Microsoft Word - 12-S-0025-19 - 200306 - Beschluss - Anonymisiert.docx

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Abschrift OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS OVG 12 S 25.19 VG 9 L 330/19 Potsdam In der Verwaltungsstreitsache hat der 12. Senat durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Plückelmann und die Richter am Oberverwaltungsgericht Böcker und Dr. Raabe am 6. März 2020 beschlossen: -2-
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-2- Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 14. Juni 2019 wird geändert. Die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat. Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 5.000 EUR festgesetzt. Gründe Die Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das die Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Der Antragsgegner hat u. a. mit Blick auf die von ihm zur Erläuterung seiner Rechtsauffassung eingereichten gerichtli- chen Entscheidungen hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen der angefoch- tene Beschluss unrichtig sein soll und dessen tragende Erwägungen hinreichend in Frage gestellt. I. Der Hauptantrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Altn. 1 VwGO) statthaft und auch sonst zulässig. Dem Widerspruch der Antragstellerin kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG keine aufschiebende Wirkung zu. Der von dem Antragsgeg- ner mit Bescheid vom 9. April 2019 der Beigeladenen gewährte Informationszugang zu dem Kontrollbericht vom 5. September 2019 betrifft Daten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Die Beigeladene hat mit ihrer Frage nach „Beanstandun- gen“ und der für diesen Fall erbetenen Herausgabe des entsprechenden Kontroll- berichts eine Informationsgewährung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG beantragt. Die „Beanstandungen“ sollten nach ihrem Antrag ausdrücklich unzulässige Abwei- chungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs oder anderer geltender Hygienevorschriften betreffen. Der Antragsgegner hat nach der Begründung des angegriffenen Bescheides auch aufgrund des § 2 Abs. 1 -3-
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-3- Satz 1 VIG über dieses Begehren entschieden (dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 ME 707/19 - juris Rn. 6; VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezember 2019 - 10 S 1891/19 - juris Rn. 4). Die Annahme, dem Rechtsbehelf der Antragstellerin komme aufschiebende Wir- kung nach § 80 Abs. 1 VwGO zu, weil § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG voraussetze, dass der Antrag auf Informationsgewährung von vornherein ausschließlich auf Auskünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG ziele (vgl. VG Stade, Beschluss vom 1. April 2019 – 6 B 380/19 – ), ist weder mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG vereinbar, noch mit dem gesetzlichen Zweck, bei Rechtsverstößen wegen des überragenden Interesses der Öffentlichkeit an einer schnellen Information die sofortige Vollzieh- barkeit gesetzlich anzuordnen (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 18). II. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Bei der Entscheidung nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO sind die gegenläufigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Erweist sich der angefochtene Verwal- tungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse die gegenläufigen privaten und/oder öffentlichen Vollzugsinteressen. Bei offensichtlicher Erfolglosigkeit des Rechtsmittels in der Hauptsache behauptet sich auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung regel- mäßig das Vollzugsinteresse des Begünstigten (vgl. Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 80a Rn. 32 m.w.N). Ist hingegen bei summarischer Prüfung der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht offensichtlich, sind die einander gegen- über stehenden Interessen zu gewichten. Die Erfolgsaussichten sind dabei auch unabhängig von einer fehlenden Offensichtlichkeit einzubeziehen (vgl. OVG Müns- ter, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 15 B 814/19 - juris Rn. 8 m.w.N.). Danach ist der Antragstellerin vorläufiger Rechtsschutz nicht zu gewähren. 1. In die Interessenabwägung ist einzustellen, dass der angegriffene Bescheid vo- raussichtlich rechtmäßig ist. Verfahrensfehler des Antragsgegners sind nicht er- sichtlich und werden auch von keinem der Beteiligten geltend gemacht. Der der Beigeladenen gewährte Informationszugang dürfte auch in materieller Hinsicht -4-
