Kurzgutachten Rossi

/ 27
PDF herunterladen
fenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen allein an die Zustimmung des Geheimnis- herrn knüpft und keinen Abwägungsvorbehalt vorsieht. Denn das IFG verdrängt nicht etwa den presserechtlichen Auskunftsanspruch und das parlamentarische Frage- und Informationsrecht, sondern ordnet in § 1 Abs. 3 IFG umgekehrt den Vorrang anderer Auskunftsansprüche an und ist insofern allenfalls parallel, jedenfalls aber nicht vorrangig anwendbar. Im Übrigen sind we- der das Informationszugangsrecht noch das Geheimnisschutzrecht in Deutschland durch ein konsistentes Verhältnis zwischen Transparenz und Geheimhaltung gekennzeichnet. Vielmehr haben die Gesetzgeber in Abhängigkeit von der sachlichen Materie und nach Maßgabe der fö- deralen Zuständigkeitsverteilung unterschiedliche Regelungen getroffen, die mal dem Informa- tionszugangsinteresse, mal dem Geheimhaltungsinteresse mehr Gewicht beimessen. Selbst das vor gut zwei Jahren in Kraft getretene Geheimnisschutzgesetz nimmt sich in § 1 Abs. 2 Gesch- GehG explizit gegenüber „öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“ zurück und akzeptiert trotz seiner grundsätzlichen Zielsetzung eines umfassenden und kohärenten Geheimnisschutzes insoweit, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen bei öffentlichen Stellen unterschiedlich ausgestal- tet sein kann. Dass die mögliche Veröffentlichung der nach den weitestgehenden Transparenzvorschriften erhaltenen Informationen diese gesetzliche Ausdifferenzierung in so erheblichem Maße nivel- liert, dass sich ein effektiver Geheimnisschutz im Einzelfall nicht gewährleisten lässt, ist ein Problem, dessen sich der bzw. die Gesetzgeber jedenfalls annehmen sollten, vielleicht sogar 11 annehmen müssen. Weder aber ist es die Aufgabe noch gar das Recht der jeweiligen informa- tionsgewährenden Behörden, bei der auf eine Anspruchsgrundlage bezogenen Entscheidung über die Bereitstellung von Informationen die sich aus anderen Anspruchsgrundlagen ergeben- den Grenzen für eine solche Bereitstellung zu berücksichtigen. Das BMG ist deshalb selbst dann, wenn dies bezüglich der in Rede stehenden Auskunftsersuchen von einzelnen Abgeord- neten oder Unternehmen gefordert werden sollte, nicht verpflichtet, die Auskunftsbegehren am Maßstab eines maximalen Geheimnisschutzes zu messen, der nach einer der in Betracht kom- menden Anspruchsgrundlagen gewährt wird. Es ist also namentlich nicht verpflichtet und im Übrigen auch nicht berechtigt, bei der Erteilung von Auskünften nach Maßgabe des verfas- sungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruchs oder des parlamentarischen Frage- 11 Vgl. etwa zur Problematik der faktisch gleichen Wirkung von antragsabhängigen individuellen Informations- gewährungen und einer antragsunabhängigen generellen Informationsbereitstellung Rossi, JZ 2020, 573, 576. 11
11

