Das Urteil gegen Globke

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DDR-JUSTIZ UND NS-VERBRECHEN SAMMLUNG OSTDEUTSCHER STRAFURTEILE WEGEN NATIONALSOZIALISTISCHER TÖTUNGSVERBRECHEN Das Urteil gegen Hans Josef Maria Globke Einzelausfertigung des Urteils des OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 Band III, Lfd.Nr.1068 EX POST FACTO Productions
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Einzelausfertigung des Urteils des OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 Lfd.Nr.1068 Aus: DDR-JUSTIZ UND NS-VERBRECHEN Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen Band III Die Verfahren Nr. 1064 – 1114 der Jahre 1955 – 1964 Bearbeitet im Seminarium voor Strafrecht en Strafrechtspleging ‘Van Hamel’ der Universität Amsterdam von PROF. DR. C. F. RÜTER unter Mitwirkung von L. HEKELAAR GOMBERT und DR. D.W. DE MILDT Amsterdam University Press ISBN 90 5356 547 7 K.G. Saur Verlag ISBN 3 598 24613 7 © 2003 Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam Diese E-BUCH SONDERAUSGABE wurde hergestellt von EX POST FACTO Productions www.expostfacto.nl junsv@expostfacto.nl All rights reserved; no part of this book may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic or mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without the written permission from the publishers. © 2006 Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
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DDR-JUSTIZ UND NS-VERBRECHEN SAMMLUNG OSTDEUTSCHER STRAFURTEILE WEGEN NATIONALSOZIALISTISCHER TÖTUNGSVERBRECHEN REDAKTION PROF. DR. LAURENZ DEMPS Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin PROFESSOR DR. KLAUS MARXEN Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin PROF. DR. C. F. RÜTER Professor em. für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Amsterdam STAATSANWÄLTIN a.D. URSULA SOLF ehem. Staatsanwältin bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen STAATSANWALT i.R. DR. GÜNTHER WIELAND † Staatsanwalt beim Generalstaatsanwalt der DDR 1963-1990 Anschrift der Redaktion: Instituut voor Strafrecht, Universität van Amsterdam Postbus 1030, NL-1000 BA Amsterdam www.jur.uva.nl/junsv
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Anmerkung der Redaktion: Die Seitenzahlen dieser E-Buchausgabe entsprechen denjenigen der Erstveröffentlichung im Band III der Urteilssammlung DDR-Justiz und NS-Verbrechen. 70
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Lfd.Nr.1068 Tatkomplex Schreibtischverbrechen Tatort Berlin Tatzeit 33-45 Gerichtsentscheidungen OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 71
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INHALTSVERZEICHNIS der unter Lfd.Nr.1068 veröffentlichten Entscheidung OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 A. Das Strafverfahren gegen den Angeklagten Globke 75 I. Untätigkeit der BRD. Legitimation der DDR; stellvertretende Strafrechtspflege 75 II. Zuständigkeit des Obersten Gerichts der DDR 77 B. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten 78 C. Die Teilnahme des Angeklagten an der Beseitigung des Parlamentarismus in Preussen 84 I. Mitwirkung am preussischen Ermächtigungsgesetz 84 II. Mitwirkung am preussischen Staatsratsgesetz 86 III. Mitwirkung an dem preussischen Provinzialratsgesetz 89 D. Die Teilnahme des Angeklagten an der Kennzeichnung, Verfolgung und Ausrottung der jüdischen Bürger in Deutschland und in den von den Faschisten zeitweilig besetzten Gebieten 91 I. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Kennzeichnung der Juden durch Neuregelung des Verfahrens bei Namensänderungen 94 II. Die Mitwirkung des Angeklagten bei der Schaffung und Durchsetzung der faschistischen Rassengesetzgebung 107 III. Die Mitwirkung des Angeklagten an der "Endlösung der Judenfrage" 124 E. Die Teilnahme des Angeklagten an der Germanisierung der von den Faschisten okkupierten Länder 135 I. Die Mitwirkung des Angeklagten bei der Regelung des Staats- angehörigkeitsrechts der okkupierten Länder als juristischer Ausdruck der Germanisierungspolitik 136 II. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung der Tschechoslowakei 140 III. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung Litauens 150 IV. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung Polens 152 V. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung der zeitweilig besetzten Gebiete der Sowjetunion 162 VI. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung in Jugoslawien und seine Tätigkeit in Rumänien 164 VII. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Germanisierung Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs 166 VIII. Die Mitwirkung des Angeklagten an der Errichtung eines Okkupationsregimes in Italien 174 F. Beweiswürdigung 175 I. Allgemeines 175 II. Die Einstellung des Angeklagten zur Judenpolitik des Dritten Reiches 176 G. Die rechtliche Beurteilung der Handlungen des Angeklagten 182 I. Zur Anwendung des Artikels 6 des Londoner IMT-Statuts 182 II. Der Tatbeitrag des Angeklagten im Komplex der faschistischen Massenverbrechen 183 72
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III. Die objektiven Merkmale der Verbrechen des Angeklagten im einzelnen 185 IV. Die subjektive Seite der Verbrechen des Angeklagten im einzelnen 188 V. Strafzumessung 193 73
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Lfd.Nr.1068 1 Zst (I) 1/63 Im Namen des Volkes In der Strafsache gegen 1 Hans Josef Maria Globke , Staatssekretär im Bundeskanzleramt der deutschen Bundesrepublik, geb. am 10.September 1898 in Düsseldorf, wohnhaft in Bonn, wegen Verbrechen im Sinne der allgemein anerkannten und von den Vereinten Nationen bestätigten Nürnberger Prinzipien, Artikel 6 des Londoner Statuts für das Internationale Militärtribunal vom 8.August 1945 in Verbindung mit Artikel 5 Abs.1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Verbrechen nach §§211, 47 StGB, hat der 1.Strafsenat des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik in den Sitzungen vom 8.-13, 15.-16., 19.-20. und am 23.Juli 1963 in Berlin für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen in Mittäterschaft begangenen fortgesetzten Kriegs- verbrechens und Verbrechens gegen die Menschlichkeit in teilweiser Tateinheit mit Mord gemäss Artikel 6 des Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof, §§211, 47, 73 StGB zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf Lebenszeit aberkannt. Die Auslagen des Verfahrens werden dem Angeklagten auferlegt. GRÜNDE A. « Das Strafverfahren gegen den Angeklagten Globke » I. « Untätigkeit der BRD. Legitimation der DDR; stellvertretende Strafrechtspflege » Der Angeklagte Globke hat in den Jahren 1933 bis 1945 schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen des Mordes begangen. In diesem Prozess hat das Oberste Gericht der Deutschen Demokratischen Republik in umfassender Beweisaufnahme diese Verbrechen öffentlich festgestellt. Damit hat das oberste Organ der Rechtsprechung der DDR eine Verpflichtung erfüllt, die sich für den ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat aus der deutschen Geschichte, aus dem Völkerrecht und aus den nationalen Interessen des deutschen Volkes ergibt. Bereits Jahrzehnte vor der Machtergreifung Hitlers formulierten die deutschen Imperialisten ihre aggressiven und expansionistischen Programme. Der Sachverständige Professor Dr. Eng. hat dem Gericht umfassendes Material darüber unterbreitet, wie bereits während des ersten Weltkrieges deutsche Grossindustrielle und Führer der Alldeutschen Bewegung wie Stinnes, Kirdorf und Hugenberg Annexionen im Osten und Westen forderten. Die gleichen Kräfte finanzierten später Hitler und halfen ihm zur Macht, um die deutsche Arbeiterklasse mit Terror zu unterdrücken und die Herrschaftspläne über andere europäische Länder zu 1 Abwesenheitsverfahren gem. §236 StPO DDR 1952. Dieses Urteil ist ohne Rechtsmittelgerichtsentscheidung rechtskräftig geworden. Da die Sache in 1.Instanz vor dem höchsten Gericht der DDR verhandelt wurde, konnte - anders als bei den erstinstanzlichen Urteilen der Bezirksgerichte - das Rechtsmittel der Berufung nicht eingelegt werden; vgl. §279 StPO DDR 1952 und §55 Gerichtsverfassungsgesetz DDR 1952. 75