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-4- nicht zu beanstanden sein. Die vom Verwaltungsgericht und der Antragstellerin in- soweit als offen bezeichneten Rechtsfragen sind zwischenzeitlich in der oberge- richtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung weitgehend geklärt. a) Die sachlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG liegen vermut- lich vor. Ausreichend ist insoweit, dass die zuständige Behörde eine Abweichung von den Anforderungen der dort genannten Regelungen unter Würdigung des Sach- verhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend festgestellt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2019 - 7 C 29.17 - juris Rn. 32; OVG Lüneburg, a.a.O. Rn. 9; OVG Münster, a.a.O., Rn. 13 ff.; VGH München, Urteil vom 16. Feb- ruar 2017 - 20 BV 15.2208 - juris Rn. 47). Davon ist hier auszugehen. Der Antrags- gegner hat dargelegt, dass in dem Kontrollbericht Mängel festgestellt worden seien und angeordnet worden sei, dass der vorgefundene Zustand zu ändern sei. Zur Verdeutlichung hat er auf das verwendete Formular „Amtliche Lebensmittelüberwa- chung Kontrollbericht/Mängelprotokoll“ hingewiesen. Dieses ist dergestalt struktu- riert, dass die angewendeten Kontrollkriterien auszuwählen sind, Feststellungen, Mängel und Verstöße zu nennen sind und eine Beseitigungsfrist anzuordnen ist. Bereits diese Vorgaben bringen es mit sich, dass eine tatsächliche Feststellung hinsichtlich eines vorgefundenen Zustands getroffen und diese Feststellung recht- lich bewertet, das heißt als (Rechts-)Verstoß oder Nicht-(Rechts-) Verstoß (dazu BT-Drs. 17/7374, S. 15) qualifiziert wird. Insbesondere machen die hier erfolgte Aufforderung, die Mängel zu beseitigen, und die in dem Kontrollbericht enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung deutlich, dass aus Sicht des Antragsgegners eine ab- schließende Beurteilung der Sach- und Rechtslage erfolgt war (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 15). Der Einwand der Antragstellerin, die in dem Kontrollbericht getroffenen Feststellun- gen enthielten keine Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen worden sein solle, und ließen keine Subsumtion erkennen, überzeugt nicht. Es mag entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin wünschenswert sein, dass in einem Kontrollbericht auch die Rechtsvorschriften zitiert werden, von denen abgewichen worden sein soll; ei- ner ausdrücklichen – schriftlichen – Zuordnung eines Verstoßes zu bestimmten Rechtsnormen bedarf es jedoch nicht (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 15). Nach der Gesetzesbegründung muss lediglich eine „Abweichung von Rechtsvorschriften“ überhaupt festgestellt werden (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 15 unter Bezugnahme auf -5-
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-5- Art. 2 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004, ABL. L 165 vom 30. April 2004, S. 1; darauf ebenfalls hinweisend OVG Lüneburg, a.a.O. Rn. 11). Auch die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 30 ff.) notwendige abschließende aktenkundige Feststellung der Verstöße unter Würdigung des Sachverhalts und einschlägiger Rechtsnormen soll lediglich vermeiden, dass juristisch noch nicht von der zustän- digen Stelle tatsächlich und rechtlich gewürdigte Informationen bereits zum Gegen- stand eines Informationsbegehrens gemacht werden können (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 15). Dies bedingt jedoch nicht die schriftliche Wiedergabe bestimmter Rechtsnormen. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass dem hier herauszugebenden Kon- trollbericht nicht entnommen werden könne, ob der dort beschriebene Sachverhalt als Mangel oder Verstoß bewertet worden sei, trägt auch dies nicht. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG setzt eine Abweichung von Rechtvorschriften voraus. Ob ein fest- gestellter Sachverhalt dabei als Mangel oder als Verstoß bezeichnet wird oder in- sofern die begriffliche Zuordnung offen bleibt, ist unerheblich, da sowohl ein Mangel als auch ein Verstoß die Abweichung von einer Rechtsvorschrift voraussetzt. Die Abweichung liegt ferner unabhängig davon vor, ob der Mangel oder Verstoß als geringfügig einzustufen ist. Es ist insbesondere nicht notwendig, dass die Rechts- verstöße mit einer Gesundheitsgefährdung verbunden sind (BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 51). Ein Produktbezug der Informationen ist ebenfalls nicht Voraussetzung des Informationsanspruchs nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 23 ff.). Der Einwand der An- tragstellerin, es sei zweifelhaft, ob der Kontrollbericht ein Verwaltungsakt sei, ist bereits deshalb unerheblich, weil zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt ist, dass eine nicht zulässige Abweichung im Sinne der vorgenannten Regelung nicht durch Verwaltungsakt festgestellt worden sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 30). (b) Die Herausgabe des Kontrollberichts leidet entgegen der Auffassung der An- tragstellerin auch nicht an einer unverhältnismäßigen Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG, an dessen Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 41 ff.). Der Einwand der Antrag- stellerin, mit Blick auf zu § 40 Abs. 1a LFGB ergangene Rechtsprechung (u.a. -6-