und Informationsrechts diejenigen Schranken zu berücksichtigen, die sich etwa aus dem IFG 12 ergeben. II.     Presserechtlicher Auskunftsanspruch 1.      Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2013 können Auskunftsansprü- che der Presse gegenüber Bundesbehörden nicht mehr auf die jeweiligen Landespressegesetze gestützt werden. Stattdessen hat das Bundesverwaltungsgericht aus dem Grundrecht der Pres- 13 sefreiheit einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch abgeleitet. Diese richterrechtli- che Rechtsfortbildung lässt sich mit Blick auf die Gewaltenteilung und den Parlamentsvorbe- 14 halt zwar kritisieren, hat aber ohne Frage zu einer gefestigten Spruchpraxis geführt, mit der das Bundesverwaltungsgericht nicht nur den Grundsatz des Anspruchs untermauert, sondern vor allem auch dessen materielle Grenzen konturiert hat. Im vergangenen Jahr hat es seine ei- gene Rechtsprechung zum verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse wie folgt zusammengefasst: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfasst die Regelung eines Auskunftsanspruchs in den Landespressegesetzen nicht Ansprüche gegen Bundesbehörden. Solche Regelungen sind vielmehr als Annex zu den bun- desrechtlichen Sachregelungen dem Bundesgesetzgeber – hier auf der Kompetenz- grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG – vorbehalten. Bleibt er untätig, kann die Presse sich auf einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch berufen. Auf dieser Rechtsgrundlage können Presseangehörige auf hinreichend bestimmte Fra- gen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Pri- vater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Dieser Anspruch fordert grund- sätzlich eine Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufi- gen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall. Dabei darf er in seinem materiellen Gehalt nicht hinter demjenigen der im Wesentlichen inhaltsgleichen, auf eine Ab- wägung zielenden Auskunftsansprüche nach den Landespressegesetzen zurückblei- ben. Entscheidend ist, ob dem Informationsinteresse der Presse schutzwürdige In- teressen von solchem Gewicht entgegenstehen, die den Anspruch auf Auskunft aus- schließen (so zuletzt BVerwG, Urteil vom 18. September 2019 - 6 A 7.18 - ZUM 12 Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.03.2015 – 6 C 12/14, Rn. 29. 13 BVerwGE 146, 56. 14 Vgl. etwa Kloepfer, JZ 2013, 892; Cornils, DÖV 2013, 657, Huber, NVwZ 2013, 1010; Frenzel, in: Dix u.a. (Hrsg.), Informationsfreiheit und Informationsrecht, Jahrbuch 2013, S. 79 ff.; kritisch auch Rhein, DÖV 2019, 394; ders., Informationsansprüche gegen Parlamente, 2020, S. 179 ff. 12
12

2020, 152 Rn. 13 m.w.N.). Eine pauschalierte Rechtsgütervorrangregelung und ein Ausschluss einzelner behördlicher Funktionsbereiche kommen aufgrund einer ty- pisierenden Interessengewichtung und -abwägung indessen jedenfalls ausnahms- weise in Betracht (siehe BVerwG, Urteil vom 29. August 2019 – 7 C 33.17 – juris 15 Rn. 14, 18).“ Diese Zusammenfassung spiegelt das geltende Recht wider, an das das BMG bei der Beant- wortung der ihm gestellten Auskunftsersuchen gebunden ist. Es ist nicht etwa frei, diesen ver- fassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch zu ignorieren und entsprechende Auskunftsersuchen der Presse mit der Begründung abzulehnen, sie entbehrten einer kompetenzgerecht erlassenen gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Vielmehr ist es bis zum Erlass eines Bundespressegesetzes verpflichtet, solche Auskunftsersuchen nach Maßgabe der in rund einem Dutzend Entscheidun- gen konturierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu bescheiden. 2.     Abstrakte Schranken des Auskunftsanspruchs Die unter 1. zitierte Zusammenfassung des Maßstabs für presserechtliche Auskunftsansprüche verdeutlicht, dass das Grundrecht der Pressefreiheit Journalisten keinen unbegrenzten Aus- kunftsanspruch einräumt. Vielmehr reicht der Anspruch nur soweit, „wie schutzwürdige Inte- ressen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen.“ Diese Beschränkung korrespondiert nicht nur mit § 4 der meisten Landespressegesetze, sondern ist vor allem zwingende Konsequenz des verfassungsrechtlichen Befundes, dass keinem Grund- recht und auch nicht der Pressefreiheit ein absoluter Vorrang vor anderen Grundrechten und sonstigen Werten von Verfassungsrang zukommt, sondern vielmehr stets ein Ausgleich im 16 Wege der praktischen Konkordanz gefunden werden muss. Das BMG darf deshalb nicht einseitig die Befriedigung des presserechtlichen Auskunftsan- spruchs vor Augen haben, sondern muss sich neben seiner Verantwortung für schutzwürdige öffentliche Interessen vor allem auch seiner Schutzpflichten für rechtlich geschützte Interessen Dritter bewusst sein. Umgekehrt darf es nicht schon ein etwaiges Reklamieren solcher Interes- sen durch die betroffenen Abgeordneten und Unternehmen zum Anlass nehmen, das Auskunfts- begehren der Presse abschlägig zu bescheiden. Vielmehr muss es eine inhaltliche Abwägung 15 BVerwG, Urt. v. 30.01.2020 – 10 C 18/18 – juris Rn. 28 = BVerwGE 167, 319. 16 Für den Ausgleich zwischen Presserecht und schutzwürdigen privaten Interessen Burkhardt, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, 6. Aufl. 2015, § 4 LPG Rn. 121. 13
13

