Klageerwiderung Bundesregierung G20
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Klageerwiderung zu Klage von Sebastian Friedrich“
REDEKER | SELLNER | DAHS Rechrsanwärre REDEKER SELLNER DAHS | Leipziger Platz 3 | 10117 Berlin Rechtsanwalt Gernot Lehr R . Rechtsanwalt Dr. Gernot Schiller Verwaltungsgericht Berlin Fachanwalt für Verwaltungsrecht 27. Kammer Rechtsanwalt Dr. Julian Augustin Kirchstraß © 7 Sekretariat Eva Rieck 10557 Berlin Telefon +49 / 30 / 88 56 65 185 Telefax +49 / 30 / 88 56 65 99 rieck@redeker.de Berlin, den 19. Oktober 2017 Reg.-Nr.: 85/02341-17 In der Verwaltungsstreitsache J. Bundesrepublik Deutschland - VG 27 K 516.17 - wird namens und im Auftrag der Beklagten beantragt, 1) die Klage abzuweisen; 2) die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen. Begründung: Die Klage ist unbegründet. Der Entzug der Presseakkreditierung des Klägers für den G20-Gipfel in Hamburg durch die Beklagte vom 07.07.2017, dem Kläger bekanntgegeben am 07.07.2017 durch Vollzugsbeamte des Bundeskriminalamts (im Folgenden: BKA), war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Akkreditierungsentscheidung gemäß $ 49 Abs. 2 VwVfG lagen vor. SHR/er/00011 Berlin Leipziger Platz 3 10117 Berlin Tel. +49 30 885665-0 Fax +49 30 885665-99 Deutsche Bank Berlin IBAN: DE82 1007 0000 0155 0359 00 BIC: DEUTDEBBXXX Bonn Willy-Brandt-Allee 11 53113 Bonn Tel, +49 228 72625-0 Fax +49 228 72625-99 Brüssel 172, Avenue de Cortenbergh 1000 Brüssel Tel. +32 2 74003-20 Fax +32 2 74003-29 Leipzig Mozartstraße 10 04107 Leipzig Tel. +49 341 21378-0 Fax +49 341 21378-30 London 4 More London Riverside London SE1 2AU Tel. +44 20 740486-41 Fax +44 20 743003-06 München Maffeistraße 4 80333 München Tel, +49 89 2420678-0 Fax +49 89 2420678-69 Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB Sitz Bonn Partnerschaftsgesellschaft mbB AG Essen PR 1947 UST-ID: DE 122128379 www.redeker.de
R E D E K E R 5 B IL N E R DA H 5 RECHTSANWÄLTE Seite 2 Im Einzelnen: Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Entzugs einer Presseakkreditierung des Klägers für den G20-Gipfel in Hamburg. 1. a) Erteilung der Presseakkreditierung durch die Beklagte Am 07. und 08.07.2017 fand in Hamburg der durch die Beklagte organisierte G20- Gipfel statt. Für die Presseberichterstattung über den G20-Gipfel wurde in den Ham- burger Messehallen das Internationale Medienzentrum (IMC) eingerichtet. Zugang zum IMC sowie zu allen weiteren Austragungsorten des G20-Gipfels einschließlich zahlreicher Hotels, in denen Gipfelteilnehmer untergebracht waren, wurde nur gegen Vorlage einer entsprechenden persönlichen Akkreditierung gewährt. Verantwortlich für das Akkreditierungsverfahren von Journalisten war für die Beklagte das Presse- und In- formationsamt der Bundesregierung (im Folgenden: BPA). Das Akkreditierungsverfahren verlief wie folgt: Journalisten, die am G20-Gipfel teil- nehmen wollten, konnten sich in der Zeit vom 03.04.2017 bis zum 23.06.2017 online registrieren und die Erteilung einer Akkreditierung beantragen. In der Zeit ab dem 24.06.2017 war die Beantragung einer Akkreditierung in sog. Nachakkreditierungsver- fahren möglich, deren Prüfungsumfang sich von den regulären Verfahren nicht unter- schied. Die Entscheidung über die Akkreditierungsersuchen der Journalisten erfolgte in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst wurde durch das BPA die Journalisteneigenschaft überprüft. Auf der zweiten Stufe des Akkreditierungsverfahrens fragte das BPA beim Bundeskriminalamt etwaige Sicherheitsbedenken ab. Die Journalisten hatten insoweit bei der Antragstellung eingewilligt, dass ihre personenbezogenen Daten vom BPA an das BKA weitergegeben werden. Bei der Prüfung des BKA, ob in Bezug auf die jewei- ligen Antragsteller Sicherheitsbedenken bestehen, bezog das BKA entsprechend der gewöhnlichen Verwaltungspraxis Einträge aus polizeilichen Verbunddateien und Er- kenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (im Folgenden: BfV), des Landes- kriminalamtes (LKA) Hamburg sowie anlassbezogen (z.B. dann, wenn Dateieinträge unvollständig oder nicht hinreichend aussagekräftig erschienen) Erkenntnisse weiterer Landeskriminalämter (LKÄ) ein. Dieser Prüfumfang ist bei sämtlichen Akkreditie- www.redeker.de