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Lfd.Nr.1068 verwirklichen. Nachdem das Hitler-Regime von den siegreichen Armeen der Anti-Hitler-Koalition, unter denen die Sowjetarmee die Hauptlast trug, zerschlagen war, stand vor dem deutschen Volk die historische Aufgabe, für alle Zeiten die Politik der imperialistischen Unterdrückung durch eine Politik der Freundschaft und Zusammenarbeit mit allen europäischen Völkern zu ersetzen. Der Weg eines neuen Deutschlands, von dem nie wieder eine Kriegsgefahr für andere europäische Völker ausgeht, erfordert eine ehrliche Bewältigung der Vergangenheit. Diese Aufgabe ist in der Deutschen Demokratischen Republik gelöst. Die Wurzeln von Faschismus und Militarismus, die ökonomischen Grundlagen des deutschen Imperialismus sind für alle Zeiten vernichtet. Faschistische und rassistische Ideologien sind ausgemerzt. Kriegs- und Menschlichkeitsverbrecher wurden bestraft, nominelle Mitglieder der NSDAP umerzogen und in das neue gesellschaftliche Leben eingegliedert. Diesen Weg sind die herrschenden Kreise in der Deutschen Bundesrepublik nicht gegangen. Deutlichster Ausdruck hierfür ist die Tatsache, dass schwerbelastete faschistische Verbrecher wie Oberländer und Foertsch in Westdeutschland hohe Positionen erhielten. Zu dieser Gruppe gehört auch der Angeklagte Globke, der trotz aller Veröffentlichungen über seine in der faschistischen Zeit begangenen Verbrechen noch heute in der Schlüsselstellung eines Staatssekretärs im Bundeskanzleramt sitzt. Die Organe der Deutschen Demokratischen Republik haben den entsprechenden Organen der Bundesrepublik Material über Globke zur Verfügung gestellt, um die Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihn in Westdeutschland, seinem jetzigen Wohnsitz, zu ermöglichen. Ebenso haben westdeutsche Bürger und Bürger der DDR bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen ihn erstattet. Da die Verfahren von der westdeutschen Staatsanwaltschaft aber eingestellt wurden - ein gerichtliches Strafverfahren wurde nie eingeleitet -, waren die Organe der DDR verpflichtet, dieses Verfahren durchzuführen. Die Notwendigkeit hierfür wurde noch dadurch bestätigt, dass sich die Bundesregierung mit einer am Tage des Prozessbeginns herausgegebenen Erklärung vor den Angeklagten Globke stellte. Die Bewältigung der Vergangenheit erfordert aber, dass solche dunklen und blutigen Kapitel der deutschen Geschichte wie die Judenverfolgung und -vernichtung und die während des zweiten Weltkrieges versuchte Verwirklichung der alten Ziele des deutschen Imperialismus, die europäischen Nachbarvölker zu versklaven, aufgedeckt und die Verantwortlichen dafür festgestellt werden. Das ist die beste Garantie dafür, dass neue Verbrechen der deutschen Imperialisten, deren führende Kräfte heute die westdeutsche Politik bestimmen und wiederum territoriale Ansprüche in Europa stellen, verhindert werden. Es ist kein Zufall, dass der Angeklagte Globke, der die Weimarer Republik liquidieren half und die verbrecherischen faschistischen Pläne mit allen seinen Kräften und seinem Wissen unterstützte, heute nach dem Bundeskanzler der wichtigste Mann der westdeutschen Regierung ist. Die Durchführung dieses Verfahrens ist deshalb nicht nur eine notwendige Schlussfolgerung aus der deutschen Geschichte, sie entspricht auch den Interessen der deutschen Nation. Auf deutschem Boden haben sich nach dem zweiten Weltkrieg in den zwei deutschen Staaten mit entgegengesetzter Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung die beiden Linien der deutschen Entwicklung verkörpert: in der Bundesrepublik das alte Deutschland, dessen völkerrechtliche Existenz die DDR nicht bestreitet, in dem aber die Ziele der Anti-Hitler-Koalition von 1945 nicht verwirklicht sind und das deshalb erneut den Frieden gefährdet; in der Deutschen Demokratischen Republik der rechtmässige deutsche Staat, der die Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen und seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Potsdamer Abkommen erfüllt hat und der auf den Trümmern der Vergangenheit eine neue Gesellschaftsordnung errichtet hat. Dieser Staat hat die historische und politische Legitimation, den Angeklagten Globke, einen der aktivsten Helfer der Hitler-Regierung, vor Gericht zu stellen. 76
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