des Informationsinteresses der Presse mit gegenläufigen Schutzinteressen im Einzelfall vorneh- men. 3.    Potenzielle Schranken des konkreten Auskunftsanspruchs Als schutzwürdige Interessen, die einer Erteilung der begehrten Auskünfte im Zusammenhang mit der Frage, welche Rolle Abgeordnete bei der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüs- tung durch das BMG gespielt haben, entgegenstehen können, kommen in erster Linie solche der Abgeordneten in Betracht, darüber hinaus auch solche der betroffenen Unternehmen. Hin- gegen sind öffentliche Interessen, die einer Auskunftserteilung entgegenstehen könnten, hier nicht unmittelbar erkennbar, so dass sie im Gutachten nicht weiter berücksichtigt werden. a)    Entgegenstehende personenbezogene Rechte der Abgeordneten Die Abgeordneten sind durch die intendierten Auskünfte jedenfalls als Personen betroffen, so dass als entgegenstehendes Schutzgut das von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen ist, insbesondere in seiner Konkretisierung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht gewährleistet „die Befug- nis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen 17 Daten zu bestimmen.“ Mit dem Namen des Abgeordneten und seiner Verbindung zu einem Unternehmen umfassen die Auskunftsbegehren insoweit Daten, die vom Grundrecht auf infor- mationelle Selbstbestimmung umfassend sind. b)    Entgegenstehende mandatsbezogene Rechte der Abgeordneten Darüber hinaus sind die Abgeordneten möglicherweise auch in ihren spezifischen Rechten als Abgeordnete betroffen, soweit die intendierten Auskünfte einen entsprechenden Mandatsbezug aufwiesen. Zu berücksichtigen wären dann die Statusrechte der Abgeordneten, die verfassungs- rechtlich durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet sind, namentlich die Freiheit und die Gleichheit des Mandats. Die Freiheit des Mandats umfasst insbesondere auch den Schutz per- sonenbezogener Daten der Abgeordneten, die im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallab- 18 wägung dem Auskunftsanspruch der Presse entgegenstehen können. 17 BVerfGE 65, 1, Ls. 1; ständige Rechtsprechung. 18 So in Bezug auf die Bundestagsverwaltung BVerwG, Urteil v. 16.03.2013 – 6 C 65/14, Ls. 3. 14
14

aa)   Kein Kernbereich der Mandatsausübung Dabei betreffen die begehrten Auskünfte allerdings nicht den Kernbereich der freien Man- datsausübung. Der Status der Freiheit ist nämlich auf die parlamentarische Willensbildung be- zogen. Er betont die ausschließliche Verpflichtung der Abgeordneten auf ihr Gewissen und sichert die Abgeordneten vor staatlicher Beeinträchtigung ebenso wie vor Verpflichtungen ge- 19 genüber Wählern, Parteien und Interessengruppen. Die Freiheit des Mandats betrifft also zu- vörderst die Mitwirkung des Abgeordneten an der parlamentarischen Willensbildung. Die be- gehrten Auskünfte wiederum beziehen sich nicht auf die Rolle oder das Verhalten der jeweili- gen Abgeordneten im Rahmen der parlamentarischen Willensbildung. Weder geht es unmittel- bar um Fragen, welche Abgeordnete an welchen Sitzungen welcher organisatorischen Einheiten des Bundestages teilgenommen und sich dort wie verhalten haben, noch geht es um die Frage, wie die betroffenen Abgeordneten ihr Mandat ausgeübt haben. Vielmehr betreffen die Auskünfte gerade keine derjenigen Rechte, die den Abgeordneten in 20 eben dieser Eigenschaft zustehen:          Nicht ihre parlamentarische Mitwirkung, nicht ihre (auf Äußerungen im Bundestag beschränkte) Indemnität (Art. 45 GG), nicht die (ohnehin primär das Parlament als solches) schützende Immunität (Art. 46 GG) und auch nicht das Zeugnisver- weigerungsrecht und das Beschlagnahmeverbot (Art. 47 GG). Anders als in den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen zur Sachleistungspau- 21                                                                             22 schale oder zur Beschäftigung von Verwandten mit öffentlichen Mitteln betreffen die Aus- künfte auch keine Sachverhalte, die die Ausübung des Mandats überhaupt erst ermöglichten. Vielmehr steht die Einbindung von Abgeordneten in die Beschaffung von persönlicher Schutz- ausrüstung durch das BMG in keinem näheren inhaltlichen Zusammenhang mit den Tätigkeiten von Abgeordneten im Bundestag. Schließlich betreffen die Sachverhalte, auf die die Auskunftsbegehren gerichtet sind, weder die Gesetzgebungsfunktion noch die Budgetfunktion des Bundestages und auch nicht seine Krea- tionsfunktion. Allein mit Blick auf die Kontrollfunktion des Bundestages wäre nach dem ge- 19 Vgl. Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 149 ff. 20 Vgl. zur Übersicht Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 147 ff.; Wiefelspütz, in: Mor- lok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.); Parlamentsrecht, 2016, § 12 ff. 21 BVerwGE 154, 222. 22 BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 – 7 C 5/17, NVwZ 2019, 473. 15
15

