rueckkehr-optimierung-mckinsey.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Verfahrensinformation und McKinsey-Studie zu Rückkehr

/ 102
PDF herunterladen
Zusammenfassung – auf einen Blick Herausforderungen: Rückkehrhürden und lange Prozessdauern Die Ausreisepflicht von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht wird in Deutschland derzeit mehrheitlich nicht vollzogen. Langwierige Prozesse verzögern die Rückführung zudem erheblich. Für diese Situation gibt es vor allem drei Gründe: ƒƒ Hohe Duldungszahlen. Aktuell sind ca. drei von vier Ausreisepflichtigen geduldet. Bei Vorliegen eines Abschiebungshindernisses (z.B. bei schwerer Krankheit oder dem Fehlen von Passpapieren) wird eine Duldung erteilt und die Abschiebung vorüber- gehend ausgesetzt. Das AZR bietet nur bedingt verlässliche Informationen darüber, welche Abschiebungshindernisse tatsächlich vorliegen. Interviews mit Ländervertretern und Mitarbeitern von Ausländerbehörden weisen darauf hin, dass in vielen Fällen Abschiebungshindernisse vorgetäuscht oder selbstverschuldet herbeigeführt werden. Als Motivation für das Vortäuschen/Herbeiführen von Abschiebungshindernissen und als Grund für dessen Erfolg kommen verschiedene Ursachen in Betracht: —— Finanzielle Absicherung im Duldungsstatus. Geduldete erhalten Leistungen nach dem AsylbLG. In Aufnahmeeinrichtungen sollen Sachleistungen den notwendi- gen Bedarf decken. Eine zusätzliche monatliche Geldzahlung in Höhe von 135 EUR ist für notwendige persönliche Bedürfnisse (soziokulturelles Existenzminimum) vorgesehen. Außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen werden einige der Leistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs vorrangig in Geldleistungen ausgezahlt (bis zu 216 EUR zuzüglich der 135 EUR für notwendige persönliche Bedürfnisse). Bei Verletzung der Mitwirkungspflichten besteht allerdings auch hier die Möglichkeit, Geldleistungen teilweise durch Sachleistungen zu ersetzen. In der Praxis wird die Ausgabe von Sachleistungen an Geduldete, die ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach- kommen, nur punktuell umgesetzt. —— Fehlen rechtlicher Konsequenzen. Ausreisepflichtige sind gesetzlich verpflichtet, bei der eigenen Ausreise mitzuwirken, z.B. bei der Beschaffung eines Passersatz- papiers. Verstöße gegen diese Mitwirkungspflicht werden aber praktisch kaum sanktioniert (z.B. durch Leistungskürzung bei den Sozialämtern). Dies ist auf man- gelnde Informationsweitergabe (hauptsächlich zwischen Ausländerbehörden und Sozialbehörden sowie dem BAMF) und teilweise nicht ausreichende Expertise der zuständigen Behördenmitarbeiter zurückzuführen. —— Personelle und fachliche Überlastung. Die Anforderungen für die Duldungs- erteilung sind in der praktischen Anwendung komplex und bedürfen einer sorgfältigen und im Zweifel langwierigen Einzelfallprüfung. Die personelle und fachliche Überlastung in den Ausländerbehörden lässt eine solche Prüfung nicht immer zu. In Folge werden vor dem Ablauf stehende Duldungen teilweise auf Basis einer lediglich oberflächlichen Einschätzung verlängert. 11
11

