Prüfbericht Oury Jalloh

Dies ist der Prüfbericht der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg zum Tod von Oury Jalloh aus dem November 2018.

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111 Js 89/17 Prüfvermerk der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg zu den Ermittlungen zum Todesfall Ouri Jallow: (Anonymisiertes Presse-Exemplar) Aufgrund des Erlasses der Ministerin für Justiz und Gleichstellung vom 07.12.2017, mit welchem der Generalstaatsanwaltschaft die Sachbearbeitung zugewiesen wurde, sind sämtliche Akten hier vollständig gesichtet und erneut ausgewertet worden. A. Methodik Um eine unvoreingenommene Prüfung zu gewährleisten, haben die Unterzeichner die Akten vom Beginn der Ermittlungen bis zu deren Ende chronologisch durch- gearbeitet und dabei die jeweiligen Beweismittel ergebnisoffen gegenübergestellt und gewürdigt. Die in den Akten befindlichen Urteile und Bescheide sind dann erst zum Schluss der Aktendurchsicht gelesen und die dortigen Feststellungen mit den eigenen Ergebnissen abgeglichen worden. Damit sollte vermieden werden, dass die Angaben von Beschuldigten und Zeugen und die Ausführungen von Sachver- ständigen bereits im Lichte späterer Feststellungen eingeengt betrachtet werden könnten. Zuletzt sind diese eigenen Erkenntnisse nochmals Stellungnahmen der Nebenklagevertreterinnen und der anhand der Antragsschriften der 1 „Initiative in Gedenken an Ouri Jallow “ daraufhin abgeglichen worden, ob sich aus diesen durchgreifende Gegenargumente ergeben. B. Prüfungsumfang Die Unterzeichner haben sämtliche hier zur Verfügung stehenden Ermittlungsakten und sonstige Unterlagen durchgesehen, nämlich: 1 Im Folgenden wird angesichts der unterschiedlichen Schreibweisen des Namens die Form verwendet, die bereits Gegenstand des Urteils des Landgerichts Magdeburg gewesen ist.
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2 - 141 Js 13260/10 StA Magdeburg (vormals 601 Js 796/05 StA Dessau-Roßlau) Ermittlungsverfahren gegen Andreas Sch., Hans-Ulrich M. und Udo Sch. wegen fahrlässiger Tötung o 34 Bde. Strafakten o SH 1 KT-Spuren- und Asservatenlisten, Lichtbilder o SH 2 Technische Gutachten/Brandgutachten mit 2 Stehordnern Anlagen o SH 3 Rechtsmedizinische Gutachten o SH 4 Ausführungsbestimmungen SOG LSA o SH 5 Durchsuchung Handy Schu. o SBde. I - IV Vorläufiges Gutachten Dr. P. o 1 Stehordner „Interne Mitteilungen“ o 2 Protokollbde. LG Dessau-Roßlau o 2 Kostenbde. LG Dessau-Roßlau o 1 Stehordner „Revisionssonderheft Sch.“ o 2 Stehordner Protokollbde. LG Magdeburg o 3 Stehordner Kostenbde. LG Magdeburg o 5 SBde. Vorläufiges Gutachten Dr. P. o 1 Bd. VH 141 Js 13260/10 VRs StA Magdeburg o 1 Anlage zur Hauptverhandlung (Original Gewahrsamsbuch PR Dessau) - 160 Js 18817/17 StA Halle (vormals 111 UJs 23785/13 und 111 Js 7436/17 StA Dessau-Roßlau) Ermittlungsverfahren gegen 2 Polizeibeamte wegen Mordes o 6 Bde. Ermittlungsakten o SH I Gutachten Sm. o SH II Gutachten Ka. o SH III Gutachten R. o SH IV Synopse verschiedener Brandgutachten o SH V Gutachten Ma. o SH VI Gutachten Textilspuren LKA Baden-Württemberg o SH VII Vorgutachten Ka./B. o SH VIII Gutachten P./S./W.