nauen Kontext des Kontakts von Abgeordneten zum BMG im Zusammenhang mit der Beschaf- fung persönlicher Schutzausrüstung weiter zu differenzieren: Soweit der Kontakt nach Zustan- dekommen des Vertrags zu verzeichnen ist und eher Fragen der Durchführung dieses Vertrags betrifft, mag dies als Ausdruck einer Mitwirkung an der parlamentarischen Kontrolle der Re- gierung zu werten sein. Sie vollzöge sich dann aber außerhalb der formalen und institutionali- sierten Kontrollinstrumente und kann deshalb jedenfalls nicht der Kontrolle in einem engeren Sinne zugeordnet werden. bb)    Mittelbarer Mandatsbezug Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass dem Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nach der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts der Doppelstatus der Abgeordneten als Mandatsträger und Privatperson zu Grunde liegt. Beide Sphären ließen sich nicht strikt trennen; die parlamen- 23 tarische Demokratie fordere den Abgeordneten als „ganzen Menschen“. Von diesem Doppel- status geht auch das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen zu presserechtlichen 24 Auskunftsansprüchen gegenüber dem Parlament aus. Vor diesem Hintergrund reicht der bloße Umstand, dass Abgeordnete in eben dieser Eigen- schaft im Zusammenhang mit der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung durch das BMG mit dem Ministerium in Kontakt waren, aus, um einen hinreichenden Mandatsbezug an- zunehmen. Denn die Abgeordneten fungieren insbesondere in ihrem jeweiligen Wahlkreis als Kommunikationsmittler zwischen Privatpersonen und Unternehmen auf der einen Seite und den Verfassungsorganen und Verwaltungsbehörden auf der anderen Seite. Dies unterscheidet sie von anderen Privatpersonen. Unternehmen, die etwa auf Probleme bei der Durchführung eines Vertrags mit dem BMG aufmerksam machen wollen, wenden sich bewusst an „ihren“ Abgeordneten, weil sie sich von seiner Eigenschaft als Abgeordneter Hilfe versprechen. Abge- ordnete können sich, müssen sich vor allem aber auch solchen Anfragen nicht entziehen. Ihre Vermittlung zwischen Volk und dessen Repräsentation im Bundestag erschöpft sich nicht durch ihre Wahl, sondern dauert während der gesamten Legislaturperiode an. Insofern lässt sich nicht trennscharf zwischen ihrer Rolle als Privatperson und ihrer Rolle als Mandatsträger differen- zieren. Rechtliche Konsequenz der Überlagerung beider Rollen ist, dass die besonderen Rechte 23 Grundlegend BVerfGE 40, 296, 313; vgl. auch BVerfGE 118, 277, 354. 24 BVerwGE 154, 222; BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 – 7 C 5/17, NVwZ 2019, 473. 16
16