REDEKER N A Seite 3 rungsanträgen und damit auch denen anderer Personen- und Berufsgruppen, die Zugang in den unmittelbaren Sicherheitsbereich von Schutzpersonen gem. $ 5 BKAG begehren, gleich. Die finale Entscheidung über die Erteilung der Akkreditierungen für die Pressevertreter lag beim BPA. Nach erfolgter Bearbeitung des Akkreditierungsersuchens und der Rückmeldung des BKA, dass keine Sicherheitsbedenken vorliegen, erhielten die Jour- nalisten per E-Mail ein Bestätigungsschreiben über ihre Akkreditierung. Sofern das BKA vor Beginn des G20-Gipfels weitere sicherheitsbezogene Erkenntnisse des BfV oder der Polizeien der Länder zu Journalisten erhielt, prüfte es in diesen Fällen erneut, ob eine Mitteilung an das BPA über das Vorliegen von Sicherheitsbedenken unter Be- rücksichtigung der Pressefreiheit erforderlich war. Soweit das BKA dem BPA den Aus- schluss eines Journalisten empfahl, entschied das BPA erneut über die Akkreditierung. Die Ausgabe der Akkreditierungsausweise erfolgte zu ausgewählten Zeiträumen zwi- schen dem 01.07. und 08.07.2017 in Hamburg. Insgesamt erteilte die Beklagte 5.101 personalisierte Presseakkreditierungen für den G20-Gipfel, davon 150 im Nachakkreditierungsverfahren. Neben den persönlichen Akkreditierungen, für die jeweils personalisierte Grundakkredi- tierungskarten ausgehändigt wurden, war auch für den G20-Gipfel in Hamburg das sog. Poolterminsystem vorgesehen. Bei „Pools“ handelt es sich um geführte Pressetermine im unmittelbaren Aufenthaltsbereich von Schutzpersonen (Staatsgäste, Delegierte etc.), hier also innerhalb der Sicherheitszone 1. Für die begrenzten Poolplätze mussten sich die Medienvertreter gesondert bewerben. Die sogenannten Poolkarten, die die Teilnah- me regeln, wurden ausschließlich durch das BPA vergeben. Die Poolkarten waren ent- sprechend der üblichen Praxis nicht personalisiert. Sie wurden an einzelne Medien, aber auch an freie Journalisten ausgegeben. Das jeweilige Medium war auf den Poolkarten nicht zu erkennen. Sie konnten daher von allen akkreditierten Journalisten eines Medi- ums genutzt werden. Dieses bei entsprechenden Veranstaltungen übliche System er- möglicht den Medien eine weitgehend autonome und flexible Gestaltung des Einsatz- plans ihrer für den G20-Gipfel persönlich akkreditierten Journalisten. Die an den Si- cherheitsschranken des IMC und anderer Veranstaltungsorte des G20-Gipfels (z.B. der Elbphilharmonie) gegebene Möglichkeit, die Zugangsberechtigung durch Poolkarten elektronisch (durch einen sog. Beeper) zu steuern, war bei den Sicherheitsschranken der 16 Tagungshotels und dem Gästehaus des Hamburger Senats nicht gegeben. www,redeker.de
