Arbeitszeitrecht bestehende Regelungsdefizit keinesfalls über § 17 Abs. 2 und 4 ArbZG abfangen. Dabei kommt hinzu, dass die Ermächtigungsnorm den Beschäftigten keine subjektiven Rechte gegenüber dem Arbeitgeber vermittelt. 4. Aufzeichnungspflichten im Mindestlohnrecht a) § 17 MiLoG Sämtliche Gesetze zu Mindestlöhnen enthalten Regelungen zur Erfassung von Arbeitszeiten. An erster Stelle zu nennen ist § 17 Abs. 1 MiLoG. Die Regelung verpflichtet Arbeitgeber zur Zeitaufzeichnung, soweit diese - Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Wirtschaftsbereichen des § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) beschäftigen oder - „Minijobber“ nach § 8 Abs. 1 SGB IV beschäftigen (Ausnahmen: geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten) oder - als Entleiher tätig sind und Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in § 2a- SchwarzArbG-Branchen entleihen. Nach dem Gesetzeswortlaut bezieht sich die Dokumentationspflicht auf alle aufgeführten Beschäftigten und zwar ohne Rücksicht auf ihr Gehalt. Eine Aufzeichnungspflicht würde also auch dann bestehen, wenn deren Stundenentgelt, ggf. deutlich, über dem Mindestlohn liegt. Dies findet allerdings eine Einschränkung durch § 17 Abs. 3 MiLoG iVm § 1 der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV). 22 Danach entfällt die Dokumentationspflicht, wenn das Gehalt der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers – hier verkürzt dargestellt – 2.000 bzw. 2.958 Euro im Monat überschreitet. Besteht eine Erfassungspflicht, muss der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzeichnen. Die Aufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren, beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt. Die Einhaltung dieser Verpflichtung ist bußgeldbewehrt: § 21 Abs. 1 Nr. 7 MiLoG. 22 Thüsing/Joussen, 2. Auflage 2016, § 17 MiLoG Rn. 19f. BeckOK-ArbR/Greiner, Fn. 19, § 17 MiLoG, Rn. 3. Riechert/Nimmerjahn, Fn. 2, § 17 MiLoG, Rn. 66; Lakies, 4. Auflage 2015, § 17 MiLoG, Rn. 14. 13
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Eine Erleichterung ergibt sich nach § 17 Abs. 4 MiLoG iVm mit der Mindestlohn- aufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV). 23 Danach genügt es, wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet wird, soweit die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer (1.) ausschließlich mit mobilen Tätigkeiten betraut sind, (2.) keinen Vorgaben zu Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit unterliegen und (3.) sie sich ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen können. Beispielhaft nennt die Verordnung u.a. die Zustellung von Briefen, Paketen und Druckerzeugnissen. Umgekehrt verschärft § 6 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) die Aufzeichnungspflichten dahingehend, dass Arbeitgeber (bzw. Entleiher) in der Fleischwirtschaft (vgl. § 6 Abs. 10 AEntG, Ausnahme: Handwerksbetriebe) verpflichtet sind, den Beginn der täglichen Arbeitszeit der Beschäftigten jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme, sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils noch am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. b) Sonstige Mindestlohnregelungen 24 Eine dem Mindestlohnrecht weitgehend nachgebildete Bestimmung enthalten: - § 19 AEntG (Branchenmindestlöhne nach dem AEntG), sowie - § 17c Abs. 1 iVm § 3a AÜG (Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung) Die Einhaltung der Regelungen ist bußgeldbewehrt (§ 23 Abs. 1 Nr. 8 AEntG, § 16 Abs. 1 Nr. 17 AÜG). Die Erleichterungen der MiLoAufzV greifen auch für die Aufzeichnungs- pflichten nach dem AEntG, die