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3 o SH IX Vorgutachten o SH X Gutachten Brandversuch o SH XI Untersuchungsbericht Pr. o SH Rechtsmedizinische Gutachten - 111 Js 30448/09 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Dipl.-Med. Andreas Bl. wegen fahrlässiger Tötung zum Nachteil Ouri Jallow o 1Bd. Ermittlungsakten o 2 SHe. Gutachten - 111 Js 7436/17 Vorgang Aktenübergabe von der Staatsanwaltschaft Dessau- Roßlau an die Staatsanwaltschaft Halle o 1 HA Die Prüfung wurde auch auf die Durchsicht der Ermittlungsakten zu den vorausgegangenen Todesfällen Jürgen Rose und Mario Bichtemann erstreckt, um mögliche Bezüge zwischen den Todesfällen abzuprüfen, nämlich: - 232 UJs 39542/97 StA Dessau-Roßlau Todesermittlungsverfahren zum Nachteil Jürgen Rose o 6 Bde. o 1 HA - 232 Js 33464/02 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Andreas Sch. und W. T. wegen fahrlässiger Tötung zum Nachteil Mario Bichtemann o 3 Bde. o 1 Bd. Auszug aus 591 Js 33728/02 Ermittlungsverfahren gegen Njazi Sa., Peter Ni. und Abdel Rahman Al. wegen unterlassener Hilfeleistung und Diebstahls zum Nachteil Mario Bichtemann (Urteil vom 04.12.2003) - 391 Js 16728/03 StA Ermittlungsverfahren Dessau gegen Dipl.-Med. Andreas Bl. wegen fahrlässiger Tötung zum Nachteil Mario Bichtemann o 2 Bde.
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4 - 110 Js 17693/09 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Andreas Sch. wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zum Nachteil Mario Bichtemann o 1 Bd. o 1 HA Weiterhin wurden alle noch ermittelbaren Verfahren beigezogen und ausgewertet, die aus dem Verfahren zum Nachteil Ouri Jallow heraus eingeleitet worden sind, insbesondere die Verfahren wegen des Verdachts von Aussagedelikten in den Hauptverhandlungen vor dem Landgericht Dessau und dem Landgericht Magdeburg. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Verfahren: - 601 Js 8355/05 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Beate H. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. - 110 Js 5999/08 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Silvio S. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. - 110 Js 21884/08 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Heiko K. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. o 1 HA - 110 Js 17690/09 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Christine B. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. o 1 HA - 110 Js 17692/09 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Gerald K. wegen falscher uneidlicher Aussage
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5 o 1 Bd. o 1 HA - 141 Js 3806/13 StA Magdeburg Ermittlungsverfahren gegen Reimar K. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. - 507 Js 15525/13 StA Magdeburg Ermittlungsverfahren gegen Udo Sch. und Hans-Ulrich M. wegen falscher uneidlicher Aussage o 1 Bd. o 1 HA o 1 Berichtsheft - 192 Js 9956/14 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Dirk N. wegen falscher Verdächtigung o 1 Bd. - 111 Js 7200/17 StA Dessau-Roßlau Ermittlungsverfahren gegen Beate H. und Hartmut Sch. wegen schwerer Brandstiftung o 1 Bd. - 507 Js 23811/17 StA Magdeburg Ermittlungsverfahren gegen Beate H. wegen Strafvereitelung im Amt o 1 Bd. - 507 Js 25672/17 StA Magdeburg Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte des Polizeireviers Dessau-Roßlau wegen Strafvereitelung im Amt o 1 Bd.