b) REDEKER | SELLNER TDAHS Recursanwäure Seite 4 Bereits im Rahmen der Akkreditierungsverfahren übermittelte das BKA dem BPA zu mehreren Journalisten die Information, dass Sicherheitsbedenken vorlägen. Diese resul- tierten aus einem Datenabgleich im sog. ISA-Anred-Verfahren (IT-gestützte Sachbear- beitung Abgleichsverfahren — AnfrageRechercheDokumentation), also einem Abgleich mit bestimmten, im Vorfeld definierten polizeilichen Dateien. Geprüft wurden dabei vor allem die INPOL-Datensätze, deren Datenbesitzer Bund oder Länder sind. Das BKA fragte zudem zusätzliche Erkenntnisse des BfV und des LKA Hamburg sowie anlassbe- zogen von weiteren Landeskriminalämtern an. In vielen Fällen lagen bis zum Ablauf des regulären Akkreditierungsverfahrens am 23.06.2017 ausschließlich polizeiliche und noch keine BfV-Erkenntnisse des BfV vor. Für die sicherheitsbezogene Überprüfung durch das BKA waren die Erkenntnisse des BfV teilweise von zentraler und herausge- hobener Bedeutung. Regelmäßig wurden dem BPA die konkreten Inhalte der jeweiligen Sicherheitsbedenken des BKA, die aus dieser zusammengefügten Erkenntnislage resul- tierten, nicht mitgeteilt. Das BKA teilte gegenüber dem BPA lediglich mit, dass Sicher- heitsbedenken bestünden. Das BPA entschied unter Zugrundelegung des jeweiligen Einzelfalls in Abwägung des öffentlichen Interesses an der sicheren und ordnungsgemäßen Durchführung des G20- Gipfels und der Sicherheit innerhalb des IMC sowie den anderen Veranstaltungsorten einerseits mit dem Grundrecht der Pressefreiheit der antragstellenden Journalisten ande- rerseits, von der Ablehnung der Akkreditierungsbegehren abzusehen. Dies zeigt, dass eine im Vergleich zu anderen Akkreditierungsverfahren (z.B. für Service-Kräfte und Handwerker, deren Akkreditierungsbegehren bei Sicherheitsbedenken ohne weiteres abgelehnt wurden) eine besondere Berücksichtigung und Würdigung der grundrechtlich geschützten pressebezogenen Tätigkeiten erfolgte. Teilweise — so u.a. auch im Fall des Klägers — wurde mit dem BKA vereinbart, als milderes Mittel im Fall konkreter Ge- fährdungslagen von polizeilichen oder hausrechtlichen Maßnahmen Gebrauch zu ma- chen. Aufgrund dieser damaligen Einschätzung und der ins Auge gefassten Vorgehens- weise wurden während des Akkreditierungsverfahrens keine Akkreditierungsanträge von Journalisten aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt. Der Kläger registrierte sich am 16.06.2017 in der durch die Beklagte für die G20- Akkreditierung eingerichteten online-Datenbank und beantragte die Erteilung einer per- sonalisierten Akkreditierung. Mit E-Mail vom 23.06.2017 wandte sich das BPA zum Zwecke der Sicherheitsüberprüfung von insgesamt 450 Medienvertretern, zu denen auch der Kläger gehörte, an das BKA. Das BKA übermittelte dem BPA daraufhin am wwwsredeker.de
REDEKER SELLNER DAHS RECHTSANWÄLTE Seite 5 23.06.2017 die Information, dass zu keinem der 450 Journalisten Sicherheitsbedenken bestünden. Der Entscheidung des BKA, in Bezug auf den Kläger keine Sicherheitsbe- denken an das BPA zu übermitteln, lag zugrunde, dass in der INPOL-Datenbank zum Kläger keine Einträge vorhanden waren. Das BKA gelangte zu der Überzeugung, dass allein auf Grundlage dieser sicherheitsbezogenen Informationen über den Kläger bei Zugrundelegung der zu diesem Zeitpunkt bekannten Bewertung der Sicherheitslage eine Verweigerung der Akkreditierung nicht geboten war. Mit E-Mail vom 23.06.2017 be- stätigte die Akkreditierungsstelle des BPA dem Kläger die Erteilung der Akkreditie- rung. Anlässlich der Akkreditierungsentscheidung zu dem Journalisten, bei dem das BKA Sicherheitsbedenken hatte, stimmten sich BPA und BKA zu der einzelfallbezogenen Abwägung des öffentlichen Interesses an einer ordnungsgemäßen und sicheren Durch- führung des G20-Gipfels und der Ausübung der Pressefreiheit durch die Akkreditierung begehrenden Journalisten ab. Insbesondere die Möglichkeit etwaiger milderer Mittel in Form polizeilicher und hausrechtlicher Maßnahmen wurde in Betracht gezogen. Im Er- gebnis wurde vereinbart, die sicherheitsbezogene Prüfung mit besonderer Aufmerksam- keit durchzuführen und die Ausübung der Pressefreiheit soweit wie möglich zu gewähr- leisten. Ausschlussempfehlungen sollten durch das BKA nur ergehen, wenn die Sicher- heitsbedenken auch