Verschärfungen nach dem GSA Fleisch sowohl für die nach dem AEntG als auch diejenige des AÜG. c) Regelungsdefizit im Vergleich zu CCOO Das Mindestlohnrecht hält zwar einen recht breiten Katalog von mehr oder weniger umfassenden Zeitdokumentationspflichten bereit. Indes sind die einschlägigen Aufzeichnungspflichten vergütungsrechtlicher Natur. Sie sollen sicherstellen, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit insgesamt mit dem jeweiligen Mindestlohn vergütet wird. § 17 MiLoG kann nur an § 1 MiLoG anknüpfen, da die Regelung 23 Riechert/Nimmerjahn, Fn. 2, § 17 MiLoG, Rn. 85. Lakies, Fn. 22, § 17 MiLoG Rn. 15. Thüsing/Joussen, Fn. 22, § 17 MiLoG Rn. 22. 24 Die spezielleren Regelungen des AEntG sind den allgemeineren des MiLoG nur im rechtstechnischen Sinne nachgebildet. Rechtshistorisch gesehen liegen die Dinge genau anders herum, da sich die Regelungen des wesentlich später erlassenen Mindestlohnrechts an denen des AEntG orientierten. 14
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Mindestlohnverstöße aufdecken soll. Daraus folgt, dass nur Arbeitszeiten aufzuzeichnen sind, die auch mindestlohnpflichtig sind. 25 Immerhin sind die Unterschiede zwischen dem mindestlohn- und dem vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff nicht unüberbrückbar. Bislang hat die Rechtsprechung zur Definition der mindestlohnrelevanten Arbeitszeit auf die Grundsätze des öffentlichen Arbeitszeitrechts zurückgegriffen. So hat sich das BAG namentlich bei der Frage, inwieweit Ruhezeiten während des Bereitschaftsdienstes mindestlohnrelevant sind, am ArbZG orientiert („Bereitschaftsdienst ist nicht nur 26 arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit“). Dafür spricht nicht zuletzt, dass wenn jede geleistete Zeitstunde mit dem Mindestlohn zu vergüten ist, es einer objektiven Definition der Arbeitszeit bedarf, die der Parteidisposition entzogen ist, und eine solche findet sich gerade im Arbeitszeitrecht. Dabei kommt hinzu, dass der EuGH über das Entsenderecht weitreichenden Einfluss auf nationale Mindestlöhne nimmt und er sich dabei an seinem allgemeinen 27 zeitrechtlichen Arbeitsbegriff zu orientieren scheint. Probleme bleiben aber etwa, was Dienstreisen betrifft. Diese sind regelmäßig zu vergüten, stellen indes – abhängig von der Art der Reise – meist keine Arbeitszeit im öffentlich-rechtlichen Sinn dar. 28 Entscheidend ist aber, dass die fraglichen Normen nur ausgewählte Arbeitsverhältnisse ansprechen und dabei vor allem solche, denen, verkürzt gesprochen, eine gewisse Tendenz zu prekärer Beschäftigung innewohnt und die der Gesetzgeber deshalb für dokumentationsrelevant hält. Dagegen fällt die ganz überwiegende Mehrheit der Arbeitsverhältnisse nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Aufzeichnungsnormen. Zudem können diese Regeln nicht dazu dienstbar gemacht werden, um den Beschäftigten einen Schutz vor einer überbordenden zeitlichen Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber zu vermitteln. Zwar könnten die (arbeitszeitrechtlichen) Aufsichtsbehörden uU auch auf 29 mindestlohnbezogene Dokumentationen zugreifen (§ 17 Abs. 4 ArbZG , nunmehr auch: § 6 Abs. 4 Nr. 14 SchwarzArbG). Gegebenenfalls können Beschäftigte diese auch in einen Zivilprozess zum Beweis von Ansprüchen außerhalb des MiLoG einführen. Doch ergeben 25 Riechert/Nimmerjahn, Fn. 2, § 17 MiLoG, Rn. 42. iE auch: Lakies, Fn. 22, § 17 Rn. 5. 26 Etwa: BAG 11.10.2017, 5 AZR 591/16, NZA 2018, 32; BAG 29.6.2015, 5 AZR 716/15, NZA 2016, 1332 Rn. 28. In diese Richtung auch: Schaub-ArbR-HdB/Vogelsang, 17. Aufl. 2017, § 66 Rn. 24. Kritisch gegen das BAG aber: Wank, Anm. zu BAG AP MiLoG § 1 Nr. 2 (= 11.10.2017). 