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-6- BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018, 1 BvF 1/13 - juris) bedürfe die Veröffentli- chung nicht gefahrbezogener Informationen der Lebensmittelüberwachung einer verfassungsrechtlich notwendigen Grenzziehung, begründet keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Herausgabe des Kontrollberichts. Die antragsgebundene Informationsgewährung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VIG ist zwar an Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zu messen. Insbesondere in Fällen, in denen die erlangte Information gezielt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden soll, kann der Verbreitung von Informationen durch Private nicht jegliche mittelbar-fakti- sche Wirkung abgesprochen werden. Die aktive staatliche Informationstätigkeit und die antragsgebundene Informationsgewährung gegenüber den Marktteilnehmern unterscheiden sich jedoch so erheblich, dass eine unbesehene Übertragung der für eine aktive staatliche Informationstätigkeit geltenden verfassungsrechtlichen Anfor- derungen auf den hiesigen Fall der bloßen Informationsgewährung ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 47 ff., OVG Münster, a.a.O. Rn 49; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 15; VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezem- ber 2019 – 10 S 2614/19 - juris Rn. 24 f.; offen insoweit OVG Koblenz, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 10 B 11634/19 – juris Rn. 8; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 5 Bs 149/19 – juris Rn.11 ff.). Die vom Gesetzgeber unter an- derem mit § 6 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 und 2 VIG geschaffenen Schutzvorkeh- rungen schließen aus, dass durch die Veröffentlichung der Information für die Un- ternehmen unzumutbare Folgen zu erwarten sind (so ausdrücklich BVerwG, a.a.O., Rn. 52; OVG Münster, a.a.O. Rn. 57). Auch eine angenommene Veröffentlichung des hiesigen Kontrollberichts im Internet erfordert die Übertragung der für die aktive staatliche Informationstätigkeit nach § 40 Abs. 1a LFGB geltenden Einschränkun- gen nicht. Soweit die Antragstellerin meint, dass der Informationszugang aus verfassungs- rechtlichen Gründen nicht zu gewähren sei, da der in dem Kontrollbericht aufge- führte Mangel nur von geringem Gewicht sei und keine Gesundheitsgefahren oder Grenzwertüberschreitungen festgestellt worden seien, betrifft dies nicht die Verfas- sungsmäßigkeit der einzelfallbezogenen Anwendung des Verbraucherinformations- gesetzes, sondern des angewendeten Gesetzes selbst. Denn § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG erfordert entsprechend dem bereits Ausgeführten nicht, dass die Infor- mationen Verstöße betreffen, die besonders schwer wiegen. Dem Gesetzeszweck, -7-
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-7- dem Marktteilnehmer eine umfassende Informationsgrundlage zu geben (BT-Drs. 17/7374, S. 2), entspricht es vielmehr, auch von Verstößen zu erfahren, die nicht unmittelbar zu Gesundheitsgefährdungen führen (OVG Lüneburg, a.a.O. Rn. 13). Gemäß dem gesetzgeberischen Leitbild des mündigen Verbrauchers sollen ihm die Informationen ungefiltert zugänglich gemacht werden (BVerwG, Urteil vom 29. Au- gust 2019, a.a.O. Rn. 15; Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22.14 – juris Rn. 10). An der Verfassungsmäßigkeit der Norm bestehen auch vor dem Hintergrund des beschriebenen Inhalts mit Blick auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsge- richts (Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 47 ff.) keine Zweifel. Vor dem Hintergrund der zutreffenden Gründe der Entscheidung des Bundesver- waltungsgerichts überzeugt auch die Auffassung der Antragstellerin nicht, es sei aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, dass der Antragsgegner Art, Be- deutung und Gewicht des festgestellten Mangels erläutere, damit auch ein verstän- diger Durchschnittsverbraucher die Relevanz der betreffenden Information für seine Kaufentscheidung beurteilen könne. Das Verbraucherinformationsgesetz sieht eine entsprechende Erläuterung nicht vor. Wie bereits ausgeführt, sollen vielmehr dem mündigen Verbraucher nach dem Gesetzeszweck die