Lagebericht Syrien 2020

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11 VS - Nur für den Dienstgebrauch Das Verfassungskomitee ist nur ein Teil der in der VN-Sicherheitsratsresolution 2254 angestrebten, umfassenden politischen Lösung des Konflikts. Neben der Ausarbeitung einer neuen Verfassung sind dort u.a. auch freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora vorgesehen. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sollen gemäß aktueller Verfassung 2021 stattfinden. Äußerungen des russischen Außenministers ‚Lawrow und seines syrischen Amtskollegen Muallem während Lawrows Reise nach Damaskus am 9. September 2020 legennahe,dasssowohl dasRegime als auch Russland eine Präsidentschaftswahlunter der geltenden Verfassung von 2012 anstreben. Das Syrische Verhandlungskomitee der Opposition („Syrian Negotiation Committee“, SNC) vertritt die Oppositionin den intra-syrischen Verhandlungenunter dem Dach derVN in"Genf. Aufgrund der fortgesetzten Weigerung des syrischen Regimes, sich ernsthaft und konstruktiv auf die Verhandlungen unter VN-Ägide einzulassen, konntenin den letzten Jahren keine Fortschritte erzielt werden. Im Dezember2016 begründeteRussland gemeinsammit der TürkeiundIrandassogenannte Astana-Format. Seit Januar 2017 treffen die „Astana-3“, teilweiseunter Einbeziehung des syrischen Regimes und der syrischen Opposition, in regelmäßigen Abständen zu Verhandlungen zusammen. Seit. Anfang 2018 bemüht sich die Syria Small Group, bestehend aus USA, Großbritannien, Frankreich, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Deutschland, dem politischen Prozess neue Impulsezugebenundkommt inregelmäßigenAbständenzu Treffenzusammen, zuletzt imOktober 2020.        . IL. Politisch relevante Tatsachen Das politische System Syriens wird vom Präsidenten dominiert. Dieser wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt (Art. 86). Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich (Art. 88). Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 Bestand hatte, ist es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der für Sommer 2021 vorgesehenen Präsidentschaftswahl erneut zu kandidieren.. Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So mussein.Kandidat im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regelentzogen),    darfnichtfürein chrenrühriges Vergehen vorbestraftseinund muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben (Art. 84). Damit sindim Exil lebende Politiker von einer Kandidatur ausgeschlossen. Der Präsidentdarfnach Art; 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn „absolute Notwendigkeit“ dies erfordert. De facto ist’ die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt, Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet. Am 19. Juli 2020 fanden turnusgemäß Parlamentswahlen in Syrien statt, nachdem diese aufgrund von Covid-19 mehrfach verschoben wurden. Dabei erreichte die Baath-Partei mit 167 von 250 Sitzen erwartungsgemäß eine deutliche Mehrheit von 66,8 %. Die „National Progressive Front“, in der die Baath-Partei weitere kleine Parteien dominiert, kontrolliert sogar 73 % des syrischen Volksrats (Syrian People’s Council). Die „Unabhängigen“, die derzeit knapp 27 % der Sitze ausmachen, sind keinesfalls unabhängig, sondern stehen unter Kontrolle des Regimes und seiner Geheimdienste. Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Veitrauten des Präsidenten ©AuswärtigesAmt2020 -Nichtzur Veröffentlichungbestimmt - Nachdruckverboten
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12 VS--Nurfür den-Dienstgebrauch- geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst:unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sichde facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt, zu denen:u. a. auch die VN oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuzes keinen Zugang haben. Die Verfassung sieht Demokratie (Art. 1, 8, 10, 12), Achtung der Grund- und Bürgerrechte (Art. 33-49), Rechtsstaatlichkeit (Art. 50-53), Gewaltenteilung sowie freie, allgemeine und geheime Wahlen zum Parlament (Art. 57) vor. Faktisch haben diese Prinzipien in Syrien jedoch nie ihre Wirkung entfaltet, da die Baath-Partei ‘durch einen von 1963 bis 2011 geltenden, extensiv angewandten Aumahmezustand wichtige Verfassungsregeln außer Kraft setzte. Zwar wurde der Ausnahmezustand 2011 beendet, aber mit Ausbruchdes bewaffneten Konflikts in Syrien umgehend im Jahr 2012 durch eine genauso umfassende und einschneidende. „Anti-Terror-Gesetzgebung“ ersetzt, Sie führte zu einem Machtzuwachs der Sicherheitsdienste und massiver Repression, mit der das Regime auf die anfänglichen Demonstrationen und Proteste sowje den späteren bewaffneten Aufstand großer Teile der Bevölkerung antwortete.               