27 Vgl die Nachw. in Fn. 74. 28 Vgl. BAG 17.10.2018, 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159; Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505. 29 Eindeutig dagegen aber: Schliemann, Fn. 2, § 17 Rn. 20; Hahn/Pfeiffer/Schubert/Sitzenfrei, Fn. 2, § 17 Rn. 18: „Andere“ Unterlagen, auch soweit in ihnen Arbeitszeitaufzeichnungen enthalten sind, sind von der Vorlageverpflichtung nicht erfasst. Etwas großzügiger: Buschmann/Ulber, Fn. 3, § 17 Rn. 7, 8; HK/Ernst/Bartel, Fn. 2, § 16 Rn. 11: Es kann die Vorlage auch von „anderen“ Unterlagen verlangt werden, wenn die Aufsichtsbehörde dies bei der Durchführung ihrer Aufgaben für erforderlich hält. 15
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sich so keine unmittelbare und flächendeckende Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der Aufsichtsbehörden. 5. Betriebsverfassungsrechtlich intendierte Aufzeichnungspflichten a) § 87 BetrVG Schon vor der EuGH-Entscheidung ist in der Literatur angedacht worden, ob der Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Einführung einer Zeiterfassung zur Vermeidung von Gesundheitsschäden verlangen könnte. 30 Indes ist eine solche Argumentation nicht tragfähig. 31 Das BAG hat in seiner jüngeren 32 Rechtsprechung die Reichweite des Tatbestands des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG eingegrenzt. Danach bezieht sich das Mitbestimmungsrecht nicht auf jegliche Maßnahmen und Entscheidungen des Arbeitgebers, die irgendeinen Einfluss auf den Gesundheitsstatus der Belegschaft haben könnten, sondern nur auf solche, die der Arbeitgeber gerade aus den Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ergreift oder ergreifen müsste. Das Mitbestimmungsrecht knüpft an das Vorliegen von Gefährdungen, die entweder feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung (§ 3 ArbStättV iVm § 5 ArbSchG) festzustellen sind. Danach reicht alleine die Besorgnis, dass Beschäftigte ohne entsprechende Aufzeichnungen gesetzliche Höchstarbeitszeiten überschreiten könnten, nicht aus, um dem Arbeitgeber eine Dokumentationspflicht aufzuerlegen. Überhaupt keine Rolle im vorliegenden Kontext spielt § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass sich die Erfassung von Arbeitszeiten in vielen Fällen über eine datentechnische Aufzeichnung vollziehen wird. Ist dies der Fall, kommt dem Betriebsrat bei der Einführung des Systems zwar in der Tat das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu. Indes kann er nicht die Einrichtung einer entsprechenden technischen Zeiterfassung verlangen. Soweit dem Betriebsrat im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht zukommt, dient dies alleine dazu, Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts der Beschäftigten abzuwehren; er kann dies aber nicht dazu nutzen um bestimmte Überwachungsmaßnahmen einzufordern. 33 30 Fitting, 29. Auflage 2018, BetrVG, § 87 Rn. 251. 31 So zutreffend: Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263, 265. 32 BAG 18.7.2017, 1 ABR 59/15, NZA 2017, 1615; BAG 21.11.2017, 1 ABR 47/16, NZA 2018, 380; BAG 28.3.2017, 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132. 33 S. nur Fitting, Fn. 30, BetrVG, § 87 Rn. 251. 16