12 ƒƒ Unzureichende Rückführung. Die zwangsweise Rückführung verzögert sich häufig oder scheitert an Vollzugshindernissen. Zwischen vollziehbarer Ausreisepflicht und tatsächlicher Ausreise liegen bei vollzogenen Rückführungen durchschnittlich zwölf Monate (in manchen Fällen allerdings bis zu viereinhalb Jahre), Rückführungen nach Ausweisung benötigen im Durchschnitt sogar rund 20 Monate ab Verurteilung wegen einer Straftat bzw. ab Gefährdung. Die Gründe hierfür sind vielfältig: —— Mangelnde Kooperation der Herkunftsländer. Ausreisepflichtige können nur mit Reisedokumenten und nach Ankündigung in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden. Einige Herkunftsländer kommen der hierzu erforderlichen Mitwirkung bei der Ausstellung von Passersatzpapieren bzw. beim Identifikationsverfahren nicht oder nur teilweise nach. —— Rechtliche Hürden. Diverse rechtsstaatliche Anforderungen auf europäischer oder nationaler Ebene müssen bei der Ausgestaltung des Rückkehrprozesses berück- sichtigt werden. Hierzu gehört z.B. das Recht für abgelehnte Asylbewerber, zu jedem Zeitpunkt des Rückkehrprozesses unbegrenzt Folgeanträge zu stellen. Die Zulässig- keitsprüfung und die Bearbeitung der Folgeanträge können den Prozess erheblich verzögern (die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Folgeanträgen beträgt ca. elf Monate). Zudem werden Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam wegen ihrer restriktiven rechtlichen Voraussetzungen in der Praxis selten angewendet. —— Prozessualer Verbesserungsbedarf. In den Prozess der Rückführung sind zahlreiche verschiedene Ämter und Behörden (z.B. BAMF, Ausländerbehörden, Landespolizei, Bundespolizei) eingebunden, was zu Komplexität und hohem Abstimmungsbedarf führt. Eine mangelnde Digitalisierung der Aktenführung und Informationsweitergabe verhindert, dass Abläufe parallelisiert und damit beschleunigt werden können. —— Faktische Vollzugshindernisse. Fast jede zweite Rückführung scheitert – auch noch kurz vor dem Ausreisetermin. Teilweise tauchen Ausreisepflichtige unter, machen eine Reiseunfähigkeit geltend oder stellen kurzfristig Folgeanträge. —— Personelle Überlastung. In den Ausländerbehörden können Stellen teilweise nicht oder nicht ausreichend qualifiziert besetzt werden. Die Überlastung der Mitarbeiter ist eine Ursache für lange Bearbeitungszeiten; zudem können Sachverhalte nicht immer eingehend geprüft werden. ƒƒ Geringe Anzahl freiwilliger Rückkehrer. Trotz verschiedener Rückkehr- und Reinte- grationsprogramme kehren vergleichsweise wenige Ausreisepflichtige aus eigenen Stücken in ihr Heimatland zurück. Zum einen gibt es keine oder nur eine unzureichende flächendeckende Beratung zu möglichen monetären und nicht monetären Unterstüt- zungsleistungen. Zum anderen ist das Förderspektrum sehr komplex. Durch unter- schiedliche Förderangebote von Bund und Ländern sowie regional unterschiedliche Förderungsmöglichkeiten bei Ländern, Kommunen und NGOs besteht eine unüber- sichtliche Förderlandschaft, die für Interessierte wie auch für Berater selbst schwer zu durchdringen ist. Dadurch ist auch eine abgestimmte und einheitliche Informations- vermittlung zu den Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr nicht gegeben. Nicht zuletzt sind die derzeit gewährten Leistungen (z.B. nach REAG/GARP) relativ gering und gehen zum Teil am Bedarf der Ausreisepflichtigen vorbei.
12