Justiz und Gerichtswesen sind von grassierender Korruption und’Politisierung durch das Regime geprägt. Laut geltender Verfassung ist der Präsident auch Vorsitzender des Obersten Justizrates. . So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht. konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmenkontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten undseinen engstenKieis. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür — welche immer schon begrenzt waren — weiterhin deutlich verringert worden.                              " 1. Staatliche Repressionen 1.1 Politische Opposition Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralis- tischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime verfolgt, ihre Mit- glieder verhaftet und mit allen Mitteln unterdrückt. Oppositionelle politische Tätigkeit, oder auch nur    der   Verdacht    dessen,   werden     vom Regime       meist als   „terroristische  Aktivitäten“, „Verschwörung gegen den Staat“, „Hochverrat“ oder ähnlich gravierende Verbrechen behandelt. In der Anwendungspraxis der regimekontrollierten syrischen Justiz reicht der Verdacht hierauf aus, um vor Militärgerichtshöfen oder gesonderten Gerichtshöfen der Anti-Terror-Gesetzgebung von 2012 verfolgt zu werden, in denen wenige bis keine Rahmenbedingungen eines fairen Rechtsverfahrens bestehen. Die Anti-Terror-Gesetze wurden in den vergangenen Jahren 'immer wieder dazu missbraucht, gegen in Syrien und im Ausland lebende Oppositionelle bzw. Regimegegter und -gegnerinnenauchin Abwesenheit drakonische Strafen zu verhängen. ‚Am 22. März 2020 erließ das syrische Regime mit Dekret Nr. 6 eine weitere "Generälamnestie", bei der es sich laut Menschenrechtsorganisationen um die insgesamt 17. Amnestie seit Konfliktbegirin handelt. Vergangene Dekrete blieben in der Umsetzung bislang nahezu wirkungslos. Auch wenn das neue Dekret inhaltlich in Teilen über bereits’ zuvor erlassene Gesetze hinausgeht, bleiben weiterhin ein Großteil der Verbrechen, die insbesondere oppositionellen Syrerinnen und Syrern bei ihrer politischen Verfolgung in Syrien immer wieder vorgeworfen werden, darunter viele der ‚Anti-Terror-Gesetzgebung von 2012, ausgeschlossen. Laut eines Berichts des Syrian Network for Human Rights (SNHR) sollen zwei Monate nach Inkrafttreten des Dekrets lediglich 96 der rund © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichungbestimmt - Nachdruck verboten
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13 VS Nur für-den-Dienstgebrauch 130.000 politischen Gefangenen aus Regimehaft freigelassen worden sein. Im selben Zeitraum wurden jedoch auch 113 neue Inhaftierungen dokumentiert. Aus den Haftanstalten der Geheimdienste konnten keine Freilassungen bestätigt werden. Auch angesichts der sich ausbreitenden Covid-19-Pandemie in den Gefängnissen und der dadurch drohenden humanitären Katastrophe kam es nicht zu beschleunigten Haftentlassungen. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit Beginn des Aufstands im März 2011 sind unzählige Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhafticrung ohne Gerichtsverfahren, Verschwindenlassen, tätlichen Angriffen, Folter und Tötung im Gewahrsam der Sicherheitskräfte sowie Mordanschlägen belegt (s. Kap. IT.       1.   „Willkürliche     Verhaftungen       und Folter“).      Viele Oppositionelle       und Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen, die im Land blieben, mussten in den Untergrund gehen oder in die von der Opposition kontrollierten Gebiete fliehen. Aufgrund der weitreichenden Geländegewinne durch das syrische Regime hat sich für Oppositionelle, Aktivisten und Aktivistinnen und Journalistinnen und Journalisten die Lage verschärft. 