Urteil_2020-05-06

/ 16
PDF herunterladen
Beglaubigte Abschrift Landgericht Berlin • .Az.: 270 17/20 1, 11p -ri 2rc4 fw Art: y FAG Eingegangen 0 6. MAI 2020 Ablauf: zo Vorfrist Vorfrist Fristennotierung notiert: RA Titel/Original 2 JBB Ftechtsanwälte JaschInskl Biere Brexl Partnerschaft mbB - \,J i" Zahlung zdA Art: Vorfrist: 69 Im Namen des Volkes c. Zo Urteil Vorfrist: notiert o. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren Georg Friedrich Prinz von Preußen, Bertha-von-Suttner-Straße 14, 14469 Potsdam - Antragsteller - Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ARTEJURA Hennig, Nieber, Stechow, Kleiststraße 23-26, 10787 Berlin, Gz.: 303/19 H19 cu D2/2-20 gegen Open Knowledge Foundation Deutschland e. V., vertreten durch d. Vereinsvorstand, Singer- straße 109, 10179 Berlin - Antragsgegner - Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte JBB - Jaschinski, Biere, Brexl, Christinenstraße 18/19, 10119 Berlin, Gz.: 19-3346 hat das Landgericht Berlin - Zivilkammer 27 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Thiel, die Richterin Bartelt und die Richterin am Landgericht Dr. Saar aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.04.2020 für Recht erkannt: 1. Die einstweilige Verfügung vom 6.2.2020 wird bestätigt. 2. Der Antragsgegner hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen. Fristennotieryng 4 Art: Ablauf: Vorfrist: ... .P- . i. - oni.'ci,/' Mt) ........................ e.a .. 7....., ...................................... ...... 3 ...1_, . .......... , ................ Vorfrist.........._............ .... i, ......................... 9................., . poi- iert. ..... ,... 111
1

270 17/20 -Seite 2 - Tatbestand Der Antragsteller ist der Ururenkel des Deutschen Kaisers Wilhelm II. und Urenkel des letzten Kronprinzen, Wilhelm von Preußen. Er ist zudem Familienoberhaupt der Hohenzollern, sog. Chef des Hauses, und verwaltet alle vermögensrechtlichen und sonstigen Rechte der Vorfahren der Familie und nimmt deren Interessen wahr. Der Antragsgegner ist ein gemeinnütziger Verein, der sich nach eigenem Bekunden für offenes Wissen und demokratische Teilhabe einsetzt und dafür Technologien und Instrumente entwi- ckelt um so die Zivilgesellschaft zu stärken. Er betreibt u.a. die Internetseite www.fragden- staat.de, über die Anfragen an Behörden in Deutschland nach Informationen und Dokumenten ge- sendet werden können und die der anschließenden Veröffentlichung der Informationen dient. Un- ter der Rubrik „Neueste Artikel" werden auf der Internetseite zudem regelmäßig presseähnliche Berichte über aktuelle Themen veröffentlicht. Seit dem 14.11.2019 veröffentlichte der Antragsgegner dort einen Artikel mit der Überschrift „Der braune Adel und die Nazis: Wir veröffentlichen die Briefe von Kronprinz Wilhelm an Hitler", in dem es u.a. heißt: „Keine Distanzierung, keine öffentlichen Quellen Wilhelm überlebte den Krieg. In den darauffolgenden Jahren distanzierte er sich nicht von den Na- tionalsozialisten — auch nicht bis zu seinem Tod im Jahr 1951. Zwar fand zu Wilhelm nach dem Krieg vermutlich ein Entnazifizierungsverfahren in der ehemaligen Residenzstadt Hechingen statt. Trotzdem finden sich die dazugehörigen Akten und Beweise nicht im zuständigen Staatsar- chiv Sigmaringen. Hinweise darauf, wo diese Unterlagen verblieben sind, liegen dem Archiv nicht vor. Eine kontroverse Diskussion über die Rolle Wilhelms fand im Nachkriegsdeutschland nicht statt. Neben einigen wohlwollenden apologetischen Veröffentlichungen zu Wilhelm gibt es bis heute kaum systematische Forschungen zur Rolle der Adelsfamilie im Nationalsozialismus, was auch die Klärung der Klage um die Entschädigungsforderungen erschwert. Gegen kritische Berichterstattung gehen die Hohenzollern zudem teils strafrechtlich vor. Die Quellenlage ist ein weiteres Problem: Während das Bundesarchiv — wie im Fall der von uns
2