Zusammenfassung – auf einen Blick Handlungsbedarf und Lösungsansätze: Die Rückkehr- prozesse können durch einen integrierten Lösungsansatz optimiert werden Die Analyse der verschiedenen Rückkehrprozesse zeigt, dass sich die Anzahl der Rück- kehrer deutlich erhöhen lässt. Es wurden Vorschläge für 14 Kernmaßnahmen erarbeitet, die in einem integrierten Ansatz auf eine restriktivere Duldungsanwendung, eine kon- sequentere Rückführung und eine flächendeckende Förderung der freiwilligen Rückkehr zielen. Diese drei Dimensionen bedingen und verstärken sich gegenseitig: Die freiwillige Rückkehr ist nur dann attraktiv, wenn anderenfalls eine konsequente Rückführung droht. Diese wie- derum kann nur erfolgen, wenn keine Duldung bzw. kein Abschiebungshindernis besteht. Gleichzeitig muss die freiwillige Rückkehr so gefördert werden, dass sie als bessere Alternative gegenüber einem „geduldeten“ Aufenthalt in Deutschland wahrgenommen wird. Nur in einem effektiven Zusammenspiel lässt sich ein funktionierendes und nachhaltiges Rückkehrsystem etablieren. ƒƒ Restriktive Duldungsanwendung —— Abschiebungshindernisse sollten bundesweit einheitlich und restriktiv fest- gestellt werden. Hierfür ist ein Katalog zu erstellen, der die Anforderungen an die Erteilung von Duldungen klar definiert. —— Durch konsequente Ausgabe von Sachleistungen (wie gesetzlich vorgesehen) sollte die finanzielle Flexibilität von Geduldeten, die Mitwirkungspflichten verletzen, verringert werden. Dadurch kann die Anzahl der Duldungen auf Grund von selbst- verschuldeten Abschiebungshindernissen gesenkt werden. —— Bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten sollten die Leistungen an Gedul- dete § 1a AsylbLG entsprechend konsequent gekürzt werden. Insbesondere von der Möglichkeit einer Leistungskürzung bei Nicht-Mitwirkung an der Passersatz- beschaffung oder Identitätsklärung sollte Gebrauch gemacht werden. ƒƒ Konsequente Rückführung —— Die personelle Ausstattung der Ausländerbehörden sollte gezielt verbessert werden. Die benötigten Personalressourcen und Qualifikationen des Personals sind mit dem Ziel einer bedarfsgerechten Ausstattung zu ermitteln. Außerdem sind regelmäßige Schulungen zu Themen mit Relevanz für Rückführung und freiwillige Rückkehr zu etablieren. —— Zur Verbesserung der Transparenz über den Status der Ausreisepflichtigen (inklu- sive Duldungsdauern) bedarf es einer konsequenten digitalen Erfassung im AZR. Um eine zuverlässige bundesweite Funktionalität zu gewährleisten, ist die Anpassung und Weiterentwicklung des AZR zu empfehlen. 13
13

14 —— Herkunftsländer mit geringem Kooperationserfolg sollten durch eine systematische Verstärkung der politischen Bemühungen zur engeren Zusammenarbeit bei der Rücknahme bewegt werden. Insbesondere sind Vereinbarungen und Rücküber- nahmeabkommen erstmalig oder neu zu verhandeln bzw. konsequent umzusetzen. —— Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam (§§ 62, 62b AufenthG) sollten so gestaltet werden, dass sie in der Praxis konsequent anwendbar sind. Dazu sind entsprechende Abschiebungshaft- und Gewahrsamsanstalten einzurichten. Die Gründe für die hohe Ablehnungsquote von Haftanträgen sollten analysiert werden, damit Anträge künftig allen rechtlichen Anforderungen – insbesondere denen aus der Rechtsprechung – entsprechen können. —— Es sind sowohl dedizierte Ansprechpartner bzw. Verantwortliche für den Bereich Rückführung bei allen Prozessbeteiligten (BAMF, Länder, Ausländer- behörden, Landespolizeien, Bundespolizei) zu benennen als auch Ärzte und Gerichte direkt in den Rückführungsprozess einzubeziehen. Die effektive Zusammenarbeit an Schnittstellen sollte durch klar definierte Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse garantiert werden. —— Durch zentrale Unterbringung von Ausreisepflichtigen auf Landesebene könnten Verantwortlichkeiten örtlich gebündelt und die Effektivität der Orga- nisation und Durchführung von Rückführungen erhöht werden. Eine solche Unter- bringung könnte ggf. mit den Ankunftszentren verknüpft werden. —— Die Verantwortlichkeit für die Rückführung sollte in allen Ländern auf Landes- ebene zentralisiert werden. Durch Zentralisierung kann eine effektive Steuerung deutlich vereinfacht und Prozesse können stark beschleunigt werden. —— Unter den Ausreisepflichtigen sind Gruppen zu identifizieren, die mit vergleichs- weise geringem Aufwand zurückgeführt werden können (z.B. aus dem West- balkan, Personen mit anhängigen Folgeanträgen). Diese sind bei der Rückführung zu priorisieren. Damit kann die Zahl der Rückführungen kurzfristig erhöht werden. Bundesbehörden (insbesondere das BAMF) sollten flexibel mit den Ländern zusam- menarbeiten und die Priorisierung unterstützen. —— Das BAMF sollte Analysen zur Entwicklung der Anzahl Ausreisepflichtiger erstellen und an die Länder weitergeben. Die Länder könnten dadurch sowohl Rück- kehrberatung als auch Rückführungen schon im Voraus planen und koordinieren. ƒƒ Flächendeckende Förderung freiwilliger Rückkehr —— Es sollte eine konsequente, flächendeckende und frühestmögliche Rückkehr- beratung (z.B. bereits im Ankunftszentrum) eingeführt werden. Zielgruppen, Zeit- punkte und Inhalte der Beratungsgespräche sind klar zu definieren (unter Berück- sichtigung bestehender Leitlinien), um eine bundesweite Umsetzung zu ermöglichen. Zu empfehlen ist die Bündelung der Verantwortlichkeit für die Beratung. Die Beratung sollte durch Angestellte des öffentlichen Dienstes erfolgen, und Beratungsstellen sollten an Ausländer- oder Sozialbehörden angegliedert werden.
14