durch etwaige Mindermaßnahmen nicht hinreichend beseitigt wer- den konnten. Nach der Vorlage weiterer sicherheitsrelevanter Erkenntnisse durch das BfV prüfte das BKA erneut, ob gegen die Akkreditierungserteilung an den Kläger Sicherheitsbedenken vorlagen. Hierbei wurden die Erkenntnisse von LfV Baden-Württemberg und LfV Ber- lin einbezogen. Zu dem Kläger ergab sich dabei, dass dieser als Aktivist der linksextre- mistischen Szene Berlins bekannt sei. Zudem engagiere sich der Kläger in bzw. habe Kontakt zu gewaltbereiten Gruppierungen, die zu Protesten gegen den G20-Gipfel mo- bilisierten. Das BKA sah auf der Basis dieser hinzugetretenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zumindest die Möglichkeit, dass der Kläger eine Akkreditierung für den G20-Gipfel für Störungen der Abläufe im Sinne seiner politischen Ausrichtung nutzen könnte. Eine Ausschlussempfehlung an das BPA erging dennoch nicht. Das BKA hielt nach Abschluss der erneuten Sicherheitsüberprüfung am 06.07.2017 die Ergreifung po- lizeilicher oder hausrechtlicher Maßnahmen gegen den Kläger unter Berücksichtigung der besonderen grundrechtlichen Bedeutung der Pressefreiheit noch für ausreichend. www.redeker.de
a) REDEKER Seite 6 Mit Datum vom 04.07.2017 übermittelte das BKA an das BPA eine Liste mit zunächst 76 Personen und den jeweiligen Empfehlungen des BKA (Zulassung, Zulassung bei Durchführung von Mindermaßnahmen oder Ausschluss). Diese, in den Folgetagen je- weils fortgeschriebene Liste - am 07.07.2017 umfasste die Arbeitsliste insgesamt 82 Personen - enthielt zu dem Kläger zunächst noch keine Information. Nach der Ent- scheidung des BKA vom 06.07.2017 wurde der Kläger auf der am 07.07.2017 an das BPA übermittelten Liste — wie die anderen akkreditierten Pressevertreter auch, zu denen die Empfehlung zur Vornahme polizeilicher Mindermaßnahmen ergangen war — gelb markiert. Am 04.07.2017 wurde dem Kläger im IMC in Hamburg der personalisierte Akkreditie- rungsausweis ausgehändigt. Ereignisse am 06./07.07.2017 in Hamburg Für den Abend des 06.07.2017 war die G20-kritische „Welcome-to-hell- Demonstration“ angemeldet. Die Sicherheitsbehörden erwarteten hierzu bis zu 12.000 Teilnehmer, darunter auch gewaltbereite Demonstranten des sog. „schwarzen Blocks“. Vorgesehen war ein Protestmarsch, der ab 19:00 Uhr vom Fischmarkt aus starten sollte. Unmittelbar nach Beginn des Protestmarsches formierten sich unter den Demonstranten etwa 1.000 vermummte Personen. Nachdem die Polizei weitgehend vergeblich dazu aufgefordert hatte, die Vermummungen abzulegen, und die Beamten mit Flaschen, Stö- cken, Eisenstangen und Latten angegriffen worden waren, erklärten die Veranstalter die Demonstration gegen kurz vor 20:00 Uhr für beendet. In der Folge kam es zu massiven Ausschreitungen zwischen höchst gewaltbereiten Demonstrationsteilnehmern und der Polizei. Die Demonstranten errichteten Barrikaden und setzten mehrere PKWs in Brand. Die hohe Gewaltbereitschaft der Demonstranten trat dabei offen zu Tage, wobei sich die Angriffe auf Sicherheitsbeamte und die Sachbeschädigungen bis etwa 21:00 Uhr auf die Stadtteile St. Pauli und Altona ausweiteten. Im weiteren Verlauf häuften sich zudem Übergriffe auf Geschäfte und Beschädigungen an Autos im Schanzenviertel durch kleinere randalierende Gruppen und Einzelpersonen. Gegen 23:00 Uhr formierte sich eine große Gruppe von Randalierern im Bereich des Bahnhofs Altona. Die Sicher- heitslage im unmittelbaren Nahbereich der G20-Veranstaltungsorte und - Verkehrsrouten war zusehends unübersichtlich. www.redeker.de