1.2. Meinungs- und Pressefreiheit Im Art, 38der Verfassung wird die Gewährung der Meinungs-. und Pressefreiheit durch den Zusatz ergänzt, dass jeder Bürger das Recht habe, „konstruktive Kritik zu üben in einer Art und Weise, die die Stabilität der inneren und nationalen Strukturen bewährt und das sozialistische System stärkt“, Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285.und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Die reichweitenstarke Medienlandschaft ist nahezu vollständig in der Hand des Regimes. Trotz eines im Sommer 2011                       erlassenen liberalen Mediengesetzes hat sich der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit in den letzten Jahren stark verringert: Filmemacher und -macherinnen, Journalisten und Journalistinnen, Blogger und Bloggerinnen,       Menschenrechtsverteidiger         und    -verteidigerinnen      und     so   genannte Bürgerjournalisten und -journalistinnen, die über staatliche Repression, Korruption oder Kritik am oder Demonstrationen gegen das Regime zu berichten versuchen, werden bedroht, verfolgt, festgenommen, angegriffen, gefoltert oder sogar ermordet. In den vergangenen Monaten waren auch als regimetreu geltende Journalisten und Journalistinnen zunehmend Repressionen ausgesetzt.    Bereits    vereinzelte   Berichterstattungen      zu   Themen      wie     Korruption ° und Versorgungsengpässen, oder auch bereits entsprechende Äußerungen von Privatpersonen in den sozialen Medien, die als Kritik am Regime gewertet werden könnten, führten zu Verhaftungen. Auch bewaffnete Gruppen und Terrororganisationen sind, bis hin zu Ermordungen,immer wieder gewaltsam gegen Medienvertreter und -vertreterinnen und Bürgerjournalisten und -journalistinnen vorgegangen, die kritisch über sie berichtet haben. 1.3 Militärdienst In Syrien besteht für Männer eine allgemeine - und seit 2011 de facto unbefristete - Wehrpflicht. Freigestellt sind lediglich einzige Söhne sowie. Studenten während ihres Studiums, Syrische Männer müssen sich gemäß Art. 40 der syrischen Verfassung im Alter von 18 Jahren für den Militärdienst registrieren lassen und sind bis zum Alter von 42 Jahren ‚wehrpflichtig. Es gibt zahlreiche Berichte, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert, eingezogene Männer werden entweder Militär oder Polizei zugeteilt. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichung bestinamt - Nachdruck verboten
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14 VS-Nur-fürden-Dienstgebrauch zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden auch an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie Grenzübergängen verschleppt ‚und zwangsrekrutiert. Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebict. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher      . Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch. Seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt. Auchgeflichtete Syrer, die nach Syrien, zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut einer Studie der Syrian Association for Citizen’s Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Geflüchteten die Abschaffung der Zwangsrekrutierung Hauptbedingung für eine Rückkehr in ihre In Syrien besteht keine. Möglichkeit der legalenWehrdienstverweigerung, auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimesstehen,zu.entzichen,müsstenWehrpflichtigezahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung entweder durch die syrischen. Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Zuletzt hat dassyrischeRegime eine Änderung des Militärgesetztes vorgenommen, die medizinisches Personal für zwei Jahre vom Wehrdienst befreit. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der     Wehrdienst    geleistet    wurde,      gewährt.     Wehrdienstentzug      wird     gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Artikel 68 istfestgehalten,dassmit einer Haftstrafe von einem: bis sechs Monatenin Friedenszeiten und bis zu fünf Jahrenin Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht. Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf-bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art, 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwengsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsieht, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 30 Jahren stellen muss, der‘ für sechs Monate in der YPG dient. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen. Am 29. Juni 2019 unterzeichneten die SDF einen Aktionsplan gegen die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten mit dem Büro der VN-Sondergesandten für Kinder in bewaffneten Konflikten. Allerdings scheint die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein. LautdenVN und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert. Das US-Verteidigungsministerium befand in einem Bericht am 4. August 2020, dass die kurdischen Teile der SDF noch 2019 Kinder aus Lagern für Binnenvertriebene rekrutiert hätten. Für Frauen gibt es keinen gesetzlichen Wehrdienst in Syrien. Sie können in den kurdischen „Selbstverwaltungsgebieten“ freiwillig Militärdienst