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6 Der Vollständigkeit halber sind alle noch zur Verfügung stehenden Straf- und Ermittlungsverfahrensakten durchgesehen worden, in denen Ouri Jallow als Beschuldigter geführt worden ist, um mögliche Motive Dritter für ein Tötungsdelikt zu seinem Nachteil abzuprüfen, nämlich: - 173 Js 12218/01 StA Dessau-Roßlau o 1 Bd. - 172 Js 34160/01 StA Dessau- Roßlau o 1 Bd. - 411 Js 7213/02 StA Dessau-Roßlau o 1 Bd. - 411 Js 7214/02 StA Dessau-Roßlau o 1 Bd. - 171 Js 31888/02 StA Dessau-Roßlau o 2 Bde. o 1 HaftSH o 1 SH TKÜ - 831 Js 710/05 StA Dessau-Roßlau o 1 Bd. Durchgesehen wurden zudem die hier und im Ministerium für Inneres und Sport existierenden Berichtsvorgänge sowie die sonstigen Generalstaatsanwaltschaft Naumburg geführten Vorgänge: - Berichtsvorgänge beim Ministerium für Inneres und Sport o 6 Bd. o 4 Stehordner bei der
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7 - 100 BerL 5/05 betreffend das ursprüngliche Todesermittlungsverfahren zum Nachteil Ouri Jallow o 4 Bde. - 113 BerL 1/12 betreffend Vorfälle beim Demonstrationsgeschehen in Dessau o 1 Bd. - 111 BerL 1003/12 betreffend die Strafbarkeit beim Demonstrationsgeschehen verwendeter Parolen o 1 Bd. - 100 BerL 76/13 betreffend die weiteren Ermittlungen wegen des Todesfalles Ouri Jallow o 4 Bde. o 4 SH Ablichtungen Sachverständigengutachten - 114 BerL 79/13 betreffend Ermittlungen wegen eines Brandanschlages auf das Polizeirevier Dessau-Roßlau o 1 Bd. - 111 BerL 64/14 betreffend Drohungen gegen Beamte des Polizeireviers Dessau-Roßlau o 1 Bd. - 114 BerL 141/16 betreffend eine kleine Anfrage des Abgeordneten Hannes Loth (AfD) o 1 Bd. - 100 BerL 121/17 betreffend eine kleine Anfrage der Abgeordneten Henriette Quade (Die Linke) o 1 Bd. - 100 Ss 2013/13 betreffend die Revisionen gegen das Urteil gegen Andreas Sch.
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8 o 1 Bd. - 105 AR 328/13 betreffend die Strafanzeige der „Initiative in Gedenken Ouri Jallow“ wegen Mordes vom 11.11.2013 o 1 Bd. - 112 AR 327/17 betreffend die Strafanzeige der „Initiative in Gedenken Ouri Jallow“ wegen Mordes vom 07.12.2017 an den Generalbundesanwalt o 1 Bd. - 113 AR 343/17 betreffend eine Strafanzeige gegen Justizbedienstete wegen Strafvereitelung im Amt o 1 Bd. - 113 Zs 1162/17 betreffend die Beschwerde gegen die Einstellungsentschei- dung der Staatsanwaltschaft Halle o 1 Bd. Ergänzend wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg am 14.05.2018 das Büro für Brandschutz - Pr. und Partner - aus Bergisch-Gladbach beauftragt, ein Gutachten über die von der IBLF-GmbH durchgeführten Vorversuche zu der Grundlagenermittlung und Quelltermbestimmung, welche für die Ermittlung eines möglichen Brandablaufes in zeitlicher Hinsicht mit Beachtung der vorgefundenen Situation nach dem Brand am 07.01.2005 unter Zuhilfenahme der vorliegenden Ermittlungsakten zur Erarbeitung der Faktenlage durchgeführt worden waren, zu erstellen. Die Ergebnisse dieser sog. Vorversuche waren mündlich in die Diskussion vom 01.02.2017 im rechtsmedizinischen Institut Würzburg eingeflossen, ohne ordnungsgemäß in den Akten festgehalten worden zu sein. Gleichwohl können diese Ergebnisse maßgeblich Einfluss auf die Entscheidung von Herrn LOStA Bittmann hinsichtlich der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gehabt haben. Das Gutachten wurde am 07.07.2018 erstellt und ist hier am 16.07.2018 eingegangen.