Informationen ungefiltert zu- gänglich gemacht werden (BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 15; Beschluss vom 15. Juni 2015, a.a.O. Rn. 10). Die informationspflichtige Stelle ist darüber hinaus nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG nicht einmal verpflichtet, die inhaltliche Richtigkeit der Information zu prüfen. Es besteht nach § 6 Abs. 4 Satz 1 VIG ledig- lich ein Anspruch des Dritten auf unverzügliche Berichtigung, wenn sich die zu- gänglich gemachte Information im Nachhinein als falsch oder die zugrunde liegen- den Umstände als unrichtig wiedergegeben herausstellen. Dass Marktteilnehmer möglicherweise noch besser durch umfassendere Informationen in die Lage ver- setzt werden könnten, eine Entscheidung am Markt zu treffen, steht der Geeignet- heit der Herausgabe des hiesigen Kontrollberichts nicht entgegen. Das Alter des Kontrollberichts erfordert ebenfalls keine verfassungsrechtliche Ein- schränkung des hier gewährten Informationszugangs. Dem Kontrollbericht kann auch mit Blick darauf, dass er vom 5. September 2018 stammt, nicht jeder Informa- tionswert abgesprochen werden. Die Antragstellerin übersieht insoweit, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Nr. 1e) VIG ausdrücklich geregelt hat, dass ein Anspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG in der Regel erst dann nicht mehr besteht, wenn -8-
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-8- die Information vor mehr als fünf Jahren seit der Antragstellung entstanden ist. Die Formulierung „in der Regel“ wurde zudem eingefügt, um in Ausnahmefällen auch eine Information zugänglich zu machen, die vor mehr als fünf Jahren entstanden ist (BT-Drs. 16/5404, S. 11). Diese verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende ge- setzliche Bewertung des Informationsinteresses lässt sich mit der Annahme, ein von September 2018 stammender Kontrollbericht habe wegen seines Alters keinen hinreichenden Informationswert, nicht vereinbaren. Das Alter des Berichts führt auch nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Antragstellerin. Die Bedeutung einer Information wird mit zunehmendem Abstand von dem die Information auslösenden Rechtsverstoß geringer (BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018, a.a.O. Rn. 58). Damit verliert die Information ihr Potential, die Marktstellung der Antragstellerin nachteilig zu beeinflussen (vgl. OVG Münster, a.a.O., juris Rn. 109). Anders als bei amtlichen Veröffentlichungen einer Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018, a.a.O. Rn. 58) kann bei privaten Ver- öffentlichungen auf Internetplattformen zudem erwartet werden, dass alte oder sich auf ältere Vorfälle beziehende Einträge als weniger oder nicht mehr relevant wahr- genommen werden. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere der aufgeklärte mündige Marktteilnehmer, der dem gesetzgeberischen Leitbild des Verbraucherin- formationsgesetzes entspricht (BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 15) und den der Gesetzgeber stärken wollte (BT-Drs. 17/7374, S. 12), die zeitliche Re- levanz von Veröffentlichungen auf privaten Internetplattformen hinreichend im Auge hat. Auch das von der Antragstellerin unter Bezugnahme auf verfassungsrechtliche Rechtsprechung (BVerfG, Beschlüsse vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – juris und 1 BvR 276/17 – juris) geltend gemachte Recht auf Vergessen steht dem Infor- mationszugangsanspruch der Beigeladenen nicht entgegen. Nach dem von der An- tragstellerin angeführten gegenwärtigen Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer gesam- ten Belastungssituation (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - juris Rn. 103) ist u.a. mit Blick auf die bereits angeführten Umstände nicht davon auszugehen, dass die Gewährung des Zugangs zu dem Kontrollbericht aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig ist. In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass der Veröffentlichung einer Kopie eines amtlichen Dokuments auf einer privaten Internetplattform eine einer amtlichen Website vergleichbare amtliche Autorität entgegen der Auffassung der -9-