Zusammenfassung – auf einen Blick —— Mit einer gezielten Ausweitung des Anreizsystems zur freiwilligen Rückkehr (z.B. Erhöhung der Fördersätze oder eine herkunftslandspezifische Individualisie- rung) kann die Anzahl freiwilliger Rückkehrer deutlich erhöht werden. Bei der Aus- gestaltung eines solchen Anreizsystems ist zu beachten, dass nicht neue Einreise- anreize geschaffen werden. Integriertes Rückkehrmanagement 2017: Zur systematischen Umsetzung sollte ein übergreifendes Beschleunigungs- programm aufgesetzt werden In der Vergangenheit haben die Länder bereits große Anstrengungen unternommen, um den Rückkehrerfolg zu erhöhen. In Folge stieg die Zahl der Rückkehrer von 28.000 im Jahr 2014 und 58.000 im Jahr 2015 auf bis zu 85.000 im Jahr 2016. Allerdings reichen die bisherigen Bemühungen nicht aus, um dem erwarteten erheblichen Anstieg der Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen in 2017 nachhaltig entgegenzuwirken. Daher sollte umgehend mit einer strukturierten und systematischen Beschleunigung und Bündelung bereits ergriffener sowie der Umsetzung der identifizierten Maß- nahmen begonnen werden. Da die Zuständigkeiten zum Teil bei Ländern und Kommunen, zum Teil aber auch beim Bund liegen, ist eine abgestimmte und koordinierte Vorgehensweise von essenzieller Bedeutung. Kurzfristig sollte deshalb ein übergreifendes Beschleunigungsprogramm „Integriertes Rückkehrmanagement 2017“ aufgesetzt werden, das die Maßnahmenrealisierung vorantreibt und koordiniert. Eine klar strukturierte Programmorganisation sollte sicher- stellen, dass erste Erfolge zeitnah eintreten und alle betroffenen Stellen involviert sind. Bereits im November 2016 haben im Rahmen dieser Untersuchung einige Bundesländer damit begonnen, Konzepte für verschiedene kurzfristig implementierbare Maßnahmen zu detaillieren und erste Schritte der Umsetzung zu erproben. In Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wird bereits an einem Konzept für die Durchsetzung von Leistungs- kürzungen bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten gearbeitet. In Berlin wurde ein Konzept zur Rückkehrberatung angestoßen. Darüber hinaus laufen in vielen Bundesländern schon seit längerer Zeit eigenständige Initiativen, die auf eine Erhöhung des Rückkehr- erfolgs zielen (z.B. AMIF-Projekt zum „Strategischen Rückkehrberatungs- und Manage- mentkonzept“ in Schleswig-Holstein). 15
15