der Abgeordneten mittelbar auch dann – wenn auch entsprechend abgeschwächt – Berücksich- tigung finden müssen, wenn Abgeordnete außerhalb der formalisierten und institutionalisierten Wege tätig werden, die das Grundgesetz und die weiteren rechtlichen Ausgestaltungen des Par- lamentsrechts vorgeben. Für die Berücksichtigung jedenfalls eines solchen mittelbaren Mandatsbezugs bei der Entschei- dung über die gestellten Auskunftsersuchen spricht zudem, dass die Preisgabe von Informatio- nen über Abgeordnete durch die Regierung generell ein sensibler Bereich ist. Denn grundsätz- lich stehen dem Parlament und einzelnen Abgeordneten Kontroll- und Informationsrechte ge- genüber der Regierung zu, nicht hingegen darf und soll die Regierung einzelne Abgeordnete kontrollieren oder auch nur durch die Preisgabe von Informationen einem öffentlichen Recht- fertigungsdruck aussetzen. Informationsrechtliche Konsequenz dieses grundsätzlichen Ge- waltenverhältnisses ist, dass Pressevertreter nicht über den Umweg der Bundesregierung an Informationen gelangen dürfen, deren Herausgabe sie aufgrund des Schutzes der Mandatsfrei- 25 heit vom Abgeordneten selbst nicht verlangen dürfen. Normativ hat sich dieser Gedanke etwa in § 5 Abs. 2 IFG niedergeschlagen, nach dem das Informationsinteresse des Antragstellers bei Informationen mit Mandatsbezug nicht überwiegen. c)     Entgegenstehende Rechte der Unternehmen Bei betroffenen Unternehmen können durch die Erteilung der begehrten Auskünfte womöglich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sein. Darunter werden „alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und 26 an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.“ An dieser Definition hat sich auch nach dem Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisgesetzes nichts geändert, weil dieses in § 1 Abs. 2 GeschGehG explizit einen Vorrang von „öffentlich- rechtlichen Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Ge- schäftsgeheimnissen“ anordnet und dem öffentlichen Recht insoweit die Steuerungsfunktion und -hoheit in Bezug auf die Frage überlässt, in welchem Umfang private Daten, die öffentli- 25 So bezogen allerdings auf die Bundestagsverwaltung OVG NRW, Beschluss vom 03.042019 – 15 B 1850/18, Rn. 54; unter Verweis auf OVG Berlin-Bbg, Beschluss vom 30. April 2015 – 6 S 67.14 – juris Rn. 10. 26 BVerfGE 115, 205, 230 f., bestätigend BVerfGE 128, 1, 56. 17
17

chen Stellen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben übermittelt werden (müssen), exklusiv sein sol- len bzw. bleiben dürfen und inwieweit öffentliche Interessen deren Bereitstellung oder gesamt- 27 gesellschaftliche Nutzbarmachung rechtfertigen können. 4.     Prozedurale Folgen des Abwägungsgebots Bereits aus der nur potenziellen Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen an einer Ge- heimhaltung der begehrten Informationen folgen prozedurale Konsequenzen für die gebotene Abwägung zwischen dem Informationszugangsinteresse der Presse und den (potenziellen) In- formationsrestriktionsinteressen der Abgeordneten und Unternehmen. Denn ein Ausgleich zwi- schen dem Informationsinteresse der Presse und den schutzwürdigen Interessen der Abgeord- neten und Unternehmen kann schon durch eine Minimierung der Eingriffsbreite erfolgen (a). Zudem ist es notwendig, die verbleibende Eingriffstiefe exakt auszuloten (b.), um diese an- schließend in der eigentlichen materiellen Abwägung richtig bewerten zu können. a)     Verringerung der Eingriffsbreite Ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen kann zunächst dadurch bewirkt wer- den, dass die Eingriffsbreite soweit verringert wird, wie das Informationsinteresse der Presse nicht beeinträchtigt wird. Denn eine nicht erforderliche Eingriffsbreite in schutzwürdige Inte- ressen Dritter kann der Stattgabe des Auskunftsanspruchs entgegenstehen, obwohl die Ein- griffstiefe eine Stattgabe rechtfertigen würde. Es entspricht somit nicht nur der Schutzpflicht bezüglich der schutzwürdigen Interessen Dritter, sondern auch der Leistungspflicht bezüglich des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse, wenn die auskunftspflichtige Stelle den Kreis der Drittbetroffenen soweit einschränkt, wie es das erkennbare Auskunftsinte- resse der Presse zulässt. Eine solche Beschränkung der Drittbetroffenen kann im Übrigen auch zu einer Effektivität des Verfahrens und damit zu einer zeitnahen Beantwortung des Aus- kunftsersuchens beitragen. So kann das BMG presserechtliche Auskünfte in personeller Hinsicht auf diejenigen Abgeord- nete des Bundestages beschränken, deren Kontakte mit dem BMG Unternehmen betrafen, mit denen es im Rahmen der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung tatsächlich zu einem Vertragsschluss kam bzw. schon vor dem Kontakt mit einem Abgeordneten gekommen war, 27 Vgl. etwa Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 72. 18
18