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-9- Antragstellerin nicht zukommt. Dass die hier in Rede stehende Plattform „Topf Se- cret“ nicht in staatlicher Verantwortung, sondern von Privaten betrieben wird, ist ohne weiteres erkennbar, wenn man die Internetseite aufruft (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 61). Nach alledem ist nicht zu erwarten, dass der Verbraucher noch län- gere Zeit nach der Feststellung des in dem Kontrollbericht vom 5. September 2018 festgehaltenen Mangels zum Nachteil der Antragstellerin beeinflusst wird. Der Zurechnung der Gefahr einer solchen längerfristigen Wirkung zu Lasten des Antragsgegners steht im Übrigen entgegen, dass der an die Beigeladene mit dem Bescheid vom 9. April 2019 gewährte Informationszugang mit der Mitteilung ver- bunden worden ist, dass bei der Kontrolle am 14. September 2018 keine Mängel festgestellt worden sind. Da Letzteres voraussetzt, dass der zuvor festgestellte Mangel behoben worden ist, überzeugt der weitere Einwand der Antragstellerin, der Antragsgegner habe seine Information mit der Mitteilung zu versehen, ob und wann der Mangel behoben worden sei, um Fehlvorstellungen über seinen Fortbestand zu vermeiden, unabhängig von den vorausgehenden Gründen ebenfalls nicht. Soweit die Antragstellerin meint, dass die Schwere ihrer Beeinträchtigung nicht ent- sprechend der auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 29. Au- gust 2019, a.a.O. Rn. 50) berücksichtigten verfassungsgerichtlichen Rechtspre- chung (BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018, a.a.O. Rn. 36) dadurch relativiert werde, dass sie die negative Öffentlichkeitsinformation durch rechtswidriges Ver- halten selbst veranlasst habe, greift dies nicht. Das von ihr auch in diesem Zusam- menhang geltend gemachte Recht auf Vergessen mag die Einstellung des Zeitfak- tors in die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Anforderungen erfordern. Dies steht der Berücksichtigung der Veranlassung der Öffentlichkeitsinformation jedoch nicht per se entgegen. c) Es ist schließlich nicht davon auszugehen, dass der gewährte Informationszu- gang gegen Unionsrecht verstößt. Der von der Antragstellerin gegenüber dem Ver- waltungsgericht geäußerte Einwand, die Gewährung des Informationszugangs sei nicht mit Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 zu vereinbaren, ist nicht mehr erheblich, weil diese Verordnung durch die Verordnung (EU) 2017/625 vom 15. März 2017 ersetzt worden ist. Unabhängig davon ist höchstrichterlich geklärt, - 10 -
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- 10 - dass die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 dem Informationszugang nach dem Ver- braucherinformationsgesetz nicht entgegenstand (BVerwG, Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 55). Die Gewährung des Informationszugangs verstößt auch nicht gegen die Verord- nung (EU) 2017/625. Nach deren Artikel 8 Abs. 1 betrifft die Geheimhaltungspflicht Informationen, die nach nationalen oder Unionsvorschriften ihrer Art nach der be- ruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegen. Die Verschwiegenheitspflicht gilt un- beschadet der Fälle, in denen die Verbreitung von Informationen nach nationalem Recht erforderlich ist (vgl. Art. 8 Abs. 3 und Abs. 5 sowie Erwägungsgrund 31). Damit ist eine Öffnungsklausel eingefügt worden, die u.a. für nationale Rechtsakte gilt (vgl. Groß, ZLR 2018, 763, 784). Das Verbraucherinformationsgesetz dürfte un- ter diese Öffnungsklausel fallen. Die Bundesrepublik hat dementsprechend das Verbraucherinformationsgesetz nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/625 nicht geändert, obwohl diese für die Veröffentlichung von Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen, die Unternehmen betreffen, Bedingungen vorsieht, die im Verbraucherinformationsgesetz nicht enthalten sind. Für andere Regelungen ist hingegen eine Anpassung lebensmittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vor- schriften an die Verordnung (EU) 2017/625 erfolgt (vgl. Verordnung zur Anpassung lebensmittelrechtlicher und tierseuchenrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EU) 2017/625 vom 19. November 2019, BGBl 2019, S. 1862). Auch die Erwä- gungsgründe (17 bis 20) der Verordnung sprechen nicht dafür, dass mit ihr die nach der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 gegebene, im vorliegenden Zusammenhang re- levante Rechtslage (dazu BVerwG, Urteil vom Urteil vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 55) geändert werden sollte. Vielmehr sollte insbesondere der gesamte Rechts- rahmen gestrafft und die verschiedenen geltenden Bestimmungen in einem einzi- gen Rechtsrahmen gebündelt werden (Erwägungsgrund 19). Dabei sollten u.a. die Bestimmungen über amtliche Kontrollen in der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 so- wie die Erfahrungen mit deren Anwendung berücksichtigt werden (Erwägungsgrund 20). Sofern ein Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2017/625 nicht bereits mit Blick auf die Öffnungsklausel zu verneinen sein sollte, sperrt sie den Zugang zu dem streit- gegenständlichen Kontrollbericht jedenfalls nicht. Nach Art. 8 Abs. 5 der Verord- - 11 -
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