leisten. Zugleich gibt es jedoch auch hier Berichte von Zwangsrekrutierungen. © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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15 VS-Nur-für den-Bienstgebrauch 2. Repressionen Dritter Die Zahl der Übergriffe durch nicht-staatliche Akteure bleibt hoch. Bei Übergriffen regimetreuer Milizenist der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend. Nach der Eroberung von Teilen Syriens durch regimefeindliche     bewaffnete Gruppen kommt           es  auch   durch     einige dieser Gruppen regelmäßig zu Übergriffen und Repressionen. ‚Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus     zuvor vom    Regime    zurückeroberten   Gebieten,    ist Idlib   in   Nordwest-Syrien   zum Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition 'geworden. HTS hat: neben der militärischen Kontrolle über. den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der DEZ, Idlib dort auch lokale Verwaltungssteukturen unter dem Namen „Errettungs-Regierung“ (Hakumet Al Inkas Al Suriye) aufgebaut. Auch unterhält die HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Sharia anwendet. Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen diese Einflüsse-zu wehren,werdenzumTeil brutal niedergeschlagen. Laut der internationalen unabhängigen Untersuchungskommission        zur Menschenrechtslagein Syrien(CoI) kommtes in Idlib immerwiederzu Verhaftungen und Entführungen durch HTS,auchunter Anwendung von Folter gegenKritiker    und politische Gegner. So berichtet Human Rights Watch, dassHTS im. Jahr 2017 Protestierende erschossen und verletzt habe. Auch humanitäre Hilfslieferungen werden behindert. HTS zielt außerdemauf religiöseMinderheiten ab. Sohat sich HTS laut derCol im März 2018 zu zwei Bombenanschlägenauf den schiitischen Friedhof         in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet und 120 verletzt wurden. Die CoI dokumentiert auch in ihrem jüngsten Bericht: zahlreiche Taten von HTS-Mitgliedern, die mutmaßlich Kriegsverbrechen darstellen, darunter Mord und Folter. Auch nichtstaatliche Akteure in Gebieten Nordost-Syriens, die außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes liegen, üben Repression aus. Die Organisation Syrians for Truth and Justice berichtete über die Festnahmen mehrererzivilgesellschaftlicher Aktivistinnen und Aktivisten durch die kurdische sog. „Selbstverwaltung“in Raqga.im August 2019. Human Rights Watch berichtets wiederholt —zuletzt 2018 — über Missbrauch von Gefangenen undmenschenunwürdige Haftbedingungen dürch die kurdische sog. „Selbstverwaltung“. SNHR. berichtete im September 2020, dass diese außerdem die Versammlungsfreiheit einschränke, mutmaßliche Oppositionelle verhafte oder verschwinden lasse sowie Kindersoldaten einziehe. Des militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren. vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt. Angriffe durch IS in Nordostsyrien verschlimmern diese Instabilität zusätzlich. Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhinein großes. Sicherheitsrisiko dar. Medienberichte über Gewaltexzesse wie die mutmaßlichen Hinrichtungen von gefangenen kurdischen Kämpfern sowie einer kurdischen Politikerin durch Türkei-nahe                im Verlauf der Militäroffensive „Fri            ic“ im Oktober 2019 GEEEEEED 25 Sieanzespanni>SituationzwischenKundenundArabenin Nordosteyrien er ‚Am 10. Oktober 2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalämnestie“ für Strafgefangene, Bereits am 15. Oktöber sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auchmutmaßlicheIS-Sympathiisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden. ©Auswärtiges Amt2020 -Nichtzur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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16 VS=Nurfür.den Dienstgebrauch- Am 18. März 2018 begann die Türkei die Militäroperation „Olivenzweig“ im bis dahin von der kurdischen PYD/YPG kontrollierten Afrin in.Nordsyrien. Zahlreiche Kurden und Kurdinnen, darunter auch einige Jesidinnen und Jesiden, die sich dem Verdacht einer Kooperation mit PYD/YPG ausgesetzt sahen, flohen aus Angst vor Repressionsmaßnahmen durch türkische Sicherheitskräfte und arabische Hilfstruppen. Zivilisten berichteten, dass Vertreter der kurdischen sog. „Selbstverwaltung“ sie bis kurz vor Beginn der türkischen Militäroperation an der Flucht aus Afrin hinderten. Inzwischen ist ein Teil der Geflohenen nach Afrin zurückgekehrt. Bewohnerinnen und Bewohner Afrins meldeten außerdem, dass Mitglieder