b) REDEKER | SELINERIDAHS Rechrsanwätre Seite 7 Parallel war durch die Sicherheitsbehörden die Anreise der Gipfelteilnehmer (36 Dele- gationen mit bis zu 1.152 Delegierten) zu organisieren und zu sichern. Insgesamt befan- den sich während des G20-Gipfels 109 Schutzpersonen in der Zuständigkeit des BKA(darunter die weltweit am höchsten gefährdeten Staats- und Regierungschefs wie z.B. Erdogan, Trump, Putin, Xi Jiping). Zu sichern waren neben den Hauptveranstal- tungsorten (Messehallen und Elbphilharmonie) auch die weiteren Veranstaltungsorte (etwa für das Partnerprogramm und die ministeriellen Treffen der Finanz- und Außen- minister), die zahlreichen Tagungshotels sowie diverse Veranstaltungen am Rande des G20-Gipfels, wie etwa ein Konzert in der Barclaycard Arena im Stadtteil Bahrenfeld, an denen ebenfalls hochrangige Schutzpersonen teilnahmen. Es herrschten zeitweilig chao- tische Verhältnisse auf den Straßen der Hamburger Innenstadt, die sich aus Sicht der Si- cherheitsbehörden u.a. auch aufgrund der Vielzahl der Einzelveranstaltungen, der Größe des von G20-Veranstaltungen betroffenen Gebietes und der baulichen Gegebenheiten der Hamburger Innenstadt zu einer komplexen und singulären Sicherheitslage kumulier- ten und die vorherigen Erwartungen - trotz umfassender Lageanalysen im Vorfeld - nochmals in ihrer Gewaltdimension bei Weitem übertrafen. Am 06.07.2017 leitete das BfV dem BKA nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu vier für den G20-Gipfel akkreditierten Journalisten zu, zu denen der Kläger nicht gehörte. Der Vermerk des BfV enthielt insbesondere Informationen dazu, dass ein die besonders gewaltbereite Autonome Antifa Freiburg anführender Journalist im Mai 2017 den zent- ralen Veranstaltungsort des G20-Gipfels besucht und dabei möglicherweise ausgekund- schaftet habe. Die Gruppe um den Journalisten, der auch drei weitere ebenfalls akkredi- tierten Journalisten angehören sollten, bildete nach den Informationen des BfV eine linksextremistische Gruppe, deren Schwerpunkt auf der Vorbereitung von militanten Anti-G20-Protesten in Hamburg lag. Sie seien jeweils dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen. Der Journalist betreibt im Übrigen auch die in der Zwischenzeit verbotene linksextremistische Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ mit. Überdies erhielt das BKA ebenfalls am 06.07.2017 von Seiten des BfV Informationen dazu, dass sich der von Seiten der Nachrichtendienste als Rädelsführer der linksauto- nomen Szene eingestufte akkreditierte Journalist in internen Online-Foren des Besitzes einer Presseakkreditierung für den G20-Gipfel berühmt habe. Dies war deshalb bedeut- sam, weil in der linksautonomen Szene schon im Vorfeld ein sog. „Action Day“ ange- kündigt worden war. Unter diesem Begriff hatte die Szene im Vorfeld des G20-Gipfels u.a. auf der Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ Ideen für Störaktionen jegli- www.redeker.de
c) d) REDEKER N Seite 8 cher Art gesammelt und koordiniert. Im Rahmen der erforderlich gewordenen aktuali- sierten Neubewertung der Sicherheitslage legte das BKA zugrunde, dass bereits kleine- re, leicht durchzuführende Störaktionen, wie etwa der Wurf eines Schuhs oder einer Vi- deokamera auf eine hochrangige Schutzperson, den störungsfreien Ablauf und die Rahmenbedingungen für die Durchführung einer unbelasteten und ergebnisorientierten internationalen Konferenz massiv beeinträchtigen würden. Eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit von Schutzpersonen erschien bei Durchführung derartiger Störaktionen im Inneren der Veranstaltungsörtlichkeiten, und damit im unmittelbaren räumlichen Umfeld von Schutzpersonen, möglich, zumindest jedoch nicht ausgeschlos- sen. Auch etwaige körperliche Attacken, die zu keinen oder nur geringen Verletzungen einer Schutzperson führen würden, hätten sich auf das Konferenzklima nachhaltig nega- tiv ausgewirkt