16
16

17 1. Ausgangslage
17

18 1.1. Status quo: Die große Mehrheit der Ausreise- pflichtigen reist nicht aus Die Zahl der Ausreisepflichtigen hat sich 2016 deutlich erhöht – und wird durch die aktuell noch anhängigen Asylverfahren und weiteren Einreisen weiter ansteigen. Die Förderung und Forcierung der Rückkehr der Ausreisepflichtigen in ihre jeweiligen Zielstaaten stellt damit nicht nur kurzfristig, sondern auch in den kommenden Jahren eine anspruchsvolle Aufgabe dar. 1.1.1. Ende Juli 2016 hielten sich in Deutschland mindestens 215.000 Ausreisepflichtige auf Ende Juli 2016 hielten sich in Deutschland laut AZR rund 215.000 Ausreisepflichtige auf. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die genaue Anzahl der Ausreisepflichtigen nicht vollständig im AZR abgebildet ist. Die Datenlage in diesem Bereich (z.B. keine Transparenz bezüglich tatsächlicher Ausreisen von Personen, die im AZR als „Fortzug nach unbekannt“ erfasst sind) und die Qualität der im AZR vorhandenen Daten (z.B. eingeschränkte Aktuali- tät, teilweise widersprüchliche Eintragungen) sorgen für ein gewisses Maß an Intransparenz. Auch über andere Datenquellen ist es schwierig, eine genaue Transparenz über die Anzahl der Ausreisepflichtigen, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, herzustellen. Daten der Asylstatistik zu Entscheidungen des BAMF können nicht personengenau ausgewertet wer- den, so dass keine exakten Personenzahlen abgeleitet werden können. Personen, die ohne Förderung freiwillig ausreisen, können nicht oder nur eingeschränkt erfasst werden. Auch weitere Unschärfen, z.B. im Zusammenhang mit anhängigen Verfahren bei Gericht und formellen Verfahrenserledigungen im BAMF, erschweren eine Herleitung der genauen Anzahl aufhältiger Ausreisepflichtiger. Für die vorliegende Studie wurde mit den offiziell im AZR erfassten Zahlen gearbeitet. Die dort rund 215.000 erfassten Ausreisepflichtigen setzen sich aus vier Gruppen zusammen (Abbildung 1): ƒƒ Gruppe 1 – Ausreisepflichtige im Asylkontext.1 Zu dieser größten Gruppe zählen insgesamt ca. 140.ooo Ausreisepflichtige (66%). Der Großteil dieser Personen hat in Deutschland ein Asylgesuch gestellt, das anschließende Asylverfahren durchlaufen und einen negativen Bescheid erhalten. Nach Ablauf der Frist zur Einreichung von Rechtsmitteln wurden sie ausreisepflichtig. ƒƒ Gruppe 2 – „Irreguläre Migranten“. Rund 50.000 Ausreisepflichtige (23%) fallen in diese Gruppe. Die erfassten „Irregulären Migranten“ sind ausreisepflichtig, stehen aber 2 nicht im Asylkontext und wurden nicht ausgewiesen. Vermutlich handelt es sich haupt- sächlich um aufgegriffene Personen, die ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland 1 Zu dieser Gruppe gehören alle ausreisepflichtigen Personen mit negativem Asylbescheid oder sonstiger Verfahrenserle- digung. Darüber hinaus sind weitere Personen enthalten, die laut AZR ausreisepflichtig sind und im Asylkontext stehen (z.B. haben diese Personen in der Vergangenheit einen Asylantrag gestellt oder ihnen wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt – in diese Gruppe fallen somit auch Personen mit widerrufenem oder nicht verlängertem Aufenthaltstitel). 2 Möglichkeiten im AZR zu filtern.
18

19 Ausgangslage eingereist sind. Zu dieser Gruppe dürften auch Personen mit abgelaufenen Visa zählen (so genannte „Overstayers“). 3 Es ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Personen noch ein Asylgesuch stellen 4 und somit in das Asylverfahren5 eintre- ten wird, da ein hoher Anteil dieser Personen aus Herkunftsländern mit durch- schnittlich hoher Schutzquote kommt.6 ƒƒ Gruppe 3 – Ausgewiesene. Rund 20.000 Ausreisepflichtige (9%) sind Ausgewiesene – sie haben eine Ausweisungsverfügung erhalten. Diese Gruppe umfasst Straftäter und so genannte Gefährder.7 ƒƒ Gruppe 4 – Dublin-Fälle. Zu dieser Gruppe gehören rund 5.000 (2%) Ausreisepflich- tige. Diese Personen fallen unter die Dublin-Verordnung. Für die Durchführung ihres Asylverfahrens ist ein anderer Mitgliedsstaat des Dubliner Übereinkommens8 zuständig. ABBILDUNG 1 ~ 215.000 Ausreisepflichtige laut AZR – davon ~ 165.000 geduldet (~ 75%) Mengengerüst der Ausreisepflichtigen in Tsd., Stichtag 31. Juli 2016 Ausreise- pflichtige laut AZR Ausreisepflichtige im Asylkontext1 (Gruppe 1) ~ 140 ~ 215 "Irreguläre Migranten"2 (Gruppe 2) ~ 50 Ausgewiesene (Gruppe 3) ~ 20 Dublin-Fälle (Gruppe 4) ~ 215 Ausreise- pflichtige laut AZR (davon ~ 165 geduldet) ~5 1 Inkl. widerrufener/nicht verlängerter Aufenthaltstitel 2 Umfasst hauptsächlich illegal eingereiste Personen und ggf. Personen mit abgelaufenen Aufenthaltstiteln, wie z.B. Visa Quelle: Ausländerzentralregister 3		 Laut Experteninterviews; „Overstayers“ kommen nicht automatisch in das System, sondern nur, wenn sie vorstellig werden und eine Duldung bekommen/bekommen wollen. Deshalb sollte das AZR nur wenige „Overstayers“ enthalten. 4 Erkenntnis basierend auf Analysen der Veränderungen der Gruppe „Irreguläre Migranten“ von August 2016 auf September 2016. 5 Während des Asylverfahrens erhält eine Person eine Aufenthaltsgestattung (AG). Diese Person ist dann nicht ausreisepflichtig. 6 Analyse der Herkunftsländer im Anhang A. 7 Zu den genauen Voraussetzungen siehe §§ 53 ff. AufenthG. 8 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein; im Folgenden „Mitgliedsstaaten“.
19