bewaffneter Milizen eine Rückkehr nur nach Zahlung eines Bestechungsgeldes erlaubten und äußerten Sicherheitsbedenken als größtes Rückkehrhindernis. Zudem gab es Berichte von Vertriebenen, vor allem von Kurdinnen und Kurden, dass ihre Häuser und Wohnungen nach ihrer Flucht von Mitgliedern von Milizen geplündert und/oder besetzt worden seien. Andere Besitztümer sollen ‘nur gegen sehr hohe Geldzahlungen rücküberlassenworden sein. Anderensei beiihrerRückkehrder Zugang zu ihrem Besitz aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher Nähe zur YPG verweigert worden. Das VN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) berichtete im September 2020, dass in Afrin, Ras al Ayn und den umliegenden Gebieten im Norden Syriens Angriffe durch unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen sowie Beschuss zahlreiche Menschenleben "gefordert hätten. Dem jüngsten Bericht der CoI zufolge gibt es Grund zur Annahme, dass die von der Türkei unterstützte "Syrische Nationalarmee" (SNA) in den türkisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien Kriegsverbrecheri wie Geiselnahme, grausame Behandlung und Folter sowie‘ Vergewaltigung begangen hat. Zudem merkte die CoI an, dass die Verlegung syrischer Gefangener in die Türkei durch die SNA das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen könne. Neben anderen Nachbarländern ist die Türkei ein Zufluchtsort für Millionen von Syrern und Syrerinnen auf der Flucht vor der Gewalt und eine Lebensader für lebenswichtige humanitäre Hilfe und Unterstützung, um Millionen von Menschen in äußerster Not innerhalb Syriens zu erreichen. Der VN-Hochkommissar für Menschenrechte (OHCHR) rief die Türkei auf, ihre Position zu nutzen, um diese Missbräuche durch die SNAundanderezu verhindern,denOpfernRechenschaft abzulegen und Wiedergutmachung zu leisten und den Schutz der Zivilbevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten zu gewährleisten. 1.Menschenrechtslage Der VN-Menschenrechtsrat hatim August 2011 eine internationale unabhängige Untersuchungs- kommission zur Menschenrechtslagein Syrien (Col) eingerichtet und dieses Mandat seitdem jedes Jahrverlängert,zuletztumeinweiteres Jahrbis zum31.März 2021.Bisheutehatdassyrische Regime.der CoI den Zugang nach Syrien verweigert. Die Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu sein sowie Sicherheitsbedenken erschweren nach wie vor die Arbeit der Kommission vor Ort. Die Col hat in mehreren Berichten vor dem VN-Menschenrechtsrat festgestellt, dass Kräfte des sytischen Regimes, das heißt Militär, Sicherheitsdienste und in den „National Defense Forces" (NDF) organisierte Milizen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Sie berichtete zudem, dass auch bewaffnete Oppositionsgruppen einschließlich Türkei-naher Milizen Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen tragen. Der jüngste Bericht der Col zur Situation in Syrien vom 22. September 2020 prangerte wie auch vorherige Berichte erneut völkerrechtswidrige Angriffe des Regimes auf die syrische Zivilbevölkerung an, die laut Co] mutmaßlich ein Kriegsverbrechen darstellen. Zudem begehe das Regime nach wie vor Verbrechen wie "Verschwindenlassen", Folter und sexuelle Gewalt. © Auswärtiges Amt 2020 -Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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17 VS Nur für den Dienstgebrauch Weiterhin komme es auch zu kollektivenBestrafungen und willkürlichen Eingriffe in die Eigentumsrechte.       Besonders    letztere   seien     ein   Haupthindernis     für   Geflüchtete   und Binnenvertriebene, um in ihre, Heimat zurückzukehren. Wenngleich das syrische Regime und seine Unterstützer nach wie vor hauptverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen innerhalb Syriens ° sind, legte die Col in ihrem Bericht zum ersten Mal auch mutmaßlich schwere Kriegsverbrechen, darunter Geiselnahme, grausame Behandlung und Folter, Vergewaltigungen, Plünderungen und Konfiszierung von privaten Grundstücken durch die Syrian National Army (SNA) in von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien und Nordost-Syrien offen. - Die VN-Hochkommissarin für Merischenrechte, Michelle Bachelet, mahnte am 18. September 2020 alle Akteure, die Sicherheit der zivilen. Bevölkerung zu respektieren sowie fortwährende Verletzungen des Humanitären Völkerrechts zu unterlassen. Zivilisten und Zivilistinnen und zivile Infrastruktur dürftennicht angegriffenwerden. DesWeiteren rief Bachelet im besonderenMaße die Türkei auf, das Völkerrecht zu respektieren und Menschenrechtsverstößen durch Türkei-nahe Milizen ‚in   von    ihr kontrollierten    Gebieten nachzugehen       bzw.   zu verhindern.     