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b) § 80 BetrVG Einige Aufmerksamkeit verdient der allgemeine Unterrichtungs- und Auskunftsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. 34 Bereits 2003 hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit zu informieren hat, da der Betriebsrat nur so die Einhaltung der in § 5 ArbZG vorgeschriebenen Ruhezeit überprüfen könne. 35 Diese Auskünfte hat der Arbeitgeber auch dann zu erteilen, wenn er mit Rücksicht auf eine im Betrieb geltende „Vertrauensarbeitszeit” die tatsächlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten nicht erfasst und/oder bewusst nicht zur Kenntnis nehmen will. Dabei soll die Auskunftspflicht nach einer Literaturauffassung sogar eine monatliche Auskunft über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie über eine Über- und Unterschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit umfassen. 36 Das mag auf den ersten Blick etwas überraschend erscheinen. Zum einen konstruiert das BAG hier mittelbar eine Erfassungspflicht des Arbeitgebers, die das Arbeitszeitrecht jedenfalls nach herrschender Auffassung so nicht kennt. Zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung und ganz überwiegender Lehre dem Betriebsrat im Rahmen des § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG eigentlich nur solche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die der Arbeitgeber tatsächlich besitzt. Der Betriebsrat kann indes nicht verlangen, dass der Arbeitgeber nicht vorhandene 37 Unterlagen erst für ihn herstellt. Hiervon weicht die Rechtsprechung aus dem Jahr 2003 recht deutlich ab. Das BAG begründete dies seinerzeit damit, dass der Arbeitgeber seinen Betrieb so zu organisieren habe, dass er die Durchführung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen – und dabei auch gesetzliche Höchstarbeitszeitgrenzen – selbst gewährleisten kann. Er müsse sich deshalb über die einschlägigen Daten in Kenntnis setzen. Folglich könne er auch dem Betriebsrat eine Auskunft hierüber nicht verweigern, indem er darauf verweist, dass er die tatsächliche Arbeitszeit der Beschäftigten nicht erfasse bzw. nicht erfassen wolle (Stichwort: „Vertrauensarbeitszeit“). Ein Verzicht auf die Erhebung von Arbeitszeitdaten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei keine zu respektierende Ausübung der betrieblichen Organisations- und Leitungsmacht des Arbeitgebers, da diese nur im Rahmen der den Arbeitgeber bindenden normativen Vorgaben bestehen könne. 34 § 80 BetrVG hebt im Zusammenhang mit CCOO hervor: Kohte, jurisPR-ArbR 27/2019 Anm. 7 sub. D. 35 BAG 6.5.2003, 1 ABR 13/02, NZA 2003, 1348. 36 Däubler/Kittner/Klebe/Wedde/Buschmann, BetrVG, 16. Auflage 2017, § 80 Rn. 92. 37 Daher kritisch zur Rechtsprechung des BAG: Hess/Worzalla/andere/Nicolai, BetrVG, 10. Auflage 2018, § 80 Rn. 70. 17
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Noch deutlicher formuliert unter Bezugnahme auf diesen Beschluss das LAG 38 Niedersachsen , dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Betriebsrat Auskunft über die genauen Arbeitszeiten zu geben, soweit dessen Überwachungsaufgabe nach § 80 BetrVG dies erfordert. Daher dürfe der Arbeitgeber nicht auf die exakte Feststellung der „Ist-Zeiten” verzichten. Das LAG geht sogar so weit, dass es meint, dass wenn der Arbeitgeber zur Zeiterfassung kein elektronisches System nutzt, sondern auf die Selbstaufschreibung der Beschäftigten vertraut, er durch wirksame Kontrollen gewährleisten müsse, dass die Arbeitszeiten zutreffend aufgeschrieben werden. c) Regelungsdefizit im Vergleich zu CCOO Auch die Maßgaben des BetrVG genügen nicht den Anforderungen des EuGH. Zunächst lässt sich über § 80 BetrVG nur eine „mittelbare“ Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers konstruieren. Vor allem aber hängt die Durchsetzung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufzeichnungspflicht davon ab, dass im Betrieb ein Betriebsrat eingerichtet ist und dieser seine einschlägigen Kontrollrechte auch tatsächlich geltend