und den Konferenzerfolg erheblich beeinträchtigen können. Hierbei wa- ren auch die möglichen Reaktionen ausländischer Sicherheitsdienste zu berücksichtigen, die zu einer Eskalierung der Situation hätten beitragen können. Neben den unmittelba- ren Sicherheitsaspekten für die Schutzpersonen trat der von der Beklagten zu gewäh- rende Funktionsschutz für den G20-Gipfel im Sinne einer belastungsfreien, effizienten themen- und ergebnisorientierten Konferenzgestaltung. Insoweit musste auch der nega- tive Symbolwert etwaiger körperlicher Attacken in die Sicherheitserwägungen einbezo- gen werden. Noch während der gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Auflö- sung der „Welcome to Hell“-Demonstration rief die Staatssekretärin im Bundesministe- rium des Innern, Dr. Haber, am späten Abend des 06.07.2017 gegen 20:00 Uhr den Lei- ter des BPA, Staatssekretär Seibert, an. Staatssekretärin Dr. Haber informierte über die neuen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zu den vier Journalisten. Ferner berichtete sie über die aktuelle Entwicklung der Sicherheitslage an den G20-Veranstaltungs-orten und in der Hamburger Innenstadt und erklärte, dass eine Neubewertung der Sicherheits- lage insgesamt sowie konkret für das IMC und die anderen Veranstaltungsorte, zu de- nen die Presseakkreditierungen Zugang gewährten, erforderlich sei. Auf die nachdrück- liche Anregung von Staatssekretärin Haber entschied Staatssekretär Seibert in einem weiteren Telefonat, dass den o.g. vier Journalisten die Presseakkreditierung entzogen wird. Mit E-Mail vom 06.07.2017, 21:44 Uhr, teilte das BPA dem BKA die Entzugsent- scheidung mit. Die sehr angespannte Sicherheitslage rund um die Veranstaltungsorte und Tagungsho- tels des G20-Gipfels spitzte sich in der Nacht auf den 07.07.2017 weiter zu. So konnten www.redeker.de
e) REDEKER N DAHS aecHrsanwäıte Seite 9 hochrangige Schutzpersonen nur unter größtem Sicherheitsaufwand zu ihren Hotels be- gleitet werden. Verschiedene Schutzpersonen hatten hierbei zum Teil ganz erhebliche Beeinträchtigungen hinzunehmen. Die norwegische Premierministerin Solberg konnte etwa von einem Konzert in der Barclaycard Arena nicht in ihr Hotel zurückkehren, weil die Zufahrtzu dem im Schanzenviertel gelegenen Hotel nicht möglich war. Auch der Generaldirektor der WHO Azev£do musste bis 1:30 Uhr in der Nacht auf einer Polizei- station warten, weil er nicht sicher in sein Hotel zurückkehren konnte. Das Hotel befand sich innerhalb der Zone der härtesten Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Sicherheitsbehörden. Die Polizeistation wurde ihrerseits noch während seines Aufent- haltes im Gebäude von Gewalttätern angegriffen und musste durch Kräfte der Hambur- ger Polizei zusätzlich freigeräumt und geschützt werden. . Das offizielle Abendessen des US-Finanzministers musste lagebedingt abgesagt werden. Die Polizei konnte meh- rere wichtige Verkehrsrouten, die dem Transport hochrangiger Schutzpersonen von ih- rem Hotel zu den Tagungsorten dienten, wegen Sicherheitsbedenken nicht freigeben. Am Morgen des 07.07.2017 kam es erneut zu schweren Krawallen in der Hamburger Innenstadt, in deren Verlauf G20-Gegner u.a. diverse PKWs in Brand setzten, zahlrei- che weitere Sachbeschädigungen begingen und Geschäfte plünderten. In dem Sicher- heitsbereich II in unmittelbarer Nähe zum Schanzenviertel erfolgte eine Störaktion von Greenpeace, bei der ein Ballon vom Funkturm herabgelassen wurde. Die Sicherheitsla- ge in einigen Bereichen der Hamburger Innenstadt war zeitweilig außer Kontrolle. Pa- rallel dazu fanden in nahezu allen Tagungshotels Pressetermine unter Beteiligung hoch- rangiger Schutzpersonen statt. Für 10 Uhr war am Hauptveranstaltungsort in den Messehallen