Das  VN Hochkommissariat habe in den. vergangenen Monaten ein „alarmierendes Muster“ gravierender Menschenrechtsverletzungen in diesen Gebieten, u. a. in den Orten Afrin, Ras-al-Ain und Tel ‚Abyad, festgestellt Die VN-Generalversammlung hat seit 2011 acht Resolutionen zur Menschenrechtslage in Syrien verabschiedet, zuletzt am 16. November 2018. Bereits 2012 hat die damalige VN- Hochkommissarin für Menschenrechte Navi Pillay wiederholt die Befassung des IStGH mit der Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Syrien befürwortet. Die Col fordert dies ebenfalls seit langem. Ein entsprechender Beschluss des VNSR ist jedoch bislang am Widerstand Russlands und ‚Chinas gescheitert. Pie Niederlande haben sich im September auf die völkerrechtliche Verantwortung ‚Syriens für Menschenrechtsverletzungen berufen ‚und              . Syrien insbesonderefürVerstöße gegenFi ‚Anti-Folter-KonventionderVN verantwortlich"gemacht. In einer diplomatischen Note        crinnerten die     Niederlande Syrien       an   seine   intemationalen Verpflichtungen, die Verletzungen einzustellen und den Opfern Wiedergutmachung anzubieten. In dieser Note wurdeSyrien.   auchaufgefordert, in Verhandlungen einzutreten. Sollten die beiden Staaten hierbei nichtin der Lage sein, den Streit beizulegen, würden die Niederlande vorschlagen, den Fall an ein Schiedsgericht zu überweisen. Falls eshierzu keiner Einigung kommt, können die Niederlande den Fall dem Internationalen Gerichtshof vorlegen, Die Bundesregierung unterstützt die Niederlande bei diesem Vorgehen politisch. Am 21. Dezember 2016 schuf die VN-Generalversammlung daher den “International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Persons Responsible for the Most Serious Crimes under International Law Committedin the Syrian Arab Republic since March2011”(IM), umder “KulturderStraflosigkeit”              inSyrienentgegenzuwirken.DieHauptauf- gabedesIIIMist die Sammlung,Sicherung,Analyse und das Aufbereiten von Beweismittelnfür zukünftige Strafverfahren, sowie die Unterstützung nationalerStrafverfolgungsbehördenvon Dritt- staaten bei der Untersuchung der schwersten Verbrechen. Über seine Arbeit veröffentlicht der IIIM regelmäßig Berichte, zuletztim August 2020. © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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18 VS=Nur fürden-Dienstgebraueh 1. Einsatz chemischer Waffen Seit der im November 2017 an russischen Vetos-im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der CW-Angriffe im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (UT) in Syrien zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, ‘die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8. April 2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im ‚März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsätz von Sarin am 24. und 30, März 2017 sowie Chlorgas am 25. März 2017 in Ltamenah verantwortlich sind. Der nächste Bericht des IIT wird 2021 erwartet. Die unabhängigen internationalen Experien der FFM gehen davon unabhängig weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1. März 2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7. April 2018 emeut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden (‚reasonable gröunds“). Auch eine Untersuchungskommission des VN-Menschenrechtsrats kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19. Mai 2019 erneut Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Latakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu zuletzt erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz ‘entsprechend. zuzuordnen. Untersuchungen durch FFMbzw. IT: stehen‘ noch aus. Am 01. Oktober 2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saragib (1. August 2016) und Aleppo (24. November 2018). In beiden Fällen konnte die OVCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind. Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der’analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus. Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. 2. Willkürliche Verhaftungen und Folter Seit 2012 geht das Regime in einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen Oppositionelle sowie seine Kritiker und Kritikerinnen vor. Dem Syrian Network for Human Rights zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und verschwundenen Menschen mit:Stand August 2020 auf mehr als 148.000, über 14.000 sollen unter Folter zu Tode gekommen sein. Ca. 90 % der Fälle werden dem syrischen Regime zugeschrieben. Für den Zeitraum Januar bis Oktober 2020 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights 1.412 Fälle willkürlicher Verhaftüngen, darunter 36 Kinder und 31 Frauen. 