der Kontakt also während der Anbahnung oder der Durchführung eines geschlossenen Vertrags erfolgte. Hierbei handelt es sich um ein sachliches und objektives Differenzierungskriterium, das insoweit nicht nur die Gleichheit der Abgeordneten und den Grundsatz der parteipolitischen Neutralität berücksichtigt, sondern zudem geeignet ist, dem erkennbaren Informationsinteresse der Presse in besonderer Weise Rechnung zu tragen. b)     Ermittlung der Eingriffstiefe Um die verbleibende Eingriffstiefe auszuloten, muss das BMG den betroffenen Abgeordneten und Unternehmen sodann Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Eine solche Anhörung dient zum einen der Sicherstellung der materiellen Richtigkeit der fraglichen Information und der Ermittlung der abwägungsrelevanten Belange, gibt den Betroffenen zum anderen aber zugleich auch die Möglichkeit, in die Preisgabe der sie betreffenden Informationen einzuwilligen. Zu- gleich ist sie zwingende Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz und insofern verfas- sungsrechtlich unerlässlich. aa)    Anhörung als materielle Richtigkeitsvoraussetzung Ohne eine Ermittlung der konkreten Abwägungsbelange kann keine Gewähr für die Richtigkeit des Abwägungsergebnisses übernommen werden. Zwar schuldet das BMG ohnehin nur die bei ihm vorhandenen Informationen. Der presserecht- liche Auskunftsanspruch erstreckt sich – wie im Übrigen auch der Informationszugangsan- spruch nach dem IFG – nur auf das Vorhandensein von Informationen, nicht auf deren Richtig- keit. Doch gerade, wenn die angefragten Informationen durch einen Drittbezug gekennzeichnet sind, muss das BMG nicht nur in einem Disclaimer darauf hinweisen, dass für die Richtigkeit der Informationen keine Verantwortung übernommen wird, sondern sich zusätzlich darum be- mühen, die Informationsqualität so gut wie möglich abzusichern. Denn für Abgeordnete wie für Unternehmen steht mit ihrer Reputation ein hohes Gut auf dem Spiel. bb)    Anhörung zur Ermöglichung der Einwilligung Die Gelegenheit zur Stellungnahme kann von den betroffenen Abgeordneten und Unternehmen auch genutzt werden, um ihre Einwilligung in die Preisgabe der sie betreffenden Informationen zu erteilen. Darauf sollten sie hingewiesen werden, was seitens des BMG auch erfolgt ist. 19
19

cc)    Anhörung als Voraussetzung effektiven Rechtsschutzes Vor allem ist eine Anhörung aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich. Gerade weil der ver- fassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse nicht gesetzlich ausgestaltet ist, ist es not- wendig, auf diese rechtsstaatliche Voraussetzung hinzuweisen. Auch soweit im Übrigen ge- setzlich konkretisierte Auskunftsansprüche sich nicht zu einer vorherigen Anhörung verhalten, hat die Rechtsprechung klargestellt, dass Drittbetroffenen vor einer Entscheidung über den Zu- 28 gangsantrag rechtliches Gehör zu gewähren ist. Die vom BMG gesetzte Frist von fünf Tagen erscheint dabei als angemessener Ausgleich zwi- schen dem dringenden Informationsinteresse der Presse und der notwendigen Überlegungszeit der betroffenen Abgeordneten und Unternehmen. Dass sich die Beantwortung der Auskunftser- suchen dadurch in die Länge gestreckt hat, dass zu späterer Zeit weitere Kontakte zwischen Abgeordneten und Unternehmen identifiziert wurden, denen mit Blick auf den Gleichbehand- lungsgrundsatz dieselbe Frist eingeräumt werden musste wie den zunächst identifizierten Ab- geordneten und Unternehmen, ist aus rechtlicher Perspektive nicht zu beanstanden, sondern war sogar geboten. 5.     Materielle Bewertung der konkreten Abwägungsbelange Die vom BMG zunächst selbst ermittelten und sodann von den Abgeordneten und Unternehmen ggf. erläuterten Abwägungsbelange müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- gerichts zum verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse sodann materiell bewer- tet werden. a)     Bewertung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit Hinsichtlich des Informationsinteresses der Presse ist insoweit allerdings das Verbot einer jour- nalistischen Relevanzprüfung zu beachten, das das Bundesverwaltungsgericht in ständiger 29 Rechtsprechung betont. Danach wäre es „mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Presse [...]nicht vereinbar, wenn die Durchsetzung ihres Informationsinteresses von einer staatlichen Inhaltsbewertung des Informationsanliegens abhinge. Die Presse muss nach publizistischen Kriterien selbst entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für Wert hält und was nicht [...] Diese Maßgaben, die sich als Gebot staatlicher Inhaltsneutralität verstehen lassen (vgl. 28 Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2019, 15 B 624/18, Rn. 35 ff. 29 Vgl. BVerwGE 154, 222; siehe auch BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 – 7 C 5/17, Rn. 30. 20
20

Zur nächsten Seite