20 1.1.2. Rund 75% der Ausreisepflichtigen sind geduldet Von den im AZR erfassten ca. 215.000 Ausreisepflichtigen waren laut AZR zum Stich- tag am 31. Juli 2016 rund 165.000 geduldet (Abbildung 2). Das entspricht einer Quote von rund 75%. Eine Duldung wird einem Ausreisepflichtigen bei Vorliegen eines Abschie- bungshindernisses erteilt. Abschiebungshindernisse sind rechtliche oder tatsächliche Gründe, die eine Abschiebung verhindern (z.B. Gefahr für Leib und Leben im Heimat- land, schwere Krankheit, minderjährige Kinder mit Aufenthaltsrecht, aber auch das Fehlen von Passpapieren). Durch eine Duldung wird die Abschiebung vorübergehend bis zum Wegfall des Abschiebungshindernisses ausgesetzt; die Ausreisepflicht bleibt jedoch bestehen (vgl. § 60a Abs. 1 AufenthG). Häufigster im AZR erfasster Duldungsgrund ist das Fehlen von Reisedokumenten; dies gilt für 22% aller Geduldeten. Eine Gruppenaussetzung (Aussetzung der Abschiebung einer bestimmten Personengruppe – z.B. Sinti und Roma aus Serbien) durch eine oberste Landesbehörde betrifft weitere 6%. Bei jeweils 2% der Geduldeten führen drin- gende humanitäre Gründe (Gefahr für Leib und Leben im Heimatland) oder familiäre Bindung zu einer Duldung, bei weiteren 1% medizinische Gründe. Bei rund 67% und damit ca. zwei Dritteln der Geduldeten sind die Gründe nicht differenziert erfasst. Hinter der Eintragung „sonstige Gründe“ können die bereits genannten Kategorien, aber auch unterschiedliche weitere stehen, z.B. Sorge um Angehörige, Strafverfahren, richterliche Anordnungen, fehlende Verkehrswege ins Heimatland, Staatenlosigkeit und zielstaatsbezogene sowie sonstige inlandsbezogene Abschiebungsverbote.9 Darüber hinaus liegen in vielen Fällen mehrere Duldungsgründe gleichzeitig vor – diese sind im AZR nicht erfassbar. ABBILDUNG 2 Duldungsgründe geduldeter Ausreisepflichtiger laut AZR in Tsd., Stichtag 31. Juli 2016 22% Fehlende Reisedokumente Gruppenaussetzung oberste Landesbehörde Ohne ~ 50 Duldung Mit ~ 165 Duldung Duldungsquote = ~ 75% 6% Dringende humanitäre Gründe 2% Familiäre Bindung 2% Medizinische Gründe 1% Sonstige Gründe1 67% 1 Enthält Duldungsgründe auf Grund von Personensorge, Strafverfahren, zielstaatsbezogenen Verboten, richterlichen Anordnungen, fehlenden Verkehrswegen, Staatenlosigkeit, fehlenden Freigaben von der Staatsanwaltschaft, Alt-Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG sowie nach § 60a AufenthG (alt), medizinischen Gründen (bis Einführung Speichersachverhalt im AZR am 15. November 2015) und ggf. weiteren Gründen; Abweichungen je nach Ausländerbehörde (ABH) möglich Quelle: Ausländerzentralregister 9 Siehe eine Übersicht der Duldungsgründe im Anhang B.
20

Zur nächsten Seite