941 dieser Fälle wurden als erzwungenes Verschwindenlassen klassifiziert. WillkürlicheVerhaftungenblieben einegezielte Vergeltungsmaßnahmeu. a. für Kritik am Regime. Das Regime machtin diesen Fällen wie auch bei Verhaflungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti--Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr.19/2012). Diese Verhaftungswelle hält nach wie vor an und‚gefährdetpotentiell auch rückkehrwillige Syrer und Syrerinnen. Im März 2018 erschien auf einer oppositionsnahen Nachrichtenseite eine Datenbank mit 1,5 Mio. Namen, die vom syrischen Regime mit Haftbefehl gesucht werden sollen und die nach eigener Darstellung auf zugespielten vertraulichen Dokumenten der syrischen Sicherheitsbehörden basieren. Medienberichten zufolge haben sich auch viele syrische Flüchtlinge darauf mit korrekten Angaben wiedergefunden, darunterNamen, Geburtsdaten                 bis hin zu den Namen der Großeltern: © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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2 VS--Nurfür.den-Dienstgebrauch Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine Abstimmung und Zentralisierung statt. Daher kaun es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen kommen. In nur wenigen Fällen erfolgt nach einiger Zeit die Überstellung der Festgenommenen von den Haftanstalten der Geheimdienste an eine reguläre Haftanstalt und die Justiz. Ab diesem Zeitpunkt haben Familienangehörige und Anwälte in der Regel Zugang zu den betroffenen Personen. In vielen anderen Fällen bleiben die Personen jedoch verschwunden. Untersuchungen über die Todesumstände erfolgen in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen.zu Stillschweigen verpflichtet. Das syrische Regime verweigertgegenüber den VN und IKRK bislang jede Forderung nach Freilassungen, Zugang zu den Gefangenenin Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste sowie     Transparenz   über   den    Verbleib     der    Verschwurdenen.     Regime     und  bewaffnete Oppositionsgruppen führten innerhalb. des vergangenen Jahres im Rahmen einer ständigen ‚Arbeitsgruppe des VN-Sondergesandten für Syrien, Geir Pedersen, des IKRK und der Staaten des- Astana-Formats,vier   Gefangenenaustausche durch, diejedoch aufeine niedrige zweistellige Anzahl Gefangener begrenzt waren undim Verhältnis eins zu eins erfolgten. Der. VN-Sondergesandte, weite Teile der 'internationalen Gemeinschaft und die syrische Opposition fordern einseitige Freilassungen durch ‚das Regime, welche Damaskus bisher verweigert. Im Rahmen dieses begrenzten Dialogs hat das Regime 2019 erstmals verlauten lassen, selbst eine höhere Anzahl Soldaten und’weitere Angehörige zu vermissen und bezifferte die Anzahl zuletzt auf 17.000. Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien. das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder emiedrigende Be- handlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und vor allem Sicherkeits- und Geheimdienste systematisch Folterpraktiken an, insbesondere ge- genüber Oppositionellen oder Menschen, die vom Regime als oppositionell und regimekritisch eingestuft werden. Die Col hat Folter in syrischen Haftanstalten seit Konfliktbeginn wiederholt als Kriegsverbrechen verurteilt. Zum: Zeitpunkt des Berichtes der CoI von August 2018 waren Sterberegisier mit Eintragun;        zu vorher ‘willkürlich verhafteten und verschwundenen Menschen veröffentlicht se denUntersuchungenergabsichdasdeutlicherkennbareMustervon worden. willkürlichen Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Folter und Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt und in VN-Berichten dokumentiert worden. Laut dem Syrian Network for Human Rights liegt die Anzahl bestätigter Todesfälle nach Folter seit 2011 bei 14.451 (Stand: September 2020). Laut Amnesty International sollen bislang über 17.000 Menschen zu Tode gefoltert beziehungsweise gezielt hingerichtet worden sein. NachBerichtender Col ist eine hohe Anzahl der Todesfälle auch auf die erbärmlichen Haftbedingungen wie Überbelegung der Zellen, ungenügende Nahrungsrationen, unzureichende Sanitäranlagen und fehlende medizinischeVersorgung zurückzuführen. DasAssad-Regime selbst machtin der Regel keine Angaben zu Todesfällenin Folge vonGewaltanwendungi in syrischen Haftanistalten,  sondern   benennt‘ zumeist       unspezifische     Todesursachen    wie   Herzversagen, Schlaganfall undähnliches. Die Col bezeichnet die systematische Anwendung von. Folter in Haftanstalten der syrischen Sicherheitsbehörden als.eine „staatliche Politik von Misshandlung und Folter“, die in zahlreichen Einrichtungen mit massiver Gewalt angewendet wird. © Auswärtiges Amt 2020 - Nicht zur Veröffentlichung bestimmt - Nachdruck verboten