macht. Aus § 80 BetrVG lassen sich weder Individualrechte der Belegschaftsmitglieder noch Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der Aufsichtsbehörden herleiten. III. Keine unionrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts Eine unionrechtskonforme Auslegung des deutschen Arbeitsrechts, aber auch dessen Durchbrechung über eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechtscharta ist nach fast einhelliger Ansicht in der Literatur ausgeschlossen. So besteht in der im Nachgang zum CCOO-Urteil erschienen Literatur mehr oder weniger vollständig Einigkeit darüber, dass die notwendige Anpassung des deutschen Arbeitsrechts nicht im Wege einer unionrechtskonformen Auslegung des ArbZG durch die Gerichte erfolgen kann und daher der Bundesgesetzgeber verpflichtet ist, das Arbeitszeitrecht nachzubessern. SX 39 LAG 8. 11. 2004, 5 TaBV 36/04, NZA-RR 2005, 424. 39 BeckOK- ArbR/Kock, Fn. 19, § 16 ArbZG Rn. 4c; Küttner/Poeche, Personalhandbuch 26. Auflage 2019, Arbeitszeit Rn 25a; Sittard/Esser, jM 2019, 284, 287; Heuschmid, NJW 2019, 1853, 1854; Fuhlrott, NZA-RR 2019, 343 (Ziff. 2); ders./Garden, ARbRAktuell 2019, 263, 263 f.; Bayreuther, EuZW 2019, 446, 447 f.; Leist, jurisPR-ArbR 22/2019 Anm. 1 sub. D; Happ, jurisPR-Compl 3/2019 Anm. 2 sub. C.; Kaufmann ArbAktuell 2019, 277; i.E. auch Kohte jurisPR-ArbR 27/2019, Anm. 7 sub. D. a.E.; etwas offener lediglich, am Ende dann aber doch zögerlich, was eine Direktwirkung betrifft: D.Ulber, NZA 2019, 677; Roetteken, jurisPR-ArbR 23/2019 Anm. 1. 18
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1. Richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts a) Richtlinienkonforme Auslegung in Arbeitsverhältnissen mit privaten Arbeitgebern Eine richtlinienrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts ist nicht möglich. Zwar weist der EuGH in Rn. 68 seines Urteils darauf hin, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten oblieg[en][t].“ Damit hat der Gerichtshof indes nicht sagen wollen, dass es an den Gerichten wäre, auch dann von einer Aufzeichnungspflicht auszugehen, wenn sich eine solche nicht im Bestand des nationalen Rechts wiederfindet. Wie nämlich die beiden nachfolgenden Randnummern (also die Rn. 69 und 70) zeigen, will der EuGH mit der fraglichen Passage lediglich auf die Verpflichtung der Gerichte der Mitgliedstaaten hinweisen, nationales Recht soweit als möglich unionrechtskonform auszulegen. Insoweit bleibt der EuGH verhältnismäßig bedeckt und wiederholt lediglich einen Lehrsatz, wie er sich in unzähligen anderen Entscheidungen auch findet. Dem EuGH geht es mit der fraglichen Passage darum, dass die Gerichte das nationale Arbeitszeitrecht in Richtung einer Aufzeichnungspflicht auslegen müssen, sollte dies nach den einschlägigen Vorschriften und dem Methodenkanon des nationalen Rechts möglich sein. Es ist aber nicht so, dass der EuGH die nationalen Gerichte dazu verpflichten würde, auch dann von einer Aufzeichnungspflicht auszugehen, wenn das nationale Recht eine solche gerade nicht anordnet (vgl. insb. Rn. 60 des Urteils). Das wäre schlechterdings auch nicht möglich, da das Unionsrecht keine Verpflichtung der Judikative vorsieht, ggf. rechtsschöpferisch tätig zu werden. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung kann Gerichte maximal dazu verpflichten, eine richtlinienwidrige Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, diesen aber nicht eine schöpferische Ergänzung des nationalen Rechts um Bausteine aufgeben, die dort nicht vorgesehen sind. 40 Wie bereits oben (Teil II) aufzeigt wurde, kennt das deutsche Recht derzeit keine grundständige Pflicht, die sich an alle Arbeitgeber richtet, die gesamte Arbeitszeit von Beschäftigten aufzuzeichnen. Insbesondere lässt sich eine solche nicht in § 16 Abs. 2 ArbZG 41 hineinlesen. Der Wortlaut der Regelung ist eindeutig. Insoweit kann auch nicht argumentiert 40 Etwas großzügiger nimmt EuGH 3.10.2000, C-303/98, Simap, NZA 2000, 1227 (1230) Rn. 65 ff. = ECLI:EU:C:2000:528 eine korrigierende Ergänzung des nationalen Rechts in einer Detailfrage vor. Dort ließ das nationale Recht eine Abweichung von den Höchstarbeitszeiten im Gegenzug zur Gewährung von Ausgleichszeiten zu, ohne aber den Zeitraum für die Ausgleichsleistung zu begrenzen. 41 Besonders deutlich: Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263, 264; Happ, jurisPR-Compl 3/2019 Anm. 2 sub. D; Sittard/Esser, jM 2019, 284, 287: „… schlicht nicht vorsieht und der Vorschrift eine derartige Pflicht unter 19
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werden, dass wenn der Arbeitgeber Überstunden nachweisen müsse, er notwendigerweise dies auch für die allgemeine Arbeitszeit tun müsse. Dazu, dass der Arbeitgeber weiß, dass er sich im Bereich von Überstunden bewegt, genügt, dass er Kenntnis davon hat, dass das Regeldeputat der Beschäftigten erschöpft ist. Dokumentieren muss er dieses deshalb noch lange nicht. S. ausführlich II.1.a. Allenfalls könnte man Experimenten zuneigen, dergestalt, dass aus der Regelung des § 16 Abs. 2 ArbZG die Worte „über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 hinausgehende“ herausgestrichen werden oder die in die Norm nach den Worten „hinausgehende Arbeitszeit“ nochmals „und die (gesamte) Arbeitszeit“ hineingelesen wird. 42 Mit allen derartigen Auslegungen würde man aber die Wortlautgrenze ganz eindeutig überschreiten. Die zweite Auslegungsvariante wäre überdies auch in systematischer Hinsicht nicht einleuchtend, denn warum sollte der Gesetzgeber zunächst eine Aufzeichnungspflicht in speziellen Fällen anordnen, um im unmittelbaren Anschluss dann eine Aufzeichnungspflicht für sämtliche Arbeitszeiten vorzusehen. Schließlich bliebe noch die Möglichkeit, § 16 Abs. 2 ArbZG gänzlich unangewendet zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass man so mangels anderweitiger Aufzeichnungsbestimmungen im Arbeitszeitrecht zu einem völlig konträren Ergebnis gelangen würde. 43 Auch entspricht es dem historischen Willen des Gesetzgebers, die Erfassungspflicht des § 16 Abs. 2 ArbZG auf die Mehrarbeit zu beschränken. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung: „Durch die Beschränkung der Nachweispflicht auf ‚über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 44 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeiten‘ wird unnötiger Aufwand vermieden.“ Diese Sichtweise bestätigen ex contrario auch die unter II. nachgewiesenen Aufzeichnungsvorschriften, die eben für wenige ausgewählte Konstellationen eine Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit anordnen. Besonders deutlich geht das aus den § 8 Offshore-ArbZV und § 10 Abs. 1 BinSchArbZV hervor: „… abweichend von § 16 Absatz 2 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes … die gesamte Arbeitszeit (…) täglich aufzuzeichnen.“ keinen Umständen entnommen werden kann.“ Leist, jurisPR-ArbR 22/2019 Anm. 1 sub. D: „ …was die Wortlautgrenze … überschreiten dürfte.“ 42 Das erwägt vorsichtig: D. Ulber, NZA 2019, 677, 680, verwirft dies aber letztlich: „ … bewegen sich jedenfalls sehr nah an der Wortlautgrenze, wenn sie nicht sogar darüber hinausgehen.“ 43 Vgl. nur: Sittard/Esser, jM 2019, 284, 287. 44 BT-Drs. 12/5888, S. 31. 20
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