-Seite 3 - 27 0 17/20 veröffentlichten Briefe — einige Dokumente zu Wilhelm bereithält, liegt ein großer Teil des adeli- gen Nachlasses in Privatarchiven der Hohenzollern, die nicht öffentlich zugänglich sind. Eine un- abhängige Forschung zu den Hohenzollern ist also kaum möglich, weil ein großer Teil des adeli- gen Besitzes nicht enteignet wurde." Hinsichtlich des weiteren Inhaltes des Artikels wird auf des als Anlage A3 eingereichten Aus- druck verwiesen. Der Antragsteller wurde von dem Artikel erstmals am 15.12.2019 durch seinen Verfahrensbevoll- mächtigten unterrichtet. Mit Anwaltsschreiben vom 17.12.2019 ließ der Antragsteller den Antragsgegner abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern, da es nicht den Tatsachen entspräche, dass die Privatarchive der Hohenzollern nicht öffentlich zugänglich seien, die vorhan- denen Unterlagen stünden vielmehr der Forschung offen, auch werde eine kritische Berichterstat- tung nicht unterbunden, insbesondere nicht strafrechtlich verfolgt. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage A 4 Bezug genommen. Der Antragsgegner wies dies mit anwaltlichem Schreiben vom 19.12.2019, Anlage A5, zurück. Nachdem der Antragsteller den auf Unterlassung der Äußerung „Gegen kritische Berichterstat- tung gegen die Hohenzollern zudem teils strafrechtlich vor" gerichteten Antrag zurückgenom- men hatten, hat die Kammer mit Beschluss vom 6.2.2020 auf den sodann noch anhängigen An- trag hin eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Antragsgegner unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt wurde, die nachfolgenden Äußerungen in Bezug auf den Antragsteller wörtlich oder sinngemäß zu ver- breiten und/oder verbreiten zu lassen: a) „keine öffentlichen Quellen" b) „Die Quellenlage ist ein weiteres Problem: ... liegt ein großer Teil des Nachlasses in Privatarchiven der Hohenzollern, die nicht öffentlich zugänglich sind."
3

27 0 17/20 -Seite 4 - c) „Eine unabhängige Forschung zu den Hohenzollern ist also kaum möglich..." sofern dies geschieht wie auf www.fragdenstaat.de seit dem 14.11.2019. Gegen die seinem Verfahrensbevollmächtigen im Parteiwege am 11.02.2020 zugestellte einst- weilige Verfügung richtet sich der Widerspruch des Antragsgegners. Der Antragsgegner meint, die einstweilige Verfügung sei wegen veränderter Umstände nach §§ 927, 936 ZPO aufzuheben, da sie nicht innerhalb der Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Zustellung am 11.2.2020 sei nicht in ordnungs- gemäßer Weise erfolgt, da sich der Beglaubigungsvermerk des Antragstellervertreters nur auf der ersten Seite der von ihm angefertigten Kopie der Ausfertigung des Beschlusses befand. Der Antragsgegner ist ferner der Ansicht, der Antragsteller sei in Bezug auf die noch streitgegen- ständlichen Äußerungen nicht aktivlegitimiert, da es an einer unmittelbaren Betroffenheit fehle. Be- troffen seien nur „die Hohenzollern". Der Antragsteller sei aber höchstens ein Teil davon. Es ergä- be sich aus dem Kontext des Beitrages, dass sich die Äußerungen stets auf die Hohenzollern insgesamt und nicht auf den Antragsteller selbst beziehen würden. Auch würde es nicht um ein etwaiges Hausarchiv der „Generalverwaltung des vormals regierenden Preußischen Königshau- ses" gehen, sondern um eine Vielzahl von Privatarchiven, die über die gesamte Familie der Ho- henzollern verteilt seien. Die Äußerung „Die Quellenlage ist ein weiteres Problem: Während das Bundesarchiv — wie im Fall der von uns veröffentlichten Briefe — einige Dokumente zu Wilhelm bereithält, liegt ein großer Teil des adeligen Nachlasses in Privatarchiven der Hohenzollern, die nicht öffentlich zugänglich sind." entspräche im Kern zudem der Wahrheit, wenn man sie entge- gen ihrem Wortlaut ausschließlich auf das Hausarchiv der „Generalverwaltung des vormals regie- renden Preußischen Königshauses" beziehen würde. Da in jedem Einzelfall geprüft würde, ob ein Zugang erfolge sei dieser in das Belieben der Hohenzollern gestellt. Die fehlende öffentliche Zugänglichkeit sei dabei eine wertende Schlussfolgerung des Antragsgegners, der zum Aus- druck bringe, dass die private Archivierung des Nachlasses dazu führe, dass, anders als bei der Bereithaltung des Nachlasses im Bundesarchiv, die Zugänglichmachung nicht gewährleistet sei, sondern jederzeit nach freiem Belieben von den Hohenzollern unterbunden werden könne, vielleicht auch werde. Dass eine unabhängige Forschung zu den Hohenzollern nicht möglich sei, weil ein großer Teil des adligen Besitzes nicht enteignet wurde, stelle ein Werturteil dar, das auf wahren Tatsachen beruhe. Es sei ein Fakt, dass jede Information aus dem Hausarchiv von der Generalverwaltung erbeten werden müsse, unabhängige Forscher würden als Bittsteller auf-
4