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20 VS = Nur fürden Dienstgebrauch Erkenntnisse der Col zeigen, dass die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung, inklusive sexueller Gewalt, in den Verhöreinrichtungen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, besonders hoch ist. Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren, unterliegen einem hohen Folterrisiko. Der bei weitem größte Teil dokumentierter Anwendung von Folter wurde in Einrichtungen des Regirnes begangen. Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, dic sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden: Zehn nahe Damaskus, jeweils vier nahe Homs, Latakia und Idlib, drei naheDaraa ‚und zwei nahe Aleppo. Es muss davon ausgegangenwerden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen unter Regimekontrolle verübt wird. Fälle von Folter wurden aber auch in Gebieten unter der Kontrolle von nicht-staatlichen Gruppen bekannt. Es bestehen keine realistischen Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter ‘oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 gab es glaubhafte Hinweise darauf, dass Personen, die sich über die. Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt bzw. wiederholt selbst Opfer solcher Praktiken zu werden. Gegenwärtig kani           sich der einzelne Bürger und die einzelne Bürgerin in keiner Weise gegenüber staatlichen-Willkürakten zur Wehr setzen. Bis zur Vorführung vor einen Richter können nach Inhaftierung mehrere Monate vergehen, in dieser Zeit besteht in der Regel keinerlei Kontakt zu Familienangehörigen oder Anwälten. Zudem sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen einzelne Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, für vom Regime alsfeindlich angeschene Aktivitäten anderer Familienmitglieder inhaftiert und gefoltert werden. Solche Sippenhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. Laut der Col berichteten zuletzt zahlreiche. Personen in Regimegebieten von Festnahmen, aufgrund von Kommunikation mit Familienangehörigen im Norden des Landes oder im Ausland. Femer sind Fälle bekannt, bei denen diese Sippenhaft bereits bei bloßem Verdacht auf mögliche an die Opposition angewandt wird. Das Regime hat bereits die -Beliefering von Gebieten unter Kontrolle der Opposition mit humanitären Gütern oder medizinische Behandlung von Oppositionellen als Aktivität deklariert, auf die von Gesetzes wegen die Todesstrafe steht. Ferner überlagern sich die Verhaftungskampagnen des Regimes mit Schutzgelderpressungen und- anderen Formen der Kriegsökonomie. 3. Politisch beeinflusste Justiz/Verwaltung Bereits vor dem Aufstand war die Unabhängigkeit der syrischen Justiz mangelhaft. Mittlerweile, sind syrische Gerichte, ganz gleich ob der Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichtbarkeit, korrupt, nicht unabhängig, und werden für politische Zwecke missbraucht. Eine effektive Verteidigung vor Strafgerichten ist nicht möglich. Immer wieder werden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungenseitens derGerichte erpresst.Lauteines Berichts des Syrian Network for HumanRights dienen sogenannte Anti-Terrorismus-Gerichte      dem Zweck, politische Gegner und Personen; die sich für politischen Wandel und Menschenrechte einsetzen, auszuschalten. Seit Errichtung bis Oktober 2020 sollen schätzungsweise mindestens 90.560 Fälle vor diesen Gerichten verhandelt worden sein. Dabeiwurden mindestens 20.641 Gefängnisstrafen und mindestens 2.147 Todesurteile verhängt, davon der Großteil in Abwesenheit der Angeklagten. Vor diesen Gerichten ist Angeklagten in Verfahren, die oftmals nur wenige Minuten dauern, ein Rechtsbeistand verwehrt; sie werden ‚nach glaubhaften Aussagen ehemaliger Häftlinge oftmals gezwungen, Geständnisse ohne Kenntnis des Textes blind zu unterschreiben. Das SNHR berichtete, dass viele der von diesen © Auswärtiges Amt2020 - Nicht zur Veröffentlichungbestimmt - Nachdruckverboten
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