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9 Abschließend ist durch LOStA Blank am 11.10.2018 einem der beiden in der Einleitungsverfügung der StA Dessau-Roßlau als Beschuldigte eingetragenen Polizeibeamten rechtliches Gehör gewährt worden, da diese bisher noch nicht verantwortlich als Beschuldigte vernommen worden waren. Dabei wurde vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der zweite Beschuldigte ist mittlerweile verstorben. Am selben Tage suchte LOStA Blank das Polizeirevier in Dessau-Roßlau auf und verschaffte sich vor Ort einen Überblick über die räumlichen Verhältnisse (DGL- Raum, Weg zum Keller, Gewahrsamsbereich, Hof). C. Sachverhalt Die Unterzeichner gehen aufgrund der Auswertung und Würdigung der zur Ver- fügung stehenden Beweismittel von folgendem Sachverhalt als wahrscheinlichstem, zumindest aber nicht widerlegbarem Geschehensablauf aus: I. Vorgeschichte Am Morgen des 07.01.2005 hielt sich Ouri Jallow in Dessau im Bereich der Turmstraße auf. Er hatte längere Zeit zuvor Cannabis konsumiert, kürzere Zeit zuvor Kokain in geringerer Menge und unmittelbar zuvor ganz erhebliche Mengen Alkohol, so dass eine ihm um 09.15 Uhr entnommene Blutprobe neben Cannabis- und Kokainrückständen und -abbauprodukten eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 ‰ aufwies. Noch vor 08.00 Uhr traf er im Bereich der Turmstraße auf eine Gruppe Frauen, die dort mit Straßen- und Grünflächenreinigungsarbeiten beschäftigt waren. Ouri Jallow näherte sich ihnen und sprach sie an, wobei diesen unverständlich blieb, was genau er von ihnen wollte. Die Frauen verstanden lediglich, dass Ouri Jallow immer wieder nach einem Mobiltelefon verlangte, weil er telefonieren müsse oder wolle. Er fragte die Frauen immer wieder nach einem Handy und ließ sich nicht abweisen. Er
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10 entfernte sich immer nur wenige Meter und ging dann zu den Frauen zurück, um sie erneut anzusprechen. Da er ihnen - auch als sie weiter gingen - folgte, schließlich einer von ihnen (Karin RS.) an den von ihr getragenen Rucksack griff, fühlten die Frauen sich zunehmend von ihm belästigt und bedrängt. Schließlich rief eine der Frauen - Angelika B. - um 08.03 Uhr über die Notrufnummer im Polizeirevier Dessau an, um die Polizei um Hilfe zu bitten. Der Notruf von Angelika B. wurde von der Streifeneinsatzführerin POMin Beate H. entgegengenommen, die im Polizeirevier Dessau in den Räumlichkeiten des Dienstgruppenleiters (DGL) zu dieser Zeit ihren Dienst versah und u. a. für die Koordinierung der Einsätze der Streifenwagen zuständig war. Angelika B. teilte POMin H. kurz mit, sie und ihre Kolleginnen würden „von einem Ausländer belästigt“, und diese sagte zu, sie werde jemanden vorbeischicken. POMin H. hatte jedoch zunächst Schwierigkeiten, einen Streifenwagen zu Angelika B. und ihren Kolleginnen zu beordern, da alle Streifenwagen des Polizeireviers Dessau sich anderweitig in laufenden Einsätzen befanden. Um 08.12 Uhr rief Angelika B. erneut im Polizeirevier an, bat POMin H. nochmals um Hilfe und wies darauf hin, dass „der Ausländer“ ihnen „überall hinterher“ komme. POMin H. informierte daraufhin nochmals die im Einsatz befindlichen Streifenwagen. Da die Streifenwagenbesatzung PM M. und POM Sch. ihren anderweitigen Einsatz gerade beendet hatten, fuhren diese jetzt in die Turmstraße, wo sie gegen 08.20 Uhr die Frauengruppe und den wenige Meter entfernt stehenden Ouri Jallow antrafen. II. Festnahme Nach dem Aussteigen aus dem Streifenwagen ging PM M. zu der Frauengruppe, um diese nach ihren Personalien und dem Vorgefallenen zu befragen. Gleichzeitig ging POM Sch. zu Ouri Jallow und forderte ihn mit dem Wort „Passport“ oder „Ausweis“ ohne weitere Darlegung eines konkreten Grundes auf, sich den Polizeibeamten gegenüber auszuweisen. Dies verweigerte Ouri Jallow mehrfach mit den Worten „Warum Passport?“ oder „Was ist Ausweis?“, weshalb POM Sch., der meinte, dass Ouri Jallow entgegen seiner Bekundungen genau wisse, was er von ihm wolle und sich nur „dumm“ stelle, sich entschloss, ihn zur Identitätsfeststellung mit auf das Revier zu nehmen. Er forderte Ouri Jallow auf, in den Streifenwagen zu steigen, was dieser jedoch verweigerte. Als POM Sch. ihn daraufhin anfasste, um ihn mit
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