-Seite 5 - 27 0 17/20 treten. Der Antragsgegner beantragt, die einstweilige Verfügung vom 6.2.2020 aufzuheben und den auf ihren Erlass ge- richteten Antrag zurückzuweisen. Der Antragsteller beantragt, die einstweilige Verfügung vom 6.2.2020 zu bestätigen. Der Antragsteller trägt vor, für die Beglaubigung sei keine besondere Form vorgeschrieben. Erfor- derlich sei, dass sich der Beglaubigungsvermerk unzweideutig auf das gesamte Schriftstück er- strecke. Dies sei hier gegeben, auch wenn sich lediglich auf der 1. Seite ein Beglaubigungsver- merk befand, da die beglaubigte Ablichtung körperlich verbunden gewesen sei. Im Übrigen habe der Gerichtsvollzieher selbst ausweislich der Seite 1 der zugestellten Beschlussverfügung ge- mäß § 192 Abs. 2 ZPO das Schriftstück beglaubigt. Auf Seite 1 befände sich grün gestempelt der Vermerk, dass dem Gerichtsvollzieher das Original der Ausfertigung der Beschlussverfü- gung vorgelegen habe. Mit dem zweiten grünen Stempel unterhalb seiner Unterschrift beglaubi- ge der Gerichtsvollzieher die Abschrift. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin selbst nicht moniere und/oder davon ausgehe, dass hier kein vollständiges Schriftstück vorgelegen ha- be, habe also neben ihrem Verfahrensbevollmächtigten auch unabhängig ein Gerichtsvollzieher geprüft und beglaubigt.
5

27 0 17/20 -Seite 6 - Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien ge- wechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Entscheidungsgründe Wird gegen eine Unterlassungs-Beschlussverfügung vorgetragen, sie sei mangels Vollziehung aufzuheben, so ist bei Bezeichnung "Widerspruch" im Anwaltsschriftsatz und gleichzeitiger Be- zugnahme auf §§ 927, 929 ZPO durch Auslegung zu ermitteln, ob ein Widerspruchsverfahren ge- mäß § 925 ZPO oder das Aufhebungsverfahren gemäß §§ 927, 929 ZPO betrieben werden soll. Wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, legt sie das Rechtsmit- tel des Widerspruchs ein, in dem sie u.a. die mangelnde Vollziehung der einstweiligen Verfü- gung rügt. Auf den Widerspruch ist die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 6.2.2020 ge- mäß §§ 935, 936, 925 Abs. 2 ZPO zu bestätigen, da sie zu Recht erlassen und wirksam vollzo- gen wurde. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB, §§ 186 ff. StGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Wortberichterstattung, da diese ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt (hierzu nachfolgend unter 1. + 2.). Die Vollziehung ist wirksam, der durch die fehlerhafte Beglaubigung gegebene Zustellungsmangel ist geheilt (hierzu nachfolgend unter 3.). 1. Aktivlegitimation Der Antragsteller ist hinsichtlich der noch streitgegenständlichen Äußerungen aktivlegitimiert. Ein Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht
6

27 0 17/20 -Seite 7 - demjenigen zu, der durch die Veröffentlichung individuell betroffen ist. Dies setzt voraus, dass er erkennbar zum Gegenstand einer medialen Darstellung wurde. Die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis bzw. in der näheren persönlichen Umgebung genügt. Sie ist bereits dann gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises auf Grund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkenn- bar wird. Es kann die Wiedergabe von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt. Da- für kann unter Umständen die Schilderung von Einzelheiten aus dem Lebenslauf des Betroffe- nen oder die Nennung seines Wohnorts und seiner Berufstätigkeit ausreichen (BGH NJW 2005, 2844, 2845 — Esra). Zudem ist es ausreichend, wenn der Betroffene begründeten Anlass zu der Annahme hat, er werde erkannt (BGH NJW 1971, 698, 700; 1979, 2205; ähnlich OLG Hamburg AfP 1975, 916). Die noch streitgegenständlichen Äußerungen „keine öffentlichen Quellen", „Die Quellenlage ist ein weiteres Problem: ... liegt ein großer Teil des Nachlasses in Privatarchiven der Hohenzol- lern, die nicht öffentlich zugänglich sind." beinhalten die Aussage, ein großer Teil des für die For- schung der Historiker zur Rolle Wilhelms im Nationalsozialismus erforderliche Nachlass befän- de sich in Privatarchiven der Familie Hohenzollern, die öffentlich nicht zugänglich seien. Hieran knüpft sich die Meinungsäußerung „Eine unabhängige Forschung zu den Hohenzollern ist also kaum möglich..." an. Dem Antragsgegner ist zuzugestehen, dass der Antragsteller hier, anders als zu Beginn des Arti- kels nicht namentlich erwähnt wird. Durch die namentliche Erwähnung zu Beginn des Artikels as- soziiert der Leser den Antragsteller jedoch mit den Hohenzollern. Denn er wird dort nicht nur als einer von ihnen präsentiert, sondern als ihr Vertreter, in dem es dort zunächst hießt „Die Adeli- gen wollen Geld vom deutschen Staat." und sodann „Der Hohenzollern-Erbe Georg Wilhelm for- dert ...". Soweit im Folgenden über die Forderung berichtet wird, bezieht der Leser diese damit auch auf den Antragsteller. Gleiches gilt für alles, was mit dem Geschehen um die diese herum zu tun hat. Soweit es innerhalb des hier streitgegenständlichen Abschnitts des Artikels heißt „Ne- ben einigen wohlwollenden apologetischen Veröffentlichungen zu Wilhelm gibt es bis heute kaum systematische Forschungen zur Rolle der Adelsfamilie im Nationalsozialismus, was auch die Klärung der Klage um die Entschädigungsforderungen erschwert. Gegen kritische Bericht- erstattung gehen die Hohenzollern zudem teils strafrechtlich vor." versteht der unbefangene Le- ser den Kreis derer, über die medial berichtet wird, nicht anders als zu Beginn des Artikels, als
7

27 0 17/20 -Seite 8 - von der Geltendmachung der Entschädigungsforderung berichtet wurde. Das Verständnis des unbefangenen Lesers von Familie ändert sich auch nicht, wenn es im unmittelbar anschließen- den Absatz heißt, die Quellenlage sei ein weiteres Problem, und die Rede davon ist, dass ein gro- ßer Teil des adeligen Nachlasses in nicht öffentlichen Privatarchiven der Hohenzollern liege. Auch hier bezieht der unbefangene Leser den zuvor namentlich erwähnten Antragsteller aus- drücklich mit in den Kreis der erwähnten Familie ein. Hinzu kommt, dass der Antragsteller die Ho- henzollern in der Öffentlichkeit nach außen vertritt und er auch deshalb in dem hier streitgegen- ständlichen Zusammenhang unmittelbar persönlich mit der Familie verbunden wird. 2. • a. Ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit zu entscheiden. Denn wegen der Ei- genart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffe- nen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpreta- tionsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechts- widrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Sei- te überwiegt (BGH Urteil v. 20.4.2010, VI ZR 245/08, juris Rn. 12 m.w.N.). Welche Maßstäbe für diese Abwägung gelten, hängt grundsätzlich vom Aussagegehalt der Äußerung ab, also von de- ren Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Diese Unterscheidung ist deshalb grundsätzlich geboten, weil der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG bei Meinungs- äußerungen regelmäßig stärker ausgeprägt ist als bei Tatsachenbehauptungen (BGH Urteil v. 5.12.2006, VI ZR 45/05, juris Rn. 14 m.w.N.). Bei Tatsachenbehauptungen fällt nach der Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden In- teressen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33; NJW 2013, 217, 218). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BGH Urteile vom 30. Oktober
8