das erste offizielle Gip- feltreffen aller Staats- und Regierungschefs, der sog. „Retreat“, vorgesehen. Zu diesem „Pooltermin“ (Eintreffen der Staats- und Regierungschefs) an der Messehalle A inner- halb der Sicherheitszonen waren 240 Medienvertreter zugelassen. Die Polizeiführung Hamburgs untersagte gegen 08.45 Uhr die Abfahrt der Sicherheitskolonnen von den Tagungshotels zum Hauptveranstaltungsort in den Messehallen aufgrund massiver Stö- rungen. Zahlreiche Fahrtstrecken waren zu diesem Zeitpunkt weitgehend blockiert. Am Morgen des 07.07.2017 fand beim BKA eine Dringlichkeitssitzung unter Beteili- gung des Polizeiführers der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) der Sicherungs- gruppe des BKA statt. Dabei wurde u.a. auch die Sicherheitslage für das IMC und die anderen Veranstaltungsorte, zu denen die Presseakkreditierungen www.redeker.de
REDEKER N DA Seite 10 Einlass gewährten, neu bewertet. Das BKA bezog zudem die neuen Erkenntnisse aus dem Vermerk des BfV vom 06.07.2017 sowie das inzwischen bekannt gewordene Be- rühmen eines Journalisten mit seiner Presseakkreditierung in Online-Foren in seine Neubewertung ein. Dieser Umstand wies darauf hin, dass gerade auch mit einem geziel- ten Hineintragen der Störaktion in das Innere der Veranstaltungsörtlichkeiten und damit in das unmittelbare räumliche Umfeld von Schutzpersonen gerechnet werden musste. Das BKA gelangte zu der Erkenntnis, dass die Sicherheit und ordnungsgemäße Durch- führung des G20-Gipfels einschließlich der Presseberichterstattung nur gewährleistet werden könne, wenn diejenigen Journalisten, zu denen Sicherheitsbedenken vorlagen, die erteilte Akkreditierung entzogen würde. Ohne Entzug der erteilten Akkreditierungen war nach Auffassung des BKA nicht auszuschließen, dass akkreditierte Journalisten un- ter Verwendung der ausgehändigten nichtpersonalisierten Poolkarten Einlass in den Si- cherheitsbereich I erhalten konnten. Das BKA ging davon aus, dass auch im IMC mit weiteren Facetten von Störaktionen im Rahmen des sog. „Action Day“ zu rechnen sei. Die seit dem Abend des 06.07.2017 gewonnenen Lageerkenntnisse ließen befürchten, dass dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnende Personen mit allen nur erdenkli- chen Mitteln versuchen würden, den Verlauf der Veranstaltung, ggf. auch von innen heraus, zu beeinträchtigen. Allein im Wege einer Durchführung von Mindermaßnahmen ließ sich nach Einschätzung des BKA die Sicherheit der Schutzpersonen, gerade auch angesichts des extrem hohen Gewaltpotentials der Proteste, nicht mehr mit hinreichen- der Sicherheit gewährleisten. Unmittelbar im Anschluss an die Dringlichkeitssitzung kontaktierte das BKA das BPA telefonisch und teilte seine Neubewertung der Sicherheitslage mit. Dabei wurden insbe- sondere erhebliche Sicherheitsbedenken für das IMC und die anderen von den Presse- akkreditierungen betroffenen Veranstaltungsorte aufgrund des Vermerks des BfV vom 06.07.2017 erörtert. Infolge der vom BKA mitgeteilten massiven Sicherheitsbedenken bereitete der stellvertretende Chef des BPA, Ministerialdirektor Dr. Seeger, unter Ab- wägung der widerstreitenden Interessen die Entscheidung vor, dass die ursprüngliche, im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens getroffene einzelfallbezogene Abwägung zu revidieren und den verbleibenden 28 Journalisten (darunter der Kläger), zu denen Si- cherheitsbedenken seitens des BKA bestanden, die persönlichen Presseakkreditierungen zu entziehen seien. Diese Entscheidung traf sodann Staatssekretär Seibert. Im Anschluss erging die Weisung des Polizeiführers des BKA, allen Pressevertretern, zu denen bis- lang die Empfehlung zur Vornahme von Mindermaßnahmen erfolgt war, ab sofort Zu- www.redeker.de