27 0 17/20 -Seite 9 - 2012 - VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rn. 12 m.w.N.; vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 39/14, AfP 2015,41 Rn. 21; BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33). Bei wertenden Äußerungen treten die Belan- ge des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit grundsätzlich zurück, es sei denn die in Frage stehende Äußerung stellt sich als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklich- keit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die sub- jektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Rich- tigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäuße- rungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeich- net sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. BGH Urteile vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 39/14, VersR 2015, 247 Rn. 8 mwN; vom 28. Juli 2015 - VI ZR 340/14, VersR 2015, 1295 Rn. 24; vom 19. Januar 2016 —VI ZR 302/15—, Rn. 16, juris). b. Die Äußerung, ein großer Teil des für die Forschung der Historiker zur Rolle Wilhelms im Natio- nalsozialismus erforderliche Nachlasses befände sich in Privatarchiven der Familie Hohenzol- lern, die öffentlich nicht zugänglich seien, stellt eine Tatsachenbehauptung dar. Sie ist unwahr. Ob ein Zugang öffentlich zugänglich ist oder nicht, ist eine Tatsache, die mit den Mitteln des ob- jektiven Beweises überprüfbar ist. Soweit der Antragsgegner meint die fehlende öffentliche Zu- gänglichkeit sei eine wertende Schlussfolgerung, die zum Ausdruck bringe, dass die private Ar- chivierung des Nachlasses dazu führe, dass, anders als bei der Bereithaltung des Nachlasses im Bundesarchiv, die Zugänglichmachung nicht gewährleistet sei, sondern jederzeit nach freiem Belieben von den Hohenzollern unterbunden werden könne, entspricht dies nicht dem Aussage- gehalt der Äußerung. Der unbefangene Durchschnittsleser entnimmt der Äußerung, in der we- der ein Konjunktiv verwendet wird noch sonst von einer möglichen einschränkbaren Zugänglich- machung die Rede ist, keine Wertung, sondern versteht die Äußerung „die nicht öffentlich zu- gänglich sind" als Mitteilung eines Faktums. Der Antragsteller hat durch die eidesstattliche Versicherung vom 22.1.2020 glaubhaft gemacht, dass er Alleinerbe ist. Als Alleinerbe gehört ihm allein der Nachlass. Wie er durch die eidesstattli-
9

27 0 17/20 -Seite 10 - che Versicherung von Herrn Stefan Schimmel vom 11.1.2020 glaubhaft gemacht hat, verfügt er und die in diesem Zusammenhang tätige Generalverwaltung des vormals regierenden preußi- schen Königshauses über das Hausarchiv auf der Burg Hohenzollern und über das Archiv der Generalverwaltung in Berlin bzw. Potsdam. Es kann daher entgegen der Ansicht des Antragsgeg- ners nicht von weiteren hier relevanten Privatarchiven innerhalb der Familie ausgegangen wer- den, in denen sich Stücke des Nachlasses des früheren Kronprinzen Wilhelms befinden. Eine Zugangsbeschränkung zu den Archiven ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Schimmel nicht. Vielmehr gibt Herr Schimmel an, das gesamte Archiv sei der Öffentlich- keit zugänglich. Es stehe der Forschung und Interessierten offen. Allein der Umstand, dass Zu- gang nur nach Terminvergabe möglich ist und eine Anfrage an das Archiv erfordert, ändert hier- an nichts. Der unbefangene Durchschnittsleser versteht unter der Aussage, die Archive seien nicht öffentlich zugänglich, insbesondere im Kontext der Äußerung, die Quellenlage sei ein weite- res Problem bei der Forschung zur Rolle der Adelsfamilie im Nationalsozialismus, dass der Zu- gang vollständig verwehrt sei. Dies ist jedoch auch nicht im Kern wahr, wenn der Zugang ge- währt wird, wenn auch erst nach Anmeldung und Terminvergabe, was im Übrigen bei staatli- chen Archiven bei der Forschung an Asservaten nicht anders.ist. Die Äußerung „Eine unabhängige Forschung zu den Hohenzollern ist also kaum möglich, weil ein großer Teil des adeligen Besitzes nicht enteignet wurde" ist eine Meinungsäußerung. Sie knüpft unmittelbar an die unwahre Tatsachenbehauptung an, ein Zugang zu den privaten Archi- ven der Hohenzollern würde nicht gewährt. Da die Anknüpfungstatsache unwahr ist, ist auch die Meinungsäußerung unzulässig. 3. Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung zu vermuten und hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden kön- nen (BGH NJW 1994, 1281), an der es fehlt. 4. Es fehlt auch nicht an der Dringlichkeit. Ein einstweiliges Verfügungsverfahren setzt